Legends of the Shires
Im dreißigsten Jahr ihres Bestehens bringen die britischen Prog-Metaller Threshold ihr erstes Doppel-Album. „Legends of the Shires“ ist Opus Nummer Elf in der Bandgeschichte, der Gesang kommt nach dem überraschenden Ausstieg des charismatischen Frontmanns Damian Wilson von einem alten Bekannten. Glynn Morgan war bereits in den Neunzigern Mitglied der Band und hatte auf dem Zweitwerk „Psychodelicatessen“ den Gesang beigesteuert.
Die Band um Keyboarder Richard West und Gitarrist und Bandleader Karl Groom hatte mit ihren letzten beiden Werken „March of Progress“ und „For The Journey“ Musikredaktionen in aller Welt in Verzückung versetzt. Die Engländer schaffen es immer wieder, sehr eingängige und gleichzeitig sehr anspruchsvolle Songs zu schreiben. Daß die Herren allesamt Meister an ihren Instrumenten sind, zeigte zudem zuletzt das Live-Album „European Journey“ sehr eindrucksvoll. „Legends of the Shires“ steht allerdings durch die Neubesetzung des Sängerpostens und der Konzeptionierung als Doppelalbum unter zumindest leicht veränderten Vorzeichen.
Nach dem leicht und verspielt anmutenden Intro ‚The Shire Part 1‘ geht es mit einem treibenden Riff und ohrwurmigen Gesangslinien auf gewohntem Niveau und schön rockig zur Sache. Dann folgt mit der 12-Minuten-Nummer ‚The Man Who Saw Through Time‘ bereits das längste, schwergewichtigste und damit zentrale Element des Albums. Das Stück ist ein Kleinod, das in mehreren Akten mit geschickt ineinander verschachtelten Keyboard-, Gesangs- und Gitarrenpassagen großen Spaß macht und gleichzeitig genügend Tiefgang bietet, um mit jedem Hören nochmal etwas Neues zu entdecken. Obwohl das Stück lang ist, bietet es keine Längen.
Mit einem bedrohlichen Einstieg punktet ‚Trust the Process‘, ebenfalls geht der mehrstimmige Refrain-Chor ins Ohr. ‚Stars and Satellites‘, mit seiner Pop-Attitüde und gemessen an der üblichen Meisterschaft des Sextetts vergleichsweise simpel gestrickte Melodiebögen lässt den verwöhnten Threshold-Kenner das erste Mal fragend zurück. Auch ‚On the Edge‘ und ‚Snowblind‘ sind gemessen am gewohnt sehr hohen Niveau des Songwritings eher durchschnittliche Pop-Rock-Songs. Die Stimme von Bartträger Damian Wilson hätte diesen Songs sicher ein wenig mehr „Metal-Eier“ verliehen. Mit dem lahmen ‚Subliminal Freeways‘ erreicht das Album seinen Tiefpunkt, bei der klasse Rock-Ballade ‚State of Independence‘ passt die Stimme von Morgan dann tatsächlich besser als die von Wilson. Das bereits vor dem Release präsentierte ‚Lost in Translation‘ zeigt Threshold dann wieder in „alter Form“. Der zweitlängste Titel der Platte besticht mit einer bestechenden Dramaturgie und gräbt sich mit den typischen Threshold-Qualitäten tief ins Ohr. Das melodische ‚Swallowed‘ geht in Ordnung und schließt das Album versöhnlich ab.
Nach drei Spitzen-Veröffentlichungen in Folge, drei Alben ohne durchschnittliche Songs oder Lückenbüsser fallen Threshold auf hohem Niveau zurück. Denn hier gibt es sie, die Songs, bei denen man sich fragt, wie sie es auf das Album schaffen konnten, zumal es sich um ein Doppelalbum handelt. Im Mittelteil hätten ruhig drei Songs herausfallen dürfen, so daß das Gesamtergebnis sicherlich runder gewirkt hätte. „Legend of the Shires“ ist beileibe kein schlechtes Album, aber im Gegensatz zu den sehr guten Vorgängern „nur“ gut.