KAPELLE PETRA – Heimspiel in der Sputnikhalle
Wie verkraftet eine Band den Absturz, wenn sie innerhalb sehr kurzer Zeit erst vor 30.000 Menschen spielt, und sich wenige Wochen später in der gleichen Stadt nur ein paar hundert Fans zusammenfinden? Ziemlich hervorragend, zumindest wenn es Kapelle Petra ist. Der Vergleich ist natürlich Quatsch, denn die Indie-Rocker haben (u.a. mit den Donots) Mitte Februar auf dem Münsteraner Prinzipalmarkt bei der Demo gegen den AFD-Neujahrsempfang gespielt, und sind heute mit ihrer eigenen Headliner-Show in der rappelvollen Sputnikhalle zu Gast. Die Musiker aus dem benachbarten Hamm sind schon seit fast 30 Jahren aktiv, und haben es über diese beinahe drei Dekaden geschafft, sich eine sehr stabile Anhängerschaft zu erspielen – erstaunlicherweise ohne echten Radio-Hit. Mit dem aktuellen -nach ihrer Heimatstadt benannten- Album, haben sie es erstmals in die Top Ten geschafft, und beackern derzeit bundesweit weitestgehend ausverkaufte Clubs.
Den heutigen Abend eröffnen etwas überraschend Angelika Express aus Köln (nirgends war ein Support angekündigt), und schaffen es in ihren 45 Minuten ziemlich schnell, auch die eingefleischten Kapelle-Ultras in den ersten Reihen zu überzeugen. Nach einer kurzen Umbaupause (hier packen die Künstler noch selber an!), geht es um Punkt 21.00 Uhr mit dem James-Bond-Intro „Goldfinger“ los. Opa Scholz, Der tägliche Siepe, Ficken Schmidt und Bühnenskulptur Gazelle und eröffnen mit dem „Mittelmäßigen Leben“, und sofort ist Stimmung in der Bude. Ergänzt werden sie seit einiger Zeit von Ole Obering an den Tasten (und zeitweise zweiter Gitarre), was den Sound deutlich dichter macht als früher. Musikalisch liegt Kapelle Petra irgendwo zwischen den Sportfreunden Stiller, Bosse und einem Hauch Kettcar, während sie es textlich schaffen, sich in wunderbarer Alltags-Poesie mit so profanen Dingen wie „Freibad Pommes“ und einer ersten Sommerliebe im Ferienlager auf „Ameland“ zu beschäftigen, oder sich in die Rolle als Johnny-Cash-Imitator hineinzuversetzen.
Frontmann Guido begrüßt die Anwesenden zum „Heimspiel“ (sie gründeten sich 1996 in Münster), und erinnert an den oben erwähnten wichtigen Tag gegen die AFD. Gerade in diesem Zusammenhang wird deutlich, wie weise die Entscheidung vor einigen Jahren war, sich von dem langjährigen Klamauk (abgesehen von den immer noch benutzten Künstlernamen) und den Verkleidungen zu verabschieden, und sich voll und ganz auf die Songs zu konzentrieren, denn die sprechen wirklich für sich. Es ist bemerkenswert, wie es das eigentliche Trio in seiner Karriere ohne nennenswerte Charterfolge geschafft hat, so viele Publikumslieblinge zu erschaffen, die aus hunderten Kehlen auswendig mitgesungen werden können. Ob „Weltkulturerbe”, „Bundesjugendspieleteilnahmebescheinigung“ oder „An irgendeinem Tag wird die Welt untergehen“, alles wird textsicher und lauthals mitgegrölt und beklatscht. Die neue Platte „Hamm“ macht heute mehr als ein Drittel der Setlist aus, und die neuen Lieder fügen sich dermaßen harmonisch ins Programm ein, als seien sie immer schon dagewesen.
Ein besonderes Highlight ist immer in der Mitte der Show, wenn Gazelle aus seinem Campingstuhl aussteigt, und mit fünf Trompetentönen „Ja“ unterstützt – selten werden Nicht-Musiker bei einer Show mit so frenetischen Chören gefeiert! Mit „Also stoßen wir an” verabschieden sich die Herren dann nach etwa 70 Minuten, aber die Nummer ist nur dazu gedacht, dass alle munter weitersingen, und die Combo schnell zurückgeholt wird. Natürlich darf die Aufforderung „Geht mehr auf Konzerte“ nicht fehlen, und mit dem neuen (und grandiosen) „Keine Lieder für böse Menschen“ (auch an die vermeintliche politische Alternative gerichtet) enden eineinhalb Stunden wunderbarer Unterhaltung. Die Jungs nehmen beim Verlassen der Bühne noch einmal ihr Anstoß-Lied auf, und die restlos begeisterte „Sputte“ begleitet Kapelle Petra mit dieser Melodie in den wohlverdienten Feierabend.
Wer auf guten, handgemachten Indie-Rock mit durchgehend unterhaltsamen Texten steht, sollte sich dringend ein Konzert diese Truppe anschauen, zum Beispiel bei ihrem eigenen Festival in Hamm am 08.06.2024 (Karten für den Kapelle-Somma (und auch das aktuelle Album) gibt es u.a. hier.)
SETLIST Münster 08.03.2024
Mittelmäßiges Leben
Seitdem ich Johnny Cash bin
Weltkulturerbe
Auf Null
Irgendwas ist blöd
Zwischending
Ja
Befund
Freibad Pommes
Bundesjugendspieleteilnahmebescheinigung
Ameland
Eine schöne Geschichte
Nicht alleine
An irgendeinem Tag wird die Welt untergehen
Also stoßen wir an
Das Lachen
Geht mehr auf Konzerte
Morgen ist frei
Keine Lieder für böse Menschen
(Also stoßen wir an – Reprise)
Fotocredit: Wollo@Whiskey-Soda