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Infernal Atrocity

Brutal Death Metal ist tiefster Underground, so weit von Mainstream-Metal à la Sabaton entfernt wie das berühmte gallische Dorf von Rom. Und wie es unbeugsame Minderheiten nun mal an sich haben, sind sie in der Regel eingeschworene Gemeinschaften. Die kommerziell unbedeutende Brutal Death Szene besteht aus besonders loyalen Metalheads. Oft ist das Genre exklusiver Rückzugsraum, Liebe und Mission in einem. Jayson Sherlock passt so gesehen perfekt in diese überschaubare, weltweite Gemeinschaft. Der Schlagzeuger aus Melbourne erlangte Anfang der Neunziger als Mitglied von Mortification Bekanntheit, der ersten christlichen Death-Metal-Band. Später weitete der gläubige Musikfreak seinen unfreiwilligen Pionierstatus mit Paramaecium auf Death-Doom und mit dem Solo-Projekt Horde auf Black Metal aus. Nun hat sich der experimentierfreudige Australier mit seinem guten Freund Sheldon D’Acosta (Ex-Gitarrist von Paramaecium) und dem deutschen Sänger Konstantin Lühring (Ex-Defeated Sanity) unter dem Namen Revulsed einen lang gehegten Traum erfüllt: Das härteste Death-Metal-Album seiner Karriere aufzunehmen.

Das Neugeborene hört auf den Namen „Infernal Atrocity“ und hat so gar nichts von einem niedlichen Baby. Kein Wunder, wenn die Väter erfahrene Death-Metal-Musiker sind. Nicht nur deren Namen, sondern auch das stilsichere Bandlogo und das atemberaubende Cover-Artwork des bekannten schwedischen Künstlers Pär Olofsson (u.a. Immolation, Spawn of Possession, Dying Fetus) zeigen deutlich, dass „brutal“ hier wörtlich genommen wird. ‚Rapacious Engorgement‘ ist der extremste und gleichzeitig interessanteste Album-Opener, den man sich auf einem derartigen Album vorstellen kann. Sherlock fackelt nicht lange, vom langsamen Aufbau eines Spannungsbogens scheint er nichts zu halten: Gnadenlose Turbo-Blastbeats und markante Fills prasseln von der ersten Sekunde an auf den Hörer ein. Konstantin Lühring bohrt mit seinen stählernen Stimmbändern so gnadenlos heftig und tief, dass es nicht verwundert, dass der gute Mann damit in Australien gelandet ist. D’Acostas Riffs, Akzente und Soli knallen ebenfalls rein, stehen aber gegen die schiere Übermacht von Sherlock und Lühring bei diesem Song fast etwas zurück.

‚Agonising Putrid Self Infliction‘ beginnt schleppend-groovy, lebt aber im Gesamten von seinen sehr coolen Takt- und Tempowechseln. Der Song ist so gesehen ein Flirt mit Tech-Death, dem Sherlock offensichtlich nicht abgeneigt ist. Lührings Bandbreite an Growls kommt hier ebenfalls besonders zum Vorschein und D’Costa steuert ein schaurig-grandioses Solo bei. Ein Hammer von einem Death-Metal-Song! ‚Transmutational Craniotomy‘ schildert mit tiefgründigen Lyrics die metaphorische Sektion eines Schädels – und genau das machen die Herren Revulsed auch durch die Musik: D’Acostas Riffs fräsen die Schädeldecke auf, Lührings Todesgrowls heben das Gehirn aus der Verankerung und Sherlock verpasst dem Nervenkostüm des Hörers mit seinen Drumsticks mit Hochgeschwindigkeit eine neue Form. ‚Encitement to Carnivorous Impoverishment‘ hat einen im wahrsten Sinn des Wortes abartig geilen Groove – hier kommt die Gitarren-Meisterschaft von D’Acosta wie auch an anderen Stellen deutlich mehr zur Geltung als noch beim Album-Auftakt. Die letzten 15 Sekunden des Songs lassen die Aussage von Sherlock, dass Revulsed keinen Brutal-Death spielen würden als pures Understatement erscheinen. Ein derart mörderisches Gerumpel hat wohl noch selten einen Song beendet. Der Titelsong mit nur zwei Minuten Dauer setzt den würdigen Schlusspunkt an das Ende eines musikalisch aussergewöhnlich vielseitigen, extrem harten und inhaltlich erfreulich tiefgründigen Albums. Wow!

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