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Celtic Frost – Experimente, Klassiker und Fallstricke

Im Zuge der Wiederveröffentlichungswelle wichtiger Veröffentlichungen des Kultlabels Noise Records werden nun auch die klassischen Celtic Frost-Alben wieder aufgelegt – remastert in schönen und aufwändigen Deluxe-Editionen, allesamt in schicken Digibooks mit Hochglanz-Festeinband, mit Sleevenotes, Texten und jeder Menge Fotos. Dazu gibt’s jede Menge Bonustracks, die insgesamt alles zeitgenössische Material versammeln, das sich über die Jahre so auf EPs und Compilations angesammelt hat. Auch soundtechnisch kommen die alten Schätzchen kräftig entstaubt daher. Aber: was ist mit der Musik? Wir haben für Euch den ersten Teil der Frosties-Story noch einmal unter die Lupe genommen – inklusive des einen Albums, das einmal mehr nicht wiederveröffentlicht wurde.

morbid.jpg “ Das Debüt „Morbid Tales“ ist ein Klassiker des Extrem-Metals, Punkt. Die aus der Hölle heraufschreienden gefolterten Seelen im Intro ‚Human‘ sind heute noch eine Zerreißprobe für die stärksten Nerven, und wenn dann ‚Into The Crypts Of Rays‘ lospoltert, wähnt man sich tatsächlich inmitten eines schmierigen Horrorfilms, ein Eindruck der durch die Corpsepaint-Fotos der Band noch verstärkt wird. Dabei ist der typische Celtic Frost-Stil gar nicht mal sooo ultraaggressiv wie zum Beispiel das, was die Kollegen von Kreator, Exodus oder Slayer zeitgleich unters Volk brachten. Die Bandbosse Warrior und Martin Ain waren ganz damals einfach keine sonderlich guten Instrumentalisten, und komplexe Riffsalven, wie sie die Bay Area-Thrasher zur selben Zeit abfeuerten, konnten die Jungs schlicht gar nicht spielen. Deshalb klingen die typischen Frost-Riffs und Toms Gitarrensound eben auch mehr nach einer Mischung aus Black Sabbath und Frühachtziger UK-Punk Marke The Exploited und Discharge als nach dem, was damals als Heavy oder gar Thrash Metal bekannt war. Zusammen mit Warriors stark von Venom beeinflussten Vocals und Ains Motörhead-Bass ergab das eine schon früh gerade durch die Limitierung unverwechselbare Mischung. Die war gar nicht so weit von den damals wie heute gerne totgeschwiegenen ersten Gehversuchen unter dem Namen Hellhammer entfernt – wenn auch ein gutes Stück kontrollierter. Celtic Frost traten generell nur selten aufs Gaspedal, Songs wie ‚Dethroned Emperor‘ oder ‚Procreation (Of The Wicked)‘ sind eher schleppende Doom-Walzen, und selbst wenn’s auf Into The Crypts Of Rays‘ und ‚Nocturnal Fear‘ nach vorne geht, übertreten Frost nie das Motörhead-Speed-Limit. Natürlich wurde damals alles, was irgendwie extrem klang, unter dem Label „Thrash“ zusammengefasst, aber so richtig passte das schon auf „Morbid Tales“ nicht. Die weiblichen Spoken Word-Beiträge auf ‚Return To The Eve‘ (die Cradle Of Filth bis heute auf jedem Album kopieren) und die vierminütige Klangcollage ‚Danse Macabre‘ wurden damals noch als befremdliche Spielereien gewertet – rückblickend handelt es sich aber um die deutlichsten Wegweiser in die Zukunft der Band. Für das Re-Release wurde die US-Version des Albums mit zwei Bonus-Songs zugrundegelegt – darunter der kultige Titelsong, der in Europa erst auf der „Empereor’s Return“-EP enthalten war.

mega.jpg “ Für den Nachfolger „To Mega Therion“ erfand schließlich ein cleverer Promo-Mensch den Begriff „Avantgarde Metal“. Vom Line-Up des Vorgängers war nur Warrior selbst übrig (es sollte nicht zum letzten Mal sein…), und die neue, technisch klar überlegene Rhythmusgruppe eröffente dem Frost-Sound ganz neue Möglichkeiten. Vor allem Drummer Reed St. Mark brachte eine bislang ungehörte rhythmische Abwechslung und Komplexität in den Celtic Frost-Sound, der Songs wie ‚The Usurper‘ und ‚Dawn Of Meggido‘ neben der gewohnt „bösen“ Atmosphäre auch musikalisch interessant machte. Der Einsatz eines Waldhorns auf einigen Tracks sorgte für eine bombastisch-düstere, wagnerianische Stimmung, dazu gab’s weiblichen Opern-Gesang – ja, hiermit haben Frost alles erfunden, was Jahre später von cleveren Nordeuropäern als Black-, Viking- und Gothic Metal verkauft werden sollte. „To Mega Therion“ ist das bis heute ohne Frage in sich geschlossenste und im Songmaterial reifste Celtic Frost-Album. Alle Experimente gehen auf, jeder einzelne Song hat eine ganz individuelle Stimmung und trägt trotzdem zum Gesamtbild bei – geanu wie das ikonische Giger-Artwork. Schade nur, daß wie bei den letzten Re-Releases die Originalversionen von ‚The Usurper‘ und ‚Jewel Throne‘ durch die Rerecordings von der „Tragic Serenades“-EP ersetzt wurden – aber Tom Warrior schreibt ja gerne die Geschichte seiner Band um, wie’s ihm gerade in den Kram passt – doch mehr dazu später.

pandem.jpg “ Mit dem Drittwerk „Into The Pandemonium“ spalteten Celtic Frost ihre Zielgruppe zum ersten Mal. Selbst heute muss man sich fragen, was die Band geritten hat, das Album mit dem Wall Of Voodoo-Cover ‚Mexican Radio‘ zu eröffnen – eine simple, absolut nicht-evile Gute Laune-Nummer, die mit nichts, was auf den Vorgängern enthalten war, irgendetwas zu tun hat. Wer das krisenfrei überstand, musste mit ‚Mesmerized‘ ein mit Ausnahme der zumindest annähernd metallischen Rhythmusgitarre fast pures Gothic-Stück schlucken – und Warriors erste Versuche mit Klargesang. Tom nannte das Ganze damals „tragic vocals“, die Tragödie klingt aber tragischerweise eher nach tränenersticktem „ich-trink-nie-wieder“-Schwur nachts um vier über der Kloschüssel zwischen zwei Speiereien. Mit ‚Inner Sanctum‘ folgt dann schließlich der erste Song im klassischen Frostie-Stil – und dieser Zickzackkurs zieht sich durch den Rest des Albums. Den coolen Metal-Nummern ‚Babylon Fell‘ und ‚Inner Sanctum‘ stehen Klassikexperimente wie ‚Rex Irae (Requiem I)‘, wieder mit Operngesang und „tragic vocals“ und die camp-as-a-row-of-tents Spoken Word-Nummer ‚Tristesses De La Lune‘ gegenüber – dazu gibt’s mit ‚I Won’t Dance‘ einen kommerziellen Funk Metal-Song und mit ‚One In Their Pride‘ eine Mischung aus Old School-HipHop-Beats und Industrial-Samples. Bis heute streiten sich die Gelehrten (und hält nicht jeder Celtic Frost-Verehrer sich selbst für einen Gelehrten?), ob das nun ein wegweisender Geniestreich war oder der Weg in den Abgrund. Nun, Respekt in jedem Fall für all die Experimente, aber vieles davon fällt eben leider über die Kitschgrenze und sorgt bisweilen für unfreiwillige Komik – allen voran die „tragic vocals“ des Mainman.

Das folgende Album „Cold Lake“ ist leider nicht Teil der Reissue-Serie, da Tom Warrior in einem weiteren Versuch, die Geschichte umzuschreiben, das Album am liebsten vergessen machen würde. Als „Glamrock“-Album wird „Cold Lake“ gerne beschrieben, was natürlich völliger Quark ist – wenn man von den unglaublich bescheuerten Bandfotos der damaligen Zeit absieht, die aber auch mehr nach „Erna auf’m Tuntenball“ aussahen als nach teurem L.A.-Glam. Das Album selbst folgte ziemlich genau dem, was auf „Into The Pandemonium“ mit ‚I Won’t Dance‘ und ‚Mexican Radio‘ begonnen hat. Midtempo-Thrash-Riffs (die allerdings in der Produktion brutal nach hinten gemischt wurden), funkige Basslinien, die gequälten Vocals – meilenweit weg von dem, was auf „To Mega Therion“ zu hören war und im Songwriting zugegeben größtenteils eher mittelmäßig, aber eben klar der nächste und logische Schritt nach „Into The Pandemonium“ und somit unumstößlich Part der Geschichte. Mit ‚Downtown Hanoi‘, ‚Cherry Orchards‘ und ‚Roses Without Thorns‘ gibt es übrigens trotzdem drei echte Highlights auf der Scheibe, die man durchaus kennen sollte.

vanity.jpg “ Dafür ist mit „Vanity/Nemesis“ das letzte offizielle Frost-Album der ursprünglichen Bandhistory in der Kampagne enhalten – und das hätte es nun auch nicht mehr gebraucht als „Cold Lake“. Nicht, daß das Album so richtig schlecht wäre – das Enttäuschende an „Vanity/Nemesis“ ist seine erschreckende Gesichtslosigkeit. Ein Standard-Thrash Metal-Album, mit Standard-Bay Area-Thrash-Riffs (hauptsächlich an Megadeth angelehnt) und Gangshouts, das noch weniger bemerkenswert und sich noch deutlicher an den damaligen Massengeschmack anbiedert als „Cold Lake“. Wo der Vorgänger noch das Biest unter der glatten Oberfläche erahnen ließ, ist man hier bei langweiliger Spätachtziger-Standardware angekommen. Ziemlich mißlungen auch die Coverversionen von Bryan Ferrys ‚This Island Earth‘ und David Bowies ‚Heroes‘ – das schräg-unterkühlte ‚This Island Earth‘ wird hier zu steifem Radio-Metal umgedeutet, und ‚Heroes‘ hat eigentlich mit Bowies Version überhaupt nichts zu tun – weder melodisch noch musikalisch, stattdessen gibt’s ’nen platten Midtempo-Thrasher, über den Bowies Lyrics gesungen werden. Den besten – und typischsten Song – der Albumsessions, ‚A Descent To Babylon‘, hatte die Band seinerzeit als B-Seite verbraten – hier sorgt er als Abschluß der Scheibe dann doch noch für einen versöhnlichen Abschluss.

Mit Ausnahme des erneuten Auslassens von „Cold Lake“ wurde also eigentlich bei dieser Re-Release-Serie alles richtig gemacht. Die Bonustracks sind allesamt wertig, mit Ausnahme der vier Proberaummitschnitte auf „Morbid Tales“, die soundtechnisch roh, aber genießbar sind und die einzig bekannte Celtic Frost-Performance eines Hellhammer-Songs (‚Maniac‘) enthalten, handelt es sich um qualitativ exzellente Studio-Outtakes und B-Seiten oder EP-Tracks, also keinerlei Ausschussware.

Abschließend noch die Benotungen:

Morbid Tales: 2+
To Mega Therion: 1
Into The Pandemonium: 3+
Cold Lake (nicht wiederveröffentlicht): 3
Vanity/Nemesis: 3-

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