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When I Have Fears

Etwas ist faul im Brexit-Land. Veraltete politische Eliten, Johnson-Anhänger und Fans einer obsoleten Weltordnung mögen mit markigen Sprüchen und verkrampften Gesichtern die Größe ihrer Nation und das Goldene der Zukunft beschwören. Aber ihre Kinder glauben ihnen nicht mehr. Die sind sauer und schlagen quer.

Es ist kein üblicher Generationenkonflikt, der Bands wie Idles, Life, Sleaford Mods oder Fat White Family hervorgebracht hat. Auf gereizte bis provokante Weise grenzen sie sich komplett ab von dem, was gemeinhin als die Gesellschaft bezeichnet wird. Und das aus der Überzeugung heraus, dass selbige ihnen nichts mehr zu geben hat – keine schönen Kindheitserinnerungen, keine soziale Wärme und schon gar keine rosige Zukunft. New Weird Britain nennen Musikkritiker diese mehr oder weniger neue kulturelle Erscheinung gern. Was sie so beeindruckend macht, ist ihre Verbittertheit, aber auch die wilde Entschlossenheit, ihre eigene Welt zu schaffen und zu verteidigen.

Nun gesellen sich The Murder Capital dazu. Musikalisch mögen sie sich nicht so wild wie manche ihrer Wegbereiter geben. Dafür stehen sie ihnen in Sachen Grimmigkeit in nichts nach. Was diese neue Band ihrem Umfeld, ihrer Elterngeneration, ja der Welt an sich mit ‚When I Have Fears‘ (Human Session Records) zu sagen hat, beschämt. Und ist geradezu bedenklich. Es muss uns mindestens aufrütteln aus der scheinbaren Zufriedenheit, in der wir leben. Denn so düster, wie die Grundstimmung des Albums gehalten ist, sollte es in einer jungen Seele nicht aussehen.

Die Songs von The Murder Capital, egal ob laut und schnell oder leise und bedacht, saugen alle Trostlosigkeit und Falschheit ihrer Umgebung auf und erschaffen eine Atmosphäre und eine Spannung wie aus dunkelsten Thatcher-Zeiten. Das Brexit-Sein bestimmt das Bewusstsein, und die fünf Musiker verfügen über ein ungewöhnlich klares Bewusstsein. Anders ist nicht zu erklären, dass schon auf ihrem ersten Album ein so starker, weil reifer Song wie ‚How The Streets Adore Me Now‘ auftaucht. Es ist nicht Wut – Teenage anger –, was die Grundhaltung der Band formt, sondern Verdruss, Abkehr, Melancholie. Die jungen Briten zeigen der Gesellschaft nicht aus luxuriösem Trotz den Mittelfinger, sondern sind mitten in ihr schlicht auf sich allein gestellt. Eine Generation, die kaum mehr Hoffnung hat. Nur die in sich selbst.

Das schöne ‚On Twistes Ground‘ verrät, dass damit auch viel Trauer und verletzte Gefühle einhergehen. Die Gegenreaktion ist das Aufbäumen und die volle Energie, die etwa ‚Don’t Cling To Life‘ entfaltet. In ihrer Tragik und ihrer Abgeklärtheit, vor allem wenn so elegisch wie in ‚Green And Blue‘ oder ‚Slowdance II‘, sind die Songs des Albums geradezu angsteinflößend. Denn es kann kein Zweifel daran bestehen, dass The Murder Capital genau wissen, was sie tun. ‚When I Have Fears‘ ist keine spätpubertäre Koketterie, keine Provokation aus Prinzip. Es ist eine Kampfansage. Die Beschwörung der Apokalypse. Aus der bitteren Überzeugung heraus, dass uns allen heimgezahlt wird, was wir verbockt haben.

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