|

The Grand Experiment

‚Leave it all behind you / try to let it go / free the chains that bind you / let your heart go and follow the call‘. Mit diesen Zeilen beginnt ‚The Call‘ und damit „The Grand Experiment“ der Neal Morse Band. Experimentiert haben in diesem Fall Neal Morse (Gesang, Gitarre, Keyboard) und seine Weggefährten Randy George, Eric Gillette, Bill Hubauer und Mike Portnoy (ex Dream Theater, Flying Colors, The Winery Dogs, Transatlantic). Und sie haben tatsächlich alle ihre Ketten gelöst und sind dem Ruf ihrer Herzen gefolgt, nämlich ein Album aufzunehmen, ohne vor der Arbeit im Studio ein festes Konzept zu haben.

Neal Morse hat erklärt, dass er einmal ein Album machen wollte, ohne zuvor festgelegte Ideen zu haben. Und so entstand „The Grand Experiment“ quasi live im Studio ohne vorheriges Songwriting. Aber keine Angst, das Experiment ist zwar genretypisch verschachelt und teils auch progressiv, aber natürlich alles andere als ein Haufen unsortierter Ideen. Nein, es wird mehr als deutlich, dass alle Beteiligten Spitzenmusiker und -songwriter sind. So ist auch ohne vorheriges übergreifendes Konzept ein melodiöses und abwechslungsreiches Progrock-Album entstanden, das jeder, dem Bands wie Transatlantic, Flying Colors (natürlich unüberhörbar beides Projekte mit Neal Morses Beteiligung) oder auch Enchant gefallen, ganz sicher mögen wird.

Der Titelsong beginnt nicht nur mit einem ungeheuer eingängigen Gitarrenriff, sondern präsentiert dem Hörer dann auch einen Killer-Refrain, der sofort zum Ohrwurm wird. Mehrstimmige Chöre, groovende Riffs und dazu Morses typische Keyboard-Sounds machen dieses Experiment wahrlich zu einem großartigen Versuch. Puristen könnte der Song sogar ZU eingängig sein, hat ‚The Grand Experiment‘ doch fast Radiotauglichkeit mit seiner begeisternden Melodie und der vielfachen Wiederholung des Refrains. Ja, das ist an dieser Stelle kaum noch wirklich progressiv, aber wer wird sich da beschweren, wenn das Ergebnis so groovig und ohrwurm-mäßig daher kommt wie wieder wunderbare Song. Und es wird ja noch progressiv genug im weiteren Verlauf des Albums.

Akustikgitarren eröffnen den ruhigen und sehr entspannten Titel ‚Waterfall‘, der über weite Strecken nur von eben diesen Gitarren und ein wenig Piano getragen wird. Mit unter vier Minuten folgt der stilistisch komplett andere Track ‚Agenda‘, der mit verzerrten Vocals und fast nach Alternative Rock relativ hart klingenden Gitarren überrascht. Hier experimentiert Neal Morse ganz eindeutig einmal mit etwas anderer Musik, und auch dieses Experiment darf als gelungen bezeichnet werden. Für musikalische Abwechslung ist also mehr als gesorgt. Und was wäre ein Progrock-Album von Neal Morse ohne einen epischen Longtrack? Die letzte knappe halbe Stunde von „The Grand Experiment“ gehört daher ‚Alive Again‘, einem Song, der noch einmal alle Register musikalischer Kreativität und Progressivität zieht und Vergleiche mit dem anderen Neal-Morse-Projekt Transatlantic nahelegt. Wer die Longtracks auf dem letzen Transatlantic-Album Kaleidoscope mochte, wird von ‚Alive Again‘ ebenfalls schwer begeistert sein: Lange groovige Gitarren- und Keyboard-Soli, typische Portnoy’sche Drum-Eskapaden und jede Menge komplexer Melodien lassen hier jedes Prog-Fanherz höher schlagen. Es geht energetisch kraftvoll nach vorne, um dem Hörer dann in sanften fast sphärischen Sequenzen wieder mit mehrstimmigen balladenhaftem Gesang in ruhigere Gewässer zu geleiten. Und damit hat „The Grand Experiment“ alles, was ein gutes Prog-Album ausmacht.

Ähnliche Beiträge

Schreibe einen Kommentar