ROCKAVARIA 2016 – Der Sonntag mit IRON MAIDEN
Überhaupt war neben dem Freitag mit Powerwolf und Nightwish der Sonntag DER Metal-Tag beim bayrischen Rock-Festival. Bereits The Raven Age, eine recht neue, junge Metal-Band aus England legte ein solides akustisches Warm-Up-Programm für die Nackenmuskulatur der Zuschauer auf die Bretter der Doppelbühne. Moderner Alternative Metal, der neben viel Melodie auch etwas mit thrashigen Riffs flirtet kam da ab 15 Uhr aus den Boxen. Gitarrist George Harris und seine vier Bandkollegen bewiesen mit Power, dass sie rein musikalisch nicht auf die Unterstützung von Papa Steve Harris angewiesen wären, sondern genügend eigenes Potential mitbringen. Ohne die Einladung des berühmten Maiden-Bassisten wären die jungen Briten allerdings wohl trotzdem noch nicht auf einer Bühne dieser Grössenordnung gestanden.
„Gojira aus Frankreich gehören in ihrer harten Progressive-Metal-Nische zum Besten, was man derzeit hören kann. Das Quintett um die Brüder Duplantier an Gitarre und Schlagzeug bewies das eindrucksvoll, unter anderem mit den zwei nagelneuen Stücken ‚Silvera‘ und ‚Stranded‘ vom kommenden Album „Magma“. Komplexes Songwriting, ungewohnte Rhythmen und exzellente Musiker, die Songs mit durchgehend düsterer Atmosphäre, vielen ruhigen Akzentuierungen aber natürlich im Kern Progressiver Death Metal. Die Monsieurs standen selbstbewusst und sympathisch auf der Bühne, den Zuschauern gefiel’s. Keine Musik zwar, die leicht zugänglich ist, wenn man sie zum ersten Mal beim Ankommen auf einem Festival hört. Ein Hors D’Oeuvre der Spitzenklasse dagegen für Prog-Feinschmecker.
Auf Mark Tremonti traf genau das Gegenteil zu. Der Mann, der in den 90er-Jahren mit Creed und später mit Alter Bridge zu Berühmtheit gekommen war, steht für massenzugänglichen Alternative Metal mit Semi-Retro-Faktor. Nicht schlecht also beileibe, dennoch konnte die Soloband von Tremonti beim Publikum nicht so recht punkten. Der Andrang vor der Bühne und der Jubel hielt sich sehr in Grenzen, wozu der mit Abstand schlechteste Sound des Tages sicher sein übriges tat. So fiel der Auftritt dann auch spürbar unter die Kategorie „ferner liefen“: Nett zu sehen, schnell vergessen. So strömten noch während der letzten der acht Songs die Zuschauer zur Doppelbühne nebenan, um sich für die nächste Band in eine gute Position mit Blick auf die Bühne zu manövrieren.
„Der Aufbau lief auf der erstmalig eingesetzten Doppelbühne jeweils parallel zum Konzert nebenan. Dort wurde während Tremonti ein riesiges Anthrax-Bühnen-Backdrop im Design des neuen Albums „For All Kings“ gehisst. Kurz darauf begann noch bei Sonnenschein aber schon heraufziehenden schwarzen Gewitterwolken die Action mit den hervorragend aufgelegten NY-Thrashern. Für das kurze Festival-Set mit nur sieben Songs verursachten die Herren Ian, Belladonna und Co vor der Bühne jede Menge Bewegung – ein gnadelos-ehrliches Anthrax-Brett eben! Man merkt den Herren „bei der Arbeit“ an, dass sie nach vielen Höhen und Tiefen der letzten Jahre ihren Frieden gefunden haben. Schön knackig, lachende Gesichter voller Spass am Metal. Der Applaus ist beachtlich, egal ob von der Tribüne oder vom Innenraum. So muss das sein, auch wenn der Autor dieser Zeilen neben ‚Antisocial‘ und ‚Caught In A Mosh‘ gerne noch einen weiteren Kracher vom 88er-Opus „State of Eurphoria“ gesehen hätte. Aber das kann ja auf der von Scott Ian nach dem Rausschmeisser ‚Indians‘ angekündigten Headliner-Tour im kommenden Jahr nachgeholt werden.
„Die Okkult-Rocker Ghost aus Schweden haben in diesem Februar den Grammy-Award als bester Rock/Metal-Act gewonnen und treten mit neuer Sänger-Inkarnation Papa Emeritus III sowie neuen Bühnen-Outfits an. Wurde bis vor einer Weile noch eine Spur düsterer als jetzt mit verhülltem schwarzem Habit (Instrumentalisten) beziehungsweise opulentem Messgewand mit Papst-Tiara und Weihrauch-Schwenker die Bühne geentert, treten die Skandinavier jetzt etwas dezenter auf. Die „namenlosen Ghule“ sind mit einer Dämonenmaske vermummt und tragen edle, schwarze Kleidung. Beim Frontmann hat sich am meisten geändert. Der tritt zwar noch immer mit Totenschädel-Schminke im Gesicht auf, trägt daneben aber einen schwarzen Frack und weisse Gamaschen. Immer noch ein Hingucker, aber doch um einiges zurückhaltender. Bei der Musik hat sich dagegen nichts geändert: Eingängig-melodischer Hardrock, der stark an die 70er erinnert und mit dem einen oder anderen Metal-Riff aufgepimpt wird. Das ist keine Ausgeburt an Innovation, lässt sich aber mit dem Keyboard und den treibenden Beats dennoch „teuflisch“ gut anhören. Trotz der leicht veränderten Optik bleibt auch die Message (fast) unmissverständlich. Dass man Satan persönlich diene – aber man natürlich trotzdem echt total dankbar für die vielen lieben Fans sei, die gekommen sind. Beim Publikum kam die Band gemessen am Applaus trotz der Kurzweiligkeit um einiges schlechter an als Anthrax – allerdings um einiges besser als Tremonti.
„Die nächsten Herren haben schon zu einem Zeitpunkt das Böse mit ihrer Musik zelebriert, als die meisten Musiker von Ghost vermutlich noch im Kindergarten waren. Slayer standen auf dem Programm und der Innenraum des Stadions füllte sich merklich. Ehrlicherweise muss man dazu sagen, dass nach einer Sturmwarnung die Besucher auf die Tribüne gebeten worden waren – und diese nicht nur wegen Slayer, sondern auch der zwischenzeitlichen Entwarnung wieder zurückkamen. Von wegen Grammy für Ghost und breiter Erfolg im Mainstream: Die Bay-Area-Totschläger haben mit ihrem aktuellen Album „Repentless“ im letzten Herbst die Spitze der deutschen Album-Charts erobert – den Grammy hat man sogar zwei Mal gewonnen, wenn auch nicht für das beste Album. Passend zur Gewitterwarnung – und wohl auch ihrer Musik – eröffnete ein Playback von AC/DC’s ‚Thunderstruck‘ den Auftritt. Vom auftosenden Applaus beim Betreten der Bühne können Ghost zumindest an diesem Tag nur träument. Im direkten Vergleich zu Ghost kracht Slayer vom ersten Moment an nach dem Intro ‚Delusions of Saviour‘ mit dem neuen Song ‚Repentless‘ unglaublich in die Gehörgänge. Meine Güte, ist diese Band selbst für hartgesottene Metalheads laut!
Die Setliste war vom Feinsten: Alle bekannten Hits der Band von ‚Raining Blood‘ mit seinem berühmten Riff über das hardcore-lastige ‚War Ensemble‘ bis zu ‚South of Heaven‘ und ‚Hell Awaits‘ war alles dabei, daneben naturgemäss etliche Songs von „Repentless“. Sänger Tom Araya hat seinen weissen Rauschebart wieder etwas zurückgestutzt und wirkt gleich 10 Jahre jünger. Der Frontmann ist bestens gelaunt, plaudert über das geänderte Wetter – „Ihr müsst den Regen lieben, oder?“ – und macht Scherze: „Wir singen jetzt ein Liebeslied. Ein Slayer-Liebeslied. Weil wir die Musik lieben.“ Zum Ende des Auftritts entrollt auf der Bühne ein „Hannemann“-Backdrop im Gedenken an den vor drei Jahren verstorbenen Gitarristen. Und dann geben die Jungs nochmal alles mit dem von Hannemann komponierten Fullspeed-Thrasher ‚Angel of Death‘. Der von Araya noch gemütlich als erfrischend kommentierte Regen sollte sich beim kommenden Auftritt der Power-Metaller von Sabaton in einen Platzregen verwandeln und noch weiter Gegenstand allgemeiner Erheiterung sein.
„Überhaupt war der Auftritt der Schweden von Beginn an eine sehr unterhaltsame Sache. Von der Dekoration des Schlagzeugs als Panzer, über die üppige Pyro-Show bis zu den hymnischen Mitsing-Titeln wie ‚Swedish Pagans‘ – das Stadion war hervorragend unterhalten. Sänger Joakim Brodén konnte gar nicht fassen und schwankte zwischen beeindruckt, amüsiert und hocherfreut, wie die deutschen Fans der Band vor der Bühne im Regen Party machten, ohne mit der Wimper zu zucken. Grinsend wandte er sich an seine Bandkollegen: „Also bei uns in Schweden würde jetzt hier im Regen keine Sau stehen. Wir Schweden sind wohl Pussys.“ Sprach’s und verschwand mitten im Auftritt hinter die Bühne, um sich – mit Augenzwinkern im Hinblick auf die bayrische (Bier)hauptstadt – noch ein kühles Blondes zu holen. Natürlich nicht, ohne das Kommando auf der Bühne an seinen Gitarristen zu übergeben, der seinen Job tadellos erledigte. Sehr sympathisch! Bei den Songs ging’s naturgemäss pathetisch und eingängig zu: ‚Far from the Flame‘ (mit Flammenwerfern im strömenden Ringen), ‚Soldier of Three Armies‘ oder ‚Attero Dominatus‘ schlichen sich unmerklich ins Ohr jedes Zuschauers und hatten entspannt-bewunderndes Kopfnicken während der Songs und anhaltender Jubel und Applaus am Ende des Konzerts zur Folge.
„Und dann kamen die fieberhaft erwarteten Iron Maiden – 20 Minuten verspätet – aber standesgemäss in drei schwarzen Limousinen durch den seitlichen Stadioneingang hinter die Bühne gefahren. Bereits der blonde Schopf von Drummer Nicko McBrain, den man von den Tribünenrängen kurz sehen konnte, löste aufbrandenden Jubel aus. Schliesslich hatte man den ganzen Tag plus unerträgliche zusätzlich 20 Minuten gewartet. Und das Warten hatte ja eigentlich schon früher angefangen: Bereits am Freitag hatte der harte Kern der Fangemeinde am Münchner Flughafen ausgeharrt, um die Landung der von Sänger Bruce Dickinson geflogenen Boeing 747 „Ed Force One“ mitzuerleben, die nun virtuell aus dem vom Dschungel überwucherten Mayatempel auf den Bühnenbildschirmen seitlich der Bühne abhob. Im Stil des „Book of Soul“ Themas war die Bühne als Maya-Tempel gestaltet, mit begehbaren Mauern, einer zentral platzierten Opferschale und einem riesigen, wechselnden Backdrop. Wahrlich schon ganz ohne Musik bewundernswert. Dickinson betritt im Rauch der Opferschale die Bühne mit erhobenen Händen in einer Opfer-Geste die Bühne. Lässig in Baggie-Pants und Muscleshirt gekleidet legt der Sänger und die Musiker mit dem neuen Song ‚If Eternity Should Fail‘ unter grossem Jubel los. Die kommenden zwei Stunden sollten wie allseits erahnt den legendären Metallern gehören.
„Fünf der sechs ersten Songs stammen vom aktuellen Album und zeigen die Band professionell, mit viel Spielfreude und der gewohnten Maiden-Power. Auch der Abwechslungsreichtum in der Dynamik bei der Setlist ist perfekt gelungen: ‚Speed of Light‘ macht seinem Namen Ehre, wird aber vom eher gemächlichen ‚Children of the Damned’von „The Number of the Beast“ wieder heruntergekühlt. Nach ‚Tears of a Clown‘ und ‚The Red and Black‘ folgt mit ‚The Trooper‘ der erste Klassiker. Natürlich stürmt Dickinson zur berühmten Hymne eine riesige Union-Jack-Flagge schwingend über die Tempelmauern – die Puste beim Singen geht ihm aber in keinster Weise aus. Mit ‚Powerslave‘ folgt direkt anschliessend ein weiterer sehr bekannter Titel. Im Hintergrund an der Leinwand bewegt sich ein riesiger Eddie-Maya-Krieger mit Feder-Kopfschmuck und die Bühne explodiert in Feuer- und Lichtblitzen. Bei ‚Book of Souls‘ beweist Dickinson schauspielerische Qualitäten: Dem auf der Bühne umherlaufenden 3-Meter-Maya-Eddie schlägt er spielerisch Finten und lässt sich von dessen Maya-Kriegsbemalung inklusive Axt nicht beeindrucken. Beim treibenden ‚Hallowed be thy Name‘ zeigt der Sänger, der im letzten Jahr noch an Krebs erkrankt war, seine erstaunliche Konstitution. Der Mann ist immerhin fast 58 Jahre alt, hüpft aber die Bühne wie höchstens 52!
„Mit ‚Fear of the Dark‘ erreicht das Konzert seinen vorläufigen Höhepunkt. Während das ganze Stadion in einem ultimativen Gänsehautmoment die berühmte Melodie mitsingt, beeindrucken die drei Gitarristen Gers, Smith und Murray wie schon zuvor mit ihren typischen, wunderbaren Maiden-Soli. Mit dem fast punkigen ‚Iron Maiden‚ vom Debütalbum endet der reguläre Auftritt dann bereits. Aber natürlich ist noch der grösste Hit der Band offen: ‚The Number of the Beast‘. Das beginnt natürlich mit den gesprochenen Worten und einer in schauriges grün getauchten Bühne, die im Dunkel des Stadions sehr bedrohlich wirkt. Beim Metalklassiker wird nochmals aus voller Kehle und ausgereckten Fäusten mitgesungen, dann ist auch dieser Höhepunkt viel zu schnell vorbei.
Bei ‚Blood Brothers‘ und dem Schlusspunkt ‚Wasted Years‘ beginnt schon der Zuschauerstrom in Richtung Ausgang und irgendwie hat man auch hier das Gefühl, die Songs sind zum Ausklang des Abends hervorragend gewählt. Manch einer bleibt noch an den Treppen stehen und geniesst zufrieden grinsend einen letzten Blick, aber viele möchten wohl nach Stunden Iron Maiden so schnell wie möglich die nächste U-Bahn bekommen, ohne lange Warten zu müssen. Der lange Tag hat bei den Zehntausenden Rockfans seinen Tribut gefordert, doch man sieht überall nur zufriedene Gesichter. Keine gröhlenden Trunkenbolde, nur auf dem Weg durch den Olympiapark drückt dann den einen oder anderen aus dem schier endlosen Tross doch die Blase. Es hat eben gemundet. Das Metall. Und das Bier.
Setliste (München, Olypmiastadion, 29.05.2016):
If Eternity Should Fail
Speed of Light
Children of the Damned
Tears of a Clown
The Red and the Black
The Trooper
Powerslave
Death or Glory
The Book of Souls
Hallowed Be Thy Name
Fear of the Dark
Iron Maiden
Zugabe:
The Number of the Beast
Blood Brothers
Wasted Years
Text: Daniel Frick
Fotos: Rockavaria & Daniel Frick