In Cauda Veneum
Mikael Åkerfeldt hat es wieder getan. Er hat sämtlichen Hatern, die ihm immer noch seine Abkehr vom Metal nachtragen, einen dicken Mittelfinger gezeigt. Der bekennende Seventies-Music-Nerd macht weiterhin das, worauf ER Bock hat. Und das ist im Falle des vorliegenden, dreizehnten Opeth-Albums „In Cauda Veneum“ (Moderbolaget / Nuclear Blast) eine Menge. Wie immer man darüber denken und ob der psychedelische Prog-Rock gefällt, für den Opeth seit „Heritage“ (2011) stehen: Das muss man zunächst einmal würdigen. Der Mann und seine Mitmusiker sind progressiv im originären Sinne. Kommerzielle Trends scheren ihn nicht, zumal das letzte Album „Sorceress“ (2016) erstmals in der Bandgeschichte Platz 1 der deutschen Albumcharts erreichte. Was zählt, ist die eigene, künstlerische Entfaltung auf dem Hintergrund des eigenen Geschmacks – und nicht dem des „Marktes“. Und der ist nun mal von den Prog- und Psychedelic-Bands der 70er geprägt. Und über Geschmack lässt sich nun mal nicht streiten.
Die Besonderheit von „In Cauda Veneum“ (lat. „Das Gift sitzt im Stachel“, Metapher für Dinge, die sich zum Ende hin drastisch zuspitzen) ist zunächst vor allem, dass die Band das Album sowohl in Schwedisch und Englisch veröffentlicht. Auch hier ist für Åkerfeldt der zusätzliche Aufwand zweitrangig. Sicherlich ist es für einen Künstler einfacher und emotional authentisch, in seiner Muttersprache Texte zu verfassen. Wer feinfühlig ist, kann das in der ansonsten identischen, schwedischen Version von „In Cauda Veneum“ auch hören. Der Gesang klingt wärmer, harmonischer, stimmiger.
Stilistisch gehen Opeth den eingeschlagenen Weg konsequent weiter. Waren bereits die letzten Alben Liebhaber-Stücke in puncto Seventies-Prog-Rock, legen die Herren hier nochmals eine Schippe drauf. Es gibt Anklänge von Krautrock, obskures Soundtrack-Feeling, Chöre und Streicher, Spoken-Word-Passagen, Akustikgitarren, Folk- und Jazzelemente. Vor allem letztere sind dazu angetan, den Gedulds-Horizont des letzten Fans aus alten Death-Metal-Tagen zu übersteigen und ihn endgültig zu vergraulen. Musikalisch-technisch ist das alles astrein und mit Liebe zum Detail von jedem Bandmitglied auf höchstem Niveau umgesetzt. Was Stimmungen und Harmonie betrifft, ist das neue Album mit Sicherheit das Vielseitigste im 30-jährigen Opus der Schweden. Nicht mehr nur Wut und Melancholie bringt Herr Åkerfeldt zum Ausdruck, sondern erstmals so deutlich auch politische Anklänge in den Texten. Überhaupt hat sich der Frontmann der Skandinavier was den Gesang betrifft, nochmals deutlich weiterentwickelt. Inzwischen beherrscht er die Stimme als Instrument definitiv besser als die Gitarre.
Dennoch, bei allem objektiven Lob, bei musikalischer Vielseitigkeit und unbestrittener Klasse. „Watershed“ mündete in sprachlose Ehrfurcht und schauernde Gänsehaut. „In Causa Veneum“ fordert heraus, die eigene Komfort-Zone zu verlassen, ringt jede Menge Respekt und Anerkennung ab. Und eine ordentliche Portion sehnsüchtige Nostalgie in die mittlere Schaffensperiode der Band, als der Progressive Rock nur die zweite Geige spielte.