DEINE COUSINE – „Ich bin eine Freundin der Demokratie, aber nicht in meiner künstlerischen Ausrichtung!“

Ina Bredehorn ist Deine Cousine. Als Familienmitglied macht sie seit mehr zehn Jahren ihr Ding und hat zuletzt 2022 ihr bockstarkes zweites Album „Ich bleib nicht hier“ veröffentlicht. Nach einem längeren kreativen Schaffensprozess gibt es mit „Freaks“ nun endlich neue Musik zu hören. Wir haben uns mit Ina in einem ausführlichen Gespräch zur Entstehung der Platte und viele andere Dinge unterhalten.
Hallo Ina, erinnerst du dich an unser letztes Gespräch vor drei Jahren?
Ich versuche zu eruieren, welches Interview ich in welchem Hotelzimmer gemacht habe…
…nee, du warst im Auto unterwegs zu einem Videodreh.
Dann kann ich mich auf jeden Fall an die Situation erinnern!
Um diese drei Jahre seitdem soll es gehen: 2022 ist dein letztes Album erschienen, mit diesem habe ich dich in einem kleinen Club in Bochum vor 200 Leuten gesehen. Später hast du Wacken gespielt und vor ein paar Wochen die große Turbinenhalle in Oberhausen mit einer Kapazität 3500. Kannst du beschreiben, was in diesen drei Jahren passiert ist?
Dreieinhalbtausend Leute waren es nicht, aber es war sehr voll. Ich würde einfach sagen: Es haben endlich mehr Menschen mitgekriegt, dass sie eine Cousine haben, und dass die gute Musik macht – was natürlich die etwas süffisante Antwort wäre. Die ehrlichere wäre: Ich habe sehr hart gearbeitet und sehr viel Glück gehabt, das alles irgendwie zusammen in einen Topf geworfen und das hat das zusammen ergeben. Am Ende des Tages weiß man nie so richtig, was jetzt der ausschlaggebende Punkt war, aber es ist natürlich unfassbar schön, dass das so gewachsen ist.
Gab es denn bei dir den Punkt, an dem du gesagt hast: Was passiert denn jetzt?
Nee, witzigerweise gar nicht, denn wenn man selbst drinsteckt, dann fühlt sich das anders an. Ich persönlich bin ein Mensch, der selten den Weg gut genießt. Bevor ich den Leuten etwas da draußen erzähle, weiß ich meist schon, dass es passiert, also dass es zum Beispiel ein neues Album gibt. Oder bevor die Shows ausverkauft sind, kriege ich ja schon wochenlang die Verkaufszahlen und sehe, in welche Richtung sich das entwickelt.
Ich würde mir gerne öfter die Zeit nehmen, das wirklich aufzuschreiben, die Momente, wo die Emotion so richtig in einen reinhaut – das passiert natürlich manchmal. Auf der diesjährigen Tour war es, als es das erste Mal absehbar war, wir verkaufen das Capitol in Hannover aus (Anmerkung der Redaktion: Kapazität von 1.600). Es gab so viele andere Städte mit kleineren Locations, die viel schlechter liefen. Es ist immer ein schwieriges Verhältnis, denn es gab schon diesen Moment, wo ich Innehalten und sagen konnte: Es muss schon mit dem Teufel zugehen, wenn wir nicht das Capitol ausverkaufen, aber das ist eine Sekunde – und dann hängst du dich schon wieder daran auf, dass München schlechter läuft, und man denkt, was zur Hölle denn in München los ist? In meinem Umfeld fragen die Leute mittlerweile nicht mehr mich danach, wie irgendwas gelaufen ist.

Gehen wir mal so ein bisschen auf die Zwischenzeit ein: Mit „Raus an Dich/Girls Just Wanna Have Fun“ gab es vor etwa einem Jahr eine feministische Doppel-Single. Im Video tauchen jede Menge Kolleginnen wie Anne de Wolf oder Alenna Rose auf. Zweiteilige Frage: Wie kam es zur Zusammenarbeit und wäre es nicht genau passend gewesen, auch Kollegen an der Stelle zu fragen?
Wir haben da lange drüber diskutiert, und es gab auf jeden Fall auch den Wunsch, dass wir gerne Transmenschen gehabt hätten. Aber in diesem Fall ging es schon wirklich um die Sichtbarkeit von weiblich gelesenen Personen. Das heißt ja nicht, dass Männer sich nicht auch für das Thema stark machen, aber wir haben damals bewusst so entschieden, dass es das eben nicht ist, weil: Wo fängt man da an und wo hört man da auf? Wenn es nach mir gegangen wäre, hätten da noch viel, viel mehr unterschiedlichere Menschen stattgefunden. Am Ende des Tages kann ich nur versuchen, Leuten klarzumachen, was meine Idee, was meine Message ist.
Und die anderen Frauen?
Dieses Videoprojekt war auf jeden Fall ein krasses Projekt, wo ich unfassbar viel gelernt habe. Ich musste mich so öffnen, wie lange nicht, auch weil ich teilweise fremden Frauen, die ich einfach von Weitem bewundere, anschreiben musste: Ich hab da so ‘ne Video-Idee, hättest du Bock dabei zu sein? Dauert auch nur fünf Minuten und wir drehen an einer S-Bahn-Station.
Da musste ich auf eine Art aufmachen, wie ich noch nie vor meinem Leben. Ich musste ein Konzept schreiben und versuchen, Leuten zu erklären, worum es geht. Das war eine echt tolle Erfahrung, und es ist einfach ein unfassbar schönes Geschenk zu sehen, wer einfach zurückschreibt, dass sie dabei ist. Es hat mich auf jeden Fall auch bestärkt, wieder öfter zu sagen, dass ich dabei bin.
Bleiben wir noch einmal beim Thema „Frauen und Männer“. Ich habe dich beim letzten Mal über das Thema Frauen in der Musik befragt, und du warst du so ein bisschen genervt, weil du das immer gefragt wirst. Ich frage jetzt nur indirekt zum Thema: Wirst du immer noch so oft gefragt, oder ist das Thema eher durch -obwohl sich gefühlt nichts verbessert hat?
Das lustige ist, das Thema ist gar nicht durch, sondern eher schlimmer geworden. Hättest du mich die Frage jetzt noch mal gefragt, hätte ich gesagt: Keine Ahnung, frag doch ´nen Mann, denn die dürfen ja in ihrer Zeit über ihre Kunst reden!
Hast du damals auch gesagt, und ich habe ich direkt im Anschluss Sebastian Madsen gefragt.
Da hast du den Richtigen gefragt! Der hat eine Meinung dazu! Du hast mich damals bei dem Interview, schon auf einem späteren Punkt erwischt, weil bei den ersten habe ich es auf jeden Fall noch beantwortet, aber jetzt gerade ist meine Haltung wieder, dass ich meine Redezeit nicht dafür aufwenden möchte, sondern gerne über meine Kunst reden will. Ich glaube auch, dass gerade Frauen in der Musikbranche genau deshalb, ganz oft als genau das wahrgenommen werden, weil sie nämlich eigentlich über das Thema reden müssen, eine Frau zu sein, und nicht über ihre Kunst.
Ich habe eine Zeile aus der neuen Platte rausgepickt, die vielleicht dazu passt: Im Song „Disclaimer“ gibt es die Zeile: „Ich habe noch nie mit jemanden aus der Branche gef…und während ich das schreib´, denk ich warum eigentlich nicht?“ Wie ist diese Zeile zu verstehen, die ja entweder im krassen Widerspruch zum Bild der selbstständigen Frau steht, oder die sich jetzt das gleiche Recht rausnimmt, das bei Männern (zu Recht) so oft kritisiert wird?
Der Song ist gedacht als eine Mischung aus: Hey, ich sag euch mal, wer ich bin, denn anscheinend gibt es da immer noch Unklarheiten drüber. Es ist eine Reaktion auf Nachrichten, die ich im Internet bekomme und Reaktionen auf mein Verhalten, wenn ich einen Post zum Thema Politik mache und sich Menschen darüber beschweren, dass ich doch lieber Musik machen soll. Ich sag OK, ihr habt anscheinend mich als Person und mich als Künstlerin noch richtig verstanden und ich, um jetzt mal den letzten Funken Missverständnis rauszunehmen, erzähle euch jetzt mal, wo ich gerade stehe. Ich bin mir ziemlich sicher, dass es irgendwann einen Disclaimer 2.0 und 3.0 geben wird, weil es ist auch nur eine Momentaufnahme ist. Ich möchte nicht in jeder politischen Situation, wenn etwas passiert, plötzlich sagen müssen: Ich bin übrigens auch dagegen. Das habe ich einfach in dem Song versucht, auf die Spitze zu treiben und habe gesagt: Ich sag euch jetzt einmal alles, wofür ich bin und nicht bin.

In der zweiten Strophe war dann so ein bisschen die Frage, wie kann die Geschichte weitergehen? Im Prinzip bearbeite ich einfach nur Sachen, die über mich gesagt wurden. Du stellst mir auch die Frage, was in den drei Jahren passiert, dass es so gewachsen ist. Die Jahre davor haben sich Leute gefragt, wo kommt die eigentlich plötzlich her? Ich habe noch nie von der gehört, und die ganzen Kommentare, die ich lesen musste, wie: Einmal mit Udo Lindenberg gefi… und bla bla (Anmerkung: Ina war mehrere Jahre als Backgroundsängerin im erweiterten Panik Orchester mit Lindenberg auf Tour, am bekanntesten ihr Duett „Du knallst in mein Leben“). Das sind alles so Sachen, wo ich einfach spielerisch mit umgehen wollte. Das Lustige ist: Es ist wirklich wahr! Ich kann sagen, ich habe noch nie mit jemanden aus der Branche geschlafen oder mit einem Musiker, weil das noch nie mein Beuteschema war!
Die zweite Zeile danach ist ja, „Mich hat sich auch kein Major-Label ausgedacht!“ Das war zum Beispiel etwas, dass ich bei dem ersten Album überall gehört habe. Jetzt kommen wir ungewollt doch ein bisschen zu dem Thema Frau in der Branche. Ich erlebe immer öfter, dass mir das, was ich mir eigentlich hart erarbeitet und für das ich ganz schön dolle gekämpft und auch viel für aufgegeben habe, manchmal abgesprochen wird. Vielleicht wird es auf dem nächsten oder übernächsten Album „Disclaimer 2.0“ geben, wo ich dann sage: Sorry Leute, alles rückgängig, bin plötzlich rechtsradikal geworden – aber ich denk mal nein! (lacht)
Zumindest sprechen wir dann nicht!
Es ist ein humoristischer Ansatz und das zweite Album hieß ja nicht ohne Grund „Ich bleib nicht hier“, denn ich will mich ja weiterentwickeln und hinterfragen. Das Beste ist, dass dieses Lied allein dafür sorgt, dass ich in Interviews immer was Tolles zu erzählen hab, weil viele Menschen sich da was rauspicken.
Du hast gerade dein erstes Album angesprochen. Dein Debüt „Attacke“ war in meinen Augen ganz ordentlich, mir aber an manchen Stellen zu glatt, bei „Ich bleib nicht hier“ hatte man das Gefühl, du hast deinen Sound gefunden (was du im Interview auch bestätigt hast), das neue Album „Freaks“ fällt nun deutlich aus der Reihe. Wie kam es zum Soundwechsel?
Ich würde sagen, es klingt in Teilen anders. Ich teile das Album in ein Teil als Nachfolger vom zweiten Album, nur dass sich die Lieder ein bisschen weiterentwickelt haben. Ein Teil ist einfach eine Riesenlust rauszuschwimmen, in Sphären, auf die ich musikalisch Bock hatte. Ich hatte nicht so Lust, ein weiteres Album zu machen, wo die Antwort auf jede zweite Strophe ist: Jetzt Achtel-Gitarren und so weiter. Es ist ja auch ein Handwerk, was man mit den Jahren immer besser lernt, und umso besser man es beherrscht, umso weniger spielst du mit der Kunst; und ich hatte Bock, mit der Kunst zu spielen, Musik zu machen, die ich mich noch nicht getraut habe, weil mir das Handwerk gefehlt hat.

Ich bin auch ein Riesenfan von Elton John oder irgendwelchen 80er Sachen, und ich hatte einfach Lust, jedem Song und jeder Emotion Raum zu geben, wie ich das musikalisch am meisten fühle, ohne dass im Raum schon 50 Fans gedanklich hinter deinem Rücken sitzen. Als wir angefangen haben, da war es so, wie das zweite Album noch einmal schreiben. Ich habe gemerkt, dass mich das unfassbar gelangweilt hat, und deshalb haben wir angefangen, ganz viel Musik zusammen zu hören und zu gucken, was finde ich daran spannend, und dann haben wir angefangen, in Teilen einfach neue Musiken zu machen, auf die dann Texte von mir gearbeitet wurden. Das war seit langem wieder ein total kreativer Prozess für mich und dadurch auch schmerzhaft. Ich habe aber das Gefühl, schmerzhafte Sachen sind am Ende mehr wert!
Wir haben uns vor zwei Jahren kurz auf dem „Hütte Rockt“ unterhalten, da hast du erzählt, du wärest zwar an einer neuen Platte dran, würdest dich aber nicht stressen wollen. Kannst du einmal beschreiben, wie der Prozess in den knapp zwei Jahren war, bis die Platte nun veröffentlichungsreif war und inwieweit deine Band da involviert ist?
Eigentlich gar nicht. Der Einzige, der im Songwriting seit der zweiten Platte involviert ist, ist Flo, der eine Gitarrist. Die anderen haben damit gar nichts zu tun, weil Deine Cousine ist keine klassische Band-Band, so wie die Toten Hosen oder so, sondern das ist in voller Verantwortung mein Baby. Ich sage einfach, ich möchte keine künstlerischen Entscheidungen demokratisch entscheiden. Ich bin eine Freundin der Demokratie, aber nicht in meiner künstlerischen Ausrichtung.

Wie läuft es dann?
Im Endeffekt ist es erstmal Themensuche. Ich muss tief in mich reingucken, feiern gehen, Nächte alleine verbringen, Sachen lesen und gucken, was resümiert denn in mir eigentlich überhaupt an Emotionen und Themen. In diesen Phasen höre ich meistens auch sehr, sehr viel Musik und gucke, welche Musik emotionalisiert mich denn gerade. Das alles zusammen ergibt dann irgendwann eine wilde Mischung aus kleinen Skizzen, manche mit irgendwelchen schlechten Computerproduktionen, manchmal auch einfach nur eine Textsammlung. Dann gehe ich zu Vince (Anmerkung: Vince Sorg, Produzent in Ottmarsbocholt im Münsterland, u.a. auch Fury In The Slaughterhouse und Die Toten Hosen) und dann sortieren wir den ganzen Haufen.
Dann gibt es manche Ideen, die direkt auf dem C-Stapel landen, dann gibt es welche, die bei allen sofort resonieren und dann geht es da wild los. Es gibt immer den einen Punkt, wo plötzlich alle, meistens drei Leute im Raum, sagen: Ja, so ist das! Vince hat mal den lustigen Satz gesagt: Stimmt noch nicht, sie tanzt noch nicht! Meistens ist das dann der ganz Garant dafür, dass wir sind auf dem richtigen Weg sind.
Aktuell stehen nur ein paar Festivals an, wann kommt die große „Freaks-Tour“ – und wie wird die Platte a) eingebunden und b) wie wird der neue Sound umgesetzt? Ich vermute, dass es im Herbst losgeht?
Nee, in der Tat nicht! Wie der neue Sound umgesetzt wird, konnte man in Teilen auf der Tour, die im März war, schon hören, da haben wir schon vier Songs gespielt. Es gibt gar nicht so viele Lieder, wo es schwierig ist. Ich glaube, dass in vielen Fällen die Menschen, die die Platte hören, die Instrumente anders wahrnehmen, als sie sind. Bei „Familien sucht man sich aus“ zum Beispiel, haben alle das Riesengefühl von so einem Riesen-Synthie, in erster Linie ist es aber ein riesiger Gitarreneffekt, der da Alarm macht. Das haben wir eigentlich bisher ganz gut hingekriegt, das zu adaptieren. Für die Rock-Fans wird es natürlich an manchen Stellen einfacher, weil es automatisch ein bisschen rockiger wird. Ich mach mir eher bei sowas Gedanken, wie der Ballade „Keine Liebe verdient“, die wir noch nie live gespielt haben. Wie ich das umgesetzt kriege, das ist auf jeden Fall spannend. Ansonsten spielen wir am Freitag beim Release-Konzert bis auf zwei Songs alle!
Weitere Tour-Termine sind noch nicht spruchreif?
Nee, dadurch, dass die Tour – anti-branchenzyklisch – vor dem Album war. Oder wie ein Kumpel gefragt hat: Warum war die Tour jetzt eigentlich vor dem Album? Eine Mischung aus anfüttern und ging nicht anders? Das trifft es ganz gut. Ich war einfach nicht rechtzeitig fertig, aber wollte die Tour spielen…
…das hatten Fury In The Slaughterhouse letztes Jahr auch, dass die Platte erst sechs Wochen nach Tourstart kam…
(lacht) …das war auch eine Vince-Produktion! Wir spielen jetzt den Festivalsommer und ich habe ganz ehrlich noch gar keine Ahnung, wie es weitergeht, außer dass wir Ende des Jahres eine Riesen-Party in Hamburg feiern und eine kleine Arena spielen. Das ist erstmal der Meilenstein, der nach dem Album für mich am größten ist, wo ich mal gespannt bin, ob das so klappt, wie ich mir das vorstelle.
Liebe Ina, ich danke für das Gespräch, wünsche einen erfolgreichen Release am Freitag und bis hoffentlich bei einer Show demnächst!
Vielen Dank für deine Zeit!
Fotocredit: Titelbild (1): Wolfgang Zac, 2,5 (Live Hütte Rockt 2021/2023): Wollo@Whiskey-Soda, 3 (Silberschminke): Christina Gotz, 4: Albumcover Freaks