Precambrian + Hadean/Archean
Die Schnittmenge zwischen den mächtigen Neurosis und den in Berlin ansässigen Musiker-Kollektiv The Ocean ist groß, in diesem Fall vielleicht zu groß. So ist das Konzept von „Precambrian“ ähnlich komplex angelegt wie Neurosis‘ „Times of Grace“ und die analog dazugehörende Scheibe von Tribes Of Neurot, die beide zeitgleich gehört werden sollen. So kompliziert ist es im Fall von „Precambrian“ (Metal Blade Records) dann doch nicht, ist das Werk in zwei CDs aufgeteilt, die unterschiedlicher kaum sein können.
„Hadean/Archean“ heißt die erste CD, die 22 Minuten lang eine Hölle modernen Hardcores auf einen niedergehen lässt. Musikalisch liegt The Ocean ein bzw. zwei geologische Zeitalter vor dem „Proterozoic“, das streckenweise verdammt nach Neurosis klingt, während „Hadean/Archean“ eher in der Nähe zu Dillinger Escape Plan anzusiedeln ist. Beide CDs zeichnen eine zeitliche, wie musikalische Entwicklung auf. Die Rohheit der Mini-CD geht über in differenzierte Songstrukturen, in denen meist Atmosphäre vorherrscht, die zeitweilig von Ausbrüchen unterschiedlicher, teilweise avantgardistischer Couleur aufgewühlt wird. Friedlicher Gesang geht in wütendes Gebrüll über, Streicher und Bläser in harte Gitarrenriffs und ruhige Passagen in eine Aneinaderreihung von Breaks, wobei die düstere Stimmung immer die Oberhand, die Kotrolle behält. Über 20 Musiker haben dazu beigetragen, dass „Precambrian“ ein Meisterwerk geworden ist. Anders ist dies Hörerlebnis nicht zu einzuordnen.
Dass die immer wieder augenfälligen Anleihen bei den Avantgardisten aus den USA, den Hörgenuss schmälern ist der falsche Ausdruck, aber der große Schatten von Neurosis liegt wenigstens auf der zweiten CD dieses wunderschönen Digi-packs. Und solange sich die Amis nicht über das große Wasser wagen, ist das Musiker-Kollektiv The Ocean die bestmögliche und vor allem einzige ebenbürtige Alternative.