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We Slept At Last

Mit Turnschuhen an den Füßen und einem ausgebeulten Sweater übergeworfen steht sie da, beschienen vom warm-gelben, schmalen Spotlight inmitten einer ansonsten leeren, schwarzen Bühne. Die Übergröße der Oberbekleidung verschluckt die letzte Spur weiblicher Körperform – und dabei ist sie doch Burberry-Model: Marika Hackman spielt, irgendwo zwischen Frau und Mädchen, ungeschminkt, trotzdem große Augen, offenes Haar und mit einer unerbittlichen Balance in der Stimme. Mehr als eine Akustikgitarre braucht sie nicht, um zu wirken. Darf sie aber auch nicht brauchen, denn sie ist ja Marika Hackman, und The Antlers und Alt-J haben sie schließlich auch so wie sie war in ihr Vorprogramm aufgenommen. Zeig‘ mir deine Headliner, und ich sag‘ dir, wer du bist? Zumindest qualitativ eine belastbare Binsenweisheit.

Nach drei vielgelobten EPs hält Marika Hackman die Zeit für gekommen, ein erstes richtiges Album zu veröffentlichen: ‚We Slept At Last‘. Ein Titel, der sich auf verschiedene Weise intonieren und interpretieren lässt. Auslegungshilfe leistet die 22-Jährige in einem Stück, das sie dem schlaffördernden Claude Débussy weihte:

‚The flies on my walls, they’re silent / But the swarm in my head is a hell / So I’ll try to play you correctly / For a top of your deep slumber pill‘

. Wir kennen sie alle, diese Momente, in denen alles um uns herum dem Schlummer anheim zu fallen scheint, während wir selbst den Fahrschein ins Land der Träume nicht gelöst bekommen. Débussy, sollte Hackman ihn denn als solchen betrachtet haben, war ein guter Lehrmeister; ‚We Slept At Last‘ folgt einem versunkenen, entrückten Puls, dekliniert den Wunsch des Hinfortdämmerns und -schwindens sorgfältig durch. Auch das Schiksal der ‚Ophelia‘ aus „Hamlet“ muss als Motiv Modell stehen; Ersticken und Ertrinken sind wohl gleichfalls eine Zier.

Marika Hackman musiziert nicht nur so, als könne nichts sie aufhalten, sondern auch, als könne sie nichts aufhalten. Ihr Gesang lebt von dem, was da ist, scheint nicht viel mehr zu sein als Spaltprodukt ihrer Atmung – und hat doch etwas leicht Bedrohliches. Aber: Gesprächslautstärke, maximal, völlig unangestrengt. Keine noch so feine Fissur verunreinigt ihre Stimme; ihr hypnotisches Gitarrenspiel steht dem in kaum etwas nach. Außerhalb dieser Blase der Ausgeglichenheit ertönen gedämpfte Paukenschläge, leise Synthie-Skizzen, mal ein Bass, hin und wieder Streicher. Doch bleibt das Bild der einsamen Zupferin unbezwungen, das von Produzent Charlie Andrew im Zaum gehaltene Beiwerk kratzt zumeist nur zaghaft an der Aufmerksamkeitsschwelle.

Mit ihrer schweren, ofenwarmen Melancholie beansprucht Marika Hackman den Hörer gänzlich; fehlt einmal die Gitarre, werden Erinnerungen an Soap&Skin wach (‚Undone, Undress‘), wird sie elektrisch, grüßen – wirklich wahr! – Nirvana (‚Open Wide‘). Und wenn die junge Dame in ‚Monday Afternoon‘ urplötzlich Tempo und Tonhöhe anzieht, erschrickt man beinahe, so sehr – und so unbemerkt – hatte einen die Schlagseite ihrer Musik aus der Wahrnehmung gekippt. Sicherlich führt Marika Hackman mit ‚Slept At Last‘ mehr im Schilde, als ihren Hörern selbsterprobte Einschlafhilfen unterzujubeln. Aber auch das funktioniert denkbar gut, wendet man seinen Blick ab von der geisterhaften, morbiden Seite dieses Albums, die doch für sich genommen alles andere als zum Nickerchen einlädt.

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