Pounding The Pavement

Immer, wenn man Anvil eine schlechtere Note als eine 2- geben will, bekommt man auch als seelenloser Rezensent und professioneller Bandschlachter ein schlechtes Gewissen. Denn, das weiß man ja nicht erst seit der filmischen Verewigung als „die echten Spinal Tap„, Anvil gehören einfach zu den Guten. Ohne Gnade ziehen sie seit den späten Siebzigern ihren Stiefel durch, ohne nach links oder rechts zu schauen und vor allem, ohne sich zu verbiegen.

Da ist es sehr erfreulich, daß das aktuelle Album „Pounding The Pavement“ sich sein Lob absolut verdient hat. Obwohl die Thrash-Elemente diesmal fast auf Null gefahren wurden und man sich eher zwischen Accept, Judas Priest und der NWOBHM positioniert, knallt das Album gut und kommt mit einer ganzen Handvoll cooler Songs. Klar, wie auf jedem Anvil-Album gibt es eine ganze Reihe eigenwilliger musikalischer Entscheidungen, die einmal mehr zwischen diesem Album und dem Mainstream-Metalfan stehen. Die mehrstimmigen „Oozin‘ Aaahs“ im Opener ‚Bitch In The Box‘ (ja, der erste Metal-Song über ein Navi) klingen zwar eher befremdlich und kitschig, aber die „regulären“ Gesangsparts der mir bislang vollkommen unbekannten Martina Lo Volt passen durchaus ins Konzept und erlösen Lips praktischerweise von der Pflicht des melodischen Gesangs. Auch ‚Doing What I Want‘ kommt mindestens vierzig Jahre zu spät, handelt es sich hierbei doch um einen astreinen Disco-Song im Metal-Gewand. Aber so sind eben Anvil: immer schön kauzig und eben auch stets mit einem Augenzwinkern unterwegs. Typischer klingen dabei die beiden Schlepper ‚Smash Your Face‘ und ‚World Of Tomorrow‘ (letzteres kopiert allerdings unglaublich dreist Sabbaths ‚Sweet Leaf‘), das Motörhead-Ripoff ‚Rock That Shit‘ sowie die Uptempo-Reißer ‚Ego‘ und ‚Black Smoke‘. ‚Let It Go‘ hingegen ist so kräftig an die „Rock And Roll Over“/Love Gun“-Ära von Kiss angelehnt, daß man von Lips sogar klassische Frehley-Leads spendiert bekommt. Und das schlicht doofe ‚Nanook Of The North‘ ist garantiert eines der Highlights der kommenden Tour – man ertappt sich nämlich schon nach dem ersten Hören unweigerlich dabei, wie einst Utzelglutzel der Barbar durch die Walachei zu stapfen und im Hinterkopf „Nanook, Nanook… Nanook, Nanook…“ zu singen.

Bei allen anderen Bands würde man die fehlende Originalität und die immer etwas semi-professionell anmutende Atmosphäre kritisieren, aber bei Anvil gehören diese Punkte, so seltsam es klingen mag, eben zu den Qualitätsmerkmalen. Das macht aus „Pounding The Pavement“ nun natürlich keinen Einser-Anwärter, aber eine spaßige und unterhaltsame Metalscheibe ohne die dem Genre in den letzten Jahren immer mehr zum Verhängnis werdenden verbissenen Seriösität. Spaß, Frische, Energie und eingängige Hooks – mehr erwartet man von Anvil nicht, und das bietet „Pounding The Pavement“ in Hülle und Fülle. Wenn jetzt bloß schon Grillwetter wäre…

SaschaG

Verteidiger der uncoolen Musik: AOR, Symphonic Prog, Hardrock, Thrash- und Achtziger-Metal, Stax/Atlantic und Mainstream-Rock. Süchtig nach BBC-Serien und schrägem Humor. Findet, dass "Never Let Me Down" nur das viertschlechteste Bowie-Album ist und "Virtual XI" besser als alles, was Iron Maiden danach gemacht haben. 

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