Dauernd Jetzt

‚Momentan ist richtig / Momentan ist gut‘
, besagt ein Mini-Mantra aus dem Jahre 2002. Genauer gesagt eine Textzeile aus Herbert Grönemeyers damaligem – und bis heute nachwirkenden – Hit ‚Mensch‘. Die Besessenheit von der Gegenwart hat im Hause Grönemeyer Tradition, und die wird auch zwölf Jahre nach ‚Mensch‘ noch gewissenhaft gepflegt. Während im Opener ‚Morgen‘ noch in aller Melancholie über Kommendes sinniert wird, ist im drauffolgenden ‚Wunderbare Leere‘ der Fokus schnell justiert.
‚Dauernd Jetzt‘ steht für all das, worin, wovon und trotz dem wir leben. Was den Mann zum Manne macht und was den Menschen zum Menschen, damit beschäftigt sich das introspektive Forschungscamp um den Sänger seit Hörergedenken. Die Habit Grönemeyer, wie man sie spaßeshalber nennen könnte, sie ist dauernd aktuell und kaum jemals zäh. Und das ist nicht lediglich der Themenauswahl zuzuschreiben, sondern auch der Persönlichkeit dahinter.
In einer Beziehung mit Herbert Grönemeyer, so möchte man glauben, wird es nie langweilig. Auch wenn der sein gesamtes Portfolio im Medley runterrasseln würde. Herbert Grönemeyer ist nicht lediglich der Branchen-Saurier schlechthin, sondern auch ein wandelnder Thesaurus – ohne dabei seine Verdienste um die deutsche Verbalakrobatik schmälern zu wollen. Wie simpel und zugleich tragfähig er Gefühlen Ausdruck zu verleihen (und auf eigensinniges Vokabular zu verteilen!) vermag, ist auch nach Jahrzehnten noch erstaunlich.
‚Fang Mich An‘ ist in dieser Hinsicht mustergültig.
‚Lieb mich wenig / dafür lieb mich lang / nimm Dir die Freiheit / mir den Verstand / Fang mich an‘
: Über dezente Klavierarpeggien textet Gröni einen Torch-Song, wie nur er ihn schreiben kann; mit ‚Roter Mond‘ warten im Anschluss schon die HipHop-Beats. Aufs selbe Thema, nur anders beleuchtet. Grönemeyer belässt es nicht dabei, zwei Seiten der Medaille zu überprüfen; er schaut sich auch den Rand an, und dann schneidet er sie auf. ‚Feuerlicht‘ ist ein besinnliches Lied aus der zugestellten Perspektive eines Flüchtlings in Deutschland, in ‚Uniform‘ wettert Gröni gegen die Digitalisierung der Gesellschaft und die sich daraus ergebende Aufgabe von Persönlichkeit. Vom „Zerfledder[n]“ der Seele ist die Rede, vom Gieren nach Aufmerksamkeit. Der Rat:
‚Verteidige Deine Grenzen / Du bist das, was keiner sieht‘
. Könnte man Sextanern vorspielen, aber mit identischer Wortwahl auch deren Eltern ans Herz legen. ‚Unser Land‘ schließlich zeigt, wie Herbert Grönemeyer auch bei komplexer liegenden Fragestellungen jeglichen Fettnapf elegant umschifft und moralisch niet- und nagelfeste Vibes aussendet. Musik, die jeden angeht.
Der bekennende Bochumer feilt nicht eitel an pompösen Versen, sondern dichtet sich seine Songs frei von der Leber weg in Form. Was dabei herauskommt, ist – einmal abgesehen von der nölig-angestrengten Intonation – unverschlüsselt, aber maximal unterscheidungskräftig. Wohl auch, weil Herbert Arthur Wiglev Clamor Grönemeyer, der das Geschrei (lat. clamor) schon im Namen trägt, über ein markantes Organ verfügt, das ihm eine ganze Menge an treuen Fans, aber auch dankbare Imitatoren einbrachte.
Inmitten von alledem steht ‚Der Löw‘ – ein stolzgeschwellter, grimmiger Gruß Grönemeyers an die siegreiche Nationalmannschaft, versinnbildlicht durch deren Trainer. Fußballlieder sind ja immer so eine Sache. Dieses hier ist in Ordnung. Nicht mehr, nicht weniger. Mit einem
‚Sing it ..!‘
in den Refrain überzuleiten (was auch in ‚Unter Tage‘ wieder geschieht) allerdings ist nicht in Ordnung und sollte in Zukunft unbedingt vermieden werden. Ein netter Versuch war’s alle Mal – so wie vieles auf diesem sehr textlastigen Album. ‚Dauernd Jetzt‘ lässt wenig unversucht und kann nicht zuletzt deswegen über diverse musikalisch eher mäßige Tracks fast hinwegtäuschen. Wer aber Volltreffer will, muss mit Streifschüssen rechnen. Als Mensch jedenfalls fühlt man sich hier wieder einmal ziemlich ernst genommen – was bei Pop-Rock-Acts vergleichbarer Größenordnung heutzutage leidlich selten der Fall ist.