|

Bestial Burden

Sich vor der heimischen Stereoanlage mit Pharmakon auseinanderzusetzen, ist nicht viel mehr als eine alberne Trockenübung. In der Livesituation muss man dem Noise-Wahnsinn der jungen Dame erst einmal standhalten. Unter kränklichem Dämmerlicht erzeugt Margaret Chardiet auf einem – so scheint es – verkabelten Stück Blech hässliche Geräusche und kehrt parallel dazu die widerlichste Seite ihrer Synthesizer und Effektgeräte nach außen. Gelegentlich hockt sie an der Bühnenkante und starrt ausgewählte Konzertgäste in Grund und Boden. Unten angekommen, schnürt sie Konzertbesucher mit dem Mikrofonkabel ein wie eine Spinne ihre Beutetiere im Netz. Manisch streift die 23-Jährige umher, stößt Getränke um, bricht immer wieder geschüttelt von Schreikrämpfen zusammen. Was steuert sie? Ein Publikum hat dem wenig entgegenzusetzen; kaum jemand weiß, wie er sich zu verhalten, wohin er seinen Blick zu richten hat.

Zu Hause hat man sich derlei Szenarien hinzuzudenken, und wenn auch das neue Album ‚Bestial Burden‘ als solches nicht annähernd an die Körperlichkeit, die Ausgesetztheit des Live-Erlebnisses heranreicht, lässt es einem schon gehörig anders zumute werden. Unter groteskem Schnarren und dumpfem Pochen schwillt der Lärmpegel an und wieder ab. Kriegspauken treffen auf Folterpeitschen; die Künstlerin schreit wie am Spieß dagegen an, wieder und wieder bricht es unkontrolliert aus ihr hervor. Es ist ein unerträglich ausgeglichener Kampf, für den kein Ende vorgesehen scheint. Ein sich flächig ausbreitender Defekt, eine wütende Krankheit, in deren Verlauf die Seele durchrostet und schließlich zerspringt.

Kehrt doch Mäßigung ein, dann lediglich, um Raum zum Hyperventilieren (‚Vacuum‘), Würgen und Erbrechen (‚Primitive Struggle‘) zu schaffen. Der Mantel der Stille hat etwas Klaustrophobisches. Chardiet hat es auf das Wohlgefühl ihrer Hörer abgesehen, sie seziert ihnen das Nervenkostüm und will ihren Ekel, so schnell es nur geht. Auch optisch: Innereien frisch vom Schlachter hat sie sich für das Cover-Artwork auf ihrem Rumpf auslegen lassen; an ihren Fingernägeln kleben Hühnerfüße. Bildsprache, die bei all ihrer Plakativität auf mehr fußt als reiner Provokationslust. Als die junge Musikerin sich, anstatt zu ihrer ersten Europatour aufzubrechen, einer Notoperation unterziehen musste und im Nachhinein einen Blick auf die Fotografien erhaschte, die während des Eingriffs aufgenommen worden waren, wurde ihr mit einem Mal die Verletzlichkeit, die Anfälligkeit dieses Systems da unter der Haut bewusst. Überrumpelt vom eigenen Schicksal und mit einem Organ weniger im Körper witterte die Patientin eine Verschwörung: Der eigene, fleischliche Körper als anthropomorphischer Widersacher, ja Saboteur, der Geist als Fremder in einem autonomen Mechanismus – konnte das wahr sein? Der Schock war viel zu verlockend, um ihn zu hinterfragen, zu bewegend, um ihn nicht in Klang zu überführen. Und zu erdrückend, um ihn über die Genesung einfach hinunterzuschlucken. Pharmakon würgt ihr Innerstes aus; eine Mädchenstimme zerschellt zum geschlechtslosen, rasenden Etwas, in dessen Bissreichweite man unter keinen Umständen gelangen möchte.

Das hier ist mehr Exkurs denn Musikalbum. Exkurs in die untersten, ängstebesudeltsten Tiefen auch des hartgesottensten Hörers, der am Ende auch nicht mehr ist als eine sterbliche – und je nach Betrachtungsweise ziemlich jämmerliche – Kreatur. ‚Bestial Burden‘ ist, was es ist: ein höllisch schmerzendes, unbehandeltes Stück wildeste, ursprünglichste Gemütsregung. Eine Rosskur, die keine zweiten Chancen und keine Sinneswandlungen kennt. Die zerstört und aufbaut, wie auch Pharmakon Gift und Arznei ist. Nicht nur etymologisch.

Ähnliche Beiträge

Schreibe einen Kommentar