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The Ocean – Philosophiestunde in Zürich

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Staps erinnert sich noch an das letzte Gespräch – schließlich kommt man aus der selben Stadt. Einiges sei natürlich in den zehn Jahren passiert, resümiert Staps. Es schwingt sowohl Stolz als auch ein wenig Wehmut mit, wie schnell die Jahre als Band vergangen zu sein scheinen. Weltweite Touren in Australien, Russland und China. Mehrere von Fans und Presse geschätze Alben, wobei man mit dem aktuellen Doppelalbum „Pelagial“ das bisher erfolgreichste Werk komponiert hat. Viel Wechsel in der Besetzung immer wieder, der in jüngster Zeit auch dazu geführt hat, daß sich das zwischenzeitliche Zentrum der Band vom schweizerischen La-Chaux-de-Fonds wieder zurück nach Berlin verlagert hat. „Außer unserem Sänger Loic sind ja inzwischen keine Schweizer mehr in der Band – und der lebt im Wallis. Ich bin also inzwischen lange nicht mehr so oft in der Schweiz wie früher,“ plaudert Robin in der Bar unweit der Härterei in Zürich. Dort wird in wenigen Stunden der gemeinsame Auftritt mit Solstafir und den Labelkollegen Mono aus Japan stattfinden.

Mit der japanischen Post-Rock-Band haben The Ocean Ende Oktober die Split-EP „Transcendental“ veröffenlicht. Vom Film „Enter the Void“ des argentinischen Regisseurs Gaspar Noé und dessen Thematik um Wiedergeburt aus der Sicht des tibetanischen Buchs der Toten inspiriert, beinhaltet die EP jeweils einen Longtrack der beiden Bands. Auf das spirituell anmutende Thema und die asiatischen Dämonen auf dem Cover-Artwoirk des aktuellsten musikalischen Outputs angesprochen und ob er denn ein gläubiger Mensch sei, kommt von Robin Staps eine klare Antwort. Er selbst sei Atheist, die Idee sei durch zwei Elemente zustande gekommen. Zum einen durch die Faszination über die Visualisierung des Themas durch Noé. Begeistert schildert Staps die faszinierende Kamera-Arbeit des Regisseurs, um das Thema des Films auf innovative Art und Weise zu transportieren. Das andere Element sei das ebenfalls in einer Szene des Films verarbeitete Thema der Reinkarnation und außerkörperlicher Erfahrungen. Obwohl er selbst der Überzeugung sei, daß nach dem Tod nichts mehr kommen wird, fasziniere ihn das Bardo Thödöl, das buddhistisch-tibetische Buch der Toten. Das Überwinden der auf dem Album-Cover gezeigten rasenden Gottheiten und das Heraustreten aus einem Zwischenzustand zwischen Leben und Tod sei eine interessante kulturell-intellektuelle Thematik.

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Die EP stellt in der Bandgeschichte einen weiteren Wendepunkt dar. Nach der verhältnismäßig langen Zusammenarbeit mit den ehemaligen schweizerischen Bandmitgliedern Luc Hess und Jona Nido bis Ende 2013 gibt es einmal mehr eine neue Bandkonstellation. Drummer Paul Seidel lebt wie Staps in Berlin, der australische Gitarrist Damian Murdoch in Stockholm. Der Song ‚The Quiet Observer‘ von der „Transcendental“-EP hat gezeigt, daß die bandinterne Chemie stimmt, um auch bald weitere neue Musik zu produzieren. Das neue Album komme, mehrere neue Songs sind bereits geschrieben, an denen auch die beiden neuen Bandmitglieder aktiv beteiligt waren. Robin Staps kann und will zwar noch keine Details preisgeben, deutet aber an, daß das bisher häufige Komponieren von Konzept-Alben kein unumstößliches Markenzeichen der Band ist.

„Nach der aktuellen Tour schalte ich wieder in den Album-Modus, auf Tour kann ich nicht schreiben, dazu fehlt mir die Ruhe und die Abgeschiedenheit“

, schmunzelt der Musiker entspannt.

„Eine Veröffentlichung bis Ende 2016 ist durchaus im realistischen Rahmen.“

Ob sich seine Doppelrolle als Geschäftsführer des Labels Pelagic und Musiker gut vereinbaren lassen, ob sich die kommerzielle Sicht des Geschäftsmannes auf die eigene Band und geschäftliche Entscheidungen auswirken würden, wollen wir von Staps wissen. Die Antwort klingt gelassen, aber auch bestimmt. Beides habe sich bisher gut unter einen Hut bekommen lassen – und er lerne Schritt für Schritt dazu, nicht alles kontrollieren zu können, sondern seinen Mitarbeitern auch ihre Aufgaben zuzutrauen und sich abzugrenzen. Im Bezug auf seine Geschäftsphilosophie ist Staps ebenfalls ein Mann der Tat:

„Ich nehme nur Bands unter Vertrag, die ich selber geil finde. Aktuell haben wir Implore aus Hamburg unter Vertrag genommen. Die erste Grindcore-Band auf unserem Label, aber richtig klasse. Ich mache mir nicht viel aus Stilen, wenn mir etwas gefällt und die Einstellung der Band stimmt, kommen wir in der Regel zusammen. Auch wenn Pelagic, nicht zuletzt durch die Verbindung mit The Ocean in gewisser Weise als Label für Post-Metal gilt, sind wir für die verschiedensten Stilrichtungen offen. Viel wichtiger als die Frage ob es sich gut verkaufen lässt ist mir dann auch das Engagement der Bands. Eine Band, die nur zwei Mal im Jahr ein Konzert geben will und auch darüber hinaus keine große Eigeninitiative zeigt, lässt sich nicht gut vermarkten. Früher habe ich das trotzdem gemacht, aber heute ist das für mich die zweite Bedingung für eine Zusammenarbeit.“

Und die bewährt sich offenbar, denn laut Staps geht es auch mit dem Label bergauf. Man hat sich nicht zuletzt durch hochwertige Veröffentlichungen einen Namen gemacht.

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Besonders die bisherigen Alben und Projekte von The Ocean selbst sind von Beginn an nie auf dem Weg des geringsten Widerstands entstanden. Bereits für das zweite Album „Fluxions“ nahm die Band komplexe Streicher-Arrangements auf. Die letzten vier Studioalben „Precambrian“, „Heliocentric“, „Anthropocentric“ und „Pelagial“ sind allesamt inhaltlich und musikalisch hoch anspruchsvolle Konzeptalben, die sich philosophisch-wissenschaftlich den jeweiligen Themen annähern. Dem Ozean, der Erdgeschichte, der Religionskritik und Weltbildern. Mit „Collective Oblivion“ veröffentlichte die Band vor 2 Jahren eine umfassende, dreiteilige DVD-Dokumentation der bisherigen Bandgeschichte mit rund sieben Stunden Filmmaterial, Fotos, unveröffentlichten Videos in einer sehr wertigen Buch-Edition. Da kann man doch mal nachfragen, was nach so viel künstlerischer Qualität noch auf der Agenda für die nächsten zehn Jahre steht. Traumprojekte, reizvolle Konzeptthemen, kompositorische Herausforderungen? Staps zögert. Viele seiner Projekte entstünden weitgehend ungeplant aus dem Flow des Kompositionsprozeßes, er wisse vorher eigentlich nie, wohin die künstlerische Reise am Ende gehe. Was er sich reizvoll vorstelle, sei die Vertonung eines Films, das Schreiben eines Filmsoundtracks. Das visuelle reize ihn sehr und stünden die finanziellen Ressourcen zur Verfügung, gäbe es da noch jede Menge Wünsche und Ideen, The Ocean live noch ansprechender als bisher als optisch-akustisches Gesamtkunstwerk zu präsentieren.

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Der Mann ist Künstler und Geschäftsmann. Philosoph und Musiker. Prinzipientreu und offen für das, was die Zukunft bringt. Eigentlich naheliegend, wenn man die tiefgründige Rockmusik von The Ocean zugrunde legt, daß eine echte Persönlichkeit dahinter steht. Robin Staps als die prägende Figur hinter The Ocean wird auch in Zukunft seine Fangemeinde nicht nur mit guter Musik, sondern tiefgründiger, überlegter und relevanter Kunst erfreuen.

Das zeigt auch die abendliche Performance in der Härterei, den The Ocean pünktlich um 19.30 Uhr eröffnen. Die Bühne ist in künstlichen Nebel getaucht, das Licht nur spärlich eingesetzt. Und genau das passt auch zur Atmosphäre der Musik, die bereits der erste Song ‚Rhyacian: Untimely Meditations‘ vom Album „Precambrium“ transportiert. The Ocean sind Meister darin, langsam Spannung aufzubauen, die sich dann in Klangeruptionen entladen. Besonders Sänger Loic Rossetti unstreicht hier mit seiner vielseitigen Stimme wunderbar die emotionsreiche Musik. Auf dieser Tour habt das Kollektiv um Staps noch eine hübsche, bulgarische Cellistin dabei, die ihr Instrument meisterhaft beherrscht und dem Sound eine zusätzliche, schwere Melancholie gibt.

Nach dem zehnminütigen Auftakt in der Erdfrühzeit geht es mit ‚Hadopelagic II: Let Them Believe‘ hinab in die dunkelste Tiefsee. Es ist erstaunlich, wie die Musiker die Meerestiefen musikalisch umsetzen. Endlos und ruhig, aber auch bedrohlich und düster. Mit dem auch auf dem Album direkt folgenden ‚Demersal: Cognitive Dissonance‘ ist er wieder da, der explosive Dualismus der stimmungsreichen Musik und der wütenden Schreie von Rossetti. Wer Mastodons „Leviathan“ toll fand, der wird auch hier ins Schwärmen kommen. Aber erst nach dem Konzert – vorerst gilt es die Augen zu schliessen und den Gänsehaut-Sound gefiltert von optischen Reizen aufzunehmen, nachzufühlen. Mit Cellistin auf der Bühne und eine neuen EP am Gürtel ist dann noch ‚The Quiet Observer‘ von „Transcendental“ unvermeidlich. Der vierte und letzte Song des Abends ist mit seinen klar erkennbaren asiatisch anmutenden Elementen klanglich deutlich anders gelagert als jene von „Pelagial“ – trotzdem unverkennbar The Ocean. Emotional, vielseitig, herausfordernd. Neugier auf das kommende Album dürfte bei den Fans mit Sicherheit geweckt sein.

The Ocean sind:

Robin Staps – Gitarre, Gesang, Samples
Loic Rossetti – Gesang
Damian Murdoch – Gitarre
Paul Seidel – Schlagzeug
Christian Breuer – Bass

(Alle Fotos mit freundlicher Unterstützung von Carin Vinzens von Bodypics.ch).

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