Opeth auf Sorceress-Tour: Synthese abgeschlossen
Das Hardrock-Quartett aus der südnorwegischen Großstadt Bergen hat ebenfalls eine frisches Album dabei und wurde erst wenige Tage vor dem Beginn der Opeth-Europa-Tour als Support bekannt gegeben. Mit ihrem druckvollen Sound und dem hypnotischen Gesang von Frontmann Olav Iversen in seinem eleganten Gehrock konnten die Skandinavier das anfänglich noch recht reservierte Publikum Stück für Stück aus der Reserve locken. Mit Reminiszenzen an Sabbath, die doomigen Candlemass, aber auch Dio oder Mastodon in ihrem Sound präsentierten die Jungs Songs vom neuen Album „Memento Mori“, aber auch dessen Vorgängern. Zum Ende des rund halbstündigen Vorprogramms wurde erfreut und respektvoll geklatscht, dann war es endlich Zeit für den sehnlich erwarteten Hauptact des Abends.
Der legte direkt mit vollem Sound und dem psychedelischen Orgel-Intro des Titelsongs vom neuen Albums „Sorceress“ los. Keyboarder Joakim Svalberg betrat deshalb die Bühne zuerst, gefolgt von den Herren an den Saiteninstrumenten. Beim klaren Gesang Åkerfeldt, dem sehr akzentuierten, schleppenden Riff der Gitarren und den Zwischenspielen der Hammond-Orgel fielen die unterschiedlichen Taktarten und -rhythmen eher auf als bei den „alten“ Songs. Doch dort sind sie ebenso existent, wie das gleich unter Applaus anschließende, sehr vielseitige ‚Ghost of Perdition‘ bewies. Nicht nur, weil der Song vom 2005er Album Growls und Klargesang vereint, sondern wie die letzten drei Werke auch schon den großen Abwechslungsreichtum. Die Freude der „alten Garde“ im Publikum über Åkerfeldt Death-Metal-Gesang war jedenfalls groß, den Autor dieser Zeilen eingeschlossen. Genauso spielerisch, wie der lockere Frontmann zwischen den Gesangsstilen wechselte, wechselte die Band während des ganzen Abends in der über beinahe alle Alben verteilten Setliste von Song zu Song vor und zurück in der über 25-jährigen Bandgeschichte.
Die Begrüßung durch Åkerfeldt fiel sympathisch-locker aus. „In den Kreisen tourender Bands gibt es die Behauptung, Sonntags-Publikum wäre das undankbarste überhaupt. Seid ihr ein Sonntags-Publikum?“ Jubelnder Protest machte sich breit, von Åkerfeldt mit einem netten Grinsen goutiert. ‚Demon of the Fall‘ vom dritten Album der Band zeigte die Skandinavier noch einmal dynamisch in ihrer Death-Metal-Frühphase, bevor der zweite und schon letzte Song des neuen Albums folgte: ‚The Wilde Flowers‘, wie die meisten der neueren Songs deutlicher unter dem Einfluss von Åkerfeldt großer Leidenschaft, dem psychedelischen Prog-Rock der 60er und 70er Jahre. Daß Opeth auch balladesk können, bewiesen sie mit ‚Face of Melinda‘, dem wunderbar traurigen Song vom 1999er Konzeptalbum „Still Life“, der zur Mitte kurz in einem explosiven Crescendo gipfelt, um dann die Geschichte weiterzuerzählen. Das folgende ‚In My Time Of Need‘ schlug ganz ähnliche, noch ruhigere Töne an, und diverse Herren im Publikum nahmen ihre Begleiterinnen etwas fester in den Arm. Immer wieder gab es anerkennendes Nicken über die Gesangsleistungen von Åkerfeldt, aber es gab ganz allgemein viel Applaus. Kein Wunder: Opeth beeindruckten an diesem Sonntagabend mit einer grandiosen Mischung aus Gelassenheit, Souveränität und konzentrierter Spielfreude. Vor allem Joakim Svalberg lebte im Hintergrund seine Begeisterung für einen Keyboarder ungewöhnlich bewegungsfreudig aus.
Durch das gelungene Spiel mit dem Licht wurden die einzelnen Songs zusätzlich gelungen in Szene gesetzt. ‚Cusp Of Eternity‘ läutete das Ende des ruhigen Zwischenteils ein, von nun an sollten noch einmal die „alten Fans“ auf ihre Kosten kommen. Das fantastische ‚The Drapery Falls‘ von „Blackwater Park“ zog die Zügel in punkto Dynamik und Härte wieder etwas an, kombiniert natürlich mit seinen prägnanten Riffs und Melodielinien. Ein echtes Highlight, genau wie das folgende ‚Heir Apparent‘, der mit seinen Gegensätzen aus spukigen Keyboards und Soli auf der einen und verzerrten Riffs und Growls auf der anderen Seite an ein Geisterschloß erinnert, in dem einen plötzlich ein Horde wildgewordener Monster anspringt. Die beiden Alben „Watershed“ und „Ghost Reveries“ atmen diese Gruselstimmung mit jeder Pore, und so war es nur stimmig, als letzten Song ‚The Grand Conjuration‘ nachzuschieben, ein kleines Meisterwerk an Dynamik und Abwechslungsreichtum, bei dem es im Publikum nochmal richtig Action gab. Als Zugabe gab es mit ‚Deliverance‘ einen letzten stark kontrastierenden Death-Metal-Song – einfach wundervoll.
Der Sonntagabend tat der hervorragenden Präsentation keinen Abbruch. Während sich Opeth bei der Tour zu „Heritage“ stark von ihren Wurzeln abgegrenzt hatten und es danach tatsächlich Shitstorms gegeben hatte, haben die Schweden mit der dritten Tour seit „Watershed“ endgültig eine selbstsichere Balance gefunden. Nichts schließt sich mehr aus, alles ist erlaubt – sehr zum Vorteil des Publikums, das in Zürich in eine tiefenentspannten und sehr, sehr guten Konzertabend mit einer exzellenten Band eintauchen durfte. Ironie an der ganzen Geschichte: Waren vor 5 Jahren die Metalheads beim Opeth Konzert zu Heritage überrascht oder teils auch bitter enttäuscht, dürfte es dieses Jahr genau umgekehrt gewesen sein: Durch die Spitzenplatzierungen des aktuellen Albums „Sorceress“ möglicherweise neu hinzugewonnene Fans dürften von der Auswahl von etlichen Death-Metal-Songs überrascht gewesen sein – um es gelinde auszudrücken!
Setliste (CH-Zürich, Volkshaus, 13.11.2016)
Sorceress
Ghost of Perdition
Demon of the Fall
The Wilde Flowers
Face of Melinda
In My Time of Need
Cusp of Eternity
The Drapery Falls
Heir Apparent
The Grand Conjuration
Zugabe:
Deliverance
(Alle Fotos mit freundlicher Unterstützung von Daniel Strub)