NIEDECKENS BAP – Ohne Strafzettel davongekommen
Meist sind Musiker sehr daran interessiert, ihr neues Album den Massen zu präsentieren. So auch Niedeckens BAP, die – nachdem Corona es endlich zugelassen hatte – fast die gesamte Scheibe „Alles fließt“ in die damals aktuelle Setlist gepackt haben. Nun sind sie mit „neuem“ Programm wieder unterwegs und kehren heute Abend in der restlos ausverkauften Halle Münsterland ein. Wolfgang Niedecken erzählt beinahe schuldbewusst, dass man zu viele neue Nummern einem Publikum nur schwer zumuten kann, und er sich – quasi als Ausgleich für die letzte Konzertreise – überlegt hat, auf dieser nur auf Material zu Gehör zu bringen, dass mindestens 40 Jahre auf dem Buckel hat, und die Durchbruchsplatten „Für usszeschnigge!“ von 1981 und „Vun drinne noh drusse“ von 82 komplett zu spielen.
Etwas verhalten geht es um Punkt 20.00 Uhr mit dem ruhigen „Koot vüür Aach“ los, bevor der Nachfolger „Südstadt, verzäll nix“ die Leute von den Stühlen reißt. Was folgt, ist eine – gemäß dem Tourmotto – mehr als dreistündige Zeitreise. Wenn man kein Hardcore-Fan (im Gegensatz zu den allermeisten sehr textsicheren Menschen hier), sondern nur interessierter Sympathisant ist, staunt man, welche Klassikerdichte auf den insgesamt vier Alben („affjetaut (1980) und „Bess demnähx“ (1983) ergänzen das Set) vorhanden waren, die als Zutaten für den heutigen Ablauf dienen: „Nemm mich met“, „Waschsalon“, „Wellenreiter“, „Müsli Män“, das leider nicht unnötig werdende „Kristallnaach“ und natürlich der Über-Hit „Verdamp lang her“, der aber nicht Satisfaction-like als letzte Zugabe, sondern bereits ziemlich genau nach 120 Minuten aus den Boxen und knapp 3.500 Kehlen schallt. Apropos Zugaben: Vor dem als „ultimativen Abschiedslied“ angekündigten „Jraduss“ stellt Niedecken klar, dass es insgesamt 30 Lieder geben wird und er sich und den Zuschauern das „Zugaben“-Spiel ersparen und einfach durchspielen wird, was mit großem Applaus aufgenommen wird.
Die vor einigen Jahren in weiten Teilen runderneuerte und durch drei Bläser ergänzte Band ist bestens eingespielt, und insbesondere Gitarrist Ulle Rohde lässt mit seinen Solos so manchen Mund offenstehen, während seine Frau und Multiinstrumentalistin Anne de Wolff die Tracks durch Percussions, Cello, Geige und etliche andere Einspielungen ergänzt. Die Arrangements sind mitunter sehr weit von den Ursprungsversionen entfernt, was der Sache durchaus dienlich ist, und für eine angenehme Frische sorgt. Das Troggs-Cover „Wahnsinn“ (aka „Wild Thing“) wird allerdings dann doch eher am Original, und nicht wie in der 95er Crossover-Version (und ohne Besuch der Lokalmatadoren der H-Blockx, die die damalige Aufnahme ergänzt haben) dargeboten.
Etwa zur Halbzeit setzen sich alle (inklusive der Musiker auf der Bühne) für den sehr ruhigen Mittelteil der Show, aber nur, um Kraft für den Endspurt zu sammeln. Kurz vor Ende erzählt Niedecken noch eine Story aus einem der ersten Münster-Auftritte, bei der die gesamte Kapelle mit ihren damals noch getrennt anfahrenden Privatautos in einer Radarfalle gelandet ist, und man ihnen allerdings (sehr zur Freude der noch klammen Bandkasse) keinen Strafzettel ausgestellt hat. Nach drei Stunden ertönt dann das „Et letzte Leed”, doch auch das war es noch nicht, und das dann wirklich finale „Helfe kann dir keiner“ lässt die Menge dann ein allerletztes Mal (leise) mitsingen, und danach ein wenig müde –aber sehr zufrieden – in die überraschend warme November-Nacht entfliehen.
SETLIST
Koot vüür Aach
Südstadt, verzäll nix
Nemm mich met
Wo mer endlich Sommer hann
Waschsalon
Ens em Vertraue
Nit für Kooche, Teil 1
Nit für Kooche, Teil 2
Ahn ’ner Leitplank
Wellenreiter
Müsli Män
Zehnter Juni
Wenn et Bedde sich lohne däät
Kristallnaach
Fuhl ahm Strand
Weisste noch?
Eins für Carmen un en Insel
Ruut-wieß-blau querjestriefte Frau
Jupp
Ne schöne Jrooß
Verdamp lang her
Frau, ich freu mich
Do kanns zaubere
Anna
Jraaduss
Wie ’ne Stein
Hurricane / Stell dir vüür
Wahnsinn
Häng de Fahn eruss
Et letzte Leed
Helfe kann dir keiner
Fotocredit: Wollo@Whiskey-Soda