MICHEL VON WUSSOW – Das vielleicht schönste kleine Konzert
Unser Redakteur war vor ein paar Wochen auf seiner vielleicht schlimmsten Show aller Zeiten. Einer der großen deutschen Rocker (Held seiner Jugend) hat den wohl uninspiriertesten Auftritt hingelegt, den man sich vorstellen kann. Vor knapp 20.000 Menschen wurde lieblos ein Best-Of mit Liedern über Taximänner und Whiskey-Sorten runtergeleiert, dass es kaum zu ertragen war. Was das mit diesem Bericht zu tun hat? Wartet bis zum Schluss!
Heute steht eine Mini-Aufführung im kleinen Café der Sputnikhalle in Münster auf dem Programm, dem leider nicht einmal 100 Menschen folgen, in dieser kalten Novembernacht. Michèl von Wussow ist –zwei Jahre nach seinem Support für Ingo Pohlmann – wieder in der Stadt. Dieses Mal mit Band und dem Mega-Album „Traum B“ (hier unsere Kritik) im Gepäck. Außerdem hat er als Support Maarten Paul dabei, der – ähnlich wie Michèl bei Pohlmannn – ganz alleine am Keyboard eine halbe Stunde seine Songs singt, die an manchen Stellen musikalische Erinnerungen an die Beatles und dann wieder an Coldplay wach werden lassen.
Nach einer kurzen Umbaupause legt von Wussow dann los – und wie! Ab der ersten Sekunde merkt man dem Endzwanziger all das an, was der 75jährige Altstar hat vermissen lassen: Eine unbändige Spielfreude und eine Emotionalität in seinem Vortrag, die ihn mitunter selbst zu Tränen rühren. So wie beispielsweise in der Ansage zu „Alles geht vorbei“, in der es um seine seelische Berg- und Talfahrt über viele Jahren geht. In der Mitte des Sets haben seine drei Mitstreiter Pause, und er geht – nur mit Akustikgitarre bewaffnet – in die Mitte und singt über seinen Vater, zu dem er seit Jahren keinen Kontakt hat. Das berührt auch alle rundherum, und er bekommt Zuspruch für den Mut, sich mit seinen Liedern so ausdrücken zu können.
Dann geht es auf der Bühne weiter und die vier Herren zaubern insgesamt 100 Minuten ein intensives Feuerwerk an (auch) handwerklich gut gemachter Musik, die irgendwo zwischen Indie Rock und Liedermacherei liegt, gepaart mit immer wieder zum Nachdenken anregende Texten. Auch wenn nur wenige Leute da sind, die vielleicht 80 zahlenden Gäste sind aber Hardcore-Fans, und können fast jeden Song mitsingen, und Michèl bringt den kleinen Club zum Beben und die Menge zum Tanzen, als wäre es ein Arena-Gig. Wie von Wussow es schafft, bei der Intensität, die er in seinen Gesang legt, nicht nach drei Nummern heiser zu sein, bleibt sein Geheimnis. Es gelingt ihm auf jeden Fall, wirklich alle in den Bann zu ziehen. Und als der letzte Ton verklungen ist, hat nicht nur der Verfasser die Zeilen sein vielleicht schönstes kleines Konzert aller Zeiten erlebt.
Kleiner Appell zum Schluss:
Um Kapelle Petra zu zitieren: GEHT MEHR AUF KONZERTE! Gebt insbesondere den kleineren Künster*innen eine Chance (und Euer Eintrittsgeld!), damit so wunderbare Abende wie dieser möglich bleiben und nicht wie aktuell so oft, ganze Tourneen wegen mangelnder (Vor-)Verkäufen abgesagt werden müssen.
Michèl von Wussow bei Instagram
Fotocredit: Wollo@Whiskey-Soda