Beach Slang – Ein Schlag ins Herz
Als ich in den Konzertsaal des Conne Island komme und mich dort erfreulicher Weise einmal nicht durch eine Menschenmenge quälen muss, bin ich keine Sekunde zu spät dran. Denn just in diesem Moment betritt die Vorband Petal die Bühne. Wobei ‚Band‘ eigentlich nicht das richtige Wort ist, da das Stammpersonal nur aus einer einzigen Person besteht. Bei dieser handelt es sich um die sympathische Kiley Lotz, die nach eigenen Angaben zum ersten Mal in Deutschland ist. Von Nervosität ist bei der jungen Solokünstlerin allerdings keine Spur zu erkennen. Stünde ich alleine mit einer Gitarre vor einhundert Leuten, die mich anstarren, ich könnte keinen Akkord mehr richtig greifen. Kiley hingegen haut souverän in die Saiten und überzeugt mit einer harmoniereichen Gesangsstimme. Erst im vergangenen Oktober erschien ihr erstes Album ‚Shame‘ bei Run For Cover Records. Von diesem sowie der Debüt-EP ‚Scout‘ stammen die ausgewählten Titel des Abends. Im Refrain von ‚Comeback‘ überrascht sie mit gekonnter Stimmmodulation bis in die höchsten Tonlagen. ‚Tommy‘ kommt etwas rockiger aber nicht weniger melodisch daher. ‚Silly Heart‘ sticht durch gewollt dissonante Klänge heraus. Dass man auch Popstars der Achtziger prima mit der Akustik-Gitarre wiedererwecken kann, beweist die Dame mit einem Prince-Cover. Für die letzten zwei Songs holt sie sich dann aber doch Verstärkung auf die Bühne. Für das nur vom Schlagzeug begleitete ‚Nature‘ schwingt sich der Tour-Manager selbst hinter die Trommeln und in ‚Troubled Heart‘ unterstützt sie Beach-Slang-Bassist Ed am Viersaiter. Nach etwa einer halben Stunde verabschiedet sich Petal von der Bühne. Ein wirklich schöner Auftakt zu einem Konzert und eine positive Überraschung von einer Band, die ich bis dato noch gar nicht kannte.
Genau wie ihre Vorband gibt es Beach Slang erst seit 2013 und auch sie haben ihr erstes Studioalbum mit dem Titel ‚The Things We Do To Find People Who Feel Like Us‘ erst im vergangenen Herbst veröffentlicht. Diesem voraus gingen die beiden EPs ‚Who Would Ever Want Anything So Broken‘ und ‚Cheap Thrills On A Dead End Street‘. Ich möchte behaupten, an diesem Abend wurde nahezu alles was auf diesen Platten enthalten ist auch wiedergegeben.
Als die vier Jungs aus dem finsteren Pennsylvanien auf die Bühne kommen, verlieren sie keine großen Worte. ‚We are Beach Slang and we’re gonna punch you right in the heart!‘ Gesagt, getan. Schon beim ersten Anschlag geht eine Welle positiver Energie durch die Menge. Sänger James Alex trägt wie üblich sein charakteristisches Jackett, an dessen rechten Revers mittlerweile noch eine ganze Reihe von Ansteckpins hinzugekommen sind. Mit seinem extravaganten Outfit und unter seiner mittlerweile langen Mähne, sieht man ihm gar nicht an, dass er seine Punkrock-Karriere bereits Anfang der Neunziger begann. Damals noch mit der Band Weston.
Schon nach wenigen Songs wie ‚Filthy Luck‘ und ‚Get Lost‘ wird einem klar, warum diese Newcomer-Band in Windeseile die Herzen der Punkrock-Kids und der Musikkritiker gleichermaßen erobert hat. Neben der unter die Haut gehenden Grundstimmung die irgendwo zwischen melancholischer Resignation und optimistischer Aufbruchsstimmung pendelt, sind es vor allem die poetischen Texte, die irgendwo zwischen jugendlicher Ignoranz und einem abgebrühtem Charles Bukowski liegen. Texte über das Hinnehmen von Niederlagen, den Genuss der kleinen Dinge im Leben und dem Verfolgen der eigenen Träume, egal in welcher Ferne diese auch immer liegen mögen.
‚Too young to die, too late to die young. I try to fight, but get high and give up.‘
Diesbezüglich wird James auch nicht müde anzumerken, dass wir nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft wahrscheinlich nur dieses eine Leben haben und dieses daher möglichst optimal im eigenen Interesse gestallten sollten. Ein Satz, den man von vielen alternativen Bands auf der Bühne hört. Bei einem Über-Vierzigjährigen, der die nervöse Energie eines Teenagers besitzt und seit über zwanzig Jahren Punkrock macht, kann man diesen Spruch allerdings schwerlich als hohle Phrase abtun. Der Mann meint und lebt was er sagt. Oder um es mit James eigenen, nach jedem einzelnen Lied geäußerten Worten zu sagen: ‚Right on!‘ Zu den eigenen Songs gesellen sich noch drei Cover-Songs hinzu. Zwei von Jaw Breaker (unter anderem ‚Boxcar‘) und einer von James‘ Lieblingsband, The Replacements. Nach einer guten Dreiviertelstunde ist die Show vorüber.
‚The night is alive, it’s loud, and I’m drunk.‘
Allerdings haben weder die Gäste noch Beach Slang selbst zu diesem Zeitpunkt irgendein Interesse daran, nach Hause zu gehen. Die ‚Zugabe‘ wird noch einmal genauso lange dauern, wie das eigentliche Konzert. Mit dem ruhigen ‚We Are Nothing‘ beginnt der inoffizielle zweite Teil. Mittlerweile ist James zur Hochform aufgelaufen und präsentiert sich von seiner Entertainer-Seite. Ungelogen, wenn dieser Mensch irgendwann keinen Bock mehr auf Musik hat, sollte er eine Karriere als Stand-Up-Komiker in Betracht ziehen. Mit seinem verschwitzten Humor und seiner lockeren Zunge hat er alle Chancen dazu. Auch Gitarrist Ruben lässt es sich in den Pausen zwischen den Liedern nicht nehmen, etwas mit dem Publikum zu spielen. Er könne jeden Rock-Hit spielen, der ihm zugerufen wird, gibt er großspurig an. In diesem Moment überschlägt sich das Publikum natürlich mit Musikwünschen. Was Ruben dann am Ende spielt, hat allerdings überhaupt nichts mit den Titeln zu tun, die ihm das Publikum zurief. ‚Spiel mal Ezy Rider!‘ ‚Was, ‚Smoke On The Water‘? Klar, kann ich das!‘ Was er allerdings wirklich kann, ist Bierflaschen mit den Zähnen aufmachen… Derweil versucht sich James noch an ‚Don’t Fear The Reaper‘ der Band Blue Öyster Cult, was ihm zur Freude einiger sogar ganz gut gelingt. In der ersten Hälfte der Show meinte James noch, ein Wort das niemals auf die Band zutreffen würde, wäre das Wort ‚professionell‘. Hier bin ich vollkommen anderer Ansicht. Was Unterhaltung betrifft, sind Beach Slang die wahrscheinlich professionellsten Amateure unter der Sonne! Als gegen halb zwölf der letzte Ton verklingt, stelle ich zufrieden fest, dass sich ein Beach-Slang-Konzert sogar lohnen würde, wenn alle Mitglieder ihre Instrumente vergessen hätten. Das kann man wahrlich nicht von jeder Band behaupten.