ALEX MOFA GANG – „Den Rest der Woche liegt man im Bett und leckt die Wunden!“
Endlich! Die neue Scheibe „Euphorie am Abgrund“ der Alex Mofa Gang ist fertig. Bereits vor einem halben Jahr hatten wir die Gelegenheit, mit Frontmann Sascha und Drummer Michael beim Soundcheck ihrer Support-Tour für Madsen zu sprechen (hier noch einmal zu lesen). Damals war gerade eine erste Single draußen, sehr viel über die neue Scheibe wollten die beiden uns aber noch nicht verraten. Jetzt wird endlich das Werk in die Läden ausgeliefert, und wir sprechen erneut über die lange Produktionsphase, die anstehende Tour und vieles mehr. Die Kritik findet Ihr hier.
Moin Michael, moin Sascha! Bevor wir starten: Glückwunsch erstmal zur neuen Platte!
Beide: Danke!
Als wir vor ein paar Monaten gesprochen haben, wolltet Ihr mir noch nicht allzu viel über die neue Scheibe berichten. Könnt Ihr mal beschreiben, was sich seitdem hinter den Kulissen getan hat?
Michael: Ja, die heiße Phase beginnt jetzt. Ein bisschen weniger als einen Monat bis zum Release, es wird so langsam greifbar. Das Album ist jetzt in der Bewerbung und im Verkauf, ohne dass man es schon fertig in den Händen hat…
Was sich am meisten getan hat, ist die Schnittstelle zwischen Hintergrund und Vordergrund, also das nach und nach scheibchenweise immer mehr Sachen nach außen gedrungen sind. Ich könnte es jetzt datenmäßig gar nicht so richtig so richtig einsortieren. Erst kommt ein Song raus, dann kommt noch ein Song raus, dann können Leute das Album bestellen, es ist ein bisschen wie mit einer Geburt: Mit dem Kind ist man lange schwanger und dann wird es endlich geboren. Ich habe das Gefühl, das Album wurde lange geboren, auch wenn es dann mit dem Knall rauskommt. Es passieren aber auch noch Sachen, bis das Album erscheint, und das macht auch Spaß. Das ist aufregend, weil man ja immer wieder so ein bisschen den Spalt zum Album ein bisschen weiter aufmacht.
Ich habe gerade ganz schnell in den Kalender geschaut: Es war der 21. März, als wir im Skaters Palast zusammengesessen haben, also fast auf den Tag ein halbes Jahr her.
Michael: Manches von dem, was in der Zwischenzeit passiert ist, wussten wir da schon, anderes noch nicht.
Wie lange hat die Produktion denn insgesamt gedauert?
Sascha: Wenn es der 21. März war, hatten wir gerade die Aufnahmen fertig, dann ging das Mischen und Mastern los, danach die letztendliche, wirklich finale Track-Liste für das Album. Alles in allem kann man dann sagen, es war ein dreiviertel Jahr vom ersten Treffen -ohne zu wissen, ob es ein Album wird- bis zu: „Das macht sehr viel Spaß und geht gut von der Hand!“ und dem Moment, wo man sagt: „OK, es sind so viele Songs, das wird ein Album und wir haben Bock, das selber zu machen, mit allem Drum und Dran!“
Michael: Wobei man natürlich immer sagen muss, dass ab dem Moment, wo das vorherige Album abgegeben ist, die Köpfe schon wieder rauchen. Also nichts verpufft, wenn man eine Idee hat und Sachen aufschreibt, die dann mit einfließen. Es gibt kein Denk- und Songwriting-Verbot. Zwischen Ideen und Aufnahmen gehen manchmal auch viele Monate ins Land, ohne dass man in einem definierten Prozess ist. Ich glaube, das geht uns allen so, dass das Musikmachen ein Grundbedürfnis ist oder im Unterbewusstsein geschieht, dass das eh die ganze Zeit ein bisschen passiert.
Beim letzten Mal habt Ihr erzählt, wie Ihr Euch als Band grundsätzlich organisiert. Abgesehen von den großen Blöcken wie Studio-Aufnahmen oder Tourneen, wie durchgängig seid Ihr am Ball? Trefft Ihr Euch aus Spaß an der Freude, um gemeinsam einen Kasten Bier leer zu proben?
Michael: Wir treffen uns nicht ohne Grund zwischendurch, um einen Kasten Bier leer zu proben…
Sascha: …Kasten Bier: ja; Proben: nein! (lacht)
Michael: Es funktioniert leider zeitlich äußerst selten, dass wir es schaffen, alle Fünf nebst Familien an einen Ort zu bringen, aber wir treffen uns schon alle privat auch – aber viel zu selten!
Könnt Ihr einmal beschreiben, wie Eure Band funktioniert? Schreiben alle mit, gibt es Veto-Rechte bzw. gibt es eine klare Hierarchie, gibt es feste Jobs? Wir sprechen jetzt in der gleichen Konstellation wie vor einem halben Jahr, seid Ihr beiden z.B. die Pressesprecher?
Sascha: Bis auf die Hierarchien, alles so, wie Du es beschrieben hast. Also die Departements sind klar aufgeteilt, in unterschiedlichen Konstellationen, natürlich auch mit Schnittmengen. Es gibt Vetorechte in verschiedenen Wertungsstufen. Vetos werden meistens erst ab „Veto 2000“ ernst genommen. Es hat sich hat sich so bewährt, dass oft Michi und ich die Interviews zusammen machen, ansonsten ist es basisdemokratisch und alle schreiben.
Michael: Und es gibt nicht nur die klassischen Aufteilungen wie Konzerte, Interviews und Merch. Weil wir in unterschiedlichsten Städten wohnen, gibt es auch einen, der sich um die Logistik kümmert und Mofa-Logistik zusammenhält, was vielleicht ein selteneres Department in Bands ist.
Nehmen wir uns mal ein paar Songs vor: „Der Mann von gestern“ hat mich an „Schmerz“ von Adam Angst erinnert, der eindeutig an Friedrich Merz gerichtet ist. Ist Euer Song auch einer bestimmten Person gewidmet oder eher allgemein gehalten?
Sascha: Ich muss gestehen, den Song kenne ich nicht. Also ohne ihn zu kennen, ist unser Lied letztendlich natürlich an uns selber gerichtet. Es gibt ganz klar eine Beobachtung über Veränderungen in den letzten Jahren und Jahrzehnten, die, wie wir finden, längst überfällig war und ist und nach wie vor zu langsam vonstatten geht. Es trifft natürlich auf viele alternde, weiße Männer zu, aber es ist letztendlich an uns gerichtet. Es geht um eine gesellschaftliche Bewertung von dem Männer- und Frauenbild, und von einem gesellschaftlichen Miteinander, wo wir einfach sagen: OK, wir haben hoffentlich schon viel dazu gelernt, und können über die Jahre und über den Rest unseres Lebens noch viel mehr lernen und verändern. Vielleicht an kleinen Stellschrauben in unserem Umfeld drehen. Und darum geht es eigentlich, dass wir sagen: Wir waren wohl oft genug auch nicht immer so weit, wie wir dachten, was Gleichstellung angeht.
Interessant, ich habe die Nummer eher politisch aufgefasst!
Michael: Das ist auch nicht falsch, es geht ja auch gleich so los, wenn von der CDU die Rede ist. Es ist aber nicht unser Ding, einzelne Leute rauszuziehen, und die dann als Feindbild darzustellen. Das wäre ein bisschen eine unfaire Verkürzung von der Diskussion. Das wird dem auch nicht gerecht, wenn man sagt: Diese eine Person ist so scheiße! Unser Ansatz ist immer, dass man bei sich selber anfangen muss. Da ist das (Anmerkung der Redaktion: gemeint ist Merz) vielleicht eine zugespitzte einzelne Geschichte, die einem klar macht, dass die ganze Gesellschaft ist noch nicht so weit ist. Patriarchat ist nichts aus dem Museum, sondern aus dem Alltag.
Sascha: Man kann natürlich auch sagen, dass das innerhalb dieser Geschichte des Liedes auch ein bisschen stereotypisch aufgegriffen wird. Das die Leute, die man von früher von den Demos kannte, jetzt trotzdem in der FDP sind, weil sie die Firma vom Vater übernommen haben. Diese Figur, die wir da in dem Song erschossen haben -und damit bist Du natürlich total richtig- das ist ein gesellschaftspolitisches Ding an sich, also wie Veränderungen, wie Altern in einer Gesellschaft wie unserer funktioniert, und wieviel Unbequemlichkeit man sich selbst zumutet, und deswegen ist der Song auch total politisch. Wir enden damit, dass wir auf uns selber zeigen, weil anders wäre es dann wieder nur der Zeigefinger auf andere und damit total unglaubwürdig, weil wir einfach Teil des Problems sind.
„Treppenhaus“ erinnerte mich beim Hören (zumindest in den Strophen und teils im Refrain) an Kraftklub. Wie sehr freut man sich über prominente Vergleiche, oder nervt Euch das eher?
Sacha: Nö, das nervt überhaupt nicht! Wenn Du das so hörst, ist das legitim und es gibt schlechtere Vergleiche! Es gibt das natürlich auch mal im Laufe einer Produktion einen Moment, wo man denkt: „Jetzt fällt mir gerade auf, woher ich das kenne!“
Das kann man dann leider so nicht machen. Man versucht dann natürlich immer, das in den eigenen Kosmos zu holen, nicht wie irgendjemand zu kriegen. Aber Anlehnung oder Vergleiche sind natürlich absolut legitim.
Das ursprünglich als erste Single angekündigte „Reich sein“ ist dann nicht auf dem Album gelandet. Nach welchen Kriterien entscheidet Ihr die finale Songauswahl und wieviel Ausschuss gab es bei „Euphorie am Abgrund“?
Michael: Die Kriterien sind immer total weich uns subjektiv, und es soll immer nach einem Album anfühlen -das ist vielleicht schon ein verrücktes, und ein bisschen hängengebliebenes Argument. Wir haben aber das Gefühl, wir schreiben ein Album und wir wollen gerne ein zusammenhängendes Werk machen, was man durchhört. Wir streiten, sprechen und diskutieren auch lange über eine Reihenfolge. Selbst wenn die Auswahl steht, ist mit der Reihenfolge immer noch eine Stimmung zu setzen. In dem Prozess geht und kommt mal ein Song, den wir zwar aufgenommen haben, aber der es nicht auf das Album schafft, was nicht heißt, dass er raus ist. „Reich sein“ ist da ein gutes Beispiel. Das war der Aufschlag zur „Karambolage Tour“, und genau an der Stelle und dafür richtig. Auf dem Album ist er nicht – trotzdem genau so ein Song von uns in dieser Phase. Da lässt uns die moderne Art, Musik zu hören die Freiheit, dass Songs auch mal so dazwischen passieren, ohne dass sie untergehen.
Sascha: Da wären wir wieder bei den basisdemokratischen Entscheidungen innerhalb der Band. Wenn mich jetzt nicht alles komplett täuscht, hat er es ja dennoch auf die Bonus-EP geschafft, es gibt ihn also auch physisch, aber innerhalb der Dynamik der Platte musste man den Song nicht unbedingt reinquetschen. Es gab noch einen anderen, der sich besser angefühlt hat, und dann haben wir so entschieden.
Meine persönliche Lieblingsnummern sind „Eiszeit in Berlin“ und „Hand aufs Herz“. Was sind Eure Favoriten und wie verteilt sich das in der Band? Gibt es den Bandfavoriten oder ist das bunt gestreut?
Sascha: Mich hast Du mit Deiner Auswahl!
Michael: Das ist bunt gestreut und das ändert sich auch ständig. Es gibt auch 1000 verschiedene Kriterien für Lieblingssongs: Da gibt es den Song, der am meisten Spaß macht im Studio, da gibt es den, der am meisten Spaß live macht, und da gibt es den, der inhaltlich am wichtigsten ist. Wir konnten uns alle superschnell darauf einigen, dass zum Beispiel „Mann von gestern“ uns inhaltlich wichtig ist. Ansonsten schwimmt das hin und her. Es kann auch während einer Tour wechseln, welches der Lieblingssong live ist – das ändert sich gefühlt von Show zu Show, weil das an so vielen Dingen hängt.
Apropos Tour: Im Frühjahr geht es los. Ich habe mir die Daten angeguckt, Ihr spielt ja fast nur Freitags und Samstags, wie auch schon Madsen, die ihr vor einem halben Jahr begleitet habt. Kann man aktuell nur noch so touren – bekommt man unter der Woche einfach kein Publikum mehr in die Clubs?
Sascha: Ich weiß nicht, ob man das so klar sagen kann. Wenn mich nicht alles täuscht, sind zumindest die beiden ersten Blöcke Donnerstag, Freitag und Samstag. Es ist mit einer Band, die auch altert und Zuwachs bekommt, viel einfacher zu handeln, schulpflichtige Kinder auch in diese zu verfrachten und wieder abzuholen. Nein, das hat sich verändert, selbst die großen Bands spielen fast nur Weekender. Die Leute sind auf jeden Fall gewohnt, das an den Wochenenden mehr Konzerte stattfinden, und sie lieber dann ausgehen, als am Dienstag. Es fehlt da auch manchmal vielleicht der Mut, dass wir sagen: Wir probieren es jetzt einfach, weil es dann auch gleich schwierig werden kann. Dann guckt man halt, dass man zumindest in den Städten, wo wo man weiß, dass ein Paar mehr Leute kommen, das man da ein okayes Datum bekommt.
Kommt da noch so ein richtiges Tour-Feeling auf, wenn man immer nur zwei, maximal drei Tage unterwegs ist und dann wieder in den Alltag zurückmuss?
Michael: Den Rest der Woche liegt man im Bett und leckt die Wunden, also ganz klar eine konditionelle Entscheidung!
Sascha: Die Frage ist natürlich berechtigt! Wir haben nach dem Vierer-Block mit der Karambolage-Tour gesagt, das ist schon auch wirklich geil, wenn man einfach ein paar Tage am Stück spielt, das fetzt schon sehr.
Wie immer meine Schlussfrage: Wie bindet Ihr die neue Platte ins Programm ein, komplett alle neuen Lieder oder nur eine homöopathische Dosierung?
Sascha: Ich glaube, wir können uns festlegen, irgendwas dazwischen. Ich weiß nicht, ob wir sie komplett spielen können, weil die Abende sonst irgendwann zu lang werden. Bei der fünften Platte und bei Sachen, die wir auf jeden Fall spielen wollen…aber es wird sicherlich mehr als nur eine homöopathische Dosis! Wir haben schon doll Spaß daran, viel von den neuen Sachen zu spielen, und man muss mal gucken, wie lange wir den Leuten zumuten können.
Wie lange spielt Ihr in der Regel?
Sascha: So knapp zwei Stunden sind es meist.
Michael: Da würde ich mich jetzt nicht auf eine Minute festlegen. Das entsteht dann auch ein bisschen in den genauen Proben direkt vor der Tour, wo man wirklich feilt und überlegt. Es kitzelt aber schon sehr in den Händen, die neuen Song zu spielen und es ist ganz sicher so, dass ein neues Album dem Konzert auch eine neue Farbe gibt. Es wird also nicht so sein wie das Konzert der letzten Tour mit zwei anderen Songs. Natürlich ist es ganz sicher so, dass man auch manches aus der Setlist nicht rauslässt, und es ist auch gar nicht sicher, dass man nicht auch mal einen Song, den man von älteren Alben auf vergangenen Touren nicht gespielt hat, jetzt spielt, weil wir Lust darauf haben. Das ist ein so eine Diskussion wie bei der Album-Reihenfolge.
Dann bin ich gespannt und danke fürs Gespräch. Wir sehen uns im kommenden Jahr auf der Tour!
Beide: Sehr gerne, vielen Dank und bis bald!
Fotocredit: Live: Wollo@Whiskey-Soda (Live beim Esel Rock), Bandfoto: Timo Ehlert