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Agent Fresco – Eins mit der Angst

Agent-Fresco-Frontmann Arnór Dan Arnarson …

… über die Zeit nach dem Debüt
2011 hat Tóti schon ein paar instrumentale Stücke aufgenommen. ‚Dark Water‘ war eines davon, ich glaube sogar das erste. Das hat sich dann bis 2013 hingezogen. Zu der Zeit ging es für mich auch langsam mit dem Schreiben los. Danach bin ich richtig verrückt, und ich grabe gern sehr tief, hole Intimstes nach oben. Das Blöde daran ist: Wenn da nichts ist zum Drüber-Schreiben, will ich auch nicht schreiben. Und so war es auch damals, als wir das Konzeptalbum zum Thema Trauer gemacht haben, nachdem ich meinen Vater an den Krebs verloren hatte. Bis ich dann in Reykjavík auf der Straße überfallen worden bin. Das war ein echter Rückschlag in meinem Leben; seit dem Vorfall habe ich mich sehr verändert. Es war ein wirklich düsterer Zeitabschnitt.

… über Stress
Aufnehmen, Touren und ganze Drumherum ist ein Kraftakt, wenn du so wie wir DIY-mäßig unterwegs bist; als Musiker brennst du schnell aus und Pausen sind sehr wichtig.Obwohl wir mittlerweile mit einem Label zusammenarbeiten und ein Management uns betreut, ist die Arbeitsverteilung noch nicht ganz so, wie es eigentlich sein sollte. Ich schreibe ja die Texte und Toti macht das Musikalische. Aber dann ist da ja noch den ganzen E-Mail-Kram und die Social-Media-Pflege, Bookingagenturen und – nicht zu vergessen – das Finanzielle. Es gibt also irre viel zu tun. Es gab eine Zeit, da habe ich die Band wirklich gehasst. Darum geht es nämlich in ‚Dark Water‘ tatsächlich. Daran waren aber nicht die Leute schuld, sondern diese Lage, in der wir uns befanden, in der mir Dinge über den Kopf wuchsen, die mit der Musik an sich nur noch entfernt etwas zu tun hatten. Da habe ich die Unterstützung und das Verständnis mancher Menschen ziemlich vermisst.

… über Pausen
Letztes Jahr haben wir quasi pausiert, weil alles irgendwie nur sehr schwerfällig vonstatten ging. Ich habe hin und wieder getextet und sonst hat jeder im Grunde sein eigenes Ding gemacht. Tóti hat hier in Island Komposition studiert, Hrafnkell und Vignir haben mit anderen Bands gearbeitet. Das war eine dunkle Zeit, die aber ganz gut getan hat, um mal ‚rauszukommen aus der Agent-Fresco-Tretmühle, und um die Kommunikationsprobleme zu beseitigen. Egal ob in einer Band, in einer Beziehung oder unter Freunden: Wenn nicht jeder seine eigene Verantwortung wahrnimmt, führt das irgendwann zur Frustration. Ich bin aber guter Hoffnung, dass diese Erfahrung uns reifer gemacht hat und wir fokussierter und produktiver ans nächste Album herangehen können.

… über das Presse-Echo zu ‚Destrier‘
Das mit der Notengebung nehme ich nicht so ernst; oft sind die Noten in meinen Augen auch viel zu gut. Aber die Worte, die sind von Bedeutung für mich. An ihnen lässt sich erkennen, ob sich der Autor mit der Musik auseinandergesetzt und sie auch das Dahinterliegende erfasst hat. Ich lese alle Reviews und google oft; im Zweifel leitet das Label die Texte an uns weiter. Diesmal war ich wirklich sehr beeindruckt, wie viele bei ihrer Besprechung wirklich tief eingestiegen sind, sich die Zeit gelassen haben, die man ja heute gar nicht mehr zu haben scheint, und auch die Texte versucht haben zu ergründen. ‚Destrier‘ ist sicherlich kein Album, das man auflegt und dann direkt völlig durchschaut hat. Wir arbeiten ganz bewusst vielschichtig; wir wollen, dass man unsere Alben wieder und wieder hören muss, um sie zu verstehen und zu entdecken. Wenn ich eine total schlechte Bewertung sehe, macht mich das natürlich traurig. Wenn Leute sagen, wir würden uns in zu vielen Genres herumtreiben. Gerade von Blogs, die die meisten ja aus musikalischer Leidenschaft heraus betreiben, hätte ich eigentlich erwartet, dass sie ein wenig mehr Gespür fürs Fortschrittliche haben und nicht alles in Schubladen packen wollen. In Wahrheit aber haben sie Berührungsängste. Das finde ich höchst seltsam. In Genres zu reden, halte ich für unglaublich altmodisch. Was ist heute denn bitte Rock? Was ist Metal? Da gibt es doch mittlerweile bestimmt 20 Unterkategorien. Es ist Unsinn, uns einzustufen, und sollte auch nicht wirklich interessieren. Und sowieso will ich kein Zehn-Track-Album schreiben, wenn ich finde, dass es auch länger sein darf. Aber deswegen gehe ich nicht in die Ecke und weine. Außerdem würde man ja etwas falsch machen, wenn man ausschließlich positive Kritiken bekommt. Manchmal legt man es ja förmlich darauf an, hier und dort verrissen zu werden. Und irgendwoher muss ja auch der Ansporn fürs nächste Album kommen.

… über seine Beziehung zur Musik
Meine Beziehung zur Musik war immer intimer Natur. Da ist eine starke Bindung. Musik wollte ich eigentlich immer lieber allein hören und sie nicht mit anderen teilen; ich habe auch Konzerte meist allein besucht. Und natürlich will ich nicht, dass meine Musik mit der eines Anderen in Verbindung gebracht wird. Dann würde ich mir ja faul vorkommen und wie ein Nachahmer. Darum halte ich unsere Musik aber nicht gleich für sonderbare Zirkusmusik. Wir sind einfach eine Gruppe von Musikern mit ganz unterschiedlichen Vorlieben. Ich zum Beispiel liebe Converge, und ich habe die Blood Brothers geliebt, als ich noch jünger war. Ich habe den verdammten Elton John, Peter Gabriel und die Backstreet Boys gehört. Und sie alle haben mich, wenn auch unterbewusst, inspiriert und tauchen in meiner Arbeit wieder auf. Das macht es für ein Label dann natürlich nicht unbedingt einfacher, uns zu vermitteln. Ich verstehe den Markt und mir ist bewusst, weshalb es die Leute lieber einfacher mögen. Aber das darf kein Faktor sein, der deine Musik beeinflusst. Wir haben ein Management, ein Label und Booker, die an uns glauben, und darum bin ich froh.

… über Streaming
Heutzutage scheint keiner mehr die Zeit zu haben, sich ein ganzes Album anzuhören. Das ist Luxus. Damals hat man sich eine CD gekauft, die man erst womöglich nicht mochte, und sie dann immer wieder gehört, in der Hoffnung, sie könnte noch zünden. Und weil man es unbedingt so wollte. Heute gibt es Spotify, und ich muss sagen: Ich benutze es selbst – auch wenn es ganz und gar nicht gut für mein Einkommen ist.

… über Fanpost
Es ist völlig verrückt, so oft zu lesen, dass wir Andere inspirieren würden. Ich meine: Wir wurden und werden ja unsererseits auch inspiriert, und nun auf einmal zum Kreise derer zu gehören, an denen sich andere Musiker ein Beispiel nehmen, ist unglaublich. Das geht über meine Vorstellungskraft hinaus. Ich bedanke mich jedesmal höflich, aber so richtig abnehmen will ich das niemandem so recht.

… über Schlachtrösser
Ich stehe ja sehr auf Wörter. Und als ich wusste, wo es mit dem Album hingehen sollte, hielt ich ‚Destrier‘ für ein großartiges Wort. Es ist so majestätisch und hat einen eleganten Touch. Pferde sind schön anzusehende Tiere von mythologischer Bedeutung. Zugleich ist dieses Pferd aber auch zu Kriegszwecken gezüchtet und sein Name ist abgeleitet vom lateinischen Wort für „rechte Hand“ … du siehst, da ist so viel drin in diesem Begriff, so viel geballte Bedeutungskraft.

… über Musik als Heilmittel
Musik ist nicht in der Lage, Wunden zu heilen. Auch nach unserem letzten Album vermisse ich meinen Vater noch, träume immer noch von ihm, wache noch immer weinend auf. Aber mit Musik kann man sich den Dingen stellen, über die es schwerfällt zu reden. Unter anderem, weil die Gesellschaft viele traurige Tabus kennt. Den Tod, zum Beispiel – und das, obwohl er auf jeden Einzelnen von uns wartet. Seelische Verletzlichkeit bei Männern – warum sollte ein Mann nicht leiden und seinen Schmerz zeigen dürfen? – Wut, Rache, das Justizsystem, die Strafverfolgung, der Umgang mit Gewalt. Die Unterwelt, zu der ich Kontakte geknüpft habe, um herauszubekommen, wer mir das angetan hat und was ich tun sollte. Sollte ich sie zusammenschlagen? Oder doch zur Polizei gehen und eine Anzeige aufgeben? Musikmachen ist mein Weg, zu reifen, mich herauszufordern und etwas Konstruktives aus mir selbst zu schöpfen. Mit ‚Destrier‘ wollte ich also kein Album über Wut oder Angst schreiben, sondern meiner Wut und der Angst entgegentreten, mich ihnen stellen, um dann mit ihnen zu verschmelzen, sie zu fühlen und zu verstehen und am Ende irgendwie loslassen zu können. Heute habe ich noch immer mit meinen Ängsten zu tun, mit der Wut ebenso: Ich habe Angstattacken, oft werde ich wütend, wenn ich gestresst bin, und mir brennen die Sicherungen durch. Ich arbeite aber daran und es ist schon besser geworden.

Auf die Gefahr hin, dass es komisch klingt: Tóti und ich, wir möchten Schönheit erzeugen, etwas Ästhetisches, das uns entspricht. Verwüstende und zerstörerische Gefühle auf diesem Wege anzugehen und in etwas Kreatives umzuwandeln, ist etwas Großartiges und unsere Aufgabe als Musiker. Gerade ich bin darin sehr emotional, und das verleiht einem Album ein persönliches Gewicht und macht es bei aller Dunkelheit zu etwas Positivem. Da die Musik das spiegelt, was gerade in mir passiert, kann es aber auch gut sein, dass in einiger Zeit die Musik unschuldiger und weniger schwer daherkommt. Mal schauen!

… über das ‚Destrier‘-Cover-Artwork
Dóri Andrésson hat das Cover nach unseren Vorstellungen gestaltet. Wir wollten, dass das Artwork die Musik, ihre Kraft und in einer Form auch den Albumtitel repräsentiert. Also sollte es weder total strahlend, noch völlig düster, sondern zunächst etwas Elegantes, Schönes sein – aber nicht direkt das Pferd selbst –, und sich mit etwas Gegenteiligem, eben dem zerstörerischen Aspekt, verbinden. Am Ende war es eine einfache Rechnung: Wir brauchten einen Kontrast, und was war das Destruktivste, an das wir denken konnten? Feuer! Es giert regelrecht nach Sauerstoff und verbreitet sich irre schnell. Also haben wir uns für Feuer entschieden. Nicht als Flamme auf dem Kopf der Frau, sondern als dichtes Geflecht mit scharfer Kontur auf ihrem Gesicht. Anderenfalls hätte man dort ihre Augen und Gesichtszüge sehen können – beziehungsweise müssen. Und das wollten wir gerade nicht. Mit dem Endergebnis bin ich jedenfalls sehr zufrieden.

… über die Schluss-Klimax des Albums
Der Song ‚Angst‘ entstand aus dem Bedürfnis heraus, direkt zu sein und keine Umwege zu gehen. Je nach Hörer kann es einerseits als Resignation gegenüber der sich anstauenden Wut verstanden werden, andererseits aber auch als Zeichen, sich ihr entwunden und den Kampf aufgenommen zu haben. Ich hatte zu der Zeit die Schnauze voll davon, tagtäglich mit Angstgefühlen ins Bett zu gehen, um am nächsten Morgen mit Angstgefühlen wieder aufzuwachen. Ich hatte einen Tunnelblick, ein Engegefühl im Hals, mein Herz hat wild geschlagen. Ich war in einem desaströsen Zustand. Das hat sich auf das Bandleben und die Beziehung ausgewirkt, auf Familie und Freunde. Der Hörer soll das aber nicht mit durchleben, sondern vielmehr beobachten, wie ich mit dem Inneren ringe. Wie das Schlachtross getötet wird. Deswegen geht es auch mit ‚Death Rattle‘ weiter, einem Stück, in dem ich versucht habe, die an sich schöne Umgebung abzubilden, in der mein Vater gestorben ist. Die dunklere Seite dessen liegt im death rattle an sich: Ich habe als 20-Jähriger die ganze Nacht am Bett meines Vaters gewacht und mir dieses grauenvolle Geräusch anhören müssen, das entsteht, wenn die sterbende Person nicht mehr in der Lage ist, eigenständig zu schlucken und sich infolgedessen Speichel im Rachen sammelt. Viktor, der Violinist, sollte dieses Geräusch instrumental umsetzen, was ihm gut gelungen ist. Das letzte Stück, ‚Mono No Aware‘, ist dagegen etwas kitschig und greift als eine Art Flashback verschiedene Motive aus dem Album wieder auf. Diese drei Songs – das bin ganz und gar ich.

Ich wollte damit aber nicht bezwecken, dass der Kummer sich in Wohlgefallen auflöst und sich die Dunkelheit verzieht. Denn auch die sind ja etwas Natürliches, mit dem man sich realistischer Weise auseinanderzusetzen hat. Über solche Dinge lohnt es sich, mehr und vor allem offener zu reden, sie direkt zur Sprache zu bringen. Womit für wieder bei den Tabus wären. Nur ein Beispiel: Den Gefängnisinsassen in ganz Island stehen insgesamt drei Psychotherapeuten gegenüber. Drei! Es ist praktisch unmöglich, so den immensen Bedarf an Gesprächen zu decken. Was passiert, ist folgendes: Verurteilte werden wie Tiere in Käfige gesteckt und wieder herausgelassen, wann das Gesetz es für richtig hält. Das ist alles. Ist das wirklich der richtige Weg?

… über Religion
Wir verbauen eine ganze Menge religiöse, christliche Referenzen in unserer Musik. Dabei bin ich gar nicht gläubig, sondern Atheist. Aber ich mag die Bibel, mir gefallen all diese Mythen sehr. Der Umgang der Menschen mit Religion steht auf einem ganz anderen Blatt. Wie sie sie einander aufzwängen wollen. Wie viel ekelhafte Macht und welche Konflikte bis heute aus ihr hervorgehen.

… über den Wettbewerb, mit dem alles anfing
Músíktilraunir, „The Music Experiments“ auf Englisch, ist ein wirklich großartiger Wettbewerb, der schon einige wunderbare Bands hervorgebracht hat. Mammút, Of Monsters And Men, uns natürlich … selbst Jónsi von Sigur Rós hat damals teilgenommen (Anm. d. Red.: … und zwar 1995 mit seiner damaligen Band, BeESPiders – ausgesprochen unterhaltsam für jeden Fan). Dort bekommen noch ganz junge Bands die Gelegenheit, vor einem großen Publikum und mit exzellenter Technik und professionellem Konzertteam anzutreten und zwei oder drei Songs zu spielen. Das hilft der Entwicklung der Szene mächtig auf die Sprünge. Wir sind damals erst zwei Wochen zuvor eingeladen worden und mussten noch einen zusätzlichen Song schreiben – inklusive Gesang. Wir kannten uns aus der Musikschule und hatten bis dahin ein paar Instrumentaltracks gemacht, doch keiner von uns hatte einen Schimmer, wie ich mich als Sänger verkaufen würde. Aber wir haben uns reingekniet und es hat Spaß gemacht. Und dann begriffen wir, dass sich da gerade etwas ganz besonders Wertvolles zwischen uns entwickelte … Ich wusste, dass wir irgendwie weitermachen würden. Und als die großen Festivals wie Iceland Airwaves vor zehntausenden von Leuten anstanden, stand völlig außer Frage, dass wir weiter abliefern würden. Wir haben uns auf die Musik fokussiert und sind jedes beschissene Wochenende irgendwo aufgetreten, haben zu allem ja gesagt, obwohl wir nur drei, vier Songs hatten.

… über gemeinsame musikalische Faibles und Spleens
Wir können von HipHop bis hin zu klassischer Musik so ziemlich alles auflegen, wenn wir zusammen abhängen – du wärest überrascht. Außer vielleicht der einen oder anderen Platte, die ich hier besser nicht benenne. Das gehört sich nicht und würde geradezu klingen, als würden wir die jeweiligen Künstler hassen. Dabei ist es mehr so eine lockere Sache. Jeder hat ja Bands, die er sich nicht unbedingt anhören muss. Aber unter dem Strich gibt es wirklich ausgesprochen wenig, bei dem wir aneinandergeraten würden. Diese Offenheit macht auch unsere eigene Musik so vielfältig und macht unsere Grenzen weiter. Wobei: Als wir einmal unterwegs waren, habe ich was von der Dave Matthews Band eingelegt. Und das hat bei weitem nicht allen gefallen. Und ganz im Vertrauen: Tóti hat einiges für Nickelback übrig! Über sowas kann man sich ja immer relativ gut lustig machen. Aber am Ende müssen ja auch Nickelback irgendwie okay sein; warum sonst sollten so viele auf ihre Konzerte gehen. Ja, ich selbst rede nicht gern schlecht über Musik. Denn wirklich schlimme Musik gibt es ja im Grunde gar nicht. Das ist alles eine sehr subjektive Angelegenheit.

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