MATZE ROSSI – „Da muss man schon sehr enthusiastisch sein und viel Liebe haben für das, was man da macht!“

Matze Rossi hat vor wenigen Tagen sein bockstarkes Album „WUNDER.punkt“ herausgebracht (hier unsere Kritik) und sich unmittelbar auf eine lange Konzertreise begeben. Heute ist in der Kleinen Freiheit in Osnabrück zu Gast, und wir haben die Gelegenheit, mit dem DIY-Musiker ein entspanntes Gespräch kurz vor Showbeginn zu führen.
Hey Matze, wie zufrieden bist Du mit der Reaktion auf Dein neues Album „WUNDER.punkt“, das vor einer Woche herausgekommen ist?
Ich bin superzufrieden. Es ist so krass, wenn man so lange auf einen Release hinarbeitet. Ich habe im September die erste Single rausgehauen … dass das jetzt endlich draußen ist, und dass dann auch die Reaktionen so überschwänglich positiv sind. Was ich zum einen in den Streaming-Zahlen, in Verkaufszahlen von Vinyl und CD, aber auch von den Feedbacks zeigt, die ich zurückbekomme: Ganz viele liebe Nachrichten, die sagen, dass es das beste Album ist, was ich bis jetzt gemacht habe – soundtechnisch, musikalisch und auch die Songs selber.
Ich habe mal ein bisschen durch den Blätterwald durchgeguckt, und wirklich nichts Negatives gefunden, was ja schon unüblich ist – einen Verriss gibt es ja immer.
Es ist super! Also von den Zeitungen, aber auch eben von den Hörer*innen – das ist Wahnsinn!
Ich habe Dich in meiner Rezension stimmlich mit Chuck Ragan verglichen. Freust Du Dich über solche Vergleiche oder sagst Du eher: Ich bin Ich!
Nee, es ist ja immer etwas, was Menschen erinnert. Als wir damals 1996 unsere erste Tagtraum-Tour in Spanien gemacht haben, haben alle gesagt: Ihr klingt wie die Toten Hosen, und wir hatten – für mich – nichts mit den Hosen zu tun.
Wenn Du jetzt sagst, Du findest Chuck Ragan gut – was ich hoffe – dann ist es für mich natürlich ein totales Kompliment. Ich begegne dem eigentlich sehr neutral. Ich denke jetzt nicht: Man sieht nicht, dass ich ich selbst bin. Ich finde Chuck Reagan mega gut, und er ist auch ein guter Freund von mir, und er hat einfach eine Wahnsinnsstimme. Wenn Du also sagst, ich klinge wie Chuck, dann macht mich das sehr glücklich!
Kannst Du mal erklären, wie viel Arbeit so ein Album ist, angefangen von der Dauer über die Intensität, insbesondere wenn man es im DIY-Verfahren auf dem eigenen Label herausbringt?
Das ist wirklich krass! Den kreativen Prozess kannst du jetzt nicht wirklich in Zeiten festhalten. Da fällt dir was ein, dann arbeitest du am Stück, dann liegt es eine Zeit lang rum. Wenn ich jetzt den reinen Recording-Prozess nehme, da habe ich mich sechsmal mit Tobias Röger getroffen, immer zwei Tage Sessions, an denen wir alle zehn Songs aufgenommen haben, und dann hat er noch gemischt. Dann ist diese Label-Arbeit im Hintergrund der Wahnsinn. Du musst das Design koordinieren, musst über Werbung nachdenken, die Social-Media-Kanäle bedienen und Content erarbeiten. Die schöne Sache für mich daran ist aber der Kontakt, der dadurch mit den Leuten entsteht. Wenn ich einen Song poste und dadurch in Kontakt komme; aber das nimmt sehr, sehr viel Zeit ein. Wenn ich jetzt mal eine Hausnummer sagen würde, habe ich mich ab September und der ersten Single jeden Tag zwischen zehn und zwölf Stunden mit dem Album beschäftigt.

Du hast früher eine Begleitband gehabt, nun bist Du Solo unterwegs. War das eine rein musikalische oder auch eine ökonomische (Zwangs-)Entscheidung?
Angefangen hat Rossi dadurch, dass meine Band Tagtraum manche meiner Songs einfach nicht umsetzen wollte. Dann habe ich angefangen, solo zu machen. Das war mir zu langweilig und ich habe immer wieder versucht, ’ne Band reinzubringen, bin aber immer wieder bei solo gelandet. Bei meiner Platte “Wofür schlägt Dein Herz” habe ich versucht, wieder dieses Band-Ding zu etablieren. Das macht total Bock! Die ganzen Bandmitglieder, die da mitspielen, sind alles wirklich krasse Profimusiker, die zum Beispiel bei „The Voice of Germany“ oder Glen Hansard spielen, also ganz große Sachen, und es eine große Ehre ist, dass die bei mir in der Band spielen. Aber wie Du sagst, für mich war jetzt der Schritt wieder zu einem sehr reduzierten Singer/Songwriter orientierten Album, weil ich eben die meiste Zeit alleine bin, weil das wirklich eine ökonomische Frage ist. Es kommen nicht mehr Leute, nur weil ich mit sechs Menschen auf der Bühne stehe, muss aber mit allen teilen. Ich mache es wirklich, dass da zu 100% alles geteilt wird. Wenn 100 bis 150 Leute auf dem Konzert sind und ich am Ende die Kasseneinnahmen durch sechs teilen muss, oder ob ich die alleine bekomme, ist auch eine Frage des Überlebens. Aber definitiv wird es auch Bandshows geben!
Aber nicht in naher Zukunft?
Jetzt gerade steht natürlich erstmal das Album im Vordergrund, was ich alleine bespiele. Was ich immer sehr gerne machen würde, wäre ein Live-Album zum Beispiel im Audiolog Studio mit Band und kleinem Publikum, vielleicht 100 Leuten, die dann exklusiv so eine Live-Show mitaufnehmen.
Wenn wir schon Thema Geld sind: Kannst Du unseren Lesern vielleicht mal erklären, wie schwierig für einen kleinen Liedermacher das Unterfangen einer flächendeckenden Tour ist, und warum es aus Gründen der Planungssicherheit so wichtig ist, doch auch haptische Platten oder CDs und frühzeitig (!) Tickets zu kaufen?
Ich bin in einer sehr privilegierten Situation, da ich das jetzt schon so lange machen darf und eine gewachsene Fangemeinde habe, und dass es so funktioniert. Allgemein ist es aber natürlich total schwer, weil die Kosten unfassbar explodiert sind, und kleine Clubs Schwierigkeiten haben, Shows überhaupt stattfinden zu lassen. Meistens ist es mittlerweile ein 50/50-Deal, also du bekommst 50% der Abendkasse. Davon gehen aber Sprit, Automiete und Steuern ab. Da kann jeder 1 und 1 zusammenzählen. Da muss man schon sehr enthusiastisch sein und viel Liebe haben für das, was man da macht! Von daher ist es natürlich total wichtig, sich so zu organisieren, dass es Netzwerke gibt mit anderen Bands. Die ziehen in ihrer Heimatstadt Hörer*innen, und dann einen Austausch zu machen, wir spielen Freitag hier, und Ihr am Samstag bei uns.
Dann ist natürlich wichtig, die Hörer*innen und alle, die Kultur fördern wollen, zu konditionieren: Ich hole mir die Tickets im Vorverkauf, denn man liest immer wieder: „Muss abgesagt werden, wegen zu niedrigem Vorverkauf“.
Wenn du eine Band hast, dann hast du ratzfatz eine Tagesproduktion von zweieinhalbtausend Euro, die erstmal auf dem Tisch sein müssen, dass es überhaupt stattfinden kann. Du hast die Band, dann gibt es einen Techniker, die Anlage, Strom und so weiter – das ist sind alles Kosten, die hat man als Konsument*in gar nicht auf dem Schirm. Vielleicht ist es auch falsch, das so zu kommunizieren, was das alles kostet. Aber mir geht es darum, wieder ein Bewusstsein zu schaffen, wie wichtig Kultur, wie wichtig Konzerte und so ein Zusammenkommen ist, gerade in den Zeiten, in denen es so gruselig ist mit AFD und CDU … das ist eine gewollte Spaltung.
Da hat natürlich auch die Pandemie reingespielt. Da hat man sich dran gewöhnt, dass man zu Hause lieber ein Konzert auf youtube anguckt, und es mittlerweile eine ziemliche Überwindung ist, rauszugehen, obwohl man mehr erlebt und in echten Kontakt kommt. Ich glaube, das muss wieder erlernt und zurückgewonnen werden. Wir sind aber auf einem guten Weg!
Aber man muss sich dessen schon bewusst machen. Das ist die Aufgabe von denen, die Kultur machen … man sagt immer, das regelt der Markt. Irgendwann sagen die Clubs: Dann mache ich lieber eine Disko, oder lasse zu, weil ich sonst drauflege.

Also nicht nur: Geht mehr auf Konzerte, sondern kauft auch frühzeitig Tickets!
Genau!!
Was erwartet die Leute Abend? Gibt es die komplette neue Platte?
Es wäre natürlich möglich, nur die neuen Songs zu spielen, und natürlich möchte ich „WUNDER.punkt” featuren. Aber wenn ich selber auf ein Konzert gehe, will ich nicht nur die neuesten Songs hören, sondern auch das hören, wo ich schon eine Geschichte und eine Erinnerung habe. Deswegen gibt es auf jeden Fall eine gute Mischung. Ich spiele jeden Abend auch unterschiedliches Set, weil teilweise Leute hinterherreisen, und ich käme mir total blöd vor, wenn ich dann jeden Abend das gleiche Set abreiße. Deswegen misch ich das immer durch. Es sind jeden Abend sieben Songs vom neuen Album dabei, und der Rest wird dann aufgeteilt auf die anderen.
Blick nach vorn: Die Tour läuft noch ein paar Tage – wann haben die Leute die Gelegenheit, Dich wieder live zu sehen UND planst Du schon (bei dem oben angesprochenen langen Vorlauf) die nächste LP?
Ich bin ja fast immer auf Tour. Ich habe jetzt das Glück, dass ich diese 20 Tage WUNDER.punkt-Tour habe, dann sind erstmal einige Support-Shows mit Kapelle Petra, die dann gleich nahtlos weitergeht. Dann habe ich für Mai die Vita-Revial-Tour mit Wick Bambix und Uli Sailer (Punkrock Piano). Das werden auf jeden Fall drei schöne Konzerte. Für Herbst ist dann die zweite Runde WUNDER.punkt-Tour geplant und ja: Ich bin schon kräftig am Songs schreiben, und es wird definitiv ein neues Album kommen und nicht wieder drei oder vier Jahre dauern.
Lieber Matze, ich danke für das Gespräch und wir sehen uns gleich bei der Show!
Ich danke und bis gleich!

Die anschließende Show
Den Abend eröffnet das Duo Thea Klar und Egisson. Die beiden spielten eine halbe Stunde ihr meist ruhigen Lieder. Nach einer sehr kurzen Umbaupause geht um 20.30 Uhr das Licht für Matze an. Wie schon im Interview angeklungen, „regelt der Markt“ und der kleine Club hat im Nachgang noch eine Party, so dass der Show ein natürliches Ende nach 90 Minuten vorhergesagt ist. All das tut der Stimmung jedoch keinen Abbruch, und bereits bei den ersten beiden Liedern von der neuen Scheibe ist die Menge erstaunlich textsicher, was Matze sichtbar freut. Total beeindruckend ist die Menge an wirklich jungen Kindern im Grundschulalter, die die Nummern mitsingen können und sich am Bühnenrand niedergelassen haben. Musikalische Früherziehung gelungen!
Auch wenn natürlich die Musik im Vordergrund steht, erzählt Rossi jede Menge Anekdoten, erklärt, warum er – gegen den Rat seiner Frau („den Unterschied hört doch keiner!“) – drei verschiedene Akustik-Klampfen dabei hat (und eine elektrische) und ein E-Piano, und immer wieder huscht ein Strahlen über sein Gesicht.
Wie angekündigt ist wunder.PUNKT prominent vertreten, aber er greift auch tief ins eigene Archiv. Weil Zugaben nicht seins sind, endet der Gig mit dem üblichen Rausschmeißer „Best Friends“ in der Mitte des Publikums in bester Lagerfeuer-Manier völlig ohne Verstärkung und wunderbares Konzert endet.
Wie schon im obigen Gespräch angeklungen, bleibt am Ende der Appell (und das Kapelle-Petra-Zitat): GEHT MEHR AUF KONZERTE!


Fotocredit: Wollo@Whiskey-Soda