Schlagwort: Rock

Appetite For Democracy

Wer dachte, dass Guns N‘ Roses-Fans eine Menge Geduld brauchten, um 2008 nach 13 Jahren das (immer noch aktuelle!) Studioalbum „Chinese Democracy“ in den Händen zu halten, der wird mit „Appetite For Democracy“ eines Besseren belehrt. Denn der Konzertfilm aus dem Hard Rock Casino in Las Vegas wurde schon im November 2012 aufgezeichnet und ist der erste von Guns N’Roses seit über 20 Jahren. Zuletzt erschienen 1992, in dem Jahr, als Bill Clinton Präsident der USA wurde, die in Tokyo gefilmten „Use Your Illusion“-Konzertvideos.

Diese 22 Jahre sieht man in dem von Barry Summers produzierten Film vor allem Axl an. Tobte er damals als Posterboy im offenen Hemd und mit Schottenrock über die Bühne, wirkt er heute eher wie ein aufgedunsener Ex-Rockstar beim Fitnessprogramm. (In gewisser Weise trifft das ja auch zu.) Stimmlich aber ist er auf der Höhe, vielleicht sogar besser als ’92 in Tokyo. Störend sind allerdings die Soundeffekte, die seinen Gesang mitunter verstärken oder eher verzerren.

Die Setlist mit einer Netto-Laufzeit von mehr als zweieinhalb Stunden enthält sämtliche Klassiker. Darunter sind Standards wie „Welcome To The Jungle“ und „Sweet Child O‘ Mine“, aber auch selten gehörte Meisterwerke wie „Estranged“ oder „Civil War“. Die furiose Version von „Live And Let Die“ gehört zu den Höhepunkten der Show, in denen nur die Covers von The Who („The Seeker“) und Pink Floyd („Another Brick In The Wall“) überflüssig sind.

Wer „Chinese Democracy“ nicht mochte, wird sich zwischen den alten Hits kaum an den „neuen“ Songs stören. Andernfalls sind besonders „Better“ und „Catcher In The Rye“ eine willkommene Ergänzung des Sets, das schließlich mit einem unbestreitbar hochklassigem Fünferpack endet: „Knockin‘ On Heaven’s Door“, „Nighttrain“, „Used To Love Her“, „Patience“ und „Paradise City“. Das sitzt!

Auf Slashs Rückkehr zu Guns N‘ Roses sollte niemand mehr warten. Angesichts seines großartigen Schaffens mit Myles Kennedy ist das auch nicht wünschenswert. Dass Slash ein integraler Bestandteil von Guns N‘ Roses war, wird insgeheim aber auch Axl einsehen. Vielleicht hat die Band deshalb inzwischen zwei Leadgitarristen. Auch ohne vergleichbaren Kultfaktor sind Ron „Bumblefoot“ Thal und DJ Ashba hervorragende Musiker. Nur Ashbas ständige Gesten in die Kamera nerven. (Auf BluRay gibt es „Appetite For Democracy“ in 3D, vielleicht war das der Anlass.)

Genau wie bei den Konzerten von Axl und Co., die regelmäßig mit deutlicher Verspätung beginnen, stellt sich nun bei der neuen DVD/BluRay die Frage: Hat sich das Warten gelohnt? Ja! Uumindest für Fans aufgeblähter, bombastischer Hardrock-Shows. Denn wenn es einen Abend gab, um die „neuen“ Guns N‘ Roses mit ihrem alten, extrovertierten Frontmann zu sehen, dann war es dieser. Das extralange Set lässt keine Wünsche offen und der Konzertfilm ist tatsächlich ziemlich unterhaltsam. Viva Las Vegas!

Between The Stars

Auf dem vierten Album der einstigen Post-Grunge-Band Flyleaf gibt die neue Sängerin Kristen May ihr Debüt, nachdem Vorgängerin Lacey Sturm 2012 ihren Ausstieg bekannt gegeben hatte. Nachfolgerin May singt noch etwas glatter und juveniler als Sturm. Sie hat eine dieser Stimmen, mit denen man „American Idol“ gewinnt. Klanglich hat sich bei Flyleaf aber nur ein bisschen verändert.

Schon mit dem Opener „Set Me On Fire“ zeigt sich, dass Flyleaf ihrem Stil treu bleiben – mit dem teils schwermütigen, teils zerbrechlichem Gesang von May zwischen wuchtigen Refrains mit krachenden Hardrock-Riffs. Mitunter erinnert die Band dabei an Kollegen wie Halestorm oder Paramore.

Der Pop-Appeal ist auf „Between The Stars“ noch etwas höher als auf den ersten drei Alben. Mit Melodien wie bei „Magnetic“ oder „Sober Serenade“ hat man seinen Platz im US-Rock-Radio so gut wie sicher. Hingegen könnten „Blue Roses“ oder „Head Underwater“, in dem die Riffs fast abstinent sind, auch von einer Taylor Swift stammen. Das US-Radio liebt solche Songs. Von Post-Grunge kann natürlich längst keine Rede mehr sein.

Sängerin Kristen May ist der Star des Albums und wirkt, als wäre sie immer schon Frontfrau von Flyleaf gewesen. Die Band klingt durch den Neuzugang auch fast zehn Jahre nach ihrem Debütalbum immer noch frisch, aber auch jugendlicher. Die Marschroute scheint endgültig in Richtung Radio-Poprock zu gehen. Das klingt zwar gut, muss aber nicht jedem gefallen.

Randnotiz: Vor 40 Jahren veröffentlichten Supertramp ihr Meisterwerk „Crime Of The Century“. Zwischen dessen Albencover und dem von „Between The Stars“ gibt es erstaunliche Ähnlichkeiten. Zufall oder Absicht? Das ist nicht bekannt.

Opeth – Von Gott, Alkohol und der Last, ein netter Schwede zu sein

Sie waren eine der respektiertesten Progressive-Death-Metal-Bands der letzten zehn Jahre. Bis sie 2011 mit „Heritage“ einen überraschenden und krassen Stilwechsel in Richtung Progressive Rock vollzogen. Massenhaft waren langjährige Fans vor den Kopf gestossen, nicht zuletzt, weil bei der letzten Tour nicht ein einziger Growl über Mastermind Mikael Åkerfeldts Lippen kam. Nicht ein Death Metal Song wurde gespielt und viele Metalheads fühlten sich verraten. Rückblickend ein Fehler, denn die Band liebe die alten Songs nach wie vor, räumte Åkerfeldt in unserem Interview ein. Dieser Fehler der letzten Tour wurde ausgebügelt im gefüllten LKA Longhorn in der schwäbischen Metropole. Aber zuvor plauderten wir mit dem Skandinavier über alkolholische und musikalische Vorlieben, den Blick auf die eigene Band und natürlich das neue Album.

Throw Me In The River

Nomen est omen. The Smith Street Band ist quasi permanent auf den Straßen nicht nur ihres heimatlichen Kontinents Australien unterwegs. Gerade hat sie eine zum guten Teil ausverkaufte Europa-Tour inklusive mehrerer Deutschland-Gigs absolviert, zuvor durchquerte man gemeinsam mit Frank Turner Nordamerika. Äußerst bemerkenswert, was der Vierer aus Melbourne in den wenigen Jahren seit der Bandgründung 2010 erreicht hat. Immer on the road zum nächsten Keller-Club oder Festival-Gig war irgendwie auch noch Zeit, das dritte Album mit dem Titel ‚Throw Me In The River‘ aufzunehmen.

Mit dem Verweis, dass die Herren von The Smith Street Band gute Kumpel von Meister Turner sind, ist das Wesentliche eigentlich schon gesagt. Seine Fans werden die ihren sein. Wenn sie es nicht schon längst sind. Musikalisch sind sich beide Acts maximal nahe, teilen ihr Verständnis von Gitarrenrock und ihre Leidenschaft. Letztere ist Leitmotiv auf ‚Throw Me In The River‘. Dessen emotionaler Punkrock mit Folkattitüde geht direkt nach vorn und hat einen zwingenden Drive. Die Songs präsentieren sich in ganzer Fülle, für die alles rausgeholt wird, was in den Instrumenten und Verstärkern steckt. Ein jeder ist tongewordenes Herzblut. Allein beim Hören des Albums kann man die Schweißperlen der Musiker geradezu fließen sehen und die eigenen kaum zurückhalten. Vor allem Sänger Wil Wagner liefert bei Songs wie ‚East London Summer‘ richtig harte Arbeit ab, und wer bei Konzerten nicht mindestens so verschwitzt wie die Band vom Parkett geht, hat kein Herz.

‚Throw Me In The River‘ ist ein Album, dass die Lebensgeister beflügelt, Energien freisetzt, Menschen verbindet. Man möchte in Euphorie spontan den zufällig neben sich Stehenden umarmen und die alltägliche Gleichgültigkeit aus den Vorbeigehenden rütteln. Wenn sich also innerlich mal wieder das Gefühl der Abgestumpftheit breitzumachen droht – The Smith Street Band auflegen und Kraft tanken!

The Turn

Es ist schon eine Weile her, seitdem man etwas von der Formation Live gehört hat. Vielleicht erinnert sich der ein oder andere noch an Smash Hits aus MTV Zeiten wie „I Alone“ und „Lightning Crashes“, vom 95er Album „Throwing Copper“. Nun sind 8 Jahre seit dem letzten VÖ vergangen. Was ist derweil passiert? 2008 entschloss sich die Band eine längere Auszeit zu nehmen. Einige der Bandmitglieder gründeten andere Projekte, aber so ganz loslassen konnte keiner vom derweil vor 30 Jahren gegründeten Live-Projekt.

Das Problem der Band lag aber vor allem daran, dass der kompositorische Input der Songs von Live immer weniger von Chad Taylor (guitars), Chad Gracey (drums) und Patrick Dahlheimer (bass) beeinflusst wurde. Sänger und Frontman Ed Kowalczyk übernahm das komplette Songwriting und steuerte die Band in den Jahren weg von dem Sound, den Live eigentlich markant und einzigartig werden ließ. Dieser sehr einseitige Einfluss von Ed teilte die Fangemeinde in solche, die den eigentlichen Sound und Stil der 90er von Live liebten und die den Stilwechsel nicht verstanden und sich daher eher von der Band abkehrten und jenen, die einfach die Vocals von Kowalczyk liebten, ob nun die Solo-Kompositionen der 2000er oder die alten Stücke. Insgesamt führte das aber zu Differenzen innerhalb der Band, was darin endete, dass die Band Kowalczyk einfach rausschmiss.

Nunmehr überrascht die Band aber mit einem neuen Album und folglich mit einem neuen Sänger, dem Unified Theory Frontman Chris Shinn. Aber die Idee dazu kam schon früher. So entschloss sich die Band mit neuem Sänger schon 2012 Live wieder ins Leben zu rufen. Irgendwie schien nach Aussagen der Band „…die Magie alter Tage wieder da gewesen zu sein“. Es folgten Live Auftritte mit Everclear und Filter und in kürzester Zeit fand sich die Band samt neuem Sänger im Studio mit Produzent Jerry Harrison (The Talking Heads) wieder. Es begannen die Aufnahmen des achten Studioalbums.

„The Turn“ knüpft sowohl an alte Zeiten der Band an, überrascht aber mit einem doch eher anderen Stil. Insgesamt ist „The Turn“ als ein ordentliches Rock-Album zu betiteln. Tracks wie „Siren’s Call“, „The Strength to Hold On“ und „He Could Teach the Devil Tricks“ dominieren auf diesem neuen Album der Band und erinnern in der Melodielinie stark an das Vorgängeralbum „Throwing Copper’s“. Wer hier jedoch ein bomben starkes Comeback-Album erwartet, dem sei an dieser Stelle gesagt: Bitte nicht enttäuscht sein. „The Turn“ ist weder ein Album, dass an die 90er von Live anknüpft noch ein Album, welches wie damals durch Kowalczyk’s Stimme hervorsticht. Hit-Qualitäten fehlen dem Album genauso wie wirklich schlechte Songs. Es ist ein Durchschnittsalbum, welches von absoluten Rock-Profis komponiert und aufgenommen wurde.

Shinn’s Vocals sind markant hart, rauchig und erinnern an die gute alte Grunge-Ära. Dass hier ein neuer Sänger am Start ist wird vor allem bei „Siren’s Call“ und „The Strength to Hold On“ deutlich. Insofern könnte dieses Album durchaus in die 1995er Jahre transportiert werden und wäre dann sicherlich sehr erfolgreich auch ohne Kowalczyk.

Fazit: Live sind zurück, stilistisch an die Anfänge angelehnt, mit neuem Sänger, der zum neuen Stil passt, aber eben nicht Kowalczyk’s Vocals ersetzen kann. „The Turn“ ist für die heutige Zeit definitiv nicht gerüstet. Hörbar und eingängig aber auf jeden Fall. Den Tracks zu lauschen macht Spaß und wird nicht langweilig. Fans des Grunge-Sounds dürfen sich freuen, Fans von Live (nicht von Kowalczyk) ebenso. Live überrascht endlich wieder mit neuer Energie und wirkt härter und heavier als jemals zuvor.

The Forgotten And The Brave

Vor nicht ganz eineinhalb Jahren beglückten uns Owls By Nature mit ‚Everything Is Haunted‘, einem Album voller Herzblut und Schmiss. Das bediente zwar den gerade angesagten Folk-Hype, hatte aber seine persönliche Note und war überaus überzeugend. Wer sich, wie wir von Whiskey Soda, hat willig einnehmen lassen von dem munteren Fünfer, sah mit Vorfreude auf die Veröffentlichung des Nachfolgers ‚The Forgotten And The Brave‘.

Selbiger liegt nun vor und zunächst kommen uns Owls By Nature wieder mit ihrem energiegeladenen Folk’n’Roll entgegen. Der charakteristische Gesang von Ian McIntosh sorgt für einen hohen Wiedererkennungswert und verfehlt seine Wirkung auch diesmal nicht. Darauf verlässt sich offenbar das ganze Erfolgskonzept der Kanadier. Die Stimme als Alleinstellungsmerkmal ist Strategie, ansonsten zielt das neue Werk auf Massenverträglichkeit ab. Folk bringt’s nicht mehr, also setzt man es jetzt auf einen möglichst radiotauglichen Sound an. Wenig überraschend, dass bei diesem Konzept der Sänger allein das Album nicht reißen kann.

‚The Forgotten And The Brave‘ hat einen wesentlich unpersönlicheres Kolorit als sein Vorgänger. Zunächst erregen Piano bzw. E-Orgel in ‚Darkness‘ nur ein wenig Irritation. Der Rockballaden-Anstrich von ‚Back Right Down‘ ist dann schon genauso anstrengend wie dessen Text mit seinem Versprechen, für die Herzensdame ein besserer Mann zu werden. Fast nahtlos zieht sich der schmachtende Pathos in ‚Honesty‘ hinein, der in einem arg gefühlvollen Hintergrundchor gipfelt. Sicher, auch das letztjährige Album war nicht nur im Galopptempo gehalten, aber die ruhigeren Tracks hatten da noch Tiefe und Charakter.

Hat man also das Schnulzental durchstanden, werden die Songs des neuen Albums zwar wieder zackiger, Piano und aufdringliche Melodielinien aber bleiben. Irgendwie wurden bei der Produktion die falschen Akzente gesetzt. Auch wenn im Gesang der gewohnte Elan zu verspüren ist, wird er doch konsequent ertränkt von schrecklich konventionellen E-Gitarren-Soli. Und auch in dem eigentlich so schön beruhigenden ‚Wrigley Field‘ stört das Gitarrengeklimper entlang des Strophengesangs und gibt dem Song eine unnötig nervöse Note.

Auf ‚Everything Is Haunted‘ überzeugten Owls By Nature noch durch Natürlichkeit. Die ist inzwischen einer Bemühtheit gewichen, die die Band eigentlich gar nicht nötig hat. Bleibt abzuwarten, ob sie mit dem nächsten Album auf der Suche nach dem nächsten angesagten Trend weiterschlingert. Oder es mit dem jetzt eingeschlagenen Weg ernst meint und ihm um ihre kurzzeitig verlorenen Zwanglosigkeit ergänzen kann.

Fumes

Ob sie das die nächsten Jahre durchhalten? Genau in Jahresfrist legen Lily & Madeleine mit ‚Fumes‘ den Nachfolger ihres Debütalbums vor. Freilich, es galt sich die zahlreichen Lobredner warmzuhalten, die den selbstbetitelten Erstling so wohlgesonnen aufgenommen hatten. Deren Zuspruch ist angesichts des beibehaltenen Produzententeams (Paul Mahern mit Hilfe von Kenny Childers) erneut so gut wie sicher. Und ja, wenn die beiden Schwestern aus Indianapolis jedes Jahr mit einem neuen Album aufwarten, ist für innere Wärme im Herbst gesorgt.

Denn sanft-süß geht es los auf ‚Fumes‘, mit dem einnehmenden Titelsong ganz in First Aid Kit-Manier. Allein der weibliche Doppelgesang dürfte Fans des schwedischen Schwesternduos aufhorchen lassen. Dann wird aber schnell klar, dass zum Timbre von Lily & Madeleine eine ganze Band-Instrumentalisierung gehört, die für einen sehr geradlinigen Country-Sound sorgt.

Der wirkt dank der bezaubernden Stimmen nicht angestaubt, aber doch recht herkömmlich. Wenige Tracks sind so atmosphärisch arrangiert wie ‚The Wolf Is Free‘ oder ‚Lips and Hips‘. Die beiden Sängerinnen könnten ihre Songs locker und viel besser allein tragen. Stücke wie ‚Can’t Admit It‘ zeigen das Potential, das in den reinen Kompositionen als akustische oder à capella steckt. Selbiges geht durch die Instrumentalisierung, wenn diese sich auch balladenhaft-zurückhaltend gibt, zu einem gewissen Grad verschütt.

Vielleicht ist dieses Urteil zu sehr My Bubba & Mi-beeinflusst. Aber ohne Bandbegleitung, mindestens aber ohne den oft nivellierenden Backbeat (auch, wenn er nur fingergeschnipst ist) wäre jeder einzelne Song der Platte ein viel stärkeres Stück Musik und durchaus aufsehenerregend. Somit ist ‚Fumes‘ dennoch ein gutes Album, wenn auch mit einer Tendenz zum Durchschnittlichen.

Scare Force One

Das Flugzeug des amerikanischen Präsident heißt „Air Force One“, das sollte jeder nicht erst seit dem gleichnamigen Harrison-Ford-Film wissen. Wenn eine Band also ein Album mit dem verballhornten Namen „Scare Force One“ veröffentlicht, auf dem sich zudem ein Titel namens „Sir, Mr. Presideath Sir!“ findet, sollte man dann USA-kritische Texte und Politik erwarten? Nein, natürlich nicht, denn bei der Band handelt es sich schließlich um Lordi, die finnischen Monsterrocker mit den spektakulären Bühnenoutfits, die sich auf ihrem achten Studioalbum wieder einmal zur Aufgabe gemacht haben, eingängigen Monsterrock zum Mitgröhlen unter die Leute zu bringen. Das ist das musikalische Equivalent zu einem Michael-Bay-Film: Hirn ausschalten und Spaß haben. Wer hier länger über Sinn oder Unsinn von Texten oder die doch überwiegend einfach gehaltenen Riffs und etwaigen musikalischen Anspruch nachdenkt, hat das falsche Album im Player. Lordi wollen mit ihrem Party- / Horror-Rock im Stil von Kiss oder Alice Cooper unterhalten, zum Mitgröhlen animieren und die abendliche Halloween-Party beschallen. Und das gelingt ihnen auch mit „Scare Force One“ wieder hervorragend. Dementsprechend ist die Veröffentlichung des Albums am 31. Oktober natürlich perfekt getimed: Mr. Lordi, „Amen“, „Ox“, „Hella“ und „Mana“ dürfen die Halloween-Nacht in ein buntes Gruselkabinett der Dämonen, Geister und untoten Rockstars verwandeln.

„Scare Force One“ beginnt nach dem Lordi-typischen Intro mit dem rockigen Titeltrack, und für einen Moment fragt man sich, ob das richtige Album eingelegt wurde, beginnt der Gesang doch mit aggressivem Schreien, das eher einer Deathmetal-Kapelle zu Gesicht stehen würde. Aber keine Angst, nach wenigen Sekunden setzt dann Mr. Lordis typischer Gröhlgesang ein, und vor weiteren Überraschungen ist der Fan dann auch die nächsten 50 Minuten gefeit. Das muss in diesem Fall nicht verkehrt sein. Lordi bleiben sich selbst treu: Schräge anspruchslose Texte über Dämonen-Freundinnen (‚She’s A Demon‘), das Zerstückeln bzw. Aufschlitzen gewisser Damen (‚Ten, nine, eight, seven / six, five, four / three, two, one, zero / that’s how you slice a whore‘ in ‚How To Slice A Whore‘), eingängige Rock’n’Roll- und Hardrock-Riffs mit ein paar Keyboard-Einlagen und preschenden Drums. Keine Experimente, keine innovativen Neuheiten. Aber wie gesagt, die braucht es für so ein Album auch nicht. Lordi ist keine Band für den anspruchvollen Progger oder Kulturliebhaber. Hier stehen Party und Spaß im Vordergrund, und beides bietet „Scare Force One“ zur Genüge.

Zwei kleine Instrumetalstücke lockern das ansonsten ohne wirkliche Balladen oder Softrocker auskommende Album auf, ansonsten wird von vorne bis hinten durchgerockt, gegröhlt und in die Saiten gedroschen, bis die Apokalypse vor der Tür steht und die Dämonen lautstark um Einlass bitten. Kein Song fällt besonders aus dem Rahmen, und das ist vielleicht der einzige wirkliche Kritikpunkt an Lordi und ihrem Monsterrock: Irgendwann zeichnen sich erste Abnutzungserscheinungen ab, irgendwann hat man das Gefühl, all das schon auf den vorherigen Platten genauso gehört zu haben. Aber hin und wieder möchten wir genau das haben. Wir sind als Kinder ja auch immer wieder mit der gleichen Geisterbahn gefahren. Beim Song über die unheimlichen Clowns (und mal ehrlich, wer findet Clowns [i]nicht[/i] unheimlich?) ‚Hell Sent In The Clowns‘ gibt es immer wieder kleine an den Zirkus erinnernde Keyboard-Einwürfe. Den Keys wird mit der seit dem letzten Album neuen „Hella“an den Tasten generell etwas mehr Platz eingeräumt, und so verfügt auch die eingängige Nummer ‚House Of Ghosts‘ über stimmungsvolle schaurig-schöne Keyboard-Passagen. ‚Who the hell you think you are, you fuckface?‘ fragt ‚My Name Is Monster‘, ein melodiöser Song, der nahtlos an alte Klassiker wie ‚Who’s Your Daddy‘ anschließt und sofort zum Mitsingen animiert. Fenster auf, Anlage aufdrehen und die Nachbarn wissen lassen, das Halloween ist!

Als Outtro nach dem letzten Song gibt es noch eine lustige Durchsage unseres Flugkapitäns, der uns aus gutem Grund zu Drinks einladen möchte. „Scare Force One“ beweist, dass nicht jedes Rock-Album innovativ sein muss, um Spaß zu machen. Lordi zeigen mit ihrem neuesten Streich wieder einmal, dass sie immer noch die „Erschrecker Macht Nummer Eins“ sind. Zumindest an Halloween.

All The Way

Die Schweden von State Of Salazar bereiten mir Schmerzen…Schmerzen in den Armen, insbesondere den Händen. Dieses Syndrom muss in den 80er Jahren eine Art Volkskrankheit gewesen sein, denn State Of Salazar machen Rock, wie man ihn von Bands wie Toto oder Journey kennt. Rock, bei dem man die Arme hochreißt und die Hände öfter zu Fäusten ballt, als Dieter Bohlen zu Modern-Talking-Zeiten. „All The Way“ startet mit dem Song ‚I Believe In You‘ und ich habe sofort das Gefühl, dass State Of Salazar wirklich an mich glauben, auch wenn der Song augenscheinlich an eine Frau gerichtet ist. Auch beim zweiten Song, ‚Field Of Dreams‘ bleiben die Fäuste geballt und halten sich bereit, beim Refrain in die Luft gerissen zu werden. Emotionalität in allen Instrumenten, Melodien und vor allem in der Stimme von Sänger Marcus Nygren.

Ich fühle mich spätestens beim Song ‚All The Way‘ zurück in meine Kindheit versetzt, als ich sonntags bei Baywatch meine erste bewusste Begegnung mit dem weiblichen Geschlecht wahrnahm. Die Titelmelodie dieser bahnbrechenden Serie ist wohl jedem noch bestens bekannt. Wenn State Of Salazar diesen Titel geschrieben hätten, hätte ich wohl keine Augen mehr für die roten Badeanzüge der Rettungsschwimmerinnen gehabt. Schöne Melodien treffen auf geballte Energie. Unglaublich, dass Bands heute noch solche Musik machen. State Of Salazar halten der 80er Rock am Leben. Nun mag sich der ein oder andere fragen, ob man die Rockmusik aus den 80ern überhaupt am Leben halten muss oder kann. Beim Hören der ersten Songs muss ich zugeben, eher amüsiert, statt begeistert gewesen zu sein. Hört man das ganze Album und sieht sich ein paar Live-Mitschnitte der Band an, wird einem jedoch bewusst, dass es die Jungs ernst meinen. Es sind starke Songs auf einem starken Album. Das einzig Komische daran ist der Eindruck, dass State Of Salazar damit drei Jahrzehnte zu spät kommen.

Wirklich tiefgründig werden die Jungs in ihren Texten auch nicht, was mich dazu verleitet, die Songs nicht zu ernst zu sehen. Wenn die Scheibe künftig auf irgendwelchen Aftershow-Parties nach Konzerten gespielt wird, und das wird sie, dann lässt sich dazu wunderbar abhotten, genauso, wie es alle tun, wenn ‚Don’t Stop Believing‘ von Journey gespielt wird. Starker Song, jedoch wird er eher belächelt und auf’s Korn genommen. Dabei ist an keinem Song auf „All The Way“ etwas auszusetzen. Musikalisch bewegen sich die Jungs auf hohem Niveau, sind sie doch allesamt ehemalige Studenten der Malmö Academy of Music. Insgesamt liefern State Of Salazar ein gutes Album ab, was jedoch letztlich zu stark an andere 80er-Jahre-Größen erinnert. Für die eigene Rock-Party ist die Scheibe jedoch der Geheimtipp des Jahres!

Ships Will Come

Endlich mal ein Album, das nicht den Menschen beim Wundenlecken beobachtet, sondern den Makrokosmos ins Visier nimmt. Und vor allem endlich einmal Musiker, denen das Thema Sci-Fi-Dystopie nicht zu blöd ist. Warm Graves, ein amerikanisch-italienisch-deutsches, sprich internationales Musikertrio eingeflogen aus Boomtown Leipzig, probieren mit ihrem ersten Album schallende Zukunftshymnen instrumental undeutlichen Ursprungs, unterkellert von ortsabwesenden Chören und angetrieben von stoisch-hypnotischen Schlagzeugrhythmen.

‚Ships Will Come‘ jedoch wiegt seine Hörer in schwebender Unsicherheit nicht nur darüber, welche Schiffe wann wohin kommen, sondern auch über die genaue Marschrichtung seiner Stücke, die über weite Strecken Ausbrüche versprechen, diese dem Hörer aber mit jedem Stück aufs Neue schuldig bleiben.

Was die Chöre singen, ist kaum zu verstehen; die Aufnahme klingt verhallt und wie vom Instrumentalgeschehen abgekoppelt. Es handelt sich um einen Jedermannschor, der gerade durch seine harmonisch unsaubere Natürlichkeit eine besondere Dramatik in sich birgt.

Was nicht heißen soll, dass vom instrumentalen Rest nicht ohnehin schon leicht abzulenken wäre. Mächtiger Orgelpomp, strahlende Texturen schön und gut, allerdings hätten Warm Graves gut daran getan, den nächsten Schritt auch gleich zu machen. An Zeit mangelt es ihnen, legt man die Track-Längen zugrunde, offenbar nicht, dafür aber womöglich an Entschlossenheit. ‚Ships Will Come‘ nämlich bringt wahrlich großartige Ideen ein, ohne sie aber auszuformulieren. Statt zu dynamisieren, changiert es schüchtern und in engen Bahnen daher, so als seien der Band die Mutreserven mit Fassen des Grundentschlusses zum Album schon ausgegangen. Oder der Leadgitarrist krank geworden. Offene Wünsche allenthalben.

Was bleibt ist viel Meer, aber wenig Wind. Was bleibt ist ein vollgemalter, aber notizsteriler Notizzettel, so wie man ihn oft geistesabwesend während des Telefonierens anfertigt. Was fehlt, ist die Gestalt. Was retten könnte, wäre ein Makeover. Oder ein Film zur Musik, in dem sie uns abholen kommen. Warm Graves, und die Schiffe auch. Dann gäb’s dabei wenigstens was zu tun. Over.