Schlagwort: Pop

What’s The Use?

Das Besondere am elektronischen Subgenre IDM wird deutlich, wenn die beiden bekannten Größen Aphix Twin und Autechre ein neues Album veröffentlichen: Aus deren Tracks spricht kontinuierlich eine Zeitlosigkeit, die strukturell unübersichtlich ist, zur Detailverliebtheit neigt und gleichzeitig das Versprechen erfüllt, mehr zu sein, als monoton Beats im Clubs. Stattessen lädt IDM zum Studium an der Heimanlage ein. Geschaffen von Freaks, deren Arbeit wiederum im Studieren und Schreiben von Soundprogrammen und -Hardware liegt, was meistens ebenfalls in der eigenen Wohnung passiert. Bei Michael Durek entstehen die Tracks des Soloprojekts The Use ebenfalls im Heimstudio, wo er bereits als Kind an den Produktion von Dr. Dre seine Liebe zu Beats gefunden hat. Verstärkt wurde seine Obsession durch das Entdecken der IDM, die ihn veranlasste, sich tiefer mit dem Wesen der Musik zu beschäftigen.

Einflüsse des Hip-Hop und IDM kommen in seinem Debütalbum zum Tragen, wobei der Fokus auf letzterem liegt: The Use orientiert sich an der frühen Phase von Autechre, was im Track ‚Slims Pursuit‘ deutlich wird, der mit Breakbeats des Electro Bookies gefüllt ist und die Schnörkel des IDM nur im Hintergrund zu hören sind. Dafür werden Soundelemente des Hip-Hops verwendet, die wiederum auf die Einfluss aus Kindertagen von Durek hinweisen, was dem Track eine Freshness einbringt. Das ist eine der Besonderheiten von The Use: Während Autechre sich bereits im Elfenbeinturm des elektronischen Sounds eingeschlossen haben, indem das Duo mit jedem Album ihre Musik weiter verschnörkelt und Aphix Twin auf der Stufe der Entdeckung neuer Soundprogramme stehen bleibt, gehört The Use zu einer Nachfolgegeneration, die gegebene Strukturen, wie Breakbeats oder Glitchs nutzen, um den Sound des IDM zu collagieren. Die Elemente werden teilweise überlagert, erscheinen jedoch als plakativ übereinander gelegte Soundelemente.

Mit ‚Where Ya Been‘ und ‚Bird Song‘ gibt es zwei Tracks, in denen Durek mit Gastvocals arbeitet, was ein weiterer Bezug zum Hip-Hop ist. Diese sind klar und lassen die Tracks vom typischen Gebären des IDM weg bewegen. Hinzu kommt der Aufbau der Stücke, der teilweise an Werke der Klassik erinnert. Hier greifen jedoch die beiden oben genannten IDM-Größen, deren Kompositionen zur Neuen-‚Modernen‘- Musik gezählt werden können und Nachahmer aufgrund der Innovation dieser Art von Songwriting in den Schatten stellen. Das passiert auch bei dem Debütalbum ‚What’s The Use?‘, das zwar mit einem Genrespagat überrascht, im Detail jedoch monoton wirkt.

FKA twigs und der Ernst des Handwerks

Köln, Bürgerhaus Stollwerck, Freitagabend, kurz nach 22 Uhr. Tahliah Barnett, besser bekannt als FKA twigs, wusste genau Bescheid, was zu tun war. Mehr als eine Stunde lang hatte ein DJ Bühne und Saal warmgespielt; Nebel war reichlich vorhanden und nur wenige Handgriffe vonnöten, der Sängerin das Gedeck zu richten. Zwischen übergroßen, auf Stäben montierten Glühbirnen und umrahmt von einer dreiköpfigen Band legt sie eine Vorstellung hin, die das Erleben ihrer Musik um mindestens eine Dimension erweitert.

Too Bright

‚Angel just above the grid / Open, smiling, reach out / That’s alright / I decline.‘

Was glaubt eigentlich Königin Mike Hadreas, wer er ist, die rettende Hand der heilsbringenden Engelsgestalt zurückzuweisen? Mit schweren Gliedern thront er auf seinem selbsterrichteten Tränenpfuhl, kein bisschen selbstgefällig, aber herrlich theatralisch. Sein neues Album ‚Too Bright‘ huldigt der Melancholie in einem ergreifenden Kurzfeuerwerk der Superlative.

Eingerahmt von besinnlich-puristischen Klavier-Kabinettstückchen testet Perfume Genius hier ein weiteres Mal Grenzen aus – und sieht, wie leicht diese doch zu sprengen sind. Sein Selbstbewusstsein quillt aus jeder Note und bereitet den Boden für immer weitere stilistische Schlenker, frei nach dieser einen bemerkenswerten Zeile aus ‚Queen‘:

‚No family is safe when I sashay‘

. Fürwahr: Herzerweichendes, angestrengtes Jaulen wie in ‚Fool‘ wechselt sich ab mit entspanntem, groovigem Fingerschnipsen – und das in ein und demselben Track -; die von spitzen Schreien durchfahrene, hektische Klangcollage ‚Grid‘ mündet über einen verqueren Umweg durch die Kannibalenszene (‚Longpig‘) in ein tiefenlastig verfremdetes, dunkel eingefärbtes Schauermärchen namens ‚I’m A Mother‘.

Den eigentlich Höhepunkt erreicht Hadreas‘ groteske Poesie jedoch erst im zerrbildhaften ‚My Body‘:

‚I wear my body like a rotted peach / You can have it if you can handle the stink / I’m as open as a gutted pig.‘

Wer hier Gänsehaut bekommt, ist nicht notwendigerweise abartig veranlagt, sondern hat schlichtweg an der richtigen Stelle ins Plattenregal gegriffen.

Nicht, ohne zuvor gewarnt worden zu sein. ‚Too Bright‘ schlägt bereits in seinem Titel Alarm. Es lässt auf engem Raum so viel buntes Zeug vor sich gehen, experimentiert in so vielen Reagenzgläsern zugleich, ficht so viele Kämpfe auf einmal aus, dass der Rezipient die zeitliche Begrenztheit kaum miterleben wird. Und immer genau dann, wenn das Album danach verlangt, lässt Mike Hadreas eine schlichte, geerdete Klavierballade folgen, um nicht vollends zu verstören.

Mal für Mal bestätigt sich: Perfume Genius ist das Pseudonym eines Mannes, der seinem Glück nicht traut.

‚Don’t let them in / They’re well intended / But each comment rattles some deep / ancient queen‘

, warnt er in ‚Don’t Let Them In‘. So melancholisch, aber doch so schrecklich schrill. Sollte er jemals Zutrauen zum Schicksal fassen, es wäre ganz gewiss nicht im Sinne des Hörers.

I Forget Where We Were

Was tut ein Newcomer, der ein einschlagendes Debütalbum rausgebracht hat? So schnell wie möglich – auf Druck der Musikkonzerne hin – eine zweite Platte rausbringen, solange der Hype um einen noch anhält. Und diese ist dann in der Regel kommerzieller als beim ersten Mal produziert. In der Regel. Eben diese Formulierung existiert nur dank solcher genialer, unverformbarer Künstler wie Ben Howard. Denn statt nach seinem Glanzstück ‚Every Kingdom‘ erwartungsgemäß noch eine Schippe Pop drauf zulegen, schaltet er mit ‚I Forget Where We Were‘ eher einen Gang zurück und widmet sich einer düsteren Seite, die wir bislang von ihm nicht kannten. Nun erscheint der Vorgänger eher wie eine poppige Antwort auf seine neue Perle, und irgendwie hätte die verdrehte Reihenfolge der Veröffentlichungen Musikmarkt-technisch mehr Sinn ergeben. Nicht so für Ben Howard, der in seiner Musik einfach macht, was er will. Genau dieses entscheidende Element des Songwritings merkt man jedem seiner zehn Titel an.

Bereits mit seinem im Trailer benutzten Opener ‚Small Things‘ erzeugt er mit viel Hall und Delay in der wimmernden Gitarre eine enorme mysteriöse Spannung. Trotz geringer instrumentaler Besetzung schafft sein unverwechselbarer Sound ein Volumen, welches sofort ganze Stadien füllt. Auch ‚Rivers In Your Mouth‘, das vom Tempo und Strumming stark an ‚Keep Your Head Up‘ erinnert, klingt im Vergleich dazu betrübter. Dennoch hat man auch hier das Gefühl, als würde man in kaltes Wasser springen und komplett abtauchen. Was noch charakteristischer für ‚Every Kingdom‘ war. Auch ist es kein Zufall, dass dessen Cover einen Mann – vielleicht auch unseren Ben – in einem See tauchend zeigt, über ihm das Sonnenlicht schimmernd. Nicht wie jetzt, wo eine schwarz-weiße Silhouette des Mannes aus London die Hülle prägt und thematisch diese etwas farblosere, trostlosere Welt von ‚I Forget Where We Were‘ stimmig aufgreift.

Nachdem er dann in ‚In Dreams‘ seine einzigartigen virtuosen Fähigkeiten offenbart, bei denen technisch höchstens ein John Butler mithalten kann, kommt an Stelle sieben eines der Highlights des Albums: nur mit zarter Gitarre begleitet beginnt das knapp achtminütige ‚End Of The Affair‘ als ruhigster aller zehn Songs, ehe er den Hörer nach der Hälfte aus seinem Trance ähnlichem Dämmerzustand auf einmal mit ratterndem Drumbeat und geslapt klingender E-Gitarre in eine neue, sich viel zu schnell drehende Welt weckt. Auch der Gesang verändert sich vom verträumten Spiel mit geschlossenen Augen zu einem zornigen Fluchen (

‚This is it?

[…]

What the hell love‘

).

Und obwohl Ben Howard schon so einen Hammer liefert, ist der beste Song von ‚I Forget Where We Were‘ der gleichnamige Titel. Schon lange gab es keine so schöne, zu Herzen gehende Akustik-Pop-Ballade. Mit anfangs reduzierten Mitteln, aber einer bewegenden Melodie rührt diese Nummer wirklich zu Tränen. Die emotionale Wucht wird im Nachhinein von verspielten, aber nicht überladenen Tom-Drums, mehreren Gitarren und einer sich aufbrausenden Bridge mit angenehm [i]nicht [/i]hervorstechendem Solo komplettiert.

Der momentan beste Singer Songwriter öffnete somit erneut seine Pforten. Statt eines naturverbundenen Abtauchens gibt es diesmal ein Versinken in eine nächtliche Melancholie. Jeder, der Ben Howard schon mal live erlebt hat, weiß, wie einfach es ist, in seiner Musik unterzugehen. Es ist wie ein akustisches Kissen, das dich weich von Song zu Song trägt. So auch hier, vor allem in intimen Momenten, wenn man ‚I Forget Where We Were‘ fast schon introvertiert genießt. Es ist nach ‚Stadtrandlichter‘ von Clueso bereits das zweite packende Nachtalbum innerhalb kurzer Zeit. Und zum Glück werden die Nächte immer länger.

Xen

Kanye West vertraute ihm ‚Yeezus‘ an, FKA twigs gab ‚EP2‘ und ‚LP1‘ in seine Obhut. Aktuell legt Björk die Geschicke ihres – offiziell noch unangekündigten – neuen Albums in die Hände des Produzenten, der gerade einmal halb so viele Lenze zählt wie sie selbst. Dass Alejandro Ghersi was kann, hat sich herumgesprochen – und wird sich aller Voraussicht nach noch bedeutend weiter herumsprechen, nachdem der Öffentlichkeit sein – mit Verlaub – vollkommen durchgeknalltes Debütalbum zu Ohren gekommen ist.

Arca nennt sich der venezolanische Sound-Guru, den wenige Monate zuvor noch niemand auf dem Zettel hatte, zu dem aufzuschauen aber offenbar nun das Gebot der Stunde ist. Mit ‚Xen‘ hat der erst 24-Jährige ein Debütalbum aufgenommen, das vor musikalischem Tatendrang geradezu strotzt und von seiner ersten Sekunde an so zukunftsweisend daherkommt wie sonst kaum ein Erstling. In anderen Worten: Wenn Arca nur wollte, könnte er die Gesamtheit seiner Ideen in einem großen Knall vereinen und damit alles stilistisch Dagewesene im Nu wegpusten. Das mehr oder minder strukturierte Kanalisieren seiner Einfälle jedenfalls scheint kaum mehr als ein nachsichtiges Zugeständnis an seine Hörer zu sein.

So ist also der letzte Schrei in Sachen Sounddesign polyphon, hält 40 Minuten an und hört auf den Namen ‚Xen‘. ‚Xen‘ ist das übergroße extraterrestrische, schillernde und zu allem Überfluss auch noch zirpende Insekt, das wir nie sehen wollten, das uns aber trotzdem in seinen Bann zieht. Seine futuristischen, den rhythmischen Gepflogenheiten entkoppelten Klangkaskaden türmen sich erhaben auf, um kurz darauf wieder in unzählige splittrige Elemente zu zerfallen, die sich ihrerseits ähnlich einer Sackfüllung Murmeln auf Marmorfliesen zu einer schwarmartigen Klangwolke vereinen. Die nächste Staffette wartet immer schon hinterm verkrüppelten Taktstrich an der nächsten Ecke, und mit ihr die nächste Ladung im wirklichen Leben nie gehörter Geräusche. Überhaupt schießt Arcas Repertoire an klanglichen Farben und Formen weit über das mit Worten Umschreibbare hinaus; seinen Architekturstil als ’spacig‘ zu bezeichnen, wäre schlechthin zu kurz gegriffen. Zumal ‚Xen‘ mit seinen androiden Nanosymphonien weitaus mehr als nur die Schwerkraft überwindet.

Anders als viele seiner Kollegen verzichtet Arca bei allem Avantgardismus recht weiträumig auf Knistern, Rauschen oder anderweitige klangliche Bindemittel; seine elektronischen Sounds stehen frei, verschaffen sich abstufungslos Raum und sind so spiegelblank wie das Glatteis, auf das sie ihren Rezipienten mit jeder neuen Sequenz weiter hinaustreiben. ‚Xen’s scheinbare Beliebigkeit gibt sich als durchtriebener Mechanismus zu erkennen. Heillos schlitternd gelangt man an einen Ort, an dem Arca einem die Naturgesetze einer anderen, kälteren Welt diktiert – und das so glaubhaft und echt, dass einem die Spucke wegbleibt, der Atem stockt und der Verstand aussetzt. Ein durch und durch – und das ist unter anderem auch wörtlich gemeint – fantastisches Album.

Super Critical

‚Halt die Fresse und lass mich in Ruhe! Das ist so ein Satz, den man mit dem englischen Popduo The Ting Tings verbinden kann, war es doch der Song ‚Shut Up And Let Me Go‘, der nach seiner Verwendung in einem iPod-Werbespot von 2008 die Band in die Köpfe der musikalisch interessierten Weltbevölkerung katapultiert hatte. Und jetzt, sechs Jahre später, melden sich Jules und Katie mit ihrem dritten Studioalbum ‚Super Critical‘ zurück. Nachdem die zweite Platte, ‚Sounds from Nowheresville‘, bei weitem nicht mehr so erfolgreich war wie das Debüt, das sich 55 Wochen auf Platz eins der britischen Albumcharts gehalten hat, könnte nun die Renaissance anstehen.

Irgendwie schaffen es die beiden, ihre Musik klingen zu lassen, als wäre sie ein Geheimtipp, der sich nur einem sehr exklusiven Publikum offenbart. Voluminöse Arrangements spielen bei dem Duo dabei ja traditionell keine Rolle – es ist vielmehr der reduzierte Sound, durch den die einzelnen abgemischten Spuren deutlich besser und prägnanter zur Geltung kommen, um die Briten so von den zeitgenössischen Genre-Kollegen zu unterscheiden.

In den Vocals schwingt immer eine Spur Verachtung und Arroganz mit, was dafür sorgt, dass das Gesamtwerk noch begehrenswerter wirkt. In Sachen moderner Popmusik sind The Ting Tings sicher Ausnahmetalente, die so auch nur aus dem vereinigten Königreich kommen können. Funk- und Discoriffs mit einer solchen Coolness auf der Gitarre runterzurocken, schaffen nur die wenigsten. Paradebeispiel dafür ist die erste Single des Albums, ‚Wrong Club‘. Augenblicklich baut sich beim Hören das Bedürfnis danach auf, sich eine große Sonnenbrille ins Gesicht zu schieben, in einem Undergroundclub an die Bar zu stehen, lässig mit dem Kopf zu wippen und die Gestalten um sich herum mit stiller Geringschätzigkeit zu bedenken.

Mit neun Tracks ist ‚Super Critical‘ sicher nicht das umfangreichste Album aller Zeiten, aber hier liegt die Würze tatsächlich in der sprichwörtlichen Kürze. Einziger Kritikpunkt für die ansonsten absolut runde Nummer ist Song Nummer fünf. Mit ‚Wabi Sabi‘ haben sich Katie und Jules eine etwas dröge Ballade auf die Scheibe gezimmert, die umgeben von Groove und Funk an und für sich ziemlich fehl am Platz ist. Würde man die beiden mit diesem Vorwurf konfrontieren, bekäme man sicher nicht mehr als ‚Shut Up And Let Me Go‘ zu hören. Deshalb versuchen wir’s lieber gar nicht erst.

Ypres

Das klang nach einem spannenden Projekt, was sich die Tindersticks da ausgesucht hatten. Das Museum ‚In Flanders Fields‘, das den ersten Weltkrieg thematisiert und im belgischen Städtchen Ypres beheimatet ist, sollte vertont werden. Deshalb bat man die Briten um eine klangliche Untermalung. So entstand eine ‚in drei Räume‘ aufgeteilte, orchestrale Komposition auf dem Album, sodass jedem Raum zwei Songs zugeordnet sind. Selten hat mich ein Konzept für eine Platte im Vorfeld so interessiert wie dieses. Und selten ist es mir so schwer gefallen, einem Album eine gerechte Note zu geben.

Es beginnt mit einem Glockenläuten. Keine hohen, zauberhaften Klänge wie aus Harry Potter, sondern das salutartige Pochen einer Kirchturmglocke, wie man es von Beerdigungen kennt. Diese ziehen sich durch den kompletten, über 12 Minuten langen ‚Whispering Guns (Pt 1,2 & 3)‘. Frei davon setzen Streicher mit einem ostinaten, bedrückend tragischen Sound ein, der sich nur um Nuancen verändert. Und man hat das Gefühl, den Schrecken der Bilder zu spüren. Auch wenn man nicht selber vor Ort ist, wandert man mental durch die Gänge des Museums entlang. Auch werden gleich Erinnerungen an die berühmte dramatische Filmmusik aus ‚Platoon‘ wach. So gut die musikalische Untermalung auch umgesetzt ist, fällt bereits eine kleine Irritation auf: man sucht vergeblich nach den unterschiedlichen Parts, die der Songtitel verspricht. Hier zieht sich die Atmosphäre durch wie ein nicht endender Sog aus Kummer und Fassungslosigkeit. Bis auf wenige Einwürfe von leisen Posaunen und Hörnern sind kaum hörbare Unterschiede und Wechsel innerhalb des Openers vernehmbar.

Und das ändert sich auch nicht mit dem darauf folgenden ‚Ananas Et Poivre‘. Oder in ‚La Guerre Souterraine‘. Oder im 20-minütigen ‚The Third Battle Of Ypres‘. Die Songs unterscheiden sich so gering von einander, dass es tatsächlich den Anschein macht, als wäre ein großer Song in noch mal kleinere Bröckel unterteilt worden. Nur der Track ‚Gueles caccées‘ wechselt von der Klangfarbe der voluminösen Streicher zur vergleichsweise dröhenden Synthie-Orgel. Was der beklemmenden Stimmung aber keinen Abbruch tut.

Was macht es jetzt so schwierig, ‚Ypres‘ zu bewerten? Zum einen, dass man nicht selbst vor Ort ist, um die Bilder und ausgestellten Objekte zu sehen und so die Musik besser einschätzen zu können. Zum anderen, dass man sich solche Musik wohl kaum privat antun möchte. Selbst, wenn man über das Leben, Gott und die Welt nachdenken will, gibt es entspanntere instrumentale Stücke dafür. Dieses Album ist und/oder macht rein depressiv. Es ist sowieso eine kuriose Idee, Hintergrundmusik von einem Museum als Album zu veröffentlichen. Für einen Spaziergang durch die Räume ist das absolut angebracht, aber nicht für das wiederholte Anhören im Wohnzimmer. Da wird der bequemste Sessel zu einer kleinen Folterbank.

Natürlich kann man sagen, dass sich Tindersticks an der Minimal Music von Arvo Pärt mit Klangteppichen und Clustern ziemlich gekonnt orientiert haben. Und emotional ist ‚Ypres‘ auf alle Fälle auch. Aber wenn man das ganze drum herum mal vergisst, ist die Musik schlicht langweilig. Und gleich muss man die Aussage relativieren, denn zu große Hektik und sprunghafte Unterschiede wären als musikalische Untermalung in einem Museum unangebracht, na klar. Soll man jetzt als der Hörer ‚Museumsbesucher‘ oder als der Hörer ‚Käufer und Fan‘ diesem Album lauschen? Ich tendiere eher zum Letzteren. Auch, wenn es perfekt für ‚In Flanders Fields‘ abgestimmt ist. Privat macht die eintönige Tragik einfach nur keinen Spaß.

TEARS FOR FEARS – Neuauflage von “Songs From The Big Chair“

„Songs From The Big Chair“, das meistverkaufte Album von Tears For Fears, erscheint am 7. November in einer luxuriösen Neuauflage. Universal Music veröffentlicht das Album in verschiedenen Formaten: als 4CD+2DVD „Super Deluxe“-Boxset, als 2-CD „Deluxe Edition“, als 1-CD-Remaster, als LP und als Pure Audio Blu-ray. Das 6-Disc „Deluxe Boxset“ enthält eine Vielzahl von Remixen und…

Fall Together Again

Andy Burrows behält es bei, sein gutes Timing. Seine Platten bringt er beständig im letzten Jahresviertel raus, wenn Dunkelheit und Kälte langsam übernehmen und die Menschen ein erhöhtes Bedürfnis an Harmonie und Wärme haben. Genau die hat er vor exakt zwei Jahre mit ‚Company‘ verbreitet, und das liefert er auch jetzt wieder mit ‚Fall Together Again‘ ab.

Die Mission ist also einmal mehr erfüllt. Auch wenn Burrows diesmal neuen Inspirationen folgt. Emanzipieren will er sich wohl von seinem bisherigen Schaffen, sowohl solo als auch mit Razorlight oder We Are Scientists, und besinnt sich auf die Musik der 1970er. Ein Schritt weg geht er vom pubertären Indie-Pop hin zu zeitloseren Tunes mit Soul-Anleihen.

Der Ton von ‚Fall Together Again‘ ist also ein etwas anderer, die Art und Weise ist freilich die altbekannte. Andy Burrows fürchtet sich bekanntermaßen nicht vor großen Melodien und Pathos, vor orchestralen Arrangements und butterweichem Gesang in höchsten Tonlagen. Durchweg zeigt er sich von seiner soften Seite. Mit dieser Konsequenz – und dank der Tatsache, dass der Brite nunmal ein sugezeichneter Songwriter und Sänger ist – funktionieren seine Songs, die bei Anderen als unerträglicher Kitsch enden würden.

Natürlich, der Hörer muss sie schon wirklich mögen, die Burrows’sche Intensität. Wer es doch eher mit seinen älteren Werken hält, der freut sich über den Gastauftritt von Tom Smith in ‚Watch Me Fall Again‘, eine schöne Wiederauflage ihrer Smith & Burrows-Kooperation. Ansonsten kann man sie schonmal wagen, die Flucht in die rosarote Gegenwelt für eine gute halbe Stunde.