Schlagwort: Brit Rock

Dead Debutante’s Ball

Eindringlich ist wohl das Adjektiv, das Ralph Pelleymounters erstes Solowerk „Dead Debutante’s Ball“ (Radicalis Music) am besten beschreibt. Der Frontmann der britischen Indie-Rocker To Kill A King hat mal eben 14 Songs aus dem Ärmel geschüttelt, die sich quer durch den Genre-Garten bewegen und so intensive wie absurde Geschichten erzählen: von wilden Bestien, Hummern, Line Dance (inklusive Banjo), dunklen Seelenmomenten, Hirnaktivitäten und Herzensangelegenheiten.

Pelleymounter findet dafür neben poetischen Worten auch ungalublich abwechslungs- und facettenreiche Melodien, die nicht nur die gesamte Palette an Emotionen abbilden, sondern sogar Witz versprühen. Der Beziehungs-Abgesang „Get Drunk, Get High“ ist dafür ein Paradebeispiel – eigentlich ein eher dramatisches Setting, das der Songwriter unnachahmlich britisch-schwarzhumorig und exaltiert verpackt.

Überhaupt stellt sich beim Hören das Gefühl ein, dass Ralph Pelleymounter einen Heidenspaß daran hatte, sich auszuprobieren und zu sehen, was alles geht, wenn man sich nicht innerhalb der Band abstimmen muss – auch, wenn das anfangs seltsam war, wie er selbst sagt. Er bordet über vor Energie („La De Da“), wird sentimental („My Drunken Love“), hochgradig dramatisch („Wild Beast“), manchmal ein bisschen wehmütig („Now That The Kids Have Gone (Pond For Pound)“) und singt warmherzige Oden auf die Liebe („The Lobster Song“).

Folk, Indie, Pop, Britrock, Singer Songwriter – Ralph Pelleymounter wandelt leichtfüßig abseits des Mainstreams, bleibt dabei aber immer nahbar und sehr menschlich. „Dead Debutante’s Ball“ hätte er nicht besser machen können: Die Platte ist defintiv eines der Alben, die dem Musikjahr 2019 ihren Stempel aufdrücken.

https://ralphpelleymounter.com/

https://radicalis.ch/

RALPH PELLEYMOUNTER veröffentlicht Solo-Debut

Ralph Pelleymounter, seines Zeichens Frontmann der britischen Indie-Combo To Kill A King, wandelt auf Solo-Pfaden: Am 24. Mai erscheint sein Erstling ‚Dead Debutante’s Ball‘. Neben Krustentieren besingt Pelleymounter mal euphorisch, mal düster-bedrohlich, auch Linedance und Sozialphobien nebst Panikattacken. Wie er letzeres umsetzt, lässt sich im aktuellen Clip „Wild Beast“ hören und sehen. Aber Vorsicht: Das…

Live For The Moment

Zum ersten Mal hatte ich dieses Gefühl letztes Jahr beim Wolf Alice-Konzert. Ein Flashback, dass sich mir der Magen zusammenzog. Alles klang, sah aus und fühlte sich an wie im London Mitte der Neunziger, als Popkultur und Lebensgefühl mit dem Label Cool Britannia bedacht wurden. Das Gefühl schlug mit voller Breitseite wieder zu, als ich zum ersten Mal das Video zu ‚Chasing Shadows‘ von The Sherlocks sah. Ich weiß, dass das Musik von Teenagern für Teenager ist. Aber was soll man tun als sich ergeben, wenn die Nostalgie ihren Tribut zollt?

Zumal wenn sich jemand so possierlich verkauft, wie The Sherlocks. Ist euch der trotzig-abgeklärte Blick von Sänger Kiaran Crook im Video aufgefallen? Als ob ihn das alles gar nichts angeht. Baby face mit einem Habitus, als hätte er 30 Jahre auf dem Bau geackert. In Interviews ziehen die Jungs vom Leder, wie sie sich in vielen Jahren unermüdlichen Musizierens hochgearbeitet haben. (Man beachte, dass ‚Live For The Moment‘ ihr Debütalbum ist.) Wann haben sie angefangen, mit Zehn? Das ist das gesunde und unendlich unterhaltsame Selbstvertrauen, wie es nur in der englischen Arbeiterklasse zu finden ist (siehe die Gebrüder Gallagher). Keine Ahnung, wie alt die Vier aus Sheffield tatsächlich sind, aber ich hoffe, sie schließen neben ihrer Karriere noch ordentlich ihre Schule ab.

Ok, über 1.000 gespielte Konzerte, bevor überhaupt das Debüt-Album erscheint, sind ein beeindruckendes Register, fair enough. Dass darunter ein Support-Engagement für Kings Of Leon war, überrascht an dieser Stelle niemanden mehr. Denn die Songs von The Sherlocks haben unleugbar eine hohe Qualität – dank ihrer Reminiszenzen. Ein bisschen Oasis, ein bisschen The Cast, ein bisschen Bluetones. Große Geste, die Welt kann uns mal. We’re never growing old. Emotionalisierter Gitarrenrock mit Macker-Image, weiche Schale und harter Kern. (Britrock eben.) Wie sonst Rock’n’Roll angehen, wenn nicht so!?

‚Live For The Moment‘ ist so gelungen, dass man getrost die Maschinerie hinter The Sherlocks vergessen darf. Die lebensweise Texte ignorieren, die man den Jungs ohne Bartwuchs gar nicht abnehmen KANN, und die dicke Produktion, die keinen Zweifel daran lässt, wie sie von einer großen Firma gepusht werden. Das war bei Blur und Oasis damals genau so. Was macht man also als Fourty-Something mit all diesen starken Gefühlen, die auf einmal wieder da sind? Das Album einfach nochmal hören. Und dann Oasis‚ ‚Definitely Maybe‘. Und dann Pulp’s ‚Different Class‘. Und sich über The Sherlocks freuen und ihr ungetrübtes Ego und all das, was noch vor ihnen liegt.

Flowers In The Dirt – Special Edition

In der zweiten Hälfte der 1980er hatte es Paul McCartney nicht allzu leicht, seine Fans und Kritiker zufriedenzustellen. Nach dem Flop des Filmes „Give My Regards To Broad Street“ und des dazugehörigen Soundtracks, der zum Großteil Neueinspielungen älterer Songs enthielt, folgte mit „Press“ ein recht experimentelles und uneingängiges Album, das von der Kritik zu seiner Entstehungszeit einmal mehr nicht verstanden wurde. Zwar hatte er mit ‚Once Upon A Long Ago‘, der Soundtrack-Nummer ‚Spies Like Us‘, „No More Lonely Nights‘ oder dem berühmt-berüchtigten Kinderlied ‚We All Stand Together‘ (standesgemäß im Duett mit einem Zeichentrick-Frosch-Chor) noch eine Handvoll mittlerer Singlehits, aber allgemein wurde befunden, McCartney habe seinen Zenit überschritten. Nicht geholfen hat mit Sicherheit auch die Entscheidung, dem Tourleben Adieu zu sagen – zum letzten Mal war McCartney 1980 mit Wings getourt.

Nachdem ein geplantes Nachfolge-Konzeptalbum zum Beatles-Klassiker „Sgt Peppers Lonely Hearts Club Band“ noch vor Fertigstellung wieder zu den Akten gelegt wurde, beschloß McCartney, auf seinem nächsten Werk weniger spielerisch Experimentelles Material anzugehen, sondern sich als Songwriter neu zu orientieren und im veränderten musikalischen Klima zu etablieren. Schließlich feierten Bands wie Crowded House, R.E.M., The Rembrandts oder Danny Wilson mit deutlich an McCartneys Mittsechziger Stil angelehnten Songs seinerzeit große Erfolge. Also engagierte er unter anderem Crowded House-Produzent Mitchell Froom und Ex-Yes-Mitglied Trevor Horn als Produzenten und schloß sich mit New Wave-/Post-Punk-Poet Elvis Costello zum Songwriting zusammen. Das Rezept ging auf, und das Ergebnis „Flowers In The Dirt“ wurde nicht nur kommerziell, sondern auch künstlerisch ein enormer Erfolg. Mit ‚My Brave Face‘, ‚This One‘, ‚Put It There‘ und ‚Figure Of Eight‘ gab es vier erfolgreiche Singleauskoppelungen, die dank der dazugehörigen Videos und MTV auch ein jüngeres Publikum ansprechen konnten. Das ist aber beileibe nicht alles, was „Flowers In The Dirt“ zu bieten hat. Speziell die in Zusammenarbeit mit Elvis Costello entstandenen Stücke, vor allem das Duett ‚You Want Her Too‘ und ‚That Day Is Done‘ sind feinster Singer-Songwriter-Folkpop/-Rock. Dazu gibt’s mit ‚We Got Married‘ einen ungewohnt düsteren, sehr atmosphärischen Song, der nicht nur dank eines Gastauftrittes von David Gilmour leichte Pink Floyd-Vibes versprüht, Reggae-infiziertes wie ‚How Many People‘ und ‚Rough Ride‘ – und mit ‚Ou Est Le Soleil?‘ zum Abschluss doch noch einmal einen experimentellen, elektronisch geprägten Song, der auch auf „Press“ oder „McCartney II“ gepasst hätte.

Die vorliegende Deluxe-Edition bringt auf der Bonus-Disc neun der Originaldemos von McCartney und Costello – und das ist wirklich ein echter Genuß für Fans der beiden. Denn es handelt sich nicht um ausproduzierte Demos, wie man es von professionellen Musikern wie Paul und Elvis erwarten würde, sondern um rohe, kantige Duette, eingespielt mit zwei Akustigitarren, gelegentlich einem Piano und einem simplen Taktgeber. Hier spürt man die Spielfreude der beiden, die Chemie und die Begeisterung über die frisch geschriebenen Songs. Einige davon landeten in fertigen Versionen auf „Flowers In The Dirt“, andere verteilten sich in den Folgejahren über diverse McCartney- und Costello-Alben, aber diese Originalfassungen sind mehr als nur ein interessanter Einblick in den Arbeitsprozess. Hier kann man zwei der begnadedesten und kreativsten Köpfe der Pop- und Rockmusik beim Spaßhaben zuhören, und dieser Spaß färbt definitiv auf den Hörer ab.

Schade nur, daß man für die ausgearbeiteteren Studiodemos auf das sauteure Megaboxset zurückgreifen muss – es ist ernsthaft zu bezweifeln, daß neun weitere Demotracks, die Büchlein zum Album und eine DVD, die zu 80% bereits auf anderen DVDs erhältliches Material enthält, die knapp einhundert Euro Preisunterschied zur regulären Doppel-CD rechtfertigen. Die ist aber Pflichtprogramm, nicht nur für McCartney-Fans, sondern für alle, die anspruchsvolle und eigenständige Singer-/Songwritermucke mögen.

Keep The Village Alive

Was wären die Stereophonics für einen tolle Band, wenn der Britpop nicht schon vor mehr als 20 Jahren erfunden worden wäre. Kelly Jones knisternde Raspelstimme, große Hymnen, prägnanter Gitarrensound, hier und da eine kleine Orgel, Piano oder Orchesterparts. Es würde Lob von allen Seiten hageln, die Band könnte sich vor Preiauszeichnungen kaum retten, die vollen Stadien zu Konzerten würden überquillen.

Nun ist es aber so, dass der Britpop eben um das Jahr 1995 im Zenit stand und ‚Keep The Village Alive‘ von den Stereophonics im Jahr 2015 gewissermaßen eine Ansammlung von Best-of-Pritpop-Stücken ist. Die Reminiszenzen springen förmlich von der Platte ins Ohr. Eine Prise Oasis-Riff mit einem kräftigen Blur-Basslauf, geköchelt mit Suede-Roughness und garniert mit Manic Street Preachers-Gesang – fertig ist das Album. Das ist keineswegs schlecht, aber haut niemanden vom Hocker, weil es kaum überraschen kann. Irgendwie fühlen sich die Songs bekannt und vertraut an, obwohl es doch brandneu ist.

Das ist seither das Problem der Stereophonics, die gute Platten abliefern, aber nie an die großen britischen Vorbilder heranreichten oder sie gar übertreffen konnten. Dabei gibt es die Londoner Formation auch schon fast 20 Jahre. ‚Keep The Village Alive‘ streckt sich wirklich nach Kräften, ist ambitioniert und detailreich produziert, dennoch umweht das Ganze einen Hauch von Belanglosigkeit.

Das ist durchaus nicht unbedingt negativ gemeint, denn es tut keinem weh. Problemlos könnten die 10 Songs nacheinander im Radio laufen und man würde sich vielleicht sogar beim Mitwippen ertappen. Aber würde man für eines der Lieder zum Telefon greifen und den Sender bitten, einen der Songs nochmal zu spielen? Wahrscheinlich nicht.

Weird Little Birthday

Es gab mal so eine Zeit, da waren Collegefilme so etwas wie die Avengers für die jungen Teenies von heute. Damals fühlte man sich von den verpickelten Nerds mehr als verstanden, mittlerweile sind sie die Figuren im Schatten der wirklich mächtigen Superhelden. So ähnlich verhält es sich mit der Musik. Sind es heute die auf Hochglanz polierten und ausgetüftelten Elektro-Hooks und Synthies, die die elektrische Gitarrenmusik aufmotzen, gestaltete sich das Ganze früher ein wenig anders. Damals war das so ein Mix aus Shoegaze, Grunge, Britpop und Texten, die sich in den Tücken des alltäglichen Lebens sammelten. Ein kleiner eigener Kosmos, der kaum noch nennenswerte Erben findet. Tja, die 90er und frühen 00er sind schließlich auch vorbei.

Egal, denken sich Happyness. Drei Typen, denen Gitarre, Bass und Schlagzeug reichen. Die Lo-Fi Gesang über plätschernde Gitarren hauchen und dabei echt ‚weird‘ sind. Es braucht lediglich einen schrägen Albumtitel mit skurrilem Cover und kuriose Songtitel, die auf ‚Baby, Jesus (Jelly Boy)‘ oder ‚Regan’s Lost Weekend (Porno Queen)‘ hören. Dazu noch ein paar abgefahrene Lyrics und das Image ist perfekt.

‚The more I talk to you / the more I like my dog /and so I take him out and then you come round / no matter how you feel / you always look so ill / you ate my birthday cake‘.

Die drei Londoner schrammeln melodische Songs, die einem das lange Haar in die Augen fallen und den Kopf hin und her wiegen lassen. Mal verirrt sich ein Song dabei in fast neunminütigem Einheitsgezupfe (‚Weird Little Birthday Girl‘), dann wird das Ganze auch mal lauter und endet mit großer Punkatittüde (‚Anything I Do Is Alright‘, ‚Refrigerate Her‘). Die wirklichen Highlights verstecken sich aber wieder hinter den Popsongs mit so kurz und knackigen Titeln wie ‚Great Minds Think Alike, All Brains Taste The Same‘. Da gehen die ‚Uhuuus‘ im Refrain direkt ins Ohr und der Sorgenlosigkeit steht rein gar nichts mehr im Wege.

Zugegeben, Happyness sind nicht unbedingt der Garant für Abwechslung und ausgetüpfelte Gitarrenriffs, das scheint ihnen aber auch gehörig am Hintern vorbeizugehen. Mit einem Lächeln auf den Lippen pfeifen sie ihre siebzehn selbstproduzierten Songs (man ließ es sich nicht nehmen, noch vier Bonustracks obendrauf zu packen) und lassen sich nicht beirren. Happyness sind große Nerds. Aber wer braucht auch schon Superhelden?

The Magic Whip

Was macht die Faszination ‚Jurassic Park‘ aus? Längst ausgestorbene, riesige Kreaturen kehren zurück in die Gegenwart und sind plötzlich lebendig. So ähnlich verhält es sich mit Blur. Im Jahr 2003 aufgelöst, nachdem ein meteoritengroßer Streit über die Ausrichtung der Band zum Bruch mit Gitarrist Graham Coxon führte. Das letzte Album ‚Think Tank‘ war demnach ein Werk des verbliebenen Trios um Damon Albarn, Alex James und Dave Rowntree.

Gut zehn Jahre nach der Trennung erfolgte dann die langsame Annäherung der einstigen Britpop-Legenden durch gemeinsame Live-Auftritte. Trotz brodelnder Gerüchteküche schien ein neues Album nicht realistisch, ehe es im März diesen Jahres dann plötzlich doch Gewissheit wurde: Blur erheben sich aus dem selbst geschaufelten Grab und veröffentlichen mit ‚The Magic Whip‘ ihren achten Longplayer. Der Dino lebt wieder und schleckt dabei Sahne in einer Eiswaffel.

Auf einer Konzertreise durch Asien entstanden in Hong Kong erste Jams für die neuen Songs, die dann von Albarn zerpflückt und arrangiert wurden, ehe das Material dann im vergangenen November ins Studio ebenfalls in Hong Kong ging. Dem Asia-Style blieben die Londoner dann auch im Artwork treu. Insgesamt überzeugt ‚The Magic Whip‘ mit seinen Anlehnungen an vergangene Zeiten. Dennoch ist es keine reine Kopie alter Strukturen, wie es so ein gewagtes Comeback-Album vermuten lassen könnte.

Der Einfluss der Solo-Projekte der Bandmitglieder ist spürbar. Albarn, der besonders mit seinem Animations-Projekt ‚Gorillaz‚ enormen Erfolg hatte, zieht deutlich die Fäden, die Synthies und auch eine eine kleine Portion Space-Sounds einfließen lassen. Diese Neuausrichtung des gewohnten Blur-Sounds bremst Coxon mit seinem unnachahmlichen Gitarrenspiel etwas ein. Der spannendste Song der Platte ist ‚Thought I Was A Spaceman‘, der sich mit leichtem Electro-Beat verträumt dahin schlängelt und von Albarns leichten und brüchigen Vocals getragen wird, ehe das komplette Schlagzeug einsetzt. Eine depressiv-schöne Dynamik, die eben auch in gewisser Weise seit jeher für Blur gestanden hat.

Locker und beschwingt sind die ‚LaLaLas‘, ‚Ohhhhs‘ und ‚Ahhhhs‘, die immer wieder zu hören sind und auch in der Vergangenheit für Blur standen. Rockige Ohwürmer wie ‚Go Out‘ oder der Mitwipp-Song ‚Lonesome Street‘ versprühen ihren Britpop-Charme wie er eben nur von Blur fabriziert werden kann.

Es bleibt noch die Frage, ob die Welt das Blur-Comeback gebraucht hat? Wahrscheinlich nicht, da es abzusehen war, dass die Brillanz der Alben aus den 90ern nicht erreicht werden kann, da das Gefühl der Zeit heute ein anderes ist. Aber ebenso wie im Jurassic Park ist es eine fantastische Vorstellung, etwas zu sehen bzw. bei Blur zu hören, was längst ausgestorben zu sein schien. Modrig ist ‚The Magic Whip‘ jedenfalls nicht geworden. Im Gegenteil: Die alten Herren können noch zuschnappen!

A Flourish And A Spoil

Achtung, nächste Lieblingsband! So jedenfalls warnt The Guardian. Aber Moment mal! Klingen die nicht derbe nach 2004? Und sind die goldenen Zeiten der „The“-Bands nicht eigentlich schon längst passé? The Troggs, The Byrds, The Beatles sowieso und nicht zuletzt die Strokes überzieht eine Patina der Gestrigkeit. The Districts aber klingen nicht so, als würde ihnen gerade die etwas ausmachen. Ganz im Gegenteil scheint es vielmehr ebenjener Belag zu sein, der den Vibe der vier Musiker ausmachen soll. Und er zeigt Wirkung: Wer hätte allen Ernstes angenommen, dass kein Bandmitglied auf mehr als 20 Lenze zurückblickt? Machen wir uns nichts vor: Kein Mensch! Und wer hätte auch nur gewagt, zu mutmaßen, dass diese „Brit“rock-Band nicht etwa aus Großbritannien, sondern aus Pennsylvania stammt? Na … Kein Mensch!

The Districts sind jung und stur genug, das Eisen nicht nur heiß zu schmieden, sondern auch noch glühend unter den Huf zu bringen. Künstlich aufgerauht oder -geblasen ist hier nichts; Produzent John Congleton (St. Vincent, Angel Olsen, Swans) hatte offensichtlich ein ruhiges Händchen. Dass der Song ‚Young Blood‘ nahezu neun Minuten in Anspruch nimmt, muss man überhaupt erst einmal schaffen zu registrieren, so kurzweilig haben die falschen Britrocker ihn arrangiert.

Rob Grote zieht das Röhren dem Singen vor, brettert von körnigen Rhythmusgitarren und energisch stampfendem Schlagzeug befeuert durch seine Songs, bis er sich in einer Hookline festbeißt, um sich die Hunde aus dem Kopf zu schrammeln (‚Hounds‘) oder zur Erdung in wacklige Akustik-Einschübe überwechselt (‚Suburban Smell‘). Was nicht unbedingt nötig wäre, denn: Je mehr Sand sich die junge Britrocker-Mimikry aus dem Getriebe pusten muss, desto wohliger wird einem um die Ohren rum und desto mehr gelüstet einem nach jenem stolzen Tempo, das sie bereits im Opener ‚4th And Roebling‘ vorlegen.

‚You’ve gone and changed from before and I’m trying to find the right words / It’s the difference between us worth a thousand diamond rings‘

, wiegt Grote dort die zwischenmenschliche Spaltbreite mit Edelsteinen auf und eröffnet den Reigen der kleinen Kränkungen und mittelschweren Heartbreaks, der ‚A Flourish And A Spoil‘ thematisch durchfädelt. Was folgt, ist eine befreite Fahrt auf der Slacker-Lore über rostige, unpolierte Gleise, Ohrensausen inbegriffen. Je schneller, je windiger, je kurviger desto besser. Das Schlusslicht ‚6AM‘ allerdings kleidet sich wiederum in bröselig-kratzigen LoFi, und so langsam scheint auch der bei uns anzukommen. Beim nächsten Durchgang erst recht.

Zugegeben: Vom Gefühl her ist all das vertrautes Territorium, von der Atmosphäre sind es The Strokes und Konsorten. Die ja – mit Verlaub! – auch mal mehr in Mode waren als sie es derzeit sind. Mögen die Districts auch auf abgefrühstückter Weide grasen – die paar frischen, saftigen Halme, die hie und da noch (oder wieder?) aus dem Boden zu sprießen scheinen, geben ihnen Recht. Und was noch solchen Spaß macht, kann ja so falsch in der Zeit nicht sein.

48:13 deluxe

Was müssen sie sich umstürzlerisch vorgekommen sein, die Herren Kasabian. Ihr fünftes Album ’48:13′ ist plattegewordene Summenrechnung, um nicht zu sagen Erbsenzählerei; die Einzelteile des Terms scheinen sich jedenfalls zunächst in ihrer mathematischen Rolle zu erschöpfen (Wie es sich wirklich verhält, untersuchte Kollege Wellnhofer in seiner Besprechung). Ungläubige hätten die Zeitangaben der Tracklist zusammenzählen können und wären nirgendwo anders gelandet als bei ebendiesen 48 Minuten und 13 Sekunden. Kasabian hätten es schnüren und mit einer hübschen Schleife versehen können, das Paket ihres numerischen Triumphs, begingen dann aber den Fehler, in die Buchstabenkiste zu greifen und den Songs – seufz! – Namen zu geben.

Eine unumkehrbare Entscheidung auch in Anbetracht der Tatsache, dass längst alles gepresst, gedruckt, vertrieben und schon hinlänglich so abgefeiert wurde. Schnüren konnten Kasabian einzig eine „Deluxe“-Ausgabe des Albums, die mit zwei Bonustracks notwendigerweise auch den Titel in Mitleidenschaft zieht: ‚beanz‘ und ‚gelfling‘ machen aus schlanken ’48:13′ moppelige ’56:06′, ohne allerdings eine messbare Wertsteigerung mit sich zu bringen. Beliebige Session-Versatzstücke und schlechte Kalorien für ein Album, dem man nicht umsonst den Studio-Verschnittballast aus dem Pelz gefönt hatte. Jetzt streut man ihn also festlich wieder drüber und will auch noch Geld dafür haben. Eine gängige Releasepolitik, die einen nun nicht völlig unvorbereitet trifft, aber immer noch abfuckt. Von einer der Bezeichnung „deluxe“ würdigen Verpackung schweigt es sich besser ganz.

Die beigepackte Live-DVD soll’s rausreißen. Namentlich 1:41:09. Natürlich. Tom Meighan, Sergio Pizzorno und die zwei anderen Typen live auf der Insel, genauer: auf dem Summer Solstice-Festival im Victoria Park Leicester – sprich: les-tah – vor rund 60.000 Besuchern. Dort spielen Kasabian ihre Homecoming-Show und das Kracher-Set, das wir in Deutschland wenige Monate später noch kennen lernen und in all seiner englischen Energetik am eigenen Leib erfahren sollten, angeführt vom instant live classic ‚bumblebee‘ und beschlossen von ‚L.S.F.‘ sowie dem Fatboy Slim-Cover ‚Praise You‘. Alles dazwischen: eine feierliche Erste-Hand-Proklamation der wohl letzten verbliebenen Rockband mit Eiern. Viel Rumgetu(rn)e, quadratdezimeterweise Sonnenbrillen- und noch weitaus größere Klangfläche und – last but not least: Laser. Alles dahinter: ein substanzarmer, trailerartiger Behind The Scenes-Zusammenschnitt mit ein paar laschen Phrasen der Musiker aus dem Off. Wertschätzen viele genug, um sich diesen relativ durchschnittlichen Scheinluxus-Firlefanz zu den anderen Boxset-Bauernfängern und ähnlich frechen Kassenschlagern auf den Weihnachtswunschzettel zu notieren. Selber schuld, kann man da sagen. Denn am Ende bleibt das inseitig abgedruckte Zitat aus Jesaja 48, 13 (

„When I summon them they all stand up together“

) die kuriosestmögliche Entdeckung am gar nicht mal so geilen pinken Power-Päckchen.

Playland

‚Homo Ludens‘ – so der Titel einer 1938 publizierten Lektüre des niederländischen Kulturwissenschaftlers Johan Huizinga. Darin definiert er die These, dass das Konzept des Spiels als Grundbaustein für die charakterliche Entwicklung gilt. Der Mensch entdeckt seine individuellen Eigenschaften im Spiel und formt somit über die gesammelten Erfahrungen seine angelegte Persönlichkeit. Diesem Modell entnimmt Johnny Marr seinen Albumtitel ‚Playland‘. Und im Nachhinein merkt man, dass er zu den sinnvollsten ‚Um-Die-Ecke-Denken‘-Plattennamen gehört, der in letzter Zeit auftauchte. Denn nach dem Hören der elf Songs kann man sich bildlich vorstellen, wie die Studioaufnahmen abliefen: Marr hat eine Idee, die anderen Instrumente steigen ein, es wird drauf los gejamt und Bumm – schon ist der nächste Song im Kasten. Was auch erklären würde, wieso die Zeit zwischen seinem Solodebüt ‚The Messenger‘ und dem neuen Release gerade mal anderthalb Jahre beträgt.

Und genau so ist die Persönlichkeit des Albums mit Verweis auf das ‚Homo Ludens‘ Modell entstanden und zu erklären. Es ist ideenreich, mit großer Soundvielfalt und authentisch. Grob gefasst kann man ‚Playland‘ in drei Klangarten unterteilen. Die erste wäre die indie-punkige Rock-Wucht, mit der versucht, die Umgebung zum Erschallen zu bringen – in dem Fall London und Manchester. Dabei hört man sowohl Anlehnungen an britischen Punk der späten 1970er als auch moderne Einflüsse à la Arctic Monkeys heraus. Der Opener ‚Back In The Box‘ beispielsweise lädt mit pulsierendem Tom-Beat, schlichten Gitarren-Riffs und flottem Space-Synthesizer nach zehn Sekunden zum Mitwippen ein. Auch das düsterere ’25 Hours‘ mit Sprechgesang, klirrender hoher Gitarre und Muse-Charakter oder der Song ‚Playland‘ mit dem für Punk typischen Dialog zwischen Gesang und E-Gitarre zählen dazu. Und die ganze Zeit über singt Marr wie Alex Turner, nur erwachsener. Trotzdem merkt man in der Stimme des Ex-Smiths seine 50 Jahre überhaupt nicht an. Der frische Gesang könnte eher vermuten lassen, dass er gerade mal halb so alt ist.

Der zweite Sound des Albums setzt dann einen eher luftigen, abhebenden (nicht abgehobenen) Fokus wie in ‚Dynamo‘ und ‚The Trap‘: mit ihren sphärischen Synthies, reichlich Delay und dem Kontrast zwischen relativ eintönigen Melodien und interessant wechselnden Harmonien, die als prägende Stütze dienen und locker um den Kopf des Hörers herumschwirren. Zum Schluss von ‚Playland‘ beweist Marr noch, dass er diese beiden Klangarten vereinen kann: ‚Little King‘ liefert sowohl irgendwo oben in den Wolken hallende Gitarren als auch einen prägnanten Beat und eine durchrushende Bassline.

Witzigerweise ist der beste Track des Albums ‚Easy Money‘ in keine der beiden Sparten wirklich einzuordnen: für Punk ist es zu ‚indie‘, und das Sphärische fehlt hier komplett. Dank seiner hohen Twang-Gitarre, stark verzerrtem Synthie-Bass und einem straighten Schlagzeug, welches von einem Shaker charismatisch unterstützt wird, ist der Song zwar recht simpel gehalten, aber dafür knackig und voll auf den Punkt gespielt. Man kann gleich im zweiten Refrain mühelos die melodiös catchigen Verse mitsingen (

‚I used to want it all – that’s money money! That’s money money! That’s money money!‘

) und wird diesen garantierten Ohrwurm so leicht nicht mehr los.

So kreiert Johnny Marr innerhalb kurzer Zeit eine abwechslungsreiche Scheibe, welche sich seinem Stil und Sound trotzdem treu bleibt. Innerhalb der einzelnen Songs sind dann manche Stellen zu eintönig oder mit weniger Einfällen versehen als möglich wäre. Mit etwas mehr Zeit wäre es womöglich zu einem Erste-Sahne-Rock-Album herangereift. Aber so haben wir bereits jetzt unseren Spaß und Johnny hat uns netterweise das häufig unterträgliche Warten auf Nachfolgeralben verkürzt, ohne uns dabei zu enttäuschen.