Schlagwort: New Wave

Strength


Das Schöne am „Weltschmerz“ ist seine Ambivalenz: Seine Bedeutung ist konkret und abstrakt zugleich. Außerdem kann dieses Gefühl sowohl negativ als auch in einer Art positiven Melancholie empfunden werden – und das nicht nur in Deutschland! Denn durch den Einzug des Wortes in andere Sprachen wird es weltweit verstanden. Besonders emotional wird es immer dann, wenn er wie bei Unto Others in den Mittelpunkt von Musik gerückt wird. Auf „Strength“ (Roadrunner) wollen sie mit ihm nämlich den Erdenball erobern.

Vorweg sei aber gesagt, dass Unto Others keine Unbekannten sind. Bis 2020 hatten sie unter dem Namen Idle Hands eine EP sowie ein im Underground vielbeachtetes Album namens „Mana“ herausgebracht. Aufgrund markenschutzrechtlicher Probleme musste sich die aus Portland stammende Band jedoch umbenennen. Deswegen erscheint ihr Zweitlingswerk „Strength“ unter neuem Bandnamen.

Musikalisch setzen sie ihre eingeschlagene Richtung jedoch konsequent fort. Klassischer Hard Rock und Heavy Metal amerikanischer Prägung treffen auf Gothic und 80er-Jahre-New-Wave. Obwohl die Mischung im ersten Moment vielleicht altbekannt klingen mag, ist der Sound von Unto Others überraschend frisch. Trotzdessen der Opener „Heroin“ überraschend heftig daherkommt, zieht er einen direkt in die dunkle Sphäre des Weltschmerzes hinein. Bis zum Ende der 46 Minuten wird man auch nicht mehr ausgespuckt, sondern immer tiefer hineingetrieben. Nicht zuletzt das düstere Riffing und der sich durch das ganze Album als Trademark ziehende Hall beim Gesang von Gabriel Franco sorgen dafür. Selbst härtere Passagen schaffen es dadurch, eine gewisse Ruhe auszustrahlen.

Dass „Strength“ nicht langweilig wird, liegt vor allem an den kleinen Nuancen, die immer wieder für Abwechslung sorgen. „No Children Laughing Now“ überrascht mit flirrenden Black-Metal-Gitarren, während bei „Destiny“ die Double-Bass stimmungsvoll eingesetzt wird. Mit einem Song wie „Why“ kommt die rockige Seite der Band nicht zu kurz. Generell scheint ihnen trotz ihres durchaus vorhandenen Pop-Appeals die Gitarrenarbeit wichtig zu sein, wie vor allem die regelmäßig auftauchenden äußerst melodischen Gitarrensoli immer wieder beweisen.

Das Quartett nimmt sich jedoch ebenfalls die Zeit, Songs zu entwickeln. „Hell is for Children“ und die fantastische erste Single „When Will Gods Work Be Done“ sind hierfür die besten Beispiele. Vom ruhigeren oder New-Wave-lastigen Beginn bauen sie sich zu sich zu echten Rock- und Metal-Gewittern auf.

Unto Others kreieren eine überraschend distanzierte Atmosphäre, von deren tiefgründigem Weltschmerz jedoch kaum ein Lossagen möglich ist. Gepaart mit größtmöglicher musikalischer Ausgefeiltheit bieten sie eine Mischung aus Metal, Rock, Gothic und New Wave, die auf diesem Niveau schon lange nicht mehr zu hören war. „Strength“ gehört auf jeden Fall zu den spannendsten Alben 2021.

Bandhomepage
Unto Others bei Facebook

Northern Soul

Nach drei Jahren Wartezeit gibt es mit „Northern Soul“ (RYL NKR Recordings / Rough Trade) Neues von Erik Cohen auf die Ohren. Eigenwillig wie er nun mal ist, verliert er auch auf der aktuellen Scheibe kein bisschen seine Vorliebe für einen Genrecocktail aus Doom, Wave, Rock und eben allem, was düster ist. Trotzdem ist „Northern Soul“ offener und persönlicher geworden, als man es erwartet hätte.

Ein ein- und überleitendes Intro, düster, als ob der Küstenblick mit den sich nähernden und Gischt spritzenden Wellen vertont worden wäre. Man schwelgt im (musikalischen) Weitblick und kriegt den Kopf frei. Das folgende „Nach Dem Sturm“ vereint alles was ein Cohen‘scher Rocksong haben muss: die Hymnenhaftigkeit, den Hall, die Chöre und – vor allem – Charisma. Mit „Bomberjacken“ hingegen werden selbst die Oi-Punks aus der Reserve gelockt. Eine schmissige Melodie, Oi-Rufe, und immer einen Drahtseilakt zwischen Aufstehen und Abstürzen fabrizierend. Mit „Schleswig-Holstein“ und „Café Stietzel“ wird Erik Cohen, der für gewöhnlich eher der Meister der Selbstinszenierung ist, ungewohnt persönlich. Die Zerrissenheit zwischen Loslaufen und Ankommen thematisiert er irgendwo zischen wavigen Gitarrenriffs und Powerchords. „Café Stietzel“ hingegen ist im Sound ungefähr so vintage wie der verklärt-verliebte Blick zurück, den der Song erzählt, und empfiehlt sich gleichzeitig für die dicke Party, wenn man sich wieder freudetrunken in den Armen liegen kann.

Mit „Northern Soul“ hat Erik Cohen ein Stück weit sein innerstes nach außen gekehrt – das steht ihm ausgesprochen gut. Natürlich wird die Rockstar-Sonnenbrille auch schnell wieder hochgezogen, ganz Rock‘n‘Roll-Klischee eben, aber wie wuchtig sich norddeutsche Zurückhaltung anhören kann beweist der Kieler wieder eindrucksvoll.

THE MURDER CAPITAL – Live-EP mit FKA Twigs-Cover

The Murder Capital haben gerade die Live-EP „Live From BBC Maida Vale“ über ihr Label Human Season veröffentlicht. Die drei auf der EP enthaltenen Songs wurden kurz vor der Pandemie in den BBC Maida Vale Studios für Annie Macs Future Sounds Sendung aufgezeichnet. Neben den Fan- und Live-Favoriten „Don’t Cling To Life“ und „Green &…

Metaego

Die Band Kramsky sagt euch nichts? Nicht mal nach längerem grübeln? Vielleicht erinnert ihr euch aber noch an Herr Berlin, denn unter diesem Namen war das Quartett aus Trier seit 2013 unterwegs, bis es 2016 unter Kramsky formierte. Daher ist „Metaego“ (Barhill Records/Cargo Records) bzw. Kramsky auch gar nicht so neu, wie es den Anschein erweckt.

Schon vom ersten Moment an ist es die sogenannte „angry pop music“ die einem in den Kopf schießt. Denn genau dieser Ausdruck, den Muff Potter einst etablierte, ist genau das, was auch Kramsky ziemlich gut beschreibt. Post-Punkige Gitarrenriffs streiten sich mit wavigem Schlagzeuspiel um die Herrschaft über zynische Textzeilen. Dissonant bis zum Anschlag.

Auf einer Metaebene, die sonst niemand kapiert.

Noch etwas Kokain, ja bitte!

Du musst was machen, damit die Einstellung stimmt.

Noch etwas Kokain, ja bitte!

Aus „Kokain? Ja Bitte!“

„Metaego“ ist eine sehr düstere Platte geworden, und mit dem dadurch gezeichneten Stimmungsbild lässt sich wahrlich nicht leicht umgehen. Wäre das Album ein Buch geworden, würde man einen Tolstoi mit sich rumschleppen – mindestens. Es ist schwere Kost, die man ein ums andere Mal wieder weg legt, bis man sich endlich nach mehreren Versuchen doch zum durchhalten aufrafft. Ein wenig scheinen Kramsky damit auch Opfer dieser Zeiten geworden zu sein – ohne Krise würde die Beschäftigung mit Metaego vermutlich leichter fallen. Die Band aus Trier liefert mit ihrem zweiten Album den Soundtrack für den Kater der Gesellschaft. Und der tanzt nunmal nicht barfuß und verliebt über Gänseblümchen hinweg, sondern läuft eher ausweichend an den Hinterlassenschaften auf Betonwüsten vorbei.

Bandhomepage

Kramsky bei Facebook

Kramsky bei Instagram

Debil (Vinyl-Re-Release)

So ist das doch mal fein!

Die Neuauflage des ersten Vollwert-Longplayers von Die Ärzte ist eine ganz und gar puristische Angelegenheit geworden: kein Remaster, kein überarbeitetes Artwork, kein Bonusmaterial – die 2019er Ausgabe von „Debil“ ist exakt das, was bereits 1984 in den Läden stand, nur eben in einer brandneuen Pressung ohne 35 Jahre Abnutzungsspuren. Kurz, genau das, was der Vinylsammler zumeist auch sucht.

Fans von Die Ärzte muss man zu dem Album wohl nichts mehr erzählen. Punkhistoriker werden sich beim Erstkontakt mit „Debil“ jedoch einigermaßen wundern: zum Beispiel über die saubere, poppige Produktion, die so gar nichts mit den Erstlingen der Hosen oder gar von Slime gemein hat. Oder über das vollkommene Fehlen von verzerrten Gitarrensounds. Oder über die reichlich wenig aggressiven Gesänge. So war das aber eben damals: Die Ärzte waren Punk eher in Attitude als in Musik. Stray Cats und The Smiths lagen ihnen vermutlich damals schon näher als Cock Sparrer und The Exploited. Dem Titel des Albums entsprechend präsentieren sich auch die Texte eher albern bis absurd als systemzerschmetternd. Allerdings war schon in der Frühphase die Wortkunst von Farin Urlaub und Bela B. ihrer Zeit weit voraus – „Debil“ hat all die „ironischen“ Indiebands der letzten zwanzig Jahre schon vorweg genommen und die Messlatte ziemlich hoch gelegt. Dabei klingt selbst ein Text wie ‚Claudia hat ’nen Schäferhund‘ heute recht harmlos – Die Ärzte brachte es damals direkt auf den Index. Umso schöner, dass „Debil“ mit komplettem Tracklisting und den Lyrics auf dem Innersleeve wiederveröffentlicht wurde. Doch nicht nur mit den wortspielreichen Phrasen, sondern auch mit der Hitdichte kann das Album punkten. Denn natürlich ist das Album vollgestopft mit Klassikermaterial. Das unkaputtbare ‚Zu spät‘ ist dabei nur die Spitze des Eisbergs, Songs wie ‚Frank’n’Stein‘, ‚Claudia hat ’nen Schäferhund‘, ‚El Cattivo‘, ‚Schlaflied‘ und ‚Roter Minirock‘ sind mindestens genauso gut. So richtig durchfallen tut eigentlich nur Bassist Sahnies ‚Kamelrallye‘, die zwar mit voller Absicht „langweilig und doof“ (Zitat aus dem Song) angelegt wurde, durch die Absicht aber nicht hörbarer wird – womit wir wieder bei den ironischen Indiepoppern wären.

Die Reissue-Kampagne der Klassikeralben von Die Ärzte nimmt jedenfalls einen vielversprechenden Anfang. Bleibt zu hoffen, dass das Projekt nicht am Ende des Sony-Vertrages stoppt, sondern auch die Alben der 1990er endlich eine vernünftig große Vinylauflage spendiert bekommen.

 

https://www.bademeister.com

https://www.sonymusic.de/home

NEW MODEL ARMY – Innehalten, nicht mehr schreien

„From Here“ klingt wie ein Gruß. Den senden uns New Model Army dieses Mal aus Norwegen. Dorthin ist die Band im März dieses Jahres aufgebrochen, um ihr mittlerweile 14. Studioalbum aufzunehmen, das eben jenen Titel trägt. Neun Tage lang hat man getüftelt, eingespielt, arrangiert und dabei die raue, noch schneebedeckte Landschaft auf sich wirken lassen.…

When I Have Fears

Etwas ist faul im Brexit-Land. Veraltete politische Eliten, Johnson-Anhänger und Fans einer obsoleten Weltordnung mögen mit markigen Sprüchen und verkrampften Gesichtern die Größe ihrer Nation und das Goldene der Zukunft beschwören. Aber ihre Kinder glauben ihnen nicht mehr. Die sind sauer und schlagen quer.

Es ist kein üblicher Generationenkonflikt, der Bands wie Idles, Life, Sleaford Mods oder Fat White Family hervorgebracht hat. Auf gereizte bis provokante Weise grenzen sie sich komplett ab von dem, was gemeinhin als die Gesellschaft bezeichnet wird. Und das aus der Überzeugung heraus, dass selbige ihnen nichts mehr zu geben hat – keine schönen Kindheitserinnerungen, keine soziale Wärme und schon gar keine rosige Zukunft. New Weird Britain nennen Musikkritiker diese mehr oder weniger neue kulturelle Erscheinung gern. Was sie so beeindruckend macht, ist ihre Verbittertheit, aber auch die wilde Entschlossenheit, ihre eigene Welt zu schaffen und zu verteidigen.

Nun gesellen sich The Murder Capital dazu. Musikalisch mögen sie sich nicht so wild wie manche ihrer Wegbereiter geben. Dafür stehen sie ihnen in Sachen Grimmigkeit in nichts nach. Was diese neue Band ihrem Umfeld, ihrer Elterngeneration, ja der Welt an sich mit ‚When I Have Fears‘ (Human Session Records) zu sagen hat, beschämt. Und ist geradezu bedenklich. Es muss uns mindestens aufrütteln aus der scheinbaren Zufriedenheit, in der wir leben. Denn so düster, wie die Grundstimmung des Albums gehalten ist, sollte es in einer jungen Seele nicht aussehen.

Die Songs von The Murder Capital, egal ob laut und schnell oder leise und bedacht, saugen alle Trostlosigkeit und Falschheit ihrer Umgebung auf und erschaffen eine Atmosphäre und eine Spannung wie aus dunkelsten Thatcher-Zeiten. Das Brexit-Sein bestimmt das Bewusstsein, und die fünf Musiker verfügen über ein ungewöhnlich klares Bewusstsein. Anders ist nicht zu erklären, dass schon auf ihrem ersten Album ein so starker, weil reifer Song wie ‚How The Streets Adore Me Now‘ auftaucht. Es ist nicht Wut – Teenage anger –, was die Grundhaltung der Band formt, sondern Verdruss, Abkehr, Melancholie. Die jungen Briten zeigen der Gesellschaft nicht aus luxuriösem Trotz den Mittelfinger, sondern sind mitten in ihr schlicht auf sich allein gestellt. Eine Generation, die kaum mehr Hoffnung hat. Nur die in sich selbst.

Das schöne ‚On Twistes Ground‘ verrät, dass damit auch viel Trauer und verletzte Gefühle einhergehen. Die Gegenreaktion ist das Aufbäumen und die volle Energie, die etwa ‚Don’t Cling To Life‘ entfaltet. In ihrer Tragik und ihrer Abgeklärtheit, vor allem wenn so elegisch wie in ‚Green And Blue‘ oder ‚Slowdance II‘, sind die Songs des Albums geradezu angsteinflößend. Denn es kann kein Zweifel daran bestehen, dass The Murder Capital genau wissen, was sie tun. ‚When I Have Fears‘ ist keine spätpubertäre Koketterie, keine Provokation aus Prinzip. Es ist eine Kampfansage. Die Beschwörung der Apokalypse. Aus der bitteren Überzeugung heraus, dass uns allen heimgezahlt wird, was wir verbockt haben.

HEAVEN’S CLUB (mit Migliedern von DEAFHEAVEN) – Zwischen Krautrock und New Wave

Shiv Mehra ist niemand, der sich auf seinen Lorbeeren ausruhen und sich eine Auszeit gönnen würde. Darum hat er Heaven’s Club gegründet. Der Deafheaven-Gitarrist begibt sich mit seinem aktuellen Projekt in neues musikalisches Terrain: eine gewagte Mischung aus Krautrock, Jazz-Perkussion, halldurchtränkten Riffs und übersteuertem Gesang. Das Debütalbum ‚Here There and Nowhere‘ erscheint a, 27. September…

MISS JUNE debütieren mit einer „Bad Luck Party“

Die neuseeländische Combo Miss June rund um Frontfrau Annabel Liddel veröffentlicht am 6. September ihr Debütalbum „Bad Luck Party“. Einen kleinen Vorgeschmack liefert die Single „Enemies“. In den USA konnten Miss June bereits von ihren Live-Qualitäten überzeugen. Wann sie hierzulande die Bühnen mit ihrem rauen Sound-Mix aus Punk, New Wave und Indie beehren, steht derzeit…

THE PARANOYDS starten durch

Life in plastic, it’s fantastic – zumindest in L.A., wo The Paranoyds ihr Hauptquartier haben. In seinem Clip zur Single „Girlfriend Degree“ liefert das zu drei Vierteln feminine Quartett allerdings einen zynischen Abgesang auf Beauty-Wahn, Oberflächlichkeiten und den Drang, gefallen zu wollen. In welche Richtung es auf dem am 13. September erscheinenden Debüt-Album „Carnage Bargain“…