Schlagwort: Garage Rock

Kennt ihr schon … THE TIP?

Retro-Revival ist eines der Schlagworte der letzten zwanzige Jahre, wobei ja schon immer Bands ihr Vorbilder geehrt haben – und ganz frei machen kann man sich von seinen Einflüssen ja ohnehin nie. The Tip aus Tennessee rocken dreckig mit ihrem Debüt „Sailor’s Grave“ aus der Hüfte, Sleaze Rock nennt sich das dann wohl. Wenn die Genre-Reminiszenzen in jeder Note mitklingen, darf man mal fragen, wie sie sich selbst sehen. Und genau das haben wir getan.

Vive La Fete! Vive La Révolution

Die Schweden The Leather Nun sind ohne Frage eine der wichtigsten Post-Punk-Bands überhaupt. Ende der 1970er veröffentlichten sie ihre erste EP auf dem „Industrial“-Label von No Wave-Lichtgestalt Genesis P. Orridge, John Peel verliebte sich in deren Titelsong ‚Slow Death‘ und pushte ihn in seiner Sendung nach Kräften, und auf ihren Konzerten liefen im Hintergrund auf einer Leinwand Schwulenpornos – schon eine ganze Generation vor Turbonegro. Die düstere, garagenmäßig produzierte Mischung aus Velvet Underground, Iggy Pop, Death Rock und Industrial war indes viel zu unkommerziell, um ein Massenpublikum zu erreichen – dafür der Einfluss auf nachfolgende Musikerkollegen umso größer.

Schnelles Vorspulen ins Jahr 1988. The Leather Nun haben sich in der Zwischenzeit eines deutlich verdaulicheren Sounds angenommen, irgendwo zwischen Gothic Rock, New Wave und knurrigem Bikerrock, und die Band ist auf ihrem kommerziellen Höhepunkt angelangt. Auch außerhalb Schwedens: The Leather Nun spielen, zusammen mit P.i.L., Big Country und Steve Hackett auf dem ersten Rockfestival auf sowjetischem Boden, dem Tallinn Song Festival. Der 45-minütige Set der Band ist nun als „Vive la fête! Vive la révolution!“ erstmals auf CD erhältlich. Soundtechnisch ist das Scheibchen für eine fast dreißig Jahre alte Aufnahme, die mit Sicherheit nie zur kommerziellen Verwertung gedacht war, überraschend ordentlich ausgefallen – natürlich inakzeptabel für HiFi-Fetischisten, aber die werden mit The Leather Nun eh nichts anfangen können. Hauptsächlich konzentriert sich der Set auf die zweite Hälfte der Achtziger, mit „Hits“ (in ihrer Heimat waren sie das tatsächlich) wie ‚Lust For Love‘, ‚I Can Smell Your Thoughts‘ und ‚Jesus Came Riding Along‘ und einer epochalen Version von ‚506‘. Mit ‚A Thousand Nights‘ gibt es bereits einen Vorgeschmack auf das erst zwei Jahre später erscheinende „International Heroes“-Album, und aus der Frühphase gibt es noch das alles zermahlende ‚Prime Mover‘ und die Abrissbirne ‚No Rule‘ obendrauf. Alles im grünen Bereich also, auch wenn das großartige ‚For The Love Of Your Eyes‘ (der beste Reed-Sond, den Lou nie schrieb) unverzeihlicherweise fehlt.

Klar, dem 1985er „Alive“-Album kann „Vive la fête! Vive la révolution!“ nicht ganz das Wasser reichen. Aber da genanntes Referenzwerk a. immer noch nicht auf CD erhältlich ist und b. laut Aussage der Band auch so schnell nicht sein wird, kann man „Vive la fête! Vive la révolution!“ als guten Einstieg in die Welt von The Leather Nun guten Gewissens jedem empfehlen, der oben genannte Bands mag. Fans greifen eh zu.

Near To The Wild Heart Of Life

Wenn eine Band bereits nach ihrem zweiten, allseits begeistert aufgenommenen Album eine vierjährige Pause einlegt, dann muss da ganz schön was passiert sein. Die Japandroids scheinen Titel und Mission ihrer Platte ‚Celebration Rock‘ anno 2012 mehr als ernst genommen zu haben, waren über ein Jahr lang in 40 Ländern auf Tour und nach 200 Konzerten – wen wundert’s? – schlicht ausgepowert. Der Rock’n’Roll frisst seine Kinder, und Schande, auf ‚Near To The Wild Heart Of Life‘ wird man leider den Eindruck nicht los, dass das Duo auch nach mehreren Jahren Bühnenabstinenz nicht zu seiner alten Form zurückgefunden hat.

Brian King und David Prowse haben die Arbeit an ihrem Drittling langsam angehen lassen. Wieder sind es acht Songs geworden, geschrieben im Verlauf zweier Jahre in Vancouver, Toronto, New Orleans und Mexico City, eingespielt in Vancouver und Montreal, gemischt in Bridgeport / Connecticut und gemastert in New York. Diese Patchwork-Produktion scheint ihren Tribut zu zollen – wer will, kann in der Songzeile

‚So many miles, so much to lose‘

(‚Midnight To Morning‘) die Bestätigung dafür finden. Auf der Strecke geblieben ist eindeutig der Biss, mit dem die Japandroids auf ihren bisherigen Alben glänzten.

Dabei sind die Grundlagen immer noch da. Die beiden im Vorfeld sorgfältig ausgewählten Singles (der Titeltrack ‚Near To The Wild Heart Of Life‘ und ‚No Known Drink Or Drug‘) haben angedeutet, dass das Duo immer noch seine unglaublich energische Schiene zu fahren in der Lage ist. Nur dass die Produktion diesmal gnadenlos mit dem Bügeleisen drübergegangen ist und der Rotz à la ‚Celebration Rock‘ fehlt. Riffspeiende Explosionen sind genauso rar wie der Einsatz von Verzerrern (‚I’m Sorry (For Not Finding You Sooner)‘ allein kann’s nicht reißen), dafür wurde nicht an Hall und Chören gespart. Zudem hat sich in den Sound eine Spur 80er-Jahre-Tanzfilm-Frohsinn eingeschlichen. Da wirkt jene Zeile aus dem Titeltrack, ‚I used to be good but now I’m bad‘, unfreiwillig komisch.

Die Herren King und Prowse haben die Garage verlassen und bevorzugen jetzt die Stadien. Immerhin ist das Album so klug choreografiert – es hört so stark auf, wie es angefangen hat -, dass es in uns einen Anflug der Euphorie hinterlässt, die wir von bisherigen Japandroids-Werken gewohnt waren.

LO FAT ORCHESTRA – Video verkürzt Wartezeit

Ende dieser Woche erscheint mit ‚Neon Lights‘ das neue Album von den Schweizern Lo Fat Orchestra auf dem Label Sounds Of Subterrania. Zur Wartezeitverkürzung haben die Drei ein neues Video zum Song ‚Stop Diggin‘ The Ground‘ veröffentlicht, das hier zu sehen ist. Außerdem ist die Band im Februar auch auf Tour. Hier die Daten: 17.02.…

Blue & Lonesome

Die Rolling Stones stehen musikalisch schon immer auf festem Blues-Boden. Umso verwunderlicher, daß „Blue And Lonesome“ nun ihr erstes „echtes“ Bluesalbum geworden ist. Zu diesem Zweck haben sie erst gar keine eigenen neuen Songs geschrieben, sondern zwölf mehr oder minder bekannte Genreklassiker eingejammt.

Richtig, eingejammt. Heißt, wer Joe Bonamassa für einen echten Blueser hält, braucht hier gar nicht erst reinzuhören. Denn statt braven Beamtenpoprock im Zwölftaktschema gibt’s hier deftig auf die Fresse. This is why it was called the devil’s music. Schon im Opener ‚Just Your Fool‘ röhrt Jagger wie vom Leibhaftigen besessen, daß sogar Tom Waits und Howling Wolf respektvoll den Hut ziehen. Charlie Watts swingt dazu gewohnt lasziv und „Keef“ und Ron Wood poltern rüde durch die Walachei und spielen sich mit schiefem Grinsen die Bälle zu. Und, weil’s nicht reicht, darf Mick nochmal beweisen, was für ein begnadeter Harmonika-Spieler er ist. Nee, sauber ist das nicht, HiFi erst recht nicht, und modischen Style hat das überhaupt keinen – aber das gilt für die alten Memphis Slim-, Magic Sam- und Buddy Guy-Aufnahmen, die hier Pate standen, ganz genauso. Die Stones halten sich dabei durchaus an den Spirit der Originale, legen aber ihren etablierten, aggressiv-öligen Rumpel-Garagensound mit in die Waagschale und kommen dabei mit einem unwiderstehlich pöbelnden, intensiven und brünftigen Gemisch aus 1956 und 2016 vorbei, der allen Pseudo-Bluesern mit ihren Zehntausend-Euro-HiFi-Anlagen die Schamesröte ins Gesicht treiben dürfte. Selbst Eric Clapton, der zwei Gastauftritte absolviert, erinnert sich da plötzlich daran, daß er früher mal bei den Bluesbreakers war und richtig geil spielen konnte. Was bleibt ihm auch anderes übrig, wenn Mick Jagger in ‚I Can’t Quit You Baby‘ mit überschnappender Stimme „I’m so tired, so tired, baby, I want to lay down and cry“ skandiert, wie ein Prophet, der nach der Viagra-Überdosis das Ende der Welt verkündet.

Das wird mit Sicherheit nicht jedem gefallen, möglicherweise auch nicht jedem Stones-Fan, aber man hat das Gefühl, daß diese Überlegung bei dieser Scheibe sowieso keine Rolle gespielt hat. Im Gegensatz zu Punk-Bluesern wie den White Stripes oder Jon Spencer ist hier nix absichtlich auf schief und trashig getrimmt, diese großkotzigen alten Männer klingen einfach so, wenn sie den bösen Wolf raus lassen. Und, oh boy, das tun sie. Lustvoll, dreckig und launig. Großartig.

Neues Album: Garagerock von LEOPOLD AND HIS FICTION

Die in Austin ansässige Band Leopold And His Fiction kündigt für 2017 ihr neues Album „Darling Destroyer“ an. Mit der ersten Single ‚Cowboy‘, die am 9. September erschienen ist, gibt es schon einen ausgezeichneten Vorgeschmack auf den Longplayer. Unterstützt wird der Song durch ein nicht minder aufregendes Video, das im Stile eines Kriminaldramas temporeich zwischen…

The Haze Is Forever

Holla, Weltliteratur. Und dann noch so anstößig und skandalumwittert, zumindest in den steifen Fünfzigern. Die vier Damen aus Stockholm hätten sich jedenfalls kaum einen wirksameren Namen als den der Dolores Haze geben können, um auf sich aufmerksam zu machen. Die geweckten Erwartungen erfüllen sie nicht nur mit Lolita-haftem Fotoposing und Videos, in denen sie nie eine Miene verziehen und absolut immer das don’t-give-a-fuck-Face inklusive Schmollmund zur Schau tragen. Auf ihrem Debütalbum ‚The Haze Is Forever‘ zelebrieren sie zudem viel zu kurze 21 Minuten lang Rock’n’Roll, wie ihn die Schweden lieben, und noch mehr.

Wem beim Verweis auf Vladimir Nabokovs Buch die Attribute kokett, provokativ, aufsässig einfallen, der ist auf dem richtigen Weg zum Sound von Dolores Haze. Als weiteres Indiz ihrer Qualitäten darf gelten, dass sich Iggy Pop persönlich willig von ihnen betören lassen hat und sie für einige seiner Gigs verpflichtete. Woran das liegt? An der Rotzgören-Attitüde, die die vier Schwedinnen vollendet an den Tag legen, und dem herrlich borstigen Charakter ihrer Songs.

Als erste Testrakete war 2015 die Single ‚I Got My Gun‘ veröffentlicht worden. Das anarchistische Elektropunk-Stück (

‚I don’t need a lover, I got my gun.‘

) ist auch auf ‚The Haze Is Forever‘ vertreten. Für den Rest des Albums wurde der Synthesizer erfreulicherweise kaum noch bemüht, dafür aber die Saiteninstrumente malträtiert. Die Platte prägt ein übersteuerter Garagensound, bei dem die Gitarre schrammelt, der Bass zerrt, die Becken scheppern. Vermeintliche Genreeinordnungen wiederlegt jeder neue Song; die Musikerinnen nehmen sich aus der Pop-Geschichte, was sie gerade brauchen. (Achtung, sie nennen es diva couture!) Hauptsache trotzig.

Vielleicht haben ihre Mütter den vier Mädels früher einmal zu oft erzählt, dass sie mit dieser Haltung nicht weit kommen werden. Ihre bandgewordene Renitenz ist es heute, die Dolores Haze zu einem der heißesten Newcomer des Jahres und Liebling der Kritiker macht. Keine Sorge Mutti, die bringen es noch zu was. Dank großer Klappe und viel dahinter.

The Dream Is Over

Wenn man Stefan Babcock über ‚The Dream Is Over‘ philosophieren hört, gewinnt man schnell den Eindruck von einem Comin-of-Age-Werk. Nur ist es in seinem Fall aber ein End-Zwanziger, der sich auf dem neusten Album von PUP, bei denen er sowohl Gitarre als auch Mikrofon bedient, die Frage stellt, ob das Musiker- und Tour-Leben für ihn noch ein angemessenes ist. Das ist ein bisschen niedlich, bedenkt man die Ausdauer alter Barden wie Iggy Pop oder Mick Jagger. Aber in diesem, nennen wir es Beruf gehen die Uhren anders, und Babcock scheint seine Band fast noch als Jugendsünde zu begreifen, wenn er also sagt: ‚Die meisten Menschen erfahren diese Resignation, diese Akzeptanz des echten Lebens mit all seinen Fehlern früher oder später. Das nennt sich ‚erwachsen werden‘.‘

Was dieses ‚echte Leben‘ und Erwachsensein für Babcock nicht ist, wird deutlich im Video zum Album-Opener ‚If This Tour Doesn’t Kill You, I Will‘ anschaut. Monatelanges Touren weckte offenbar mordlüsterne Gefühle für die Bandkollegen, die blutig in Szene gesetzt und überdeutlich im Text verarbeitet wurden:

‚Everything you do makes me wanna vomit / And if this tour doesn’t kill you, buddy, I’m on it / Don’t wish you were dead, I wish you’d never been born at all.‘

PUP und ihr neues Album stecken voller Sarkasmus (allein der Albumtitel!), der nichts für Humanisten bereithält. Die Melodien dazu sind vielschichtig bis verspielt, besteht in mehreren Ebenen. Mehrstimmige Gesänge und Shouts verleihen den Songs eine schier unbändige Kraft, Babcock legt sich stimmlich schwer ins Zeug.’DVP‘ und ‚My Life Is Over and I Couldn’t Be Happier‘ gehen gut nach vorne weg, ‚Old Wounds‘ wartet mit straightem In-your-face-Hardcore auf. In ‚Can’t Win‘ wiederum driften PUP fast in Pop-Gefilde ab und wirken eigenartig versöhnlich, was die gesamte Wirkung des Albums ein wenig ausbremst. Dafür konstatiert Babcock im folgenden ‚Family Patterns‘ sogleich haareraufend und händeringend:

‚I never felt so shitty before, I never felt so miserable‘

, um zum Abschluss mit ‚Pine Point‘ fast wieder melancholisch zu werden.

‚The Dream Is Over‘ ist ein Album wie eine Achterbahnfahrt. Gemeinsam mit der Band ist der Hörer hin- und hergerissen zwischen der Akzeptanz des Älterwerdens und einer trotziger Fuck you-Haltung. Es ist ein sehr lebendiges Album und ein sehr knackiges. Nach knapp 31 Minuten ist es viel zu schnell vorbei. Der Traum aber zum Glück noch lange nicht.

GRANDE ROSE präsentieren melodischen Schwedenrock auf Tour

Treibend, rollend, dunkel, düster, mächtig. Wer Grande Roses aus Stockholm noch nicht kennt, sollte sich schleunigst einen der anstehenden Deutschland-Termine reservieren. Die fünfköpfige Band ist irgendwie immer ‚im Aufbau‘ und auf der Suche. Vom Country kommend entwickelte sich der Sound über die letzten Jahre immer mehr in einen wuchtigen eigenen Stil. Ein Sound, der mit…

Weekend Man

Hau drauf und hab Spaß dabei – bei diesem Garagenrock wippt das Chassis des Autos fröhlich quietschend im Takt. Gleich mit dem Opener ‚Here I come (There You Go)‘ stellen Royal Republic schon mal eine Ansage in den Raum. Der Rest des Albums folgt dann in hemmungsloser Schlichtheit hinterher.

Nicht falsch verstehen, schlicht ist hier nicht negativ besetzt, nicht mal ein bisschen. Laut, geradeaus, schnell, wer Hilfe beim Aufräumen oder Putzen braucht, ist hier genau richtig bedient. Diese Musik treibt dich vorwärts und wenn du in deinem Wahn dann anfängst, wild zu entrümpeln, ohne darüber nachzudenken, um so besser. Denn wenn diese Schweden einem etwas beibringen können, dann wie man sich von unnötigem Ballast trennt.

Die Scheibe ist das musikalische Äquivalent eines Jean Claude van Damme Films (die Rezensentin mag The Muscle From Brussels ab und an ganz gern) – wer braucht schon intellektuellen Tiefgang, wenn es einfach nur amtlich zur Sache geht?

Royal Republic ziehen ihr Ding durch und es macht deutlich mehr Spaß, als IKEA Möbel zusammenzubauen. Ihr viertes Album ist auch deutlich weniger komplex, als ein Billy Regal. Aber wie gesagt, das macht nix, denn ‚Weekend Man‘ macht einfach Laune.