Ein ziemlich knorkes Teil für Vinylsammler ist „The Essential Album Collection, Vol. 1“, eine Sammlung klassischer Alben der deutschen Experimental-Band Popol Vuh. Auf sechs LPs finden sich fünf Studioalben der Band, die allerdings nicht chronologisch aufeinander folgen: „Affenstunde“ ist das Debüt von 1970, „Hosianna Mantra“ (1972) das dritte und „Einsjäger und Siebenjäger“ (1974) das fünfte Studioalbum der Band. Dazu gibt’s die Soundtracks zu den Werner-Herzog-Filmen „Aguirre“ (1975) und „Nosferatu“ (1979), letzteres in seiner vollständigen Fassung und konsequenterweise verteilt auf zwei LPs.
Nun muss man sich nicht wundern, wenn man von Popol Vuh bislang nur den Namen kennt. Der wird nämlich gerne von Künstlern wie Steven Wilson, Mikael Akerfeldt oder Mike Oldfield beschwärmt. Akerfeldt nutzt beispielsweise ‚Through Pain To Heaven‘ vom „Nosferatu“-Soundtrack seit jeher als Intromusik für Opeth-Konzerte, und Oldfield hat immer freimütig zugegeben, dass die Band um Florian Fricke einen großen Einfluss auf seine Frühwerke ausgeübt und ihre Musik ihn darin bestärkt hat, sich von den Pop-/Rock-Konventionen zu lösen. Schön, aber wie klingen Popol Vuh denn nun?
„Meditativ“, „hypnotisch“,
„spirituell“ – das sind die Worte, die meist zum Thema fallen.
Nun, das mag sein, aber rein musikalisch gesehen können diese
Aussagen alles Mögliche bedeuten. Also fangen wir doch einfach bei
den in der Box enthaltenen Scheiben an. Das erste Album „Affenstunde“
wurde von Fricke größtenteils mit dem Moog-Synthesizer eingespielt.
Die entspannten Synthie-Klangflächen erinnern ganz klar an die
„Zeit“-Phase von Tangerine Dream – auch hier gibt es nur
Atmosphäre, aber keine wirklichen melodischen oder rhythmischen
Strukturen, die an konventionellen Pop oder Rock erinnern, dafür
tauchen ein paar ebenfalls eher offen
strukturierteWorld-Music-Percussions auf. Kurz gesagt, „Affenstunde“
enthält über weite Strecken das, was in den Achtzigern als
„Ambient“ bekannt wurde, gemischt mit dem, was Hipster seit ein
paar Jahren unter dem Namen „Drone“ als neu verkaufen. Somit
sollte klar sein, dass das Album etwas für den „besonderen
Geschmack“ ist. Hört man darauf das nur zwei Jahre später
entstandene Drittwerk „Hosianna Mantra“, kann man kaum glauben,
dass es sich dabei um die gleiche Band handelt: statt kosmischer
Klangebenen gibt es nun Akustik- und E-Gitarren sowie Folk- und
Progressive-Rock-Einflüsse. Der Synthesizer ist zwar immer noch
stilprägend, passt sich aber in das organische Klangbild ein.
Speziell Conny Veits Gitarren verraten, warum Mike Oldfield Popol Vuh
als Inspiration nennt: bei vielen „Songs“ fällt es schwer, nicht
an „Hergest Ridge“ und „Ommadawn“ zu denken. Auch das Format,
auf einer Albumseite eine lange, ausufernde Komposition und auf der
anderen kürzere, prägnantere Stücke zu präsentieren, hat Oldfield
mit Sicherheit Dank der Mitwirkung der koreanischen Sopranistin Djong
Yun gibt es auch erstmals Gesang auf einem Popol Vuh-Album zu hören,
wenn auch freilich weiterhin nicht im traditionellen Pop-Sinn. Djong
Yun war auch zum fünften Album „Einsjäger und Siebenjäger“
noch mit an Bord, Conny Veith wurde hingegen von Daniel Fichelscher
ersetzt. Der hatte zuvor bereits geholfen, Amon Düül II in eine
melodischere und songorientiertere Richtung zu lenken und sollte bis
Anfang der 1990er Jahre als einziges permanentes Mitglied an Frickes
Seite bleiben. Mit seinen vom Rock, Klassik und (damals) modernem
Jazz beeinflussten Harmonien prägte er den „typischen“ Popol
Vuh-Sound in den Folgejahren fast genauso stark wie der Bandboss.
Auch dieses Album dürfte speziell Oldfield-Fans gut beigehen, Popol
Vuh zeigten sich im Vergleich zu den Frühwerken deutlich melodischer
und zugänglicher.
Die Alben „Aguirre“ und vor allem
„Nosferatu“ gehören zu den bekanntesten Werken der Band.
„Aguirre“ erschein erst 1975, drei Jahre nach dem Film, enthielt
aber auch eigentlich nur zwei der für den Film komponierten Stücke
(‚Aguirre I‘ und ‚Aguirre II‘). Der Rest war in den Jahren
1972 bis 1974 entstanden und hatte auf den bisherigen Alben keinen
Platz mehr gefunden, ‚Morgengruss II‘ und ‚Agnus Dei‘ waren
in anderen Takes bereits auf „Einsjäger und Siebenjäger“
enthalten. Deshalb zeigt sich das Album auch stilistisch etwas
uneinheitlich. Genau deshalb kann „Aguirre“ aber auch als guter
Einstieg ins Universum der Band dienen. „Nosferatu“ enthält in
dieser Version das komplette für den Film verwendete Material, das
ursprünglich auf die Alben „Brüder des Schattens – Söhne des
Lichts“ und eben „Nosferatu“ verwendet wurde. Der Titelsong von
„Brüder des Schattens“ wurde allerdings auf einen knapp
sechsminütigen Auszug komprimiert. Das „Nosferatu“-Album zeigt
sich phasenweise dem Thema des Filmes entsprechend als ungewohnt
düster und bisweilen reichlich bedrohlich, aber immer im Wechsel mit
den typisch positiven Popol Vuh-Harmonien. Kein Wunder, dass
Akerfeldt hiervon so begeistert war, eine ähnliche Stimmung findet
sich auch auf „Storm Corrosion“ und „Heritage“.
Als Musikfan hat man also die Auswahl zwischen der Vinyl-Box oder den Einzel-CDs. Alle Formate enthalten Bonus-Tracks und Liner Notes – etwas enttäuschend nur, dass die Liner-Notes bei allen CDs identisch sind, genauere Infos zu Besetzung oder Entstehung der Alben gibt’s also nicht. Dafür eine Kurzbiografie und Würdigungen der Band von Kollegen. Egal in welchem Format – für aufgeschlossene Prog-Fans und Freunde unkommerzieller Musik sind Popol Vuh in jedem Fall eine Entdeckung wert.