Schlagwort: Experimental

PERVY PERKIN – Crowdfunding-Kampagne erfolgreich – Tolles Video zum Album

In der Progressive-Rock-Abteilung von Whiskey-Soda herrscht frohlockende Freude und riesige Aufgeregtheit. Der Grund ist tatsächlich nur, dass eine „kleine“ innovative Band aus Spanien ihr drittes Album angekündigt hat. Pervy Perkin, die unkonventionell-experimentelle, fünfköpfige Band aus Murcia und Madrid hat bereits 2012 („Ink“) und 2016 („ToTeM“) mit zwei vor Ideenreichtum überquellenden Progressive-Rock-Werken für Begeisterung in unserer…

Planet Jarre

Mit „Planet Jarre“ lässt der französische Elektropionier Jean Michel Jarre seine mittlerweile fünfzig Jahre andauernde Karriere Revue passieren. Dafür hat er von seinen frühen, experimentellen Stücken bis zu den aktuellen Singles ‚Coachella Opening‘ und ‚Herbaliser‘ seine Lieblingsstücke versammelt und die stilistisch in vier Kapitel unterteilt.

CD 1 beginnt mit dem Kapitel „Soundscapes“ und enthält die getragenen, ätherischen Soundflächen wie beispielsweise die Eröffnungssequenzen von „Oxygene“ und „Rendez-Vous“ sowie ‚Waiting For Cousteau‘. „Themes“ nimmt die zweite Hälfte der ersten Disc ein und präsentiert hauptsächlich die hymnisch-melodischen Stücke, darunter die Singlehits ‚Oxygene 4‘, ‚Zoolookologie‘ und ‚Magnetic Fields‘. Disc 2 startet mit „Sequences“, einer Sammlung der, der Titel verrät es, sequencergetriebenen, rhythmuslastigen und größtenteils tanzbaren Stücke wie das mit Armin Van Buuren aufgenommene Trancestück ‚Stardust‘. „Explorations & Early Works“ ist dann das exakte Gegenteil – gerade die Frühwerke sind keinesfalls Easy-Listening-Material und tragen deutliche Spuren der Avantgarde. Dieses Kapitel bringt uns dann auch einige weitere Raritäten wie beispielsweise ein hier erstmals veröffentlichter, zweiminütiger Auszug aus dem Demo des sagenumwobenen „Music For Supermarkets“-Album, seine erste Single „La Cage/Erosmachine“ und der ebenfalls bislang unveröffentlichte Auszug ‚AOR Bleu‘ aus dem Ballett „AOR“ von 1971. Die Zusammenstellung bietet somit einen ganz guten Überblick über Jarres Gesamtwerk, auch wenn das Debütalbum „Deserted Palace“ (1971) sowie die Arbeiten zwischen „Métamorphoses“ (1999) und dem „Electronica“-Doppelschlag (2015) leider nicht berücksichtigt werden – schade im Falle von „Deserted Palace“, weniger schade im Falle von eher flach geratenen Arbeiten wie „Teo & Tea“.

Nun gibt es aber ja bereits eine ganze Menge anderer Sammlungen von Jarre, weshalb natürlich etwas genauer darauf eingegangen werden muss, inwiefern „Planet Jarre“ sich von vorangegangenen Werkschauen abheben kann. Das 2011 veröffentlichte „Rarities & Essentials“ hat beispielsweise dank seiner enormen Menge an bis dato Unveröffentlichtem klar für den Sammler die Nase vorne – das gibt’s aber schon seit ’ner Weile nicht mehr zu kaufen, und einige dieser Raritäten haben es ja immerhin auf Disc 2 ins „Explorations & Early Works“-Kapitel geschafft. Kritisieren muss man aber, dass Jarre wieder einmal nicht die originalen Single- oder Albumversionen der Stücke berücksichtigt hat, sondern wieder einmal neue Edits erstellt hat. Für diejenigen, die gerne die Versionen hätten, die sie vom Radio kennen, ist das natürlich etwas enttäuschend, genauso für Puristen, die das Material gerne in der ungekürzten Urform gehört hätten. Andererseits kann man Jarre zumindest nicht vorwerfen, immer wieder lieblos das gleiche Material aneinanderzuklatschen – es ist offensichtlich, dass bei der Zusammenstellung der vier Kapitel durchaus aufs Detail und einen stimmigen Fluss geachtet wurde.

Aufgrund der schieren Menge an Material, der chronologischen Spannweite und der enormen stilistischen Abwechslung ist „Planet Jarre“ also tatsächlich ein ziemlich ideales Einsteigerpaket ins Werk des Musikers und Komponisten geworden. Aus exakt den gleichen Gründen aber verlangt die Doppel-CD dem Hörer auch eine ganze Menge an musikalischer Offenheit ab und widerlegt dabei fraglos und vehement den oft gehörten Vorwurf der „Elektrosnobs“, Jarres Musik sei nur eindimensionaler Kitsch. Mehr kann man von einer Compilation eigentlich nicht verlangen!

Eine kleine technische Anmerkung noch: die beiden Discs sind randvoll mit Musik und überschreiten beide die Spielzeit des Red Book-Formats für Audio-CDs. Wer also noch einen älteren CD-Player benutzt, könnte womöglich beim Abspielen der Scheiben auf Probleme stoßen – PC-Laufwerke, BluRay-Player oder Geräte aus den letzten Jahren sollten das Album jedoch problemlos wiedegeben.

Roxy Music (Deluxe Edition)

Über die musikhistorische Bedeutung des Roxy Music-Debütalbums muss man definitiv nicht mehr streiten. Was Bryan Ferry, Phil Manzanera, Andy Mackay, Paul Thompson, Graham Simpson und natürlich Brian Eno mit ihrem ersten Album ablieferten, hatte nachhaltige Wirkung auf so ziemlich jeden, der in der Folge schrägen und eklektischen Pop anpackte. Klar, auch Roxy Music kochten nur mit Wasser, der „Hunky Dory“/“The Man Who Sold The World“-Bowie, das Frühwerk von King Crimson (deren Texter Peter Sinfield das Album auch produzierte), Jacques Brel, Minimalmusik im Sinne von Glass und Reich und die elektronischen Experimente von Stockhausen kann man klar als Vorläufer werten – doch seien wir ehrlich, wer wäre ansonsten damals noch auf die Idee gekommen, all diese widersprüchlichen Elemente durcheinanderzuwürfeln, mit einem guten Schuß harten Rock und einer Begeisterung für hochkonzeptionelle Ästhetik und den modischen Stil der 1930er in einem einzigen Gesamtkunstwerk zu vermengen?

Eine ausführliche Deluxe-Ausgabe macht somit bei kaum einer Band mehr Sinn. Aufgrund der – nicht nur damals – für viele Ersthörer eine klare Überforderung darstellenden Detailfülle der Musik macht auch die Verarbeitung als Surround-Mix (natürlich angefertigt von Steven Wilson) absolut Sinn. Die findet man allerdings nur im großen Box-set – Whiskey-Soda lag zur Rezension „nur“ die reguläre 2CD-Version vor. Aber auch die weiß vollkommen zu begeistern. Nicht nur, weil das Album mit Klassikern wie ‚Ladytron‘, ‚Re-Make/Re-Model‘ oder dem epischen ‚Sea Breeze‘ auch heute noch frisch und mitreißend klingt und das Album in seiner US-Version enthalten ist – also MIT der ersten Single ‚Virginia Plain‘, die in Europa fehlte. Auch, weil das fest gebundene Digibook sich auch im Regal durchaus schick macht und mit ausgiebigen Informationen über die Entstehung der Band und des Albums, einer ganzen Reihe Fotos und Informationen zu den Bonustracks punktet. Und, ach, diese Bonustracks! Eine komplette Sammlung der für die BBC zur damaligen Zeit gemachten Livesessions in absolut makelloser Qualität! Besonders interessant ist dabei die erste, fünf Songs umfassende Session, bei der es sich um Aufnahmen VOR den Sessions zum Album handelt und bei denen Phil Manzanera noch nicht Mitglied der Band war – stattdessen bediente Ex-The Nice-Gitarrist Davey O’List (!) die sechs Saiten. Nicht nur für Fans ist es höchst interessant, die Versionen von ‚If There Is Something‘ oder ‚The BOB‘ mit ihren späteren Takes zu vergleichen: obwohl die Arrangements weitgehend identisch sind, liegen doch Welten zwischen den beiden Gitarrenstilen und somit dem Endresultat. Ebenso begeisterungswürdig ist die „BBC In Concert“-Session, die den ersten offiziell veröffentlichten Konzertmitschnitt des Debüt-Line-Ups darstellt. Speziell bei Brian Enos wüsten und bislang ungehörten Synthie-Gequietsche und –Gefiepe kann man sich die Gesichter der Zuschauer auch heute noch lebhaft vorstellen – schließlich wurden Roxy Music aufgrund ihres flamboyanten Auftretens damals generell als Glamrock-Band gehandelt und gebucht… Sweet- oder Slade-Fans dürften sich mit Sicherheit ein wenig schwergetan haben.

Also, der ganz harte Fan greift natürlich zum fetten, großformatigen Boxset – das ist allerdings mit ca. 130€ ganz schön happig bepreist. Die 2CD-Version mit den BBC-Sessions hingegen sollte jeder, der sich für intelligente und eigensinnige Rockmusik interessiert, sofort auf den Einkaufszettel schreiben, auch wenn das Album bereits in der Sammlung steht: alleine schon die Qualität der BBC-Aufnahmen lohnt die Anschaffung in jedem Fall. So muss ein Reissue aussehen.