Schlagwort: Post Wave

PLATTENBAU – Net Prophet

Vier Musiker aus drei Ländern (in Waliser, ein Amerikaner und ein Schwede) bilden im ehemaligen Ost-Berlin die Formation Plattenbau, die jetzt ihr neues, drittes Album „Net Prophet“ (Dedstrange) vorstellt. Die musikalischen Wurzeln der Band liegen zwischen Blues, Rock und Country, aber auch im Punk, in der Elektronik, beim Avantgarde und im Wave- und Noiserock. Die…

Apparatschik

Ein in schwarz und weiß gehaltenes Art-Noir-Albencover macht Lust auf „Apparatschik“ (Augeil Records / Noisolution) , einem musikalischen Gruß aus Zürich. Nach einigen EPs und dem 2019er Album „Gourrama“ legen The Shattered Mind Machine mit „Apparatschik“ ihren neuen Longplayer vor.

Das Schweizer Trio wurde vor sechs Jahren gegründet und besteht aus Simon Fehr (Gitarre und Gesang) sowie Kaya Guggenheim am Schlagzeug und Simon Hirzel am Bass. Diese Besetzung hört sich zunächst nach klassischem Rock an, doch wer die EPs schon kennt, der weiß, dass diese Maschine zwischen den Genres kreuzt. Alternative (Post)Rock trifft auf klassischen und Post Punk, trifft a Wave und Stoner Rock. Das wird mal psychedelisch, mal poppig, mal fühlt man sich an The Cure erinnert, mal an Szenebands wie Coogans Bluff (abzüglich der Bläser) oder Daily Thompson. Die Songs bleiben dabei bis auf zwei Ausnahmen im Vierminutenbereich überraschend kurz (aber hey, es ist ja auch Punk!) und schraddeln irgendwo zwischen zwei und drei Minuten. Schade eigentlich, denn das Songwriting ist überwiegend so gut, dass man gerne mehr beziehungsweise länger gehört hätte.

Viel mehr gibt es aber auch gar nicht zu meckern. The Shattered Mind Machine überzeugen mit griffigen Kompositionen, wabernden, ziemlich psychedelischen Gitarren und tadelloser Gesangsarbeit, welche die teils philosophischen Texte gut herüberbringt, sei es nun im treibenden Opener ‚Paper‘ oder im etwas leichteren, fast schon poppigen ‚Josaphat‘. Richtig gut, wenn auch sehr kurz: der Titelsong und das vorangehende ‚Anyway‘, die Höhepunkte der Platte, welche die Härteschraube etwas anziehen und leicht noisige Soundscapes aufbauen. ‚Mosquitos‘ groovt und bleibt auch nach dem Ende noch lange im Ohr. Und der geneigte Hörer wird nach dem Ende der Platte nicht lange zögern und sich das Ganze noch einmal von vorne anhören. So muss das sein.

Das Albumcover mag nur schwarz und weiß sein, aber die Musik der Shattered Mind Machine hat viele Farben, viele Formen.

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Carnival (Redux)

Endlich ist klar, was das Problem mit „Carnival“ (Erstveröffentlichung 2005) war. Von allen New Model Army-Alben war es das, was nur schwer reinpasste in die Gesamtdiskografie. Und was immer eher irritierte als erfreute. Nun kommt die Band also mit einem Eingeständnis um die Ecke, und es fällt einem wie Schuppen von den Augen: „Wir hatten immer das Gefühl, dass ‚Carnival‘ das Album war, bei dem die Aufnahmesessions, das Mixing und das Mastering den Songs nie gerecht geworden sind.“

Aha! Das Material war gut, nur die Verarbeitung schlecht? Absolut, es stimmt, und das wissen wir nun dank der neu abgemischten „Redux“-Version (earMUSIC). Schon mit den ersten Klängen stellt es sich ein, das wohlige Gefühl, das die Fans bei jedem Album der Band verspüren dürften. Auch auf „Carnival“ ist er nun da, der typische New Model Army-Sound. Der Bass ist zu hören, die Gitarre hat den Platz, der ihr gebührt, das Schlagzeug ist homogen und unangebrachte Spielereien bei den Arrangements wurden gekappt.

Wusste der Produzent anno 2005 nicht, dass es gerade die Rhythmusfraktion ist, mit der ein New Model Army-Song steht und fällt? Die Originalversion des Albums jedenfalls ist eigenartig flach und fast kühl, als ob der Mensch am Mischpult keinerlei emotionale Bindung zu der Musik aufbauen konnte. In der „Redux“-Version wird alles viel besser zusammengehalten. Vorher standen die Instrumente seltsam fremdelnd nebeneinander, jetzt bilden sie ein organisches Ganzes.

„Bluebeat“ zum Beispiel wurde vom nervigen Xylophon befreit und erfährt durch die Hervorhebung der Mundharmonika eine deutliche Aufwertung. Oder in „In Rumour and Rapture“ hört man nun erst einmal so richtig das Gitarrenspiel von Marshall Gill, für den „Carnival“ 2005 die erste Platte mit New Model Army war und der sich – jetzt gut hörbar – gleich mächtig ins Zeug legte. Eben dieser Song ist einer von vier Zusatztracks, mit dem die „Redux“-Version aufgepeppt wurde. Hinzu kamen Stücke, die man bisher vor allem als Akustikversionen von speziellen Live-Events kannte. Besonders „One Bullet“ und „Stoned Fired and Full of Grace“ sind songwriterische Perlen. Schade ist nur, dass gerade diese beiden Lieder sehr ähnlich und vergleichsweise konventionell arrangiert wurde.

Das Schöne ist, dass die vier zusätzlichen Songs nicht phantasielos an die ursprüngliche Playlist rangepappt wurde. Hier hat sich nochmal jemand richtig Gedanken gemacht, und die neue Reihenfolge aller Tracks tut dem Album sehr gut. „Carnival“ ist vielleicht immer noch nicht das beste New Model Army-Album – „LS43“ und „Prayer Flags“ sind klare Schwachstellen. Bandleader Justin Sullivan selbst sagt, dass die Platte in einer für die Band schwierigen Phase entstanden ist. Aber als „Redux“ klingt sie wesentlich runder, alles sitzt besser. Die Wiederauflage ist mit das Beste, was den Fans geschehen konnte in diesem irren Corona-Jahr, in dem viele von uns ein wenig ihren Halt verlieren. Zumindest das NMA-Universum ist damit in seine Fugen gerückt.

 

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Oktober Promotion

Rat City Dog Boy

Schwedischen Bands scheint es unmöglich zu sein, schlechte Musik abzuliefern. Rotten Mind aus Uppsala machen da keine Ausnahme: Mit seinem inzwischen vierten Album „Rat City Dog Boy“ (Lövely Records) feiert das Quartett den Post-Punk, die Melancholie und die Wut. Auf zu einer Tour de Force durch elf Songs, die wie ein Tornado alles mitreißen, was nicht niet- und nagelfest ist.

Wo die Reise hingeht, macht bereits der Opener „City Rats“ klar: Die Jungs haben sich zum Rudel zusammengerottet und sind aus ihren Löchern gekrochen, um lauthals und mit ordentlich Druck auf dem Kessel klarzustellen, wer in den Straßen das Sagen hat. Rotten Mind gelingt es mühelos, sich verschiedenster Genres zu bedienen und sie zu einem packenden, maximal elektrisch aufgeladenen Mix aus ungeschliffenem Retro-Feeling und kantigen aktuellen Sounds zu kombinieren.

In einem Track wie „Nothing Left To Give“ paaren sie gekonnt einen winzigen Hauch Emo mit zornigen Gitarren, stakkatohaften Drumbeats, eingängiger Melodie und reichlich „Leckt mich doch alle!“-Attitüde, ohne zu nerven oder gar pathetisch und selbstmitleidig zu wirken. Die Schweden sind angepisst. Sie schreien alles was sie ankotzt raus, während sie metaphorisch durch Uppsalas düstere Gassen ziehen.

Dem Finsteren lässt die Band ohnehin gerne wohldosiert freien Lauf. „I’ve Got No Time“ baut mit seinen walzenden Akkorden eine so dichte Atmosphäre auf dass man meint, beim Zuhören durch eine undurchdringliche Nebelsuppe zu irren. Am Ende des Songs bläst ein fulminantes Drum-Finale den weißen Schleier weg, und das sachte ausklingende Becken weist den weiteren Weg: mit Vollgas in die zweite Hälfte der Platte.

Das durchgehend hohe Tempo hindert Rotten Mind allerdings nicht daran, „Rat City Dog Boy“ mit einem Akustik-Stück ausklingen zu lassen. „And Now It’s All Gone“ nimmt kein bisschen Geschwindigkeit raus, lebt vom gut platzierten Hall in Jakob Arvidssons Gesang und gibt der Hörerschaft mit, dass am Ende doch irgendwie alles gut wird – trotz der Verluste, die man unterwegs vielleicht erleidet.

Rotten Mind hätten ihr Album getrost „Atemlos durch Uppsala“ taufen können. Die Band treibt ihre ZuhörerInnen unbarmherzig vor sich her, fordert ihnen alles an Energie und Emotionen ab und dreht sie gnadenlos durch die Mangel, um sie am Ende mit einem kathartischen Knalleffekt wieder ins Hier und Jetzt zu schleudern. Eine Platte mit Zentrifugaleffekt – blanker Wahnsinn im positivsten Sinne.

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From Here

I’ve always tried never to press too hard, I never wanted to leave a mark. I’m good with disappearing like I was never there. (Setting Sun)

Man möchte sich verwundert die Augen beziehungsweise die Ohren reiben. Worte wie diese ist man von New Model Army nun wirklich nicht gewohnt. Kämpferisch, das ist zumindest eines der Attribute, die sich die Band aus Bradford über vier Jahrzehnte verdient hat. Da lässt sich eine scheinbare Absage an jegliche Ambitionen, in diesem Leben etwas zu erreichen, nur schwer einordnen.

Ganz so anspruchslos dürfen sich diese Zeilen allerdings nicht interpretieren lassen. Auch wenn “From Here” (earMUSIC) tatsächlich Anklänge einer Lebensbilanz aufweist. Aber das sei Justin Sullivan mit seinen 63 Lebensjahren und dem 14. regulären Studioalbum seiner Band zugestanden. Zumal er auch das auf seine ganz charakteritische Weise tut, die New Model Army so faszinierend macht.

Da ist zum Einen die sehr persönliche Komponente, die Sullivans Texte kennzeichnet und glaubwürdig macht: Like once I believed that the waves move the water, now I know it isn’t true.” (Passing Through) Auch auf älteren Alben finden sich Eingeständnisse eigener Irrtümer und Revisionen früherer Überzeugungen. Die Einen wie die Anderen werden immer mit Konsequenz vertreten, was das zweite signifikante Merkmal ist, das auch auf “From Here” wieder auftaucht. Diesmal äußert es sich also in dem Bedürfnis, einem – und seinem eigenen – Menschenleben keine überhöhte Bedeutung beizumessen:

We climbed high in the mountains and carved our names deep in the stone. It will all be gone, weathered away – back to where we came from. There’s nothing to lose, nothing to lose. (Passing Through)

Und hier ist sie nun auch, die Hoffnung, die New Model Army als drittes Spezifikum auszeichnet. Denn tatsächlich muss im eigenen Verschwinden beziehungsweise dem Bewusstsein davon keine Verzweiflung liegen. Zumal bis dahin noch genügend Zeit bleibt, womit der Bogen zur Gegenwart doch geschlagen wird. Zu deren Abwegigkeiten kann die Band natürlich nicht schweigen. Brexit-gebeutelt schaut sie fast mit Entsetzen auf das, was heute alles (wieder) möglich ist: We’re long past being careful of what we wish for.” (End Of Days)

Es ist diesmal aber nicht die direkte Konfrontation, die New Model Army suchen. Sie machen ein, zwei Schritte zurück und schauen mit Weitblick auf das große Ganze. „From Here“ bietet kaum Verweise auf konkrete Begebenheiten oder politische Entwicklungen. Trotzdem sind Populismus, Individualisierung und Klimawandel sowie das Unbehagen darüber allgegenwärtig – zwischen den Zeilen, in poetischer und bildlicher Sprache:

Monkey observes, monkey makes
Same old monkey mistakes;
3D copies of the weapons to be used
And all the flags are fakes. (Watch And Learn)

Klug, erfahrungsreich und unverdrossen, das sind New Model Army im Jahre 2019. „From Here“ ist ein sehr starkes Album, textlich wie musikalisch. Eine solche Ansammlung von Hymnen gab es zuletzt auf „Purity“; der erste balladige Song lässt bis zur zweiten Albumhälfte auf sich warten. Das ist, so hört man, in gewisser Weise der Inspiration durch die raue Landschaft der norwegischen Insel Giske zu verdanken, wo das Album aufgenommen wurde. Vor allem aber sind die Briten immer noch eines: rastlos: Our spirits are all such restless things like the flying snow” (Setting Sun). Das steckt von Anfang an in der Band und in Sullivans Texten und verliert sich zum Glück auch nach 40 Jahren nicht. New Model Army liebt, wer den Ort between departing and arriving” kennt und niemals endgültig ankommt. Denn Ankommen wäre tatsächlich das Ende. Wer so fühlt, wird folgerichtig auch dieses Album lieben.

NEW MODEL ARMY – Lyric-Video zur Single ‚End Of Days‘

New Model Army haben ein offizielles Video zum Song ‚End Of Days‘ veröffentlicht. Der Track ist der erste Single-Vorbote zum neuen Album ‚From Here‘, das am 23. August erscheint.   GROSSE EUROPA TOUR AB OKTOBER 10. Oktober – Dortmund, FZW   11. Oktober – Hamburg, Markhalle 12. Oktober – Berlin Huxleys  24. Oktober – Freiburg, Jazzhaus  25.…