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Weil Du Nur Einmal Lebst

Ihr jüngstes Filmwerk haben Die Toten Hosen nach ihrem Song „Weil Du Nur Einmal Lebst“ benannt, und die zugehörtige Songzeile „Es gibt nur eine Regel, sie heißt: alles oder nichts“ könnte glatt als Beschreibung der Dokumentation durchgehen. So durfte Regisseurin Cordula Kablitz-Post Die Toten Hosen 2018 auf ihrer Tour, vor und hinter der Bühne, begleiten. Für die Konzertaufnahmen war erneut Paul Dugdale zuständig, der bereits 2014 die DVD „Der Krach der Republik“ produziert hat. Herausgekommen ist dabei ein Portrait, welches einen ehrlich-authentischen Blick auf die Band gewährt. Da geht es manchmal zwar auch heftig zur Sache, aber danach herrscht doch wieder Liebe und Zuneigung.

Nach 37 Jahren Bandbestehen ist klar, dass Die Toten Hosen nicht mehr nur für sich selbst verantwortlich sind, sondern an der Band ein ganzer Tross von Crew und Mitarbeitern hängt. So sehr der eine Moment noch von dem Überkochen der Euphorie, der Unbesiegbarkeit geprägt ist, so sehr wird mit dem Vorschlaghammer bewusst wie fragil und jederzeit einsturzgefährdet das Gebilde doch ist als Campino in Berlin einen Hörsturz erleidet. Die schwierigen fünf Wochen danach hat das Filmteam genauso eingefangen wie den Befreiungsschlag danach, als klar wurde, dass es weitergehen kann.

We‘re a punkband, still!

Der Zuschauer erfährt, dass die Kiste Bier für die Helfer vor Ort nach dem Konzert von Campino persönlich in allerbester Udo Lindenberg-Manier übergeben wird, und die ein oder andere Tourbus-Party wurde auch filmisch festgehalten. Nicht fehlen dürfen in der Tourdokumentation natürlich die Highlights wie der Auftritt beim Chemnitzer #wirsindmehr-Konzert gegen Rechts, eine Herzensangelegenheit der Band. Außerdem zu sehen ist das Heimspiel in Düsseldorf, die (erneute) Ehrerbietung an das Berliner SO36 oder das Lieblingsreiseziel Argentinien. Dort, wo sich die Band so viele Kilometer von zu Hause entfernt seit Jahren die nötigen Energieaufladungen holt, um wieder durchzustarten.

In dem Film wird immer wieder klar wie sehr sich Die Toten Hosen noch immer als Punkband definieren: über ihre Haltung, ihre Werte und die Wertschätzung gegenüber den Menschen, mit denen sie zusammenarbeiten. So erklären im 17minütigen Bonusteil die Donots und Kraftklub dass es absolut nicht selbstverständlich ist als Supportband so viel Unterstützung zu erfahren und nett behandelt zu werden.

Wenn die rot-weißen Konfetti bildgewaltig ins Publikum regnen, nimmt man der Band ab, dass sie noch immer heiß auf Abenteuer sind und eine ungebrochene Lust auf Konzerte verspüren. So formulieren sie es in den eingestreuten kurzen Interview-Sequenzen. Die Tourdokumentation „Weil Du Nur Einmal Lebst“ zeigt Die Toten Hosen angenehm unprätentiös, als aus Freundschaft gebautes Bandgefüge dass – soweit das in dieser Dimension noch möglich ist – noch immer den Fankontakt sucht.

 

Die Toten Hosen – Weil du nur einmal lebst – Die Toten Hosen auf Tour
VÖ: 30.08.2019
Jochens Kleine Plattenfirma / Warner Music

Die Toten Hosen

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Bring On The Music – Live At The Capitol Theatre

„Bring On The Music!“ könnte man viele Live-Alben nennen. Immer her damit! In diesem Fall sprechen wir von Gov’t Mule, den amerikanischen Maultierfreunden um Warren Haynes. Der seit langem mit der Band verbundene Fotograf und Filmemacher Danny Clinch hat einen Konzertfilm geschaffen, der eindrucksvolle Liveaufnahmen aus dem Capitol Theater in Port Chester im US Bundesstaat New York zeigt.

Zum 25-jährigem Bandjubiläum haben sich Gov’t Mule nicht lumpen lassen und ein schickes Live-Paket für die Fans geschnürt. „Bring On The Music – Live At The Capitol Theatre“ stellt sich in die Reihe von zehn Studio-Releases und einer schier unüberschaubaren Zahl offizieller und semioffizieller Live-Mitschnitte.

Gov’t Mule sind seit einem Vierteljahrhundert der Fels in der Brandung des klassischen Southern Rocks. Frontmann Warren Haynes und seine immer mal wechselnden Weggefährten stehen immer noch für eine wunderbare Mischung aus kernigen Riffs, feiner Soli und ganz besonders überbordender Spielfreude. Selbst bei ein- und derselben Tour gleicht kaum ein Mule-Konzert dem anderen. Und das gilt auch für die jetzt veröffentlichten Live-Aufnahmen. „Bring On The Music – Live At The Capitol Theatre“ ist ein Mitschnitt zweier Gigs mit stark voneinander abweichenden Setlists. Genauso abwechslungsreich wie das musikalische Schaffen der Band ist auch die Vielzahl der verfügbaren Ausgaben des Livealbums: 2-CDs, Deluxe 2-CD/2-DVD-Set mit unterschiedlichen Tracks für beide Formate, zwei verschiedene LP-Ausgaben und eine Blu-Ray sind verfügbar. Auch hier unterscheiden sich die Setlists beispielsweise zwischen den DVDs und CDs.

Uns lag die Doppel-DVD zur Rezension vor, die am 19. Juli und damit ein paar Wochen später als die schon veröffentlichten Nur-Audio-Versionen erscheint. Nach einem leicht psychedelischen, hektisch geschnittenen Intro beginnt einige Minuten später das eigentliche Konzert. Der Filmemacher schafft dabei ein intimes Portrait der Band mit vielen Nahaufnahmen, ohne das Publikum und die Live-Atmosphäre zu vernachlässigen. Große Maultier-Dekorationen auf der Bühne, viel buntes Licht und psychedelische Projektionen an den Theaterwänden sorgen für die richtige Stimmung beim folgenden Konzert. Classic- und Bluesrock mit jaulender Hammond-Orgel, knarzigen Gitarren und den typischen griffigen Vocals des Frontmannes – Gov’t Mule, wie sie sein sollen und zum Glück auch nach 25 Jahren immer noch sind. ‚Traveling Tune‘, ‚Beautifully Broken‘, ‚The Man Man I Want To Be‘ – Groove ohne Ende, eingestreute Jamsesion-ähnliche Improvisationen, tightes Zusammenspiel. Oder man streut mal ein kleines Police-Cover mit ‚Message In A Bottle‘ ein. Das alles wird nah und direkt gefilmt in guter, wenn auch nicht üebrragender Bild- und Tonqualität. Zwischen mehreren Songs gibt es immer wieder kleine Einschnitte mit eingeblendeten alten Fotos aus 25 Jahren Mule und einem gefilmten Interview mit Warren Haynes.

Auf der zweiten Disc wird es zunächst noch etwas bluesig-psychedelischer mit langen Jam-Einlagen und jazzigen Parts, wenn Keyboarder Danny Louis auch mal zur Posaune (!) greift. Erfreulich ist hier, dass insbesondere bei den langen Soli kein Schnittfeuerwerk von der Musik ablenkt, sondern die Kamera auch mal ausgesprochen lange nur auf die Gitarre hält und die Künstler in Aktion zeigt.

Im Bonusmaterial gibt es noch eine sehr intime Aufnahme von Warren Haynes mit ‚Travelin Tune‘ – Gänsehaut ist hier garantiert – sowie einen Clip im leeren Theater, der die Proben zum Song ‚Soulshine‘ zeigt. Insgesamt laufen beide DVDs über drei Stunden. Viel mehr Live-Mule geht eigentlich nicht.

TOTO mit Livealbum von ihrer Jubiläumstour

Im letzten Jahr feierten die AOR-Ikonen Toto ihr Vierzigjähriges – mit einem Greatest-Hits-Doppelalbum und einer Welttour, die sich bis weit ins aktuelle Jahr noch weiterzieht. Wer sich die Wartezeit auf die Deutschland-Gigs im Sommer noch ein wenig verkürzen will, darf sich am 22.März über ein besonderes Schätzchen freuen: da erscheint nämlich der Livemitschnitt „40 Tours…

Songs For The Dead Live

Es ist eigentlich wirklich verwunderlich, das King Diamonds „kleine Horrorschau“ erst 2019 als visuelles Dokument veröffentlicht wird. Dafür kommt die DVD respektive BluRay „Songs For The Dead Live“ aber immerhin mit zwei kompletten Shows – wenn auch mit identischer Setlist. Einmal wurde auf der großen Bühne des Graspop-Festival gefilmt, die zweite Show stammt aus dem Fillmore-Club in Philadelphia.

Somit ist auch zu verzeihen, dass „Songs For The Dead Live“ ganz ohne Frage eine hundertprozentige Nostalgieveranstaltung geworden ist. Das aktuellste Stück der Setlist, ‚Eye Of The Witch‘, hat bereits 29 Jahre auf dem Buckel, und im Zentrum der Show steht die Performance des kompletten „Abigail“-Albums, erschienen 1987. Jedes von Kings Alben bis „The Eye“ ist mit genau einem Song vertreten, inklusive der ersten beiden Mercyful Fate-Longplayer. Die achtzig Minuten bringen somit also keine Überraschungen oder gar Neues, aber eben ein gnadenloses Klassiker-F(r)euerwerk, das allen Achtziger-Freaks reingehen sollte wie ein kühles Pils. Da aus der „goldenen Ära“ des Metal-Hui-Buh aber keine visuellen Dokumente existieren, geht das fraglos völlig in Ordnung – dank seines Corpsepaint ist King ehedem optisch alterslos, da fühlt man sich selbst gleich auch dreißig Jahre zurückversetzt. Und King hat tatsächlich die „üblichen Verdächtigen“ auch showtechnisch verewigt, ob die olle Grandma im Rollstuhl oder Klein-Abigail,und natürlich gibt’s auch den Knochen-Mikroständer – eben eine klassische King-Diamond-Show, wie man sie sehen will. Das Kasperletheater für Kuttenträger soll aber in diesem Fall nicht wie in manch‘ anderem Fall über musikalische Schwächen hinwegtäuschen. Angeführt vom bewährten Gitarrenteam Andy LaRocque und Mike Wead und Langzeitdrummer Matt Thompson gibt sich Kings Band erwartungsgemäß keinerlei Blöße. Das komplexe Material wird schweinetight und detailreich auf die Bühne gebracht, und King selbst – der heult, singt, krächzt und grunzt seine Geistergeschichten darüber, als hätten wir 1987. Spooky! Anachronistisch wirkt hier nur der fraglos zeitgemäße, ziemlich perfekte Sound – ein wenig zu perfekt sogar schon, denn gelegentlich fragt man sich dann doch, ob da alles wirklich live so passiert ist. Speziell, wenn man bisweilen drei verschiedene Kings übereinander gelayert hört, kann man das auch nicht mit den Backings von Kings Gattin Livia Zita komplett wegerklären. Vielleicht waren’s aber auch die Geister von Melissa oder Missy höchstpersönlich, die der Band da unter die Arme gegriffen haben.

Das kann aber den Spaß am Gebotenen nicht verderben. Songs wie ‚Welcome Home‘, ‚Sleepless Nights‘ (als Eröffnungs-Doppel!), ‚Come To The Sabbath‘, ‚The Family Ghost‘ und ‚Omens‘ gehören halt ganz diskussionsfrei zum Besten, was die Achtziger an anspruchsvollem Metal zu bieten hatten und klingen auch heute noch völlig eigenständig und unkonventionell. Im Übrigen halte ich es da mit Mike Portnoy, der vor einer Weile schon dafür plädierte, King Diamond und Mercyful Fate endlich ihren Platz als wichtige Vorreiter des progressiven Metal zuzugestehen – wenn man die Mittachtziger Queensryche und Fates Warning als Progmetal-Vorreiter akzeptiert, muss man das bei den mindestens genauso vertrackten, von virtuosen Musikern dargebotenen und weit unkonventioneller komponierten Epen des King erst recht tun. Auch die Bildregie ist ziemlich ideal ausgefallen. Auch wenn sich mancher vielleicht an den relativ schnellen Schnitten stören könnte, es ist nun mal nicht einfach, das theatralische Geschehen von King und seinen „schauspielernden“ Gästen einzufangen und trotzdem zu jedem imposanten Break auf den Fingern des jeweiligen Musikers zu kleben. Welche der Shows man bevorzugt, ist persönliche Geschmackssache – aufgrund der imposanten Festivalkulisse ist das Pinkpop-Konzert aber vielleicht etwas beeindruckender geraten, während bei der Fillmore-Show das Publikum sichtbar aus Die-Hard-Fans besteht, die jede Sekunde begeistert abfeiern.

Für seine erste DVD/BluRay-Veröffentlichung hat King Diamond also ein ziemlich duftes Paket geschnürt, das für die jahrelange Wartezeit durchaus entschädigt. Nun wäre es aber auch Zeit, mal wieder eine neue Horror-Oper aus dem Hause Petersen…

We Are Seven

Christina Booth ist halt, man kann es nicht anders ausdrücken, einfach niedlich. Da vergibt man ihr als Fan so Einiges – beispielsweise, dass sie nun auch das IPad (Disclaimer: auch andere Marken sind im Handel erhältlich) als Teleprompter am Mikroständer befestigt hat, obwohl das einfach kacke aussieht. Oder… dass auf der visuellen Ausgabe des aktuellen Magenta-Livealbums ein paar Mal ihre Stimme klar, laut und deutlich erklingt, obwohl sie sich nicht einmal in der Nähe des Gesangsmikros befindet. Auch die Gitarrenparts von Chris Fry sehen nicht immer so aus, wie man sie tatsächlich hört – und da er nicht annähernd so knuffelig ausschaut wie Christina, gibt’s hier für ihn stellvertretend den warnenden Finger.

Aber, Spaß beiseite, das Nachbearbeiten und Overdubben von Livematerial gehört eben dazu und ist meiner bescheidenen Meinung nach auch meist den unbearbeiteten, fehlerbehafteten Takes vorzuziehen. Das Gleiche gilt für gesampelte Backing-Stimmen – obwohl Magenta mit Sicherheit auch in der Lage wären, die selbst zu singen. Auch wenn die Band sich nicht allzu geschickt dabei anstellt, diese „Bescheisser-Tricks“ auf ihrer DVD zu verstecken, ändert das nicht viel am Unterhaltungswert der Scheibe. Zwar stehe ich für gewöhnlich nicht allzu sehr auf die „komplettes Album am Stück spielen“-Masche, aber da das letzte Magenta-Album „We Are Legend“ einfach ein ziemlicher Hammer war, will ich hier gar nicht anfangen zu meckern. Speziell, weil die Livetakes genauso kraftvoll und dynamisch daherkommen wie die Studioversionen. Neben den Stars der Band, Christina und Robert „Oldfield 2.0“ Reed muss hier nun endlich auch einmal die supertighte und energiegeladene Rhythmusgruppe Dan Nelson und Jon „Jiffy“ Griffiths erwähnt werden – der aktuelle Magenta-Livesound wäre nur halb so packend ohne deren traumwandlerisch sicher verzahntes Spiel. In der zweiten Hälfte gibt’s mit „Seven“ (von 2004) dann noch ein weiteres komplettes Album als Livetake, und da kommen die Qualitäten der beiden Groove-Buddies ganz besonders zum Tragen. Da ist ein ganz neuer Drive, eine ganz unerwartete Frische, die den Songs wie ‚Gluttony‘ oder ‚Lust‘ unerwartet neues Leben einhauchen. Der – beim Original nicht unberechtigte – Vorwurf an „Seven“, sich zu stark an den Großen Alten wie Yes, ELP und Mike Oldfield zu orientieren, wird dank der beherzt rockenden Interpretationen zu einem guten Stück entkräftet. Robert, Chris und Christina sollten die beiden gut festhalten – ein absoluter Glückgriff für die Band.

Zu den beiden komplett gespielten Alben kommen mit dem Opener ‚Speechless‘, der aus dem Fundus von Robert und Christinas Dance-Projekt (!) Trippa stammt und den unumgänglichen ‚Prekestolen‘ und ‚The Lizard King‘ (seltsamerweise in den „Seven“-Set integriert) noch drei Extrasongs, und zwei Gastmusikerinnen an Querflöte und Oboe geben dem Gig einen weiteren besonderen Anstrich und „a beautiful warmth“ (Christina). Auch der Sound ist – erwartet jemand von Robert Reed etwas Anderes? – perfekt und glasklar ausgefallen. Trotz Overdubs, Samples und Studiofein gibt es aber noch genug Liveflair, dass sich „We Are Seven“ auch für die lohnt, die die beiden Studioscheiben bereits besitzen. Klar, es gibt wahrlich schon genug Livemitschnitte von Magenta, da gibt’s keien Diskussion. Da die Band sich allerdings bekanntlich selten in unsere Gefilde verirrt und diese Situation durch das Brexit-Debakel eher noch verschlimmern dürfte, sind diese bei den deutschen Magenta-Fans auch immer willkommen – und im Gegensatz zu manch anderer Prog-Band, die ihre Fans inflationär mit Liveshows überschwemmt, stimmt hier auch immer die Qualität.

Für alle Magenta-Fans ist das hier also ehedem ein No-Brainer, generell sollten aber alle Freunde von melodischem Symphonic- und Neo-Prog hier zuschlagen. Magenta haben sich nämlich, ähnlich wie Big Big Train, in den letzten Jahren enorm weiterentwickelt und müssen ohne Diskussion zu den ganz Großen der heutigen Szene gezählt werden. Das Album ist – wie große Teile des Backkatalogs der Band – über den Webshop von Just For Kicks zu beziehen – als Doppel-DVD und als Doppel-CD.

Live At The Apollo

Das Projekt, das unter dem Namen Anderson, Rabin & Wakeman gestartet war, fungiert also nun seit einem guten Jahr wieder unter dem Firmennamen Yes – um Verwechslungen mit der unter der Führung von Steve Howe tourenden Version der Prog-Urgesteine vorzubeugen, mit dem Zusatz „feat. Jon Anderson, Trevor Rabin & Rick Wakeman“. Nicht der schönste Bandname der Welt, aber was soll’s? Es ist drin, was drauf steht bei diesem ersten „YFtJATRRW“-Tonträger, auch wenn natürlich der Anblick einer Band namens Yes ohne Chris Squire selbst drei Jahre später immer noch irgendwie seltsam ist.

Die Frage, ob die drei überhaupt würdig sind, den Namen für sich zu beanspruchen, wird dabei in Fankreisen enorm heiß diskutiert. Hier dürfte diese in Manchester mitgeschnittene DVD für Abhilfe sorgen. Im Vergleich zu Steve Howes derzeitiger Truppe spielen YftJATRRW nämlich offen gesagt in einer völlig anderen musikalischen Liga. Wo die Konkurrenzformation schon seit Jahren nur mehr die Originale brav, weit langsamer und teils stark vereinfacht darbietet, nimmt sich das Trio Infernale die Songs mit viel Spiellaune, Gefühl und Mut zum Experiment vor. Fast jeder Songs bekommt hier mal ein neues Intro, da mal ein zusätzliches Ending oder einen neuen Mittelpart, Wakeman baut in viele Songs komplett neue Melodielinien ein und es wird auch einfach mal aus Spaß an der Freude drauflosgejammt. Großes Lob hierbei an Ex-Archive- und It Bites-Bassist Lee Pomeroy, der die übergroßen Stiefel von Chris Squire tatsächlich beinahe zu füllen versteht. Auch Trevor Rabin und Rick Wakeman sind nach wie vor technisch absolut auf der Höhe und meistern die komplex-virtuosen Parts locker und mit ordentlich Dynamik, von zart, verträumt und zerbrechlich zu knackig und, ja, bisweilen ziemlich heavy. Der Hauptgrund für die unbestreitbare Legitimität des Ganzen ist aber natürlich schlicht und einfach die Präsenz von Jon Anderson. Ob Trevor Horn, Benoit David oder Jon Davison – hier wird es schon beim ersten Satz von ‚Perpetual Change‘ gnadenlos deutlich, dass eben niemand außer Jon persönlich die Songs von Yes auch nur halbwegs authentisch mit Leben erfüllen kann. Dabei hilft natürlich auch, das der 73jährige immer noch so glasklar, emotional und makellos singt wie vor knapp 50 Jahren – und natürlich auch ein vollkommen unersetzbares Charisma hat. Lediglich Drummer Louis Molino III bleibt im Vergleich zu seinen Kollegen ein wenig blass – natürlich spielt er auch grundsolide und legt eine bodenständige Leistung hin, aber man fragt sich eben doch, welche Facetten ein abenteuerlicherer Drummer wie Nick D’Virgilio oder Marco Minnemann der Sache hätte hinzufügen können.

Der Set ist dabei relativ konventionell aufgebaut: auch hier dominieren die unumgänglichen Klassiker. Doch selbst vermeintlich Kaputtgehörtes wie ‚I’ve Seen All Good People‘ oder ‚And You And I‘ bekommt durch die bereits erwähnten, neuen Details in den Arrangements ein neues Leben. So spielt beispielsweise Wakeman im Intro von ‚I’ve Seen All Good People‘ die Gitarrenlinie mit dem später auftauchenden Flötensound mit, für ‚And You And I‘ wird das Akustikintro mit Streichersounds und Gitarren orchestral aufgepeppt, bis es wie ein typischer Trevor Rabin-Soundtrack klingt. Auch ‚Hold On‘ bekommt ein neues, typisches Wakeman-Intro und eine feine neue Moog-Synthie-Linie im Refrain. ‚Hold On‘ stellt denn auch mit ‚Lift Me Up‘ und ‚Changes‘ die einzigen Überraschungen im Set, von „Talk“ gibt’s gar nichts, und auch „Big Generator“ ist nur mit dem obligatorischen ‚Rhythm Of Love‘ vertreten. Das fällt aber im Prinzip überhaupt nicht ins Gewicht, denn der Set ist stimmig, launig und vor allem auch ordentlich rockig. Wo die Howe-Yes mittlerweile eher den Charme einer hüftsteifen Tanztee-Veranstaltung versprühen, lässt es speziell Rabin nach wie vor gerne mal krachen und gibt auch mal ein ordentliches Bratriff oder ein wieselflinkes Shredder-Solo zum Besten. Ach ja, und auch er singt immer noch so fein wie damals auf „90125“, auch die prägnanten mehrstimmigen Vocals sitzen somit jederzeit perfekt.

Die beiden absoluten Höhepunkte des Filmes kommen aber unerwarteterweise während zweier scheinbar schon kaputtgehörter Klassiker. Da wäre einmal ‚Heart Of The Sunrise‘, mit seinen Wechseln aus virtuosen, harten Rock-Passagen, lyrischen Mediationen und gnadenlosem Bombast vielleicht das urtypischste Yes-Stück überhaupt. Die Band haut die verschachtelten Sechzehntel-Läufe dermaßen tight und aggressiv heraus, das sogar die Progmetal-Konkurrenz anerkennend nicken wird, nur um danach ganz Pomeroys Bass und Andersons Stimme Platz zu machen – wer da keinen Kloß im Hals verspürt, macht beim Musikhören irgendwas falsch. Noch beeindruckender gerät aber das andere unkaputtbare Yes-Wunderwerk ‚Awaken‘. Nicht nur, dass Anderson hier gesanglich so ziemlich die intensivste Version des Titels präsentiert, die ich je gehört habe, spätestens wenn die Band sich im Mittelpart in einen meditativen Rausch jenseits jeglichen Zeitgefühls spielt, fliegt man automatisch mit. Auch hier wurde der Song um ein Intro und einen auf besagtes Intro Bezug nehmenden Mittelpart ergänzt – nach diesen 22 Minuten fühlt man sich wie durch die emotionale Mangel gedreht. Alleine deshalb muss jeder, der sich für Yes oder klassischen Prog generell interessiert, diese Scheibe in die Sammlung aufnehmen. Chapeau, nicht jede Band schafft es, einem vierzig Jahre alten und bereits perfekten Klassiker noch einmal ein ganz neues Leben einzuhauchen und neue Facetten abzugewinnen.

Wenn man also nach dem Motto „Let The Music Do The Talking“ geht, ist die Frage, wer denn nun die würdigen Erben des Yes-Vermächtnis sind, spätestens mit „Live At the Apollo“ klar entschieden. Zwischen Anderson, Rabin und Wakeman herrscht eine Chemie und Frische, die der Howe-Formation schon längst abgeht, und auch der musikalische Nährwert dieser Formation ist ebenfalls ungleich höher. Oder, anders gesagt, wo Jon Anderson ist, ist Yes – alles Andere tut nur so.