Schlagwort: Dark Ambient

Hydrogen

Manche Leute verdienen die Bezeichnung „Workaholic“ wirklich. Manchmal fragt man sich, ob diese Menschen nicht noch mehr im Leben haben außer ihrer Musik. Viele verzetteln sich dann aber gern, übertreiben es mit dem Kollaborationen, vergessen ihr ursprüngliches Projekt oder werfen ganz einfach Müll auf den Markt.

Nicht so Ivar Björnson. Eigentlich wird so ziemlich alles zu Gold, was der Enslaved -Gitarrist so anfässt, sei es Metal oder Urfolk.

Nun lässt er mit Bardspec schon wieder eine neue Band auf die Welt los. Im Gegensatz zu dem, was er sonst macht entzieht sich die Musik von Bardspec allerdings jeder Beziehung zu seinen anderen Werken. Während man Metal und (Ur-)Folk ja schon noch zusammenbringen kann, ist Ambient im Stile von Tangerine Dream nun wirklich nicht das, was man mit Metal assiziieren mag.

Allerdings nur weil es mit dem, was er sonst macht, mal gar nichts zu tun hat gleich annehmen, dass es nichts wird? Von wegen. Düstere, elektronische Atmosphäre die tatsächlich eher in Richtung Deutsch-Elektroniker der 80er tendiert, ein paar Injektionen Godflesh hier, ein bißchen ruhige Juno Reactor dort.

Wenn Metaller üblicherweise elektronisch-instrumental fremdgehen lässt sich gern John Carpenter in den Raum werfen – nicht so hier. Die Stücke haben ein Eigenleben, sind innovativ, durch und durch spannend – Ivar Björnson beweist auch bei elektronischer Musik feinstes Gespür für perfekte Arrangements und gute Melodien. Natürlich breiten sich diese Klangteppiche jenseits der 10 Minuten aus. Man läßt sich treiben, man fällt in Trance wie bei den besten Juno Reactor – Tracks, allerdings ganz ohne Beats. Diese Musik trägt einen durchs Dunkel ins Licht.

Wer Elektronik akzeptiert wird hier garantiert glücklich, versprochen. Warten wir darauf was als nächstes durch Ivars kreativen Kopf schießt. Wird er es ENDLICH schaffen, etwas zu veröffentlichen, was NICHT gut ist? Reggae vielleicht? Oder HipHop? Währenddessen genießen wir Bardspec.

Im Argen

Sammer. Detlef Sammer … – Moment, ich hab’s gleich – … Scheiße … ja, wer war denn das noch gleich? In quälender Langsamkeit zwängen sich Tropfen aus dem maroden Wasserhahn. Eine Fledermaus kackt. Jemand raucht in der trockenen Heizungsluft; unruhige Jazzbesen streichen mit dem Qualm die bröckeligen Wände an. Detlef Sammer ist es nicht; der liegt schon unter der Erde, vor ihm ein schäbiger Grabstein, und über ihn beugt sich ein Trupp abgehalfterter Typen, die Musik machen, es aber wohl auch dann nicht zeitig zur Beerdigung geschafft hätten, wenn es wirklich angepeilt gewesen wäre. Von ihren schlaffen Mänteln rinnt Staub. Ja, rinnt. Kopfkino, das einem David Lynch gefallen würde. Und wer hat’s gemacht? Radare.

Nur, um eben das vorschriftsmäßige Wortspiel abzuhaken: Auf Album Nummer drei liegt einiges ‚Im Argen‘. Was genau, wird aber gekonnt ausgeschwiegen. Die Wiesbadener Kombo ergeht sich in lakonischem Minimalismus. Wären Radare ein Bonbon, dann auf alle Fälle Karamell: Schlurfiger Jazz, ausgedehnte, weit streuende Spielpausen, und wenn ausnahmsweise doch mal eine Gitarre zum Einsatz kommt, dann in seelenruhig und maßvoll dahingeblätterten Akkorden. Der warme Trab erinnert zuweilen an die narrative Gemächlichkeit von Mogwais ‚The Hawk Is Howling‘, knüpft aber in seinen jazzigeren Momenten immer wieder auch an die späten Bohren & der Club of Gore an. Doom-Jazz sagen manche dazu, die Band selbst nennt es lapidar ‚Slow‘; handfester wird die Angelegenheit dadurch nicht.

Gehen wir es also anders an. Radare, so ließe sich sagen, leisten keinen geringeren und keinen anstrengenderen Dienst, als zu beweisen: Wenn die Traurigkeit ihr Lähmendes verliert, entpuppt sie sich als freigiebiges Brutmilieu. Mit Halskloß und Holzklarinette (des schleichenden Todes) als Katalysator. Gemächlich rotieren die Radare, senden, peilen nichts Ersichtliches, lassen die Basslines zerfließen, streifen sie mit hypnotischen Orgel-Licks und feiern die tragende Thermik des immerwährenden Ritardando. Nicht anmaßend, nur mitreißend. In Superzeitlupe, sodass man die Nägel splittern sieht, während die Tristesse an der anderen Seite zieht – mit der Langsamkeit, aber auch der Konsequentheit eines Schraubstocks. Nur die Härte, die fehlt.

Einzig in ‚Burroughs‘ könnte einem der Gedanke kommen, den Jazz-Besen führe eine mitunter unruhige Hand. Doch auch diese Aufwirbelung hat sich schnell wieder gelegt, und das trügerischer Weise Action und Hochgeschwindigkeits-Kollisionen verheißende Cover-Artwork gelangt nicht auch nur in Sichtweite dieser zähen Oden an die Stasis. Tragisch ist das nicht – zumindest nicht künstlerisch. Denn: Kaum eine andere Form der Ereignislosigkeit, des Non-Happenings zieht so stark in ihren Bann wie eine Radare-Partitur. Das muss man einfach mal so festhalten. Würde sicher auch Detlef Sammer so sehen. Wer immer er auch war.

Like A Pack Of Hounds

Breaking News: Marc Jacobs macht Musik! Und alle Markengören so: „Schaaaaaatz ..?“ Schatz aber kann die Jogginghose an-, die Beine oben und die Hunnis stecken lassen, denn diesen Jacobs kann man weder umhängen noch anziehen oder auftragen. Man kann ihn sich nur anhören, und ob das wirklich einen Zweck hätte, ist zu bezweifeln. Sollte die Ernüchterung nicht schon mit den langatmigen Ambient-Arrangements einsetzen, dann doch spätestens mit der Erkenntnis, dass auf ‚Like A Pack Of Hounds‘ lediglich ein modisch unscheinbarer Namensvetter ihres Fashionschnuckels die Knöpfchen massiert. Einer, der weder mit Gummiblumen à la Daisy, noch mit Louis Vuitton-Täschchen was am Hut hat oder sonst etwas auf Glanz und Gloria gibt. Sein Album erstreckt sich als unüberblickbare, lebensfeindliche und ausgedörrte Klangwüste und fängt genau dort an, wo andere Musik endet. Wäre der Post-Rock im Krieg zerbombt worden, er würde sich vermutlich genau so anhören.

Ist es riesiges Schabengetier, das dort durch die staubigen Lüfte sirrt? Ist es ein Dickhäuter, der da durchs Geröll stapft? Sind das noch Gitarren, oder sind es schon Wahnvorstellungen? Marc Jacobs entführt seinen Hörer in eine klangliche Einöde, einen Western ohne Revolver und Tropfsteinhöhlen statt Saloons. Hier wird man nicht einmal mehr von exzentrischen Noise-Tsunamis kaltgestellt, sondern langsam und bedächtig ausgemergelt und muss durstleidend im heißen Sand nach Gefälligem wühlen. Worauf man stößt, sind dürre Anflüge von Melodik, so verrauscht, körnig und zerknickt wie ein alte Polaroidfotos.

Und so setzt es sich fort, immer schön an der Außenkante der ästhetischen Verheißungen entlang. Wen nach neun Tracks trockener Kehle das Stockholm-Syndrom befallen hat, den schickt Jacobs zum Entwöhnen in die Verlängerung: Die EP ‚I’m So In Love I Almost Forgot I Survived A Disaster‘ ist dem Album freundlicherweise beigelegt. Die Beigabe umfasst sechs Tracks, die spürbar agiler ausgefallen sind, was sie möglicherweise auch zum besseren Einstiegsmaterial macht.

Ob das System Prairie rein musikalisch aufgeht, ist fraglich. Jedenfalls, wenn man es gut meint. Die großen Leerflächen im Sound dürsten nach ergänzendem (Bewegt)Bildmaterial, und tatsächlich fährt Jacobs, der neben seinem Engagement in kulturellen Projekten und Venues auch Kurator des Brüsseler Film-Festivals ist, bei seinen Liveshows zusätzlich visuelle Geschütze auf. So ist es kein Wunder, wenn sich daheim bisweilen der Eindruck einstellt, die Chose stünde auf einem Bein zu wenig. Da hat auch der sinngebende, oder eher: -tragende Projektname wenig zu kaschieren.

Dystopium

Bianca Calandra und Gabin Lopez waren in Frankreich. Nein, stimmt gar nicht: Eigentlich waren sie zuerst in Sydney – bis Gabins Visum ablief. Erst Jahre später durften sich die beiden in Berlin wieder über den Weg laufen. Erst dann sollte die Zeit reif sein für ein gemeinsames Projekt – das Schicksal wollte es so. So wie es auch Wille des Schicksals war, dass sich das Duo eines Tages in einem Landhaus in ebenjenem Frankreich wiederfand. Es soll dort kalt gewesen sein, neblig, Fledermäuse sollen unter dem Dach gelebt haben, und … na ja. Nicht das erste Mal, dass ein Aufnahmeort vorgeschickt würde, um beliebiger Musik einen extravaganten Anstrich zu verleihen. Bei Machine Est Mon Coeur allerdings steckt Substanz unter der Schaumkrone.

Auf ihrem Debüt ‚Dystopium‘ – ein eher bedingt einfallsreich zusammengestöpseltes Wortgebilde aus ‚Dystopia‘ und ‚Opium‘ – agieren Calandra und Lopez mit Schlieren auf dem Visier. Ihr Album ist eine Sammlung verlaufener, welliger Klangcollagen, die Kammermusik und Wahrnehmungsstörung ineinander verschränkt. Stoisches Stampfen oder Klappern, lose mit dem gedachten Metrum der Stücke verbunden – nicht selten in ausdauerndes Echo getränkt -, an- und abschwellende Synthesizer, benommene Arpeggios. Hin und wieder tritt eine E-Gitarre hinzu und verläuft im eigenen Saft. Man schläft und es spukt und … man schläft. Während es spukt. Die lichten Momente, wie etwa das Klavierintermezzo mit beinahe poppigen Anflügen in ‚The Sky Is Falling‘, sind äußerst rar gesät.

Als Hörer beschleicht einen das Gefühl, man sähe nicht klar, habe womöglich etwas im Blut, das seine Wahrnehmung verzerre, verlangsame und verfälsche. So weit alles nach Plan, denn nach diesem Prinzip arbeiten Machine Est Mon Coeur: Statt auch nur ansatzweise schlüssige Geschichten zu erzählen, manipulieren sie ihr Gegenüber, lassen es ihren Finten aufsitzen. Es ist ein eigenwilliges, träumerisches und gleichgewichtsgestörtes Bild musikalischer Ästhetik, das trotz des nicht zu knappen Gesangsanteils seinen instrumentalen Schwerpunkt nie aus der Hand gibt.

Atmosphärisch ist all der Nebel ohne Frage prickelnd, allerdings nicht ersichtlich ergiebig genug für weitere Veröffentlichungen im selben Stil. Ein nächstes ‚Dystopium‘ ist gefährlich vorstellbar und würde sich vermutlich entsprechend schnell erledigen. Sollte das Klangbild nicht in Zukunft konsequent weiter in Richtung Song ausgefeilt werden, droht mit Album Nummer zwei das Versumpfen im allzu beliebigen Ambient-Underground – was schade wäre nach diesem geheimnisvollen Beginn. Doch Machine Est Mon Coeur sind bestens gewappnet, dies abzuwenden. Bleibt zu hoffen, dass sie es richtig anpacken. Und dass sich spätestens bis dahin geklärt haben wird, wann man solch beklemmende Musik denn nun hören soll.