Schlagwort: Trip-Hop

Planets & Persona

Die Melange aus elektronischen Sounds und Jazzelementen, die Ende der 1990er dank Portishead kurzzeitig sehr angesagt war, ist trotz vielversprechender Ansätze ja leider eines relativ frühen Todes gestorben. Ex-Japan und Porcupine Tree-Keyboarder greift diesesn stilistischen Ansatz nun mit seinem Album „Planets & Persona“ wieder auf – allerdings von der anderen Seite.

Die elektronischen Elemente sind nämlich in diesem Fall nicht dem tanzbaren Ende des Genre entnommen, sondern entstammen eher der Grauzone, in der sich Ambient und atmosphärischer Progressive Rock begegnen. Und im Gegensatz zu der ursprünglichen Ästhetik greift Barbieri für die jazzigen Sounds nicht auf Samples, sondern auf echte Musiker mit größtenteils rein akustischen Instrumenten zurück. Trompete, Vibraphon, Akustikgitarre, Saxophon und gelegentliche ätherische Vocals verbinden sich mit den unterkühlten Soundscapes zu einem faszinierenden Gesamten, das nicht selten ein soundtrackartiges Gefühl vermittelt. Eingängiges darf man hierbei freilich nicht erwarten, aber wer zum Beispiel durch David Bowies „Blackstar“ auf den Geschmack gekommen ist, dürfte an „Planets & Persona“ jede Menge Freude haben. Als Highlights kann man hierbei das zehnminütige, getragene ‚Night Of The Hunter‘ und das düstere, mit Brand X-Bassist eingepielte ‚Solar Storm‘ hervorheben. Auch stilistisch geben die beiden Stücke Unentschlossenen einen guten Einblick in das Album.

„Planets & Persona“ ist zwar nicht ganz so zwingend wie Barbieris letztes, in Zusammenarbeit mit Steve Hogarth (Marillion) entstandenes Werk „Not The Weapon But The Hand“. Kongenial vom beeindruckenden Artwork mit Fotografien arktischer Landschaften, ist „Planets & Persona“ abgerundet für Freunde unkonventioneller elektronischer Musik ohne Dance-Tauglichkeitspflicht aber eine außerordentlich lohnenswerte Anschaffung.

Vulnicura

‚My heart is enormous lake, black with potion / I am blind, drowning in this ocean / As I enter the atmosphere / I burn off layer by layer‘

Black Lake

Eine Vulva klafft zwischen ihren Brüsten. Neutraler: ein Riss auf ihrem Torso. Der Kopf ein bionisches Etwas zwischen Pusteblume und Nadelkissen, der Körper gefangen in enger, schwarzglänzender Zweithaut. Verletze sie, und sie wird zum Fabelwesen – verlasse sie, und sie wird komponieren. Diese Erfahrung muss jetzt auch Matthew Barney machen, der wohl die längste Zeit männliche Hälfte einer Bilderbuch-Künstlerehe gewesen ist. ‚Vulnicura‘ wird ihm die Wahrheiten nur so um die Ohren hauen, während die ganze Welt zuhört. Ob einen das interessiert? Sollte es. Die Gattin nämlich ist in ihrer dunkelsten Stunde künstlerisch entflammt, und fast – aber auch nur fast – möchte man Barney für seinen Beitrag danken.

So versessen jedoch Björk auf Bildsprache, Symbolik und doppelte Böden sein mag – die Tatsache, dass ausgerechnet ihr Konzeptalbum zum Thema „Wunden“ wenige Stunden nach offizieller Ankündigung leck schlug, kann und wird ihr nicht gefallen haben. Die Promo-Phase – dahin! Der Release pünktlich zur MoMA-Ausstellung – dahin! Die medienübergreifende Teaser-Kampagne – dahin! Es ist – um im Jargon zu verbleiben – zum Steinemelken. Das Schicksal kann eben manchmal sehr zynisch sein. Oder aber sehr konsequent, denn schon das Wurzelwerk dieser Musik ist faulig-schwarz. Björk selbst kündigte ‚Vulnicura‘ als ihr „Heartbreak-Album“ an und versprach damit nicht zu viel: Mit immensem Druck auf der Mine zeichnet die Isländerin das Zugrundegehen ihrer Liebes- und Ehebeziehung zu Matthew Barney nach, von den ersten Fissuren über Todesstoß und Nachbeben bis hin zum trügerischen Läuterfeuer. Dem Klartext ist sie dabei näher als jemals zuvor. Aber auch der Hilflosigkeit. Der Menschlichkeit.

‚These abstract und complex feelings / I don’t know how to handle them‘

, gesteht sie sich ihre Ohnmacht ein.

‚I demand clarity!‘

Klarheit erlangt Björk im Laufe dieses Albums zusehends – ein Erkenntnisverfahren spannender als in jedem noch so amerikanischen Scheidungsprozess.

Mitten in der Nacht wacht sie auf, weil es die letzte gemeinsame sein könnte. Ihre Körperoberfläche ist ein unfehlbarer Speicher, ein unlöschbares Archiv, Liebe ist Kunst. Auch und insbesondere dann, wenn sie im Sterben liegt.

‚We ever touch each other / Every single fuck we had together / Is in a one trust time lapse / With us here at this moment‘

, entdeckt Björk mit bebender Stimme ihre Macht über die Erinnerung. In alterslosem Singsang tastet sich die beinahe 50-Jährige durch ein schier endloses Gespinst wehmütiger Streicher. Noch immer gewinnt der Sound durch ihren eigentümlichen Akzent, noch immer wirkt ihre harmonisch unangepasste, sirenenhafte Intonation wie nicht von dieser Welt, noch immer fremdelt es arg zwischen ihr und ihrem Hörer. Dafür kann man durchaus schon mal den eigenen Atemwegen danken:

‚This tunnel has enabled / Thousands of sounds / I thank this trunk / Noise pipe‘

(‚Mouth Mantra‘). 

Gesangliche Gesellschaft bekommt Björk von Antony Hegarty. Die übernimmt in ‚Atom Dance‘ den gespenstischen Counterpart, sieht sich aber sogleich elektronischem Sperrfeuer ausgesetzt.

‚No one is a lover alone‘

, heißt es da; das Herz pumpt auf dem Trockenen. Wie ein Korallenriff bei Ebbe. Allein liebt es sich eben schlecht.

Unvermittelt steigen Björks hochkarätige Co-Produzenten von ihren Sockeln. Schattenläufer The Haxan Cloak und der junge Hoffnungsträger Arca, dessen futuristisch gedrechselte Beats mal an gurrende Tauben und dann wieder an Peitschenhiebe erinnern, pumpen ihre eisgekühlte elektronische DNA ins System, lassen die Wunde pochen; es wabert, es sirrt, es stampft, es brodelt. Den zweien Beweis genug, dabei gewesen zu sein, vor dem Hintergrund ihrer Funktion als Promo-Aushängeschild im Vorfeld des Releases aber unerwartet dünn. Tatsächlich ist ‚Vulnicura‘ in erster Linie Spielwiese für zügellose Streicherarrangements und Trägermaterial für die taoistische Katharsis: Zeit, so heißt es ja, heilt alle Wunden – oder lässt sie vernarben, um mit Kennedys Mama zu sprechen. Am Ende aber kann selbst das Narbengewebe weg:

‚Now I sacrifice this scar / Can you cut it off?‘

Skalpell, bitte ..!

Earthee

Einen Brückenschlag zwischen Seattle und dem Plattenlabel Sub Pop zu suchen, ist eine der leichtesten Übungen: Seattle war in den 90er Jahren die Hauptstadt des Grunge und Sub Pop der Indikator, der alle gitarrenrotzenden Flanellhemdträger unter seine Fittiche nahm. Sub Pop, Seattle und HipHop in einem Atemzug zu nennen, scheint dagegen eine größere Herausforderung darzustellen. Doch der Missing Link ist brandaktuell und lässt sich daher leicht finden: THEESatisfaction.

Das Duo wohnt in Seattle, ist bei dem legendären Label unter Vertrag und versteht sich auf die Künste der Beats und Rhymes. Stasia Irons und Catherine Harris-White sind auf Vinyl gepresste Frauenpower. Auf dem Cover präsentieren sich beide nackt, nur von transparenten weißen Garn verhüllt. Selbstbewusstsein, das sie auch musikalisch ausleben. THEESatisfaction verschmelzen unterschiedlichste Stilrichtungen zu einer eingängigen Mixtur: African Beats treffen auf 80er-typische Synthies, eine unbändige Masse Soul kollidiert mit bremsenden TripHop, Free-Jazz-Anleihen umschmeicheln die Coolness von flowenden Vocals.

Ein wenig spiegelt das auch den mühevollen Weg der beiden Freundinnen zu Sub Pop wieder. Stasia wuchs in Tacoma auf, Catherine im wilden Hawaii. Gefunden haben sie sich an der Universität Washington. Nach dem Schulabschluss 2008 experimentierten beide am heimischen Computer mit Sounds und schufen ihren ureigenen Flow. Ihre ersten Tracks verkauften sie auf handgefertigten und selbstproduzierten Platten. Schnell wurden sie zum Geheimtipp. Melodisch interessant, aber stets unaufgeregt ergießt sich nun auf ‚Earthee‘ ein breiter Klangteppich, den auch schon das Debüt ‚Awe Naturale‘ aus dem Jahr 2012 augemacht hat.

Experimentell und athmosphärisch wabert beispielsweise ‚WerQ‘ hin und her. Gestützt von Keyboards säuseln die halb gerappt, halb gesungenen Vocals der beiden Diven über einen wahren Klangkosmos. Highlights sind zudem die Gäste, die THEESatisfaction unterstützen, wie beispielsweise Shabazz Palaces und Erik Blood in ‚Recognition‘.

Hypnotisierende Beats, die zurückhaltend eher einen Gang nach unten als hoch aufs Gaspedal schalten, machen ‚Earthee‘ zu einem spannenden Hybrid, der von seinem Hörer Neugier und Geduld verlangt, um vollends entdeckt zu werden. Wer das aufbringen kann, erlebt ein grandioses Werk, das dem HipHop eine neue Facette weit ab vom Ruf des angeblich bereits verstorbenen Genres verleiht.

ARCHIVE mit neuem Studioalbum und Konzertterminen Anfang 2015

Unter dem Albumtitel ‚Restriction‘ veröffentlicht die Londoner Trip-Hop/Progressive Post-Rock Kapelle Archive am 09.01.2015 zwölf neue Songs über ihr eigenes Label Dangervisit. Mit ‚Feel It‘, ‚Black And Blue‘ und ‚Kid Corner‘ sind bereits drei Songs mit zugehörigem Video als Vorgeschmack präsentiert worden. Diese kannst Du Dir unten ansehen. Gründungsmitglied Darius Keeler über das neue Archive-Album: ‚We…

Adrian Thaws

Potpourri – was auf französisch ‚verfaulter Topf‘ bedeutet und ursprünglich einen Pflanzenkübel bezeichnet, steht in der Musik für eine Komposition aus vielen verschiedenen Musikstilen, die in der Gänze eine harmonische Einheit ergeben. Potpourri ist das treffende Wort, um Trickys elftes Studioalbum ‚Adrian Thaws‘ auf den Punkt zu bringen: Soul, Reggae, HipHop, Electro, Pop und sogar ansatzweise Rock vereinen sich darauf.

Adrian Thaws alias Tricky aus dem englischen Bristol gilt als Mitbegründer der TripHop-Bewegung Mitte der Neunziger Jahre. Durch seine Beteiligung bei Massive Attack, wo er allerdings nie echtes Mitglied war, wurde er weltbekannt und verdiente sich auch in der Folge mit seinen Soloplatten höchste Lorbeeren der Kritiker. Für den 46-Jährigen war dies jedoch eher Belastung als Ehre. So lehnte der vermeintliche Pionier des TripHops diese Bezeichnung seiner Musik sogar gänzlich ab und verwies darauf, dass er selbst keine Noten lesen zu können und auch musiktheoretisch eher Novize als Experte zu sein. Viel mehr verließe er sich im Studio auf Intuition und Emotion.

Das aktuelle Werk ist sehr vielschichtig geworden. Tricky eröffnet es mit seinem gewohnt tief-brummigen Sprechgesang und fragt im ersten Track ‚Sun Down‘ beinah apathisch ‚Where is the fun?‘ Die Frage wird auf Albumdistanz nicht beantwortet. Launig und ausgelassen wird Tricky zu keiner Sekunde. Die Songs rollen getragen von derben Beats, süßem Piano und souligen Frauenstimmen in die Ohren; düster, hintergründig, basslastig, aber nicht ausbrechend. Mitunter aufwühlende Breaks verleihen den wabernden Bässen unheimliche Spannung.

Das wirkt frisch und innovativ. Zudem spricht Tricky auch aktuelle weltpolitische Themen an. ‚My Palestine Girl‘ beschreibt zwischen Sirenen und Bombeneinschlägen die Tragödie einer nicht zu erfüllenden Liebe im Gazastreifen. Nachdenklichkeit und Tiefe in den Texten sind die Folge. Ob das nun TripHop ist oder nicht – hörenswert ist es allemal!

FKA twigs und der Ernst des Handwerks

Köln, Bürgerhaus Stollwerck, Freitagabend, kurz nach 22 Uhr. Tahliah Barnett, besser bekannt als FKA twigs, wusste genau Bescheid, was zu tun war. Mehr als eine Stunde lang hatte ein DJ Bühne und Saal warmgespielt; Nebel war reichlich vorhanden und nur wenige Handgriffe vonnöten, der Sängerin das Gedeck zu richten. Zwischen übergroßen, auf Stäben montierten Glühbirnen und umrahmt von einer dreiköpfigen Band legt sie eine Vorstellung hin, die das Erleben ihrer Musik um mindestens eine Dimension erweitert.

Xen

Kanye West vertraute ihm ‚Yeezus‘ an, FKA twigs gab ‚EP2‘ und ‚LP1‘ in seine Obhut. Aktuell legt Björk die Geschicke ihres – offiziell noch unangekündigten – neuen Albums in die Hände des Produzenten, der gerade einmal halb so viele Lenze zählt wie sie selbst. Dass Alejandro Ghersi was kann, hat sich herumgesprochen – und wird sich aller Voraussicht nach noch bedeutend weiter herumsprechen, nachdem der Öffentlichkeit sein – mit Verlaub – vollkommen durchgeknalltes Debütalbum zu Ohren gekommen ist.

Arca nennt sich der venezolanische Sound-Guru, den wenige Monate zuvor noch niemand auf dem Zettel hatte, zu dem aufzuschauen aber offenbar nun das Gebot der Stunde ist. Mit ‚Xen‘ hat der erst 24-Jährige ein Debütalbum aufgenommen, das vor musikalischem Tatendrang geradezu strotzt und von seiner ersten Sekunde an so zukunftsweisend daherkommt wie sonst kaum ein Erstling. In anderen Worten: Wenn Arca nur wollte, könnte er die Gesamtheit seiner Ideen in einem großen Knall vereinen und damit alles stilistisch Dagewesene im Nu wegpusten. Das mehr oder minder strukturierte Kanalisieren seiner Einfälle jedenfalls scheint kaum mehr als ein nachsichtiges Zugeständnis an seine Hörer zu sein.

So ist also der letzte Schrei in Sachen Sounddesign polyphon, hält 40 Minuten an und hört auf den Namen ‚Xen‘. ‚Xen‘ ist das übergroße extraterrestrische, schillernde und zu allem Überfluss auch noch zirpende Insekt, das wir nie sehen wollten, das uns aber trotzdem in seinen Bann zieht. Seine futuristischen, den rhythmischen Gepflogenheiten entkoppelten Klangkaskaden türmen sich erhaben auf, um kurz darauf wieder in unzählige splittrige Elemente zu zerfallen, die sich ihrerseits ähnlich einer Sackfüllung Murmeln auf Marmorfliesen zu einer schwarmartigen Klangwolke vereinen. Die nächste Staffette wartet immer schon hinterm verkrüppelten Taktstrich an der nächsten Ecke, und mit ihr die nächste Ladung im wirklichen Leben nie gehörter Geräusche. Überhaupt schießt Arcas Repertoire an klanglichen Farben und Formen weit über das mit Worten Umschreibbare hinaus; seinen Architekturstil als ’spacig‘ zu bezeichnen, wäre schlechthin zu kurz gegriffen. Zumal ‚Xen‘ mit seinen androiden Nanosymphonien weitaus mehr als nur die Schwerkraft überwindet.

Anders als viele seiner Kollegen verzichtet Arca bei allem Avantgardismus recht weiträumig auf Knistern, Rauschen oder anderweitige klangliche Bindemittel; seine elektronischen Sounds stehen frei, verschaffen sich abstufungslos Raum und sind so spiegelblank wie das Glatteis, auf das sie ihren Rezipienten mit jeder neuen Sequenz weiter hinaustreiben. ‚Xen’s scheinbare Beliebigkeit gibt sich als durchtriebener Mechanismus zu erkennen. Heillos schlitternd gelangt man an einen Ort, an dem Arca einem die Naturgesetze einer anderen, kälteren Welt diktiert – und das so glaubhaft und echt, dass einem die Spucke wegbleibt, der Atem stockt und der Verstand aussetzt. Ein durch und durch – und das ist unter anderem auch wörtlich gemeint – fantastisches Album.