Schlagwort: Elektro-Pop

Miami Memory

Alex Cameron ist ein Grenzgänger. Der Australier scheut sich nicht davor, elegant am Rande des Kitsch zu balancieren oder bitterböse Botschaften in zuckersüße Klänge zu verpacken. Sein neuester Wurf „Miami Memory“ (Secretly Canadian) bedient sich virtuos bei allem, was inzwischen theoretisch dem guten Musikgeschmack zuwiderläuft. Theoretisch.

Saxophone – die melodische Geißel sämtlicher 80er Jahre-Songs -, Piano, penetrant wallende Synthesizer, Triangeln, Handclaps – all das und noch so einiges mehr versammelt Alex Cameron auf seiner Platte. Was sich wie eine unerträgliche Kakophonie liest, ergibt in der Hand des Singer- / Songwriters eingängige Indie-Pop-Melodien, die einen spannenden Kontrast zu seinen bissigen, hintersinnigen Texten liefern.

„Bad For The Boys“ beispielsweise rechnet begleitet von federleichten Bläsersätzen und beschwingten Hammond-Orgeln mit der Sorte Mann ab, die dem Feminismus die Schuld an so ziemlich allem gibt. Die Single „Divorce“ kommt fröhlich juchzend auf einem tanzbaren Drumbeat daher und dreht sich doch nur darum, dass endlich das verflixte Wort „Scheidung“ ausgesprochen werden soll, damit das Elend ein Ende hat.

Cameron präsentiert auf „Miami Memory“ zehn abwechslungsreiche Tracks, die nicht nur musikalisch, sondern auch inhaltlich sehr breit aufgestellt sind. Er bedient sich dafür nicht billiger Effekthascherei, denn jedes Stück ist eine kleine, spannende Welt für sich, die auch nach mehrmaligem Hören immer wieder neue Facetten offenbart – eine große Kunst in Zeiten, in denen vieles in der Beliebigkeit versackt. 

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Secretly Canadian

Widow’s Weeds

Früher war mehr Gitarre. Gut, könnte man sagen, das waren die Nuller Jahre, da wurde Indie-Rock nunmal mit der Gitarre gemacht. Da waren die Synthesizer der Achtziger noch zu nah und nicht richtig verdaut. Nun sehen wir bereits dem dritten Jahrzehnt unseres Jahrhunderts entgegen, und da ist im Genre, das haben wir schon begriffen, beinahe alles möglich.

Zumal, wenn der Erfolg einer Band Recht gibt. Die Silversun Pickups haben schon mit ihren letzten beiden Alben einen Sinn für den Trend bewiesen, sich von ihren rockigeren Ursprüngen emanzipiert und damit sicher in den Top Ten beziehungsweise Top Twenty der US-Charts platziert. Sich in ihrem Falle also nur auf ihr Debüt ‚Carnavas‘ und vielleicht noch den Nachfolger ‚Swoon‘ zu beziehen, klingt – schon klar – ein wenig, als ob Oma vom Krieg erzählte.

Trotzdem, war das nicht treffsicherer damals? Konkreter? Heute ist der Sound der Band aus Los Angeles stadiontauglich rund, Produzent Butch Vig enttäuscht auch auf ‚Widow’s Weeds‘ natürlich nicht. Aber es will nicht wirklich etwas von den Songs im Ohr hängen bleiben. Nach einem recht dynamischen Auftakt schunkeln sich die Silversun Pickups auf Balladenniveau ein, das die Aufmerksamkeitskurve sachte abfallen lässt. Mutige Momente gibt es nur wenige auf dem Album, sind vor allem den Streichern in ‚It Doesn’t Matter Why‘ oder ‚Simpatico‘ zu verdanken. ‚We Are Chameleons‘ hat letztlich die ganz klare Mission, den Hörer wieder wachzurütteln und einen lebendigen Eindruck zu hinterlassen.

Dafür wird sogar auf billige ‚Nana Na Na‘-Animations- und Mitsingelemente zurückgegriffen. Ohne Angst vor Mainstream-Anleihen auf den großen Effekt setzen, ja, das machen zum Beispiel auch Muse, ebenfalls sehr erfolgreich. Positiv und offen für so Vieles ist dieser Sound. Aber eben auch beliebig. Das ist allerdings kein Spezifikum von ‚Widow’s Weeds‘, vielmehr reiht sich das Album in das breite Mittelfeld ein. Der Indie-Rock dieser Tage, er ist zwar ambitioniert, aber irgendwie seelenlos.

Remind Me Tomorrow

Das Chaos herrscht nur auf dem Coverfoto. Ansonsten hört man ‚Remind Me Tomorrow‘ die Hektik nicht an, die in Sharon Van Ettens Leben geherrscht hat, als das Album entstand. Als Musikerin arbeitete sie an diversen Soundtracks mit, begann zu schauspielern, studierte nebenbei Psychologie und wurde zudem auch noch Mutter. Jede Aufgabe für sich allein würde den Alltag eines Menschen völlig auslasten – Van Etten nahm währenddessen noch ein Album auf.

Eines, das sich in so eindrucksvolle wie wichtige Veröffentlichungen von Frauen einreiht, wie sie in jüngster Zeit von Anna Calvi, Emma Ruth Rundle oder Sophie Hunger kamen. Ähnlich wie bei Letzterer und deren Abum ‚Molecules‘ rückt die Gitarre, die anfangs für Van Etten so charakteristisch war, zugunsten verschiedenster elektronischer Einlagen in den Hintergrund. Mit diesem Gerüst ist ein Album entstanden, das einerseits auf die innere Ruhe verweist, mit der die Songwriterin ihr ereignisreiches Leben in der Balance hält. Und das andererseits genau die Herausforderungen spüren lässt, mit denen sie es – genauso wie ein Jeder von uns – tagtäglich zu tun hat.

Die Grundlage von ‚Remind Me Tomorrow‘ bilden wunderschöne Melodien, par excellence in ‚No One’s Easy To Love‘ oder ‚Jupiter4‘. Kitschig könnten diese wirken, bekämen sie nicht durch abwechslungsreiche Arrangements sowie Van Ettens bisweilen trotziger Gesang etwas Kantiges. Zudem verschaffen die geschickt eingesetzten elektronische Elemente den Songs etwas sehr Modernes. Im Gegensatz zur Zeitlosigkeit von Rock- bzw. Folk-Songs, denen Van Etten auf ihren bisherigen Alben näher war, platziert sie ihre neuen Stücke ganz bewusst in die heutige Zeit.

So persönlich die Motivationen für das Album für Sharon Van Etten gewesen sein mögen, so allgemein gültig sind doch seine Brüche. In jedem seiner Songs spiegelt sich mehr oder weniger deutlich die Schizophrenie unserer Tage wieder. Auf der einen Seite wirkt vieles zunächst wundervoll und klingt stimmig. Trotzdem gibt es etwas, das die Harmonie subtil, aber beharrlich stört. Leichte Dissonanzen sorgen für ein Unbehagen, das derzeit allgegenwärtig zu sein scheint. Wohl nicht zufällig wurde das lebendigere ‚Comeback Kid‘ als erste Single veröffentlicht, vereint es doch ein irgendwie nicht erklärbares Unwohlsein, das Viele heute verspüren, und besteht dennoch auf dem unbedingten Willen, selbiges ausgelassen wegzutanzen.

Selbst in dem so zauberhaften ‚Jupter4‘ schwingt unterschwellig etwas Bedrohliches mit. Der Song sei ein Fiebertraum, sagt Katherine Dieckmann, die das zugehörige Video gedreht hat. Das kann tatsächlich für das gesamte Album gelten. Hin- und hergerissen zwischen behaglich-schönen Motiven und nagenden Zweifeln hinterlässt es uns leicht verwirrt und nachdenklich. Und ist damit die perfekte Metapher für das Leben an sich.