Schlagwort: Dark Wave

Cuts

Die Achtziger sind tot. Es leben die Achtziger.

Bedenkt man die Mode- und Mainstream-Sünden, die dieses Jahrzehnt hervorgebracht hat, muss das nicht immer gut sein. Mit The Dead Sound werden aber musikalische Facetten revitalisiert, die keine Scham hervorrufen, sondern wilde Erinnerungen an Auf- und Ausbruch. Konventionen wurden einst überworfen mit Tunes, die dank der Erfindung der Synthesizer neu entstanden. Nur, was damals innovativ war, gilt heute schon als Retro. Aber im Falle von ‚Cuts‘ (Crazysane Records) handelt es sich nicht nur um die Wiederbelebung längst Dahingeschiedener. Die neue Band um Karl Brausch (Love A, Matches) ist durchaus fähig, dem Sound – tot oder lebendig, jede/r entscheide selbst – noch eine eigene Notation zu verleihen.

Mit den ersten Klängen des Albums wird sofort deutlich, wer musikalisch Pate stand. Nach dem Vorbild von A Place To Bury Strangers, The Jesus and The Mary Chain, aber auch Joy Division erschaffen The Dead Sound einen akustischen Raum, der wie in einer Blase parallel zum realen existiert. Tatsächlich war für Karl Brausch das Frickeln, aus dem ‚Cuts‘ abgeschieden in seinem Wohnzimmer in Trier entstand, ein Fluchtweg aus dem alltäglichen Ärger und Stress.

Den hält er bewusst geradlinig mit einem kühlen, metallischen Sound. Im Gegensatz zu seinen anderen Bandprojekten ist Brauschs Musik hier eine eher zweidimensionale. Arrangements und vor allem der Gesang halten sich noise-überlagert dauerhaft auf einer Ebene. Die repetitiven Songstrukturen sind herausfordernd, ihr Raum erlaubt es aber, sich in eine ansteckende Dynamik zu steigern. So entfaltet ‚Cuts‘ einen akustischen Sog, der den Hörer mit jedem Song tiefer in seine Materie zieht.

Das ist keineswegs unangenehm. Vielmehr werden wir zu unserem eigenen Glück gezwungen – abzuschalten nämlich von dem, was uns tagtäglich nervt und quält und den Horizont – visuell wie emotional – verengt. Inmitten von ‚Cuts‘ finden wir uns plötzlich erfrischt, über den Dingen schwebend und in einer gesunden Distanz zur welt wieder. So vernebelt und noisy der Sound des Albums ist, so klar ist man an dessen Ende im Kopf.

THE DEAD SOUND (feat. members of LOVE A and FREIBURG) – Debütalbum im Juli

The Dead Sound entstand Ende 2018 aus dem Soloprojekt von Karl Brausch (Love A, Matches).Für die Live-Umsetzung des vorhandenen Songmaterials nahm er Dominik Mercier (ebenfalls Love A, Matches)und Lars Borrmann (Ex-Freiburg) mit ins Boot. Anfang 2019 verschickte Demos wecken das Interesse von Crazysane Records aus Berlin und am 19. Juli erscheint nun das Debüt-Album ‚Cuts‘.…

Egal

Es beginnt bedrohlich mit düster wabernden Synthesizern… Schon bezeichnend, dass zwei dieser Tage zum selben Termin erscheinenden Platten den gleichen Anfang nehmen. Zwei Platten, die im weiteren Rahmen den deutschen Post-Punk im Jahre 2019 repräsentieren, ja kreieren. Für selbigen sind demnach elektronische Tasteninstrumente unverzichtbar.

Während Maulgruppe mit ‚Tiere in Tschernobyl‘ dabei den stärkeren Fokus auf die Deutschpunk-Komponente legen, wüten Kontrolle aus Solingen in den dunklen Gefilden des Genres. Staubtrockene Bassläufe sind das Markenzeichen des mal lauten, mal industriellen Sounds von ‚Egal‘. Begleitet von einer Düsterstimme der Art, die ansonsten nur treuen Besuchern des Wave-Gotik-Treffens geläufig ist. Mit sowohl metallischen als auch dichten Riffs wird die Musik von Kontrolle beinahe physisch. Man spürt den Druck, die inneren Zwänge, die sich ihren Weg aus Kopf, Körper und Herz nach draußen erzwingen.

Nun sind es aber zwei Herzen, die, ach, in der Brust des dreiköpfigen Wesens namens Kontrolle schlagen. Ein noisiges, postpunkiges, das sich ganz im Heute befindet und laute, sarkastische Zivilisationskritik betreibt (‚Baumarkt‘). Böse, aber erheiternd ist der Witz, mit dem Sänger Daniel seiner Aversion Ausdruck verleiht: ‚Ich volk mich um.‘ Oder, noch besser: ‚Wo andere schwimmen gehen, scheiß ich in den Pool.‘

Dem anderen Herzen ist’s schwer. Es ist irgendwo in den späten 70ern verfangen und sucht Trost im New bis Dark Wave. Das Gefühl des Fremdseins bis hin zur Verzweiflung findet seinen Höhepunkt in ‚360 Grad‘. Nicht nur hier möchte man meinen, Ian Curtis persönlich sei auferstanden. Kontrolle huldigen ihren Idolen Joy Division ganz ungeniert, und auch Silke Bischoff wird mit einem direkten Zitat die Ehre erwiesen.

Der ultratiefe Gesang dazu ist überzogen, aber das ist eben Kunst und die ist frei. Stilistisch halten sich Kontrolle aber mitunter allzu eng an das, was vor 40 Jahren schon mal war. Wenn auch mit viel überzeugender Energie betrieben, nutzt sich ihr Konzept noch im Laufe des Albums ein Stück weit ab. Da könnten dem Hörer der Gegenwart noch ein paar mehr Anhaltspunkte geliefert werden. Viel Potential für Album Nummer zwei also.