Schlagwort: Lo-Fi

Wrestler

No one knows, what the fuzz is about
but it’s wrestling time.

Beim Fuzz in Darbietung von The Entrepreneurs geht es ziemlich eindeutig um vergangene Zeiten. Und/oder um eine Parallelwelt. In dieser heutigen jedenfalls wollen sie sich nicht so richtig einpassen. Was wiederum immer ein guter Ansatz für Rockmusik ist. Allein darum ist „Wrestler“ (Crunchy Frog) sehr willkommen. Und auch wegen seiner musikalischen Ideen.

What’s so fucking strange about my idea?

Eben gar nicht so viel. The Entrepreneurs sind bei Weitem nicht die ersten, die gemischte und womöglich irritierende Gefühle in Songs verpacken. Man würde sie nur weder im kühlen Dänemark, noch in der zweites-Album-Bandphase verorten. Akustisch passen sie besser in den Nordwesten der USA. Es ist aber North Carolina, wo die drei Dänen einige Zeit verbracht und auch Songs für „Wrestler“ aufgenommen haben.

Die klingen häufig nach einer in den 1990ern verlebten Jugend. Das kommt bei den drei jungen Herren wohl nicht ganz hin, daher Hut ab vor so viel authentischem Bezug. Sehr überzeugend jedenfalls ist die betont desinteressierte und entrückte Attitüde des Albums. The Entrepreneurs driften gern ab und schaffen oft eine etwas umnebelte Atmosphäre. Dabei entsteht mal eine Art Space-Rock, mal ist alles sehr grungig. In einem Moment gibt sich die Band schmeichelnd, im nächsten dann wieder schroff.

Don’t hate me just because I hate you.

Chapeau! Spätestens damit dürfte klar sein, dass The Entrepreneurs auf keinen Fall irgendeinem Trend hinterherlaufen. Eher introvertiert, schaffen sie sich ihr eigenes fuzziges Universum. Das ist alles andere als leicht durchschaubar – allein schon deshalb, weil viel mit Stimmverzerrern gearbeitet wird. Von den asymmetrischen und abrupten Songstrukturen ganz zu schweigen.

„Wrestler“ ist ein bisschen psychedelisch, etwas krautig und bisweilen avantgardistisch. Es ist aus der Zeit gefallen, aber definitiv nicht langweilig – wie ein Regenbogen, bunt und surreal.


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Backseat

ACHT EIMER HÜHNERHERZEN – Tanzen nach „Zahlen“

Acht Eimer Hühnerherzen erfreuen die Welt mit einem neuen Video. Dazu die Band: Sind die geraden Zahlen nicht ein einziges Unglück für die Menschheit?Total hässlich und Schuld an so viel Missvergnügen?Nur die Acht stellt eine Ausnahme dar.Und die Zehn sowieso, da ja die Quersumme Eins ist.„Zahlen“ ist das vierte (!) und letzte Musikvideo/Single zum zweiten…

Erdenmenschen weggetreten

„Ich bin ein Urgestein und ich sinke auf den Grund, ich mach noch ein paar Japser und dann sterb ich wie ein Hund.“

Von wegen. Rocket Freudental erheben sich mit „Erdenmenschen weggetreten“ (Treibender Teppich Records) wie Phoenix aus der Asche. Seit neun Jahren mal wieder ein Album, und dann noch zufällig passend zur Krise. „Überlasst das den Experten – achso, ich bin ja der Experte! Jemand muss schließlich entscheiden im Namen der Allokation.“ („Yogalehrer“) Nein, keine Platte, die aus Mangel an Alternativen in der Quarantäne entstanden ist. Jahre lang gereift vielmehr und doch passgenau mitten ins schwere Jahr 2020 entlassen.

„Das schlaffe Metronom, du bist das tanzende Mittelmaß. Du kannst saufen, was du willst, bleibst die 0,5 im Literglas.“

Rocket Freudental, sprich André Möhl und Robert Steng, begegnen dem mit einem minimalistischen Soundgewimmel. Sie praktizieren Punk im ursprünglichsten Sinne des Wortes, bis daraus Avatngarde wird. Dazwischen blitzen Funken von 50er-Jahre-Rock’n’Roll und Garagen-Rock auf, wird auch vor einer Bluegrass-Mundharmonika oder Indigo-Flöte nicht zurückgeschreckt. Den Oberbau bilden Elektronikspielereien, und nicht nur die hat sich das Duo bei den Goldenen Zitronen abgeguckt.

„Aus dem Samen dieser Früchte wächst ein neues Leben, und daraus wird der Leim gekocht, an dem wir später kleben.“

Entfaltet so mancher Song des Albums einen vorsichtigen melodiösen Charme, triefen die Texte hingegen vor Sarkasmus und stoßen mit Wonne vor den Kopf. Unbarmherzig und übersäuert geht es gegen den Bildungsbürger-Dödel, wie er in „Blaue Daumen“ so hübsch benannt wird. Oder eben die Yogalehrer. Die beiden Stuttgarter strecken die Faust aus und drehen sich mit geschlossenen Augen und hohem Tempo im Kreis. Teilen aus, ohne Unterschiede zu machen.

„Eine Hackfresse mehr im Meer der Gesichtsbaracken.“

André Möhl ist auf seine Art poetisch. Und absolut auf verbalen Krawall gebürstet. Er lässt raus, was raus muss, und wofür sich der Großteil von uns als zu anständig fühlt. Auch wenn ihm oft mit klammheimlicher Freude zuzustimmen ist, ist das alles doch starker Tobak. Und erschöpft den Hörer. Wie das eben nunmal ist, wenn ganz tief im Inneren gewühlt und alles von Grund auf umgekrempelt wird. Ist das noch Musik? „Erdenmenschen weggetreten“ ist eine intellektuelle Herausforderung. Macht euch auf was gefasst.

 

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CZ! Promotion

Morningside

Amelia Murry ist ein Kind ihrer Zeit. In völliger Eigenregie hat sie unter ihrem Künstlernamen Fazerdaze und mit ihrer ersten EP einen Bekanntheitsgrad quer über den Erdball entwickelt, von dem manche Bands mit Label und Promo-Agentur im Rücken nur träumen können. Dem Internet ist’s gedankt, dass DIY in der Popmusik wieder eine Bedeutung hat.

Ohne Plattenvertrag und Businessplan kann es aber eben auch mal drei Jahre dauern, bis der ersten erfolgreichen Veröffentlichung – besagter selbstbetitelter EP aus dem Jahre 2014 – endlich ein profundes Album folgt. Mit ‚Morningside‘ debütiert Fazerdaze nun offiziell und schlägt per Plattenlabel dann doch den professionellen Weg ein.

Dabei hat sich der Arbeitsstil der Neuseeländerin (von Band-begleiteten Live-Auftritten mal abgesehen) nicht wesentlich geändert. Mit Gitarre und Computer bastelt sie sich zu Hause ihre Songs und bedient sich musikalisch ausgiebig in den frühen Neunziger Jahren. Damit liegt sie voll im Trend, in dem die Mischung aus Lo-Fi, Shoegaze und Dreampop derzeit so angesagt ist. Das hatten wir zwar vor Jahrzehnten alles schon einmal, aber aufgepeppt mit Drumcomputer und Synthieklängen wird es kompatibel für das Jahr 2017 gemacht.

Die digitalen Hilfsmittel haben allerdings nicht nur den Vorteil, dass Fräulein Murry die Songs in ihrer Gänze allein und bequem von ihrem Schlafzimmer aus einspielen kann. Ihre recht simplen und verspielten Synthesizereinlagen wirken doch auch immer ein wenig trashig und letztlich so billig, wie die Produktion der Tracks tatsächlich ist. Da ist es schon ein wenig schade um die Songs von ‚Morningside‘, die eine so schöne Melancholie einerseits und Leichtfüßigkeit andererseits zur Grundlage haben. Dank ihrer zarten Stimme wirkt alles von Fazerdaze entzückend verträumt, auch wenn die Saiten für ‚Misread‘ oder ‚Friends‘ mal etwas härter angeschlagen werden. Diese Zauberhaftigkeit jedoch, die z.B. die Vorabsingle ‚Little Uneasy‘ versprochen hat, hält nicht über die volle Albumlänge an. In dessen zweiter Hälfte laufen sich Arrangements leer und können die eigentlich hübschen Songideen nicht mehr konstruktiv unterstützen.

Für ein ganzes Album reicht es eben doch nicht aus, sich recht unbedarft an der heimischen Musiksoftware auszuprobieren. Wenn es für die erste EP noch interessant genug war, kann das Konzept ‚girl in bedroom on guitar‘ auf ‚Morningside‘ nicht in ganzer Linie überzeugen. Für das nächste Album wünschen wir uns daher ein klares Ziel und Mut zu mehr Profil.

Swear I’m Good At This

Nun ja, es ist nicht unbedingt die kreativste Promo-Finte, das Debütalbum einer Band damit anzupreisen, dass eben jene schon längst als Geheimtipp gilt. Manch Einer mag sich beim Bemühen dieser Floskel womöglich schon entnervt und Augen rollend abwenden – sollte das aber gerade im Falle von Diet Cig nicht tun! Vielmehr hat die New Yorker Szene gegenüber uns Europäern den süßen Vorteil, das Duo bereits seit seiner EP ‚Over Easy‘ (2015) zu kennen und zu lieben. Und wir nun anhand ‚Swear I’m Good At This‘ die Chance, mit Verve nachzuziehen.

Mit den ersten Klängen des Albums wird klar: Es ist sehr weiblich, sehr offensiv, sehr aufrichtig. Sängerin Alex Luciano selbst findet anlässlich der ersten Single ‚Tummy Ache‘ die besten Worte, den Diet Cig-Stil zusammenzufassen: ‚approaching punk with radical softness‘. Ihr Debüt kommt passgenau zum Frühling, wo man mit ausgebreiteten Armen und einem Lächeln im Gesicht, ganz verträumt und mit geschlossenen Augen die Sonne begrüßt und spürt, dass Großes bevorsteht. In den Texten von Luciano ist selbiges nichts Geringeres als das Leben selbst, das einer 21-Jährigen (‚Barf Day‘) just erwartet. Da geht es um die größten Erwartungen, die tiefsten Gefühle und den verzweifelten Wunsch, das nicht allein durchstehen zu müssen.

‚Don’t tell me to calm down!‘

(‚Link In Bio‘)

Was den Hörer dieser Songs angeht, sollte er sich dieses Empfinden bewahrt haben – oder spätestens anlässlich dieses Albums wieder in Erinnerung rufen -, auch wenn dieser Lebensabschnitt schon eine Weile hinter ihm liegen sollte. Und ehrlich, geht dieses Gefühl von

‚don’t know which way to go, don’t know where to call home‘

(‚Road Trip‘) jemals wirklich vorbei? Will sagen: So tanzbar die Melodien, so jugendlich Lucianos Stimme – die Melancholie über das Erwachsenwerden und das Ende der Teenager-Jahre (

‚I will never barbecue again‘

/ ‚Sixteen‘) ist unleugbar und hat etwas sehr Rührendes. Offene Sympathie ist daher das Grundgefühl, das ‚Swear I’m Good At This‘ hervorruft. Wild bleiben mit Diet Cig, lautet also die Devise des Frühlings.

Paperweights

An Roo Panes ist einiges Interessantes. Nicht nur, dass er mit seinen 28 Jahren schon drei EPs und zwei Alben vorweisen kann und zwischendurch mal eben zum Burberry-Model avanciert ist. Nein, der Brite ist zudem auch noch studierter Theologe. Und so waren es eher seine Familie und ihr spirituelles Umfeld mit klassischer Musik, die den Heranwachsenden zum Songwriting inspirierten, als andere Bands oder gar Rockmusiker.

Daher wohl die Ernsthaftigkeit, die in Panes‘ Songs steckt. Sein zweites Album ‚Paperweights‘, das im heimatlichen Großbritannien bereits im letzten Jahr erschienen ist und nun dem deutschen Käufer feilgeboten wird, hat etwas sehr Intimes, wirkt wie ein Stück Kammermusik. Hervor sticht des Sängers Kirchenchor-erprobte Stimme, die das gesamte Album selbstbewusst und mit viel Würde trägt. Dazu spielt Panes seine Gitarre so zärtlich, als sei sie die geliebte Frau, von der er ein ums andere Mal singt. Gelegentliche Streicher und verzagte Bläser verleihen den Songs eine zusätzliche Tiefe, während eine in weiter Ferne schwebende weibliche Stimme für eine Spur Leichtigkeit sorgt.

Der einzige emotionale Ausbruch, der dem Hörer vor Rührung die Kehle zuschnüren möchte, bleibt der Titeltrack. Dabei hätte das Album durchaus mehr davon vertragen. Roo Panes zieht es aber vor, mit allen anderen der insgesamt zehn Stücke so vorsichtig umzugehen, als wären sie aus teuerstem chinesischen Porzellan. Mit dieser so großen Umsicht will Panes unterhalten, aber vor allem ernst genommen werden. So ernst, wie er sich und jeden einzelnen seiner Songs selbst nimmt. Das ist mitunter ein bisschen anstrengend, aber in seiner Ehrlichkeit und Zerbrechlichkeit auch wieder sehr reizend.

Für Chopin

Es gibt ein Leben nach dem Punk, und das ist entspannt und wird von der Akustikgitarre begleitet. Zahlreiche Musiker, die mit ihren Bands die härtere bzw. schnellere Schiene fahren, haben uns in den letzten Jahren mit ihren Soloplatten die schönsten und besinnlichsten musikalischen Momente beschert – man denke nur Tony Sly von No Use For A Name, sowohl Chris Wollard als auch Chuck Ragan von Hot Water Music, Sarah Blackwood von The Creepshow, Joey Cape von Lagwagon, Justin Sullivan von New Model Army.

Nun reiht sich Huck Blues in diese illustre Gesellschaft ein und könnte uns nicht sanfter den Weg aus dem alten Jahr weisen. Wie bei so vielen seiner Kollegen waren die vorliegenden Songs zunächst als Material für seine Band Diving For Sunken Treasure gedacht. Da diese aber gerade pausiert, schlägt Sänger Sebastian Kiefer als Huck Blues und mit dem Album ‚Für Chopin‘ kurzerhand ein neues Kapitel in seinem Musikerleben auf. Und das so konsequent, wie es nur geht. Für das Album hat er fast alle Instrumente selbst eingespielt, die Produktion übernommen und auch beim Mastern mitgewerkelt.

So konnte nur ein Album mit einer großen Intimität entstehen. Die 13 Songs haben ihre Grundlagen nicht nur im Punk, sondern auch im Southern Rock, im Wüsten-Sound sowie im Jazz und ja, ein Stück weit in der Klassik. Sie sind super entspannt und genau deswegen so stark. Nichts wurde glattpoliert, keine Einsätze durch übermäßiges Proben nivilliert und trotzdem wird immer der richtige Ton getroffen.,Den Songs wurde schlicht ihr Charakter belassen und ein wiederspenstig schnurrender Kontrabass ist nur eine von so vielen sympathischen Eigenheiten, die jeden einzelnen von ihnen ausmachen.

Auf ‚Für Chopin‘ ist alles ganz wunderbar wohldosiert: Es gibt nicht zu viel Pathos, aber reichlich Leidenschaft; keine eindimensionale Instrumentierung, aber auch nicht zu viele Spielereien; nicht zu wenig Herz und nicht zu viel Melancholie. Nichts ist übertrieben und Alles hat Hand und Fuß. Uns wird eine äußerst vielschichtige Akustikplatte zuteil, deren Songs dank der tiefen, whiskeygetränkten Stimme ein Outlaw-Feeling transportieren, aber gleichzeitig viel Wärme und Heimatgefühl vermitteln. Wem also mit dem Jahr auch langsam die Energien ausgehen, der findet hier Asyl, Rückbesinnung und kann langsam neue Kraft tanken.

Danke, Huck Blues, für ein Album, das entschleunigt, erdet und einfach nur gut tut.

The Cardiac Hotel

Bereits zum zweiten Mal entführt uns Thomas George in seine Welt, in der es keine Schwerkraft zu geben scheint. Mit seinem Projekt The Lion And The Wolf ist er sich völlig im Klaren darüber, in welche Jahreszeit seine reizenden Melodien passen. Schon die Veröffentlichung seines Debüts ‚Symptoms‘ war zum Jahresende datiert, und wer bis jetzt noch keinen Gedanken an das nahende Weihnachtsfest verschwendet hat, der wird bei den ersten Klängen des neuen Albums ‚The Cardiac Hotel‘ unweigerlich daran denken müssen.

Aber ganz so dreamy und klingelig bleibt das Album diesmal nicht. Spätestens mit ‚My Father’s Eyes‘ wird deutlich, dass das zweite Werk von The Lion And The Wolf ein geerdigter Sound durchzieht. Voll instrimentiert, sind die Songs des Albums in einer größeren Bandbreite arrangiert. Das heimische Wohnzimmer wurde durch ein Studio ausgetauscht, Bläser statt Glöckchen ist die Devise. Die Einspieler von ‚Walk On The Moon‘ lockern den Song und die ganze Platte angenehm auf, ähnlich wie die originellen Drums von ‚Find The Time‘. Das erwähnte ‚My Father’s Eyes‘ ist gar tanzbar und erinnert stark an Get Well Soon, und ‚December‘ baut einen Spannungsbogen mit Gänsehaut-Garantie auf. Der etwas bodenständigere Tonfall tut dem Ganzen eindeutig gut.

Was freilich bleibt, ist George’s fragile, schwingende Stimme, die den Songs letztlich doch immer wieder zum Abheben verhelfen. Wem diese schon auf dem Debütalbum einen Ticken zu süß war, der wird sich auch auf ‚The Cardiac Hotel‘ kaum an sie gewöhnen. Man kann nur spekulieren, wie tief die Melancholie im Herzen des Thomas George sitzen muss, wenn er diese Songs in Frühlings- oder Sommertagen aufgenommen hat.

‚Well I’ve got reasons for being weak‘

, verrät er uns in ‚The Pinching Point‘, und noch direkter gesteht er in ‚Witness‘:

‚I’m a hopeless romantic‘

. Auf seinem neuen Album zeigt er uns aber nicht mehr nur die schöne, verträumte Seiten der Romantik, sondern lässt auch eine gute Portion Traurigkeit zu. Gut so, damit vervollständigt sich der Sound von The Lion And The Wolf langsam, aber sicher. Wir sind gespannt auf die nächste Phase.

Unexpected Gift

Nichts ist bekannt darüber, ob die Kick Joneses über sieben Brücken gehen mussten. Aber sieben Jahre sind vergangen – dunkle Jahre für ihre Fans, in denen kein neues Album veröffentlicht wurde. Nun ist es aber da, als Doppelalbum zumal, und man freut sich drüber wie über ein unerwartetes Geschenk.

Denn die sechs Mannen tun, was sie am besten können: Musizieren aus reiner Freude am Musizieren. Das bringt Laune, sowohl für sie selbst als auch für die Hörer, und verleiht den 20 neuen Songs eine einnehmende Lässigkeit. Und das auch, wenn es mitunter ganz gut zur Sache geht. Denn vom Punkrock können die Kick Joneses immer noch nicht so richtig lassen. Das ist aber nur eines von vielen Genres, in das ‚Unexpected Gift‘ einen Schlenker unternimmt. Fast jeder Song bedient sich eines neuen musikalischen Ingredienses. Per Keyboard, Shanty-Akkordeon, Ska-Shouts, Stoner-Gitarre oder Dance-Tunes geht es hin und her zwischen Indie-Rock, Power-Pop, 80er Wave, Fun-Punk und Brit-Pop.

Das kann nur eine Band – und dann auch noch gut – mit einer reichen musikalischen Vergangenheit. Die Kick Joneses blicken immerhin schon auf 24 gemeinsame Jahre zurück; die Anfänge ihrer Vorgängerband Walter Elf reichen sogar bis ins Jahr 1983. Dieses, man kann es fast schon Vermächtnis nennen, liegt der Kombo aber nicht schwer und drückend auf den Schultern; ihr Sound kommt im Gegenteil frisch, offen und lebendig daher. Vieles auf ‚Unexpected Gift‘ groovt ganz wunderbar (’50 Bucks Trailer‘, ‚How Low Can A Drunk Get?‘, ‚Battered And Bruised‘) und allein der Titeltrack hat auch textbedingt einen hohen Gänsehautfaktor. Der Lo-Fi-Sound der Songs hat manchmal etwas Kantiges, aber immer ist da viel Herz im Spiel.

20 Stücke ist viel für ein Album, und so gibt es mit Beginn der zweiten Hälfte auch einen leichten Hänger. Für Beinhart-Fans ist ‚Unexpected Gift‘ in seinem Umfang natürlich eine noble Gabe, für andere Hörer könnte es hingegen zur Herausforderung werden. Mit seiner Länge von einer Stunde fünfzehn bringen die Kick Joneses ihr neues Album wohl um den Effekt, dass der Hörer nach dem ersten Durchlauf aus Wohlgefallen gleich nochmal die Playtaste drückt. Aber so schlimm ist das ja nicht. Sacken lassen und am nächsten Tag wieder auflegen.

Elephant Terrible

Es sieht gut aus für The Boys You Know. Zumindest für ihr Wohlbefinden. Offenbar ist man dabei, das Gefühl des Verlorenseins, das ‚Purple Lips‘ (2014) geprägt hat, zu überwinden. Mit ihm lässt man los vom ausgeprägten Hang zum 90er-Jahre-Grunge. Glückwunsch, mit nur 16 Jahren Verspätung ist die Band aus Österreich im nächsten Jahrtausend angekommen.

Und das bedeutet für ‚Elephant Terrible‘ raus aus dem Keller, rein in den gediegenen Musiker-Reigen. Das steigert das Selbstbewusstsein, und folgerichtig hat die Band, genauer Gitarrist Mathias Kollos die Produktion ihres dritten Albums nun selbst in die Hand genommen. Ob das die richtige Entscheidung war, kann heiß diskutiert werden. Wovon man jedenfalls ausgehen kann, ist die tiefe Kenntnis der Songs, ihrer Hintergründe und Stimmungen, mit denen Kollos sie bearbeitet und damit wohl am genausten ihre Intentionen herausgestellt hat.

Im Gegensatz zum Vorgänger ‚Purple Lips‘ geht es auf dem Album nun also ein wenig moderner zu, reflektierter, konventioneller. Wieviel Anteil daran der Weggang von der einzigen Frau in der Band (Bassistin Sophie Schmidbauer) hat, bleibt Spekulation. Jedenfalls ist ‚Elephant Terrible‘ weniger rebellisch, schrammelig und laut. Sein Sound ist viel klarer, und so wohl auch die gesamte Vision: Man traut sich mehr in punkto Arrangements.

Um sich derart weiterzuentwickelt, hat die Band ihr Line-up mit einen Trompeter und einem Keyboarder angereichert. Diese Neuzugänge sind deutlich zu vernehmen, im Titeltrack etwa. Oder in ‚Rainy Days‘, dem die jazzige Trompete wunderbar ansteht. Nur hin und wieder erkennt man früher gepflegte Genrespezifika, kann man maximal von einer flockigen Grunge-Variante sprechen. Die Gitarrensoli sind es, was aus dem kompakten Band-Sound heraussticht und an die beiden bisherigen Alben anknüpfen. Im Ganzen ist das Album in unaufgeregtem Lo-Fi gehalten mit einem hörbaren Faible für Easy Listening. The Boys You Know des Jahres 2016 haben den Dreck aus ihren Songs entfernt und machen Musik, die kaum noch unangenehme Feelings heraufbeschwört. Sie geht die Dinge eher zögerlich an, hat dabei aber trotzdem einen schönen Flow.

Diesen introvertierten Sound – gemacht

‚for rainy saturdays‘

– kann man nun als Erwachsenwerden interpretieren und als gesteigerte Ambitionen gereifter Jung-Musiker. Oder aber als Ergebnis ihres Erfolges, jetzt einfach mehr Möglichkeiten zur Verfügung zu haben. Darin liegt bekanntermaßen oftmals die Krux, mit denen aufstrebende Bands zu kämpfen haben. Und tatsächlich wirkt das ‚You!‘ in ‚Morals‘ etwas zu herzzerreißend, das Gitarrensolo zu konventionell. ‚The Change generell zu eingängig geraten und mit der abschließenden Ballade ‚I Should Have‘ möchte man gänzlich den Vergleich zu Cat Stevens ziehen. Am Ende kommt man nur schwer vorbei an der Schlussfolgerung, dass The Boys You Know mit ‚Elephant Terrible‘ schlicht angepasster als bisher klingen.

Der ORF-Journalist Robert Zikmund lässt sich angesichts der Albumveröffentlichung mit dem Statement zitieren: ‚So wie guter Journalismus nichts sein will, sondern berichtet was ist, muss auch gute Popmusik nichts darstellen wollen. Sondern dich zu Endlos-Repeat zwingen.‘ Auf ihrem neuen Album schaffen The Boys You Know leider weder das Eine noch das Andere so richtig. Schöner war’s, als sie noch etwas darstellen wollten.