|

Xen

Kanye West vertraute ihm ‚Yeezus‘ an, FKA twigs gab ‚EP2‘ und ‚LP1‘ in seine Obhut. Aktuell legt Björk die Geschicke ihres – offiziell noch unangekündigten – neuen Albums in die Hände des Produzenten, der gerade einmal halb so viele Lenze zählt wie sie selbst. Dass Alejandro Ghersi was kann, hat sich herumgesprochen – und wird sich aller Voraussicht nach noch bedeutend weiter herumsprechen, nachdem der Öffentlichkeit sein – mit Verlaub – vollkommen durchgeknalltes Debütalbum zu Ohren gekommen ist.

Arca nennt sich der venezolanische Sound-Guru, den wenige Monate zuvor noch niemand auf dem Zettel hatte, zu dem aufzuschauen aber offenbar nun das Gebot der Stunde ist. Mit ‚Xen‘ hat der erst 24-Jährige ein Debütalbum aufgenommen, das vor musikalischem Tatendrang geradezu strotzt und von seiner ersten Sekunde an so zukunftsweisend daherkommt wie sonst kaum ein Erstling. In anderen Worten: Wenn Arca nur wollte, könnte er die Gesamtheit seiner Ideen in einem großen Knall vereinen und damit alles stilistisch Dagewesene im Nu wegpusten. Das mehr oder minder strukturierte Kanalisieren seiner Einfälle jedenfalls scheint kaum mehr als ein nachsichtiges Zugeständnis an seine Hörer zu sein.

So ist also der letzte Schrei in Sachen Sounddesign polyphon, hält 40 Minuten an und hört auf den Namen ‚Xen‘. ‚Xen‘ ist das übergroße extraterrestrische, schillernde und zu allem Überfluss auch noch zirpende Insekt, das wir nie sehen wollten, das uns aber trotzdem in seinen Bann zieht. Seine futuristischen, den rhythmischen Gepflogenheiten entkoppelten Klangkaskaden türmen sich erhaben auf, um kurz darauf wieder in unzählige splittrige Elemente zu zerfallen, die sich ihrerseits ähnlich einer Sackfüllung Murmeln auf Marmorfliesen zu einer schwarmartigen Klangwolke vereinen. Die nächste Staffette wartet immer schon hinterm verkrüppelten Taktstrich an der nächsten Ecke, und mit ihr die nächste Ladung im wirklichen Leben nie gehörter Geräusche. Überhaupt schießt Arcas Repertoire an klanglichen Farben und Formen weit über das mit Worten Umschreibbare hinaus; seinen Architekturstil als ’spacig‘ zu bezeichnen, wäre schlechthin zu kurz gegriffen. Zumal ‚Xen‘ mit seinen androiden Nanosymphonien weitaus mehr als nur die Schwerkraft überwindet.

Anders als viele seiner Kollegen verzichtet Arca bei allem Avantgardismus recht weiträumig auf Knistern, Rauschen oder anderweitige klangliche Bindemittel; seine elektronischen Sounds stehen frei, verschaffen sich abstufungslos Raum und sind so spiegelblank wie das Glatteis, auf das sie ihren Rezipienten mit jeder neuen Sequenz weiter hinaustreiben. ‚Xen’s scheinbare Beliebigkeit gibt sich als durchtriebener Mechanismus zu erkennen. Heillos schlitternd gelangt man an einen Ort, an dem Arca einem die Naturgesetze einer anderen, kälteren Welt diktiert – und das so glaubhaft und echt, dass einem die Spucke wegbleibt, der Atem stockt und der Verstand aussetzt. Ein durch und durch – und das ist unter anderem auch wörtlich gemeint – fantastisches Album.

Ähnliche Beiträge

Schreibe einen Kommentar