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Tankard – Die frühen Jahre wieder in Vinyl

Nun, ganz offen gesagt, im Gegensatz zu den Reissues von Celtic Frost, Running Wild oder gar Voivod erschienen die 2017er Ausgaben des Noise-Katalogs von Tankard eher ein wenig unspektakulär. Die 2011 auf Sanctuary veröffentlichten CD-Remasters waren schließlich bei vielen Mailorder-Companies noch dieses Jahr immer erhältlich und auch gebraucht für kleines Geld erhältlich, und auch die 2013 über Nuclear Blast veröffentlichten Vinyl-Ausgaben waren noch nicht sooo lange vorbei.

Aber erfreulicherweise versucht BMG auch gar nicht erst, diese neuen Remasters als das ultimative neue Mega-Erlebnis zu verkaufen, sondern setzt einfach relativ schnörkellos die alten Klassiker wieder in print. Und, wenn wir mal ehrlich sind: die genialen Artworks der Tankard-Klassiker kommen im Zwölf-Zoll-Format einfach soooo viel besser als auf CD-Größe. Einzige Extravaganzen sind dabei die in schickem Splatter-, Swirl- und Colour-Vinyl kommenden Scheiben an sich. Außer bei „The Morning After“, welches als Doppel-Vinyl mit der „Alien“-EP kommt, gibt es also originalgetreue Replikas der Originalcover. Wie bei den Originalen sind auch nur bei „The Morning After“ die Lyrics enthalten – im Gegensatz zu den meisten Noise-Kollegen gab’s nämlich damals bei Tankard keine bedruckten Innersleeves. Die gibt’s diesmal immerhin: mit neuen Sleevenotes, für die Xavier Russell Frontgaul Gerre interviewt hat und zeitgenössischen Fotos u.a. von Tickets, Plakaten und, naja, Tankard eben. Die waren damals aber fast noch hübsche Jungs – und ziemlich schlank. Wie der Verfasser dieser Zeilen auch – verflucht seist Du, Bier!

Das Debütalbum „Zombie Attack“ darf gleich optisch die ersten Extrapunkte abstauben, denn das White-Translucent-Vinyl mit den ausgiebigen Blutspritzern lässt den Fan der auf dem Frontcover verewigten Gestalten gleich mal jubilieren. Und der Jubel ist natürlich noch größer, wenn der Plattenteller erst mal rotiert: „Zombie Attack“ klingt nämlich erfreulicherweise auch 31 Jahre nach Erstveröffentlichung frisch und energiegeladen. Selbst die Produktion der Scheibe hat sich – im Gegensatz zu den frühen Kreator– und Sodom-Alben – gut gehalten. Klar, das ist der Sound der Achtziger, aber der punkige Sound und der vollkommene Verzicht auf Studiofein und Evil-Zuckerguss lassen die Scheibe deutlich zeitloser wirken als viele ihrer Zeitgenossen. Die Songs sind natürlich auch nach wie vor eine Macht: wer sich damals für Thrash Metal interessierte, kann heute noch das komplette Album mitgröhlen, später Geborene spätestens nach dem zweiten Hören aber ebenso. ‚Maniac Forces‘, ‚Empty Tankard‚, ‚Poison‘, ‚Mercenary‘ oder der Titelsong zählen auch heute noch zu den Highlights einer jeden Tankard-Tour. Aber auch die etwas übersehenen Dinger wie ‚Screamin‘ Victims‘ oder ‚Acid Death‘ können auch mit Abstand immer noch überzeugen. Die saudoofen, aber unterhaltsamen Lyrics über alle möglichen Horrorfilm-Metzelklischees (und den unumgänglichen Suff) könnten glatt als eine Parodie auf die ernstgemeinten Mei-sind-wir-heute-evil-Texte der meisten sich selbst deutlich ernster nehmenden Thrash-Kollegen durchgehen. Es ist aber eher anzunehmen, daß Tankard schlicht und einfach ihren albernen Humor mit ihre Liebe zu Splatter und Comic-Gewalt verbanden als der Konkurrenz den Finger zu zeigen. So oder so, „Zombie Attack“ ist ein echter Klassiker des Genres und als eine der ersten Scheiben, die Thrash Metal mit Punk und Hardcore vermischten auch noch als durchaus wegweisend zu bezeichnen.

Das Zweitwerk „Chemical Invasion“ gilt allgemein als das Meisterwerk der Band. Nicht, daß der Verfasser dieser Zeilen am generellen Klassiker-Status des Albums rütteln möchte. Denn einerseits finden sich natürlich fast genausoviele Klassiker wie auf dem Debütalbum. ‚Total Addiction‘, ‚Don’t Panic‘, ‚Chemical Invasion‘, das ultrakurze Megagetrümmer ‚Puke‘ oder das saucoole Cover von ‚Alcohol‘ (Gang Green) sind einfach oberste Klasse und musikalisch eine deutliche Weiterentwicklung, weg von den punkigen Riffs des Debüts, hin zum puren Mittachtziger-Thrash. Auch die Texte sind noch ein gutes Stück amüsanter (und professioneller!) ausgefallen. Warum „Chemical Invasion“ dennoch mit seinem Vorgänger und seinem Nachfolger nicht ganz gleichziehen kann, liegt in den beiden über siebenminütigen Stücken ‚For A Thousand Beers‘ (ein eher untypisches Instrumental) und ‚Traitor‘ begründet. Einerseits bewiesen die beiden Songs, daß Tankard auch musikalisch-technisch ein durchaus talentierter Haufen waren, aber beide Songs, vor allem ‚Traitor‘, haben offen gestanden durchaus so ihre Längen und fallen gegen das Restmaterial ein klitzekleinwenig ab. Dafür gibt’s hier zum ersten Mal ein Artwork des Karikaturisten Sebastian Krüger, und allein dafür lohnt sich das Vinyl schon einmal.

Mein persönliches Lieblingsalbum der Band, „The Morning After“, kommt auch auf Vinyl mit der „Alien“-EP als Bonus. Dabei wurde das Innersleeve der EP kurzerhand mit dem originalen Artwork bedruckt, sodaß man Sebastian Krügers legendäres, von Keith Richards inspiriertes Alien auch in voller Pracht begutachten kann. Und ja, „The Morning After“ kommt tatsächlich ohne eine Sekunde Mittelmäßigkeit aus. Nach dem kultigen Anrufbeantworter-Intro geht es vom rasenden Opener ‚Commandments‘ bis zum Grindcore-Massaker ‚Mon Cheri‘ und dem Outro völlig gnadenlos von Hit zu Hit: ‚Shit-Faced‘, ‚The Morning After‘, ‚Feed The Lohocla‘, die musikalisch anspruchsvolleren, von jeder Menge Breaks dominierten ‚TV Hero‘ und ‚Help Yourself‘ (mit, Schluck, Keyboards!), das geniale Spermbirds-Cover ‚Try Again‘ – Tankard treten einfach nicht einmal auch nur ansatzweise daneben. Noch dazu klingt Gerre auf „The Morning After“ so angepisst und aggressiv wie nie zuvor (oder danach), was zusammen mit dem fast durchweg hohen Tempo der Scheibe „The Morning After“ auch zur wohl heaviesten Scheibe der Band macht. Die erwähnte „Alien“-EP wertet das Hammeralbum dann nochmals zusätzlich auf: ‚Alien‘, ‚666 Packs‘ und ‚Live To Dive‘ sind wahre Ohrwürmer und weisen bereits zu den nächsten Alben, auf denen Tankard sich auch melodisch beweisen sollten. ‚Remedy‘ (ja, die Boogie-Dampfwalze von Rose Tattoo!) und das erweiterte Remake von ‚Empty Tankard‚ runden das Paket dann perfekt ab.

Sollten eventuelle Vinyl-Liebhaber die ersten drei Scheiben der Frankfurter immer noch nicht in der Sammlung haben, ist genau jetzt die Zeit, sich die Scheiben auf den Weihnachtswunschzettel zu schreiben. Denn im Januar erscheint schon der nächste Schwung Tankard-Reissues – und ins wahre Thrash-Paradies kommt man eben nur, wenn man alle Tankard-Scheiben zuhause stehen hat.

Noten:
Zombie Attack: 1
Chemical Invasion: 1-
The Morning After: 1+

Foto: CMM Marketing

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