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Helloween – Live In The U.K. Again!

Daß die Helloween-Reunion-Tour unter dem Motto „Pumpkins United“ überhaupt zustande kam, hat mit Sicherheit irgendetwas mit einer ganz speziellen Sternenkonstellation zu tun. Schließlich gab es bei Helloween, das dürfte kein Geheimnis sein, lange Jahre große Unstimmigkeiten zwischen den Mitgliedern des „Keeper Of The Seven Keys“-Lineup, so daß die Chancen für eine Reunion lange Zeit eher gegen Null tendierten. Gleichzeitig hatte die Band in den letzten Jahren dank Dani Löble und Sascha Gerstner auch endlich wieder ein stabiles und vor allem an einem Strang ziehendes Lineup, das musikalisch ganz klar auf eigenen Füßen stand, weshalb auch kreativ betrachtet eine Nostalgietour wenig sinnig schien.

Die wahrhaft salomonische Entscheidung, die beiden Ex-Mitglieder Kai Hansen und Michael Kiske für die „Pumpkins United“-Tour ganz einfach in besagtes aktuelles Lineup zu integrieren, stieß wenig überraschend auf fast ungeteilten Zuspruch unter den Fans – weder der Neu-Fan, der die Band während der Deris-Ära zu schätzen gelernt hatte noch der Alt-Fan konnte daran wirklich viel mäkeln. So waren auch knapp 4000 Briten aus dem ganzen Land nach Brixton gereist, um dort den Kürbisköppen ihre Aufwartung zu machen. Die Academy ist mit ihrem im italienischen Rennaissance-Stil gestalteten Design, das das Gefühl eines ungewohnt edlen und intimen Open-Air-Venues vermittelt, sowieso eines der schönsten Konzertvenues der Welt und allen am harten Rock interessierten Musikfans spätestens seit AC/DC und ihrem ‚Thunderstruck‘-Videoclip bekannt.

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Auch wenn Helloween ihre Livescheibe zur Tour bereits ein paar Tage zuvor in Südamerika aufgezeichnet hatten, schwebte doch ein gewisses Flair des Besonderen über der einzigen UK-Show – doch nicht nur wegen der Location. Das Publikum war deutlich gemischter, als man das von hiesigen Metal-Gigs kennt – kein typisches „Arme-verschränken-und-abwarten“ Metal-Publikum, sondern eher „normales“ Rockvolk, wie man es auch bei, sagen wir mal, Bruce Springsteen, AC/DC oder Joe Bonamassa treffen würde. Dabei handelt es sich wohl teilweise um eben die Generation, die mit den ersten Helloween-Scheiben aufgewachsen ist und die Chance nutzte, eine Zeitreise anzutreten, andererseits einfach um den Beweis, daß Helloween im Metal-Bereich vielleicht belächelt werden mögen, aber dafür eben schon immer das Zeug zur Mainstream-Akzeptanz gehabt hatten. Denn, und das sollte niemand so auslegen, das hier waren nicht 4000 alte Menschen, die versehentlich auf der falschen Party waren.

Denn wo oft berichtet wird, daß sich bei UK-Shows mehr Publikum an der Bar sammelt als vor der Bühne, war es in diesem Fall spätestens Viertel vor Acht ziemlich ordentlich gefüllt und es gab die ersten ‚Happy Happy Halloween‘-Chöre zu vernehmen. Und von den ersten Takten des Openers ‚Halloween‘ erwiesen sich die Briten als absolut textsicher und feierwillig – derart laute Publikumschöre hört man für gewöhnlich eher bei Iron Maiden oder Pearl Jam als bei deutschen Power-Metallern. In der Theorie ist es natürlich eine gewagte Entscheidung, als Nicht-Prog-Band eine Show mit einem dreizehminütigen Monster zu beginnen – in der Praxis aber funktionierte das im Fall ‚Halloween‘ absolut perfekt. Die ausladende, abwechslungsreiche und dennoch hochmelodische Komposition bot sowohl Michael Kiske als auch Andi Deris den perfekten Spielplatz zum ausgiebigen Duettieren, und aufgrund der komplexen Gitarrenarbeit konnten sich auch Gerstner, Hansen und Weikath gleich prächtig in Szene setzen. Überhaupt war es durchweg beeindruckend, wie problemlos sich die sieben Musiker musikalisch verzahnten. Kiske und Deris klangen so gut zusammen, daß man irgendwie das Gefühl bekam, so sei es doch schon immer gewesen, wenn sich die beiden Ausnahmesänger gegenseitig die Bälle zuspielten, Harmonien sangen und gemeinsam das Publikum anfeuerten. Auch Kai Hansen mag seit 29 Jahren nicht mehr Mitglied bei Helloween gewesen sein, doch nach wie vor passt sein Stil einfach perfekt und ansatzlos zu dem von Michael Weikath – und auch zu Sascha Gerstner, der die ganze Sache zusammen mit dem immer noch hyperaktiven und musikalisch meist gnadenlos unterschätzten Markus Grosskopf (bs) und Drumtier Dani Löble musikalisch felsenfest zusammenhielt. Optisch unterstützt wurde die Band von einer großen Leinwand, die im Laufe der Show diverse eigens produzierte Filmchen und gelegentlich auch einfache Backdrops zeigte.

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Nach dem Epos zum Aufwärmen gab’s mit ‚Dr. Stein‘ gleich den einzigen echten Singlehit der Band hinterher, bei dem man das Labor des Doktor Frankenstein vom Single-Cover als Animation betrachten konnte – und Ausschnitte aus dem kultigen Auftritt bei Ingolf Lücks Chartsendung „Formel Eins“ anno 1988. Im Anschluß tauchten zum ersten Mal die beiden Comic-Kürbisse Seth und Doc auf der erwähnten Leinwand auf – nun, der Humor der kurzen Filmchen mag nicht immer großes Kino sein, doch brachten die Einspieler der Band genug Zeit für Gitarrenwechsel und ermöglichte eventuell auch dem einen oder anderen Bandmitglied den Besuch im Sauerstoffzelt. Denn, das darf man nicht oft genug erwähnen, die Band stand an diesem Abend für satte drei Stunden ohne Pause auf der Bühne, was bei der recht anspruchsvollen Musik von Helloween den Musikern sicherlich ein extremes Maß an Disziplin abverlangte. So hatten imer wieder sowohl Kiske als auch Deris ein paar „Solosongs“, bei denen sich der jeweils Andere kurz entspannen konnte. Michi durfte beispielsweise ‚I’m Alive‘ und das von den Briten überraschend kräftig abgefeierte, hierzulande oft verschmähte ‚Kids Of The Century‘ im Alleingang darbieten, Kollege Andi ‚If I Could Fly‘, ‚Are You Metal?‘ und ‚Waiting For The Thunder‘, bevor die beiden zum Ende von ‚Perfect Gentleman‘ wieder zusammen agierten.

Danach kam die große Stunde des ersten Helloween-Sängers: Kai Hansen führte mit einem Medley aus ‚Starlight‘, ‚Ride The Sky‘ und ‚Judas‘ sowie dem ausgespielten und lange nicht mehr gehörten ‚Heavy Metal (Is The Law)‘ – natürlich mit den bekannten Mitsingspielchen – zurück in die frühen Speed-Metal-Tage der Band. Daß der Stimmungshöhepunkt ‚Ride The Sky‘ nicht komplett dargeboten wurde, erwies sich auch als der einzige Fehltritt der Setlist, die ansonsten sowohl musikalisch schlüssig als auch hitgespickt und für die Musiker praktikabel zusammengestellt war.

Nach den knapp zwölf Minuten Highspeed-Getrümmer am Stück hatte sich nämlich auch Schlagwerker Dani Löble eine Pause verdient, die für eine Akustikversion von ‚Forever And One‘ genutzt wurde – wie das nachfolgende ‚A Tale That Wasn’t Right‘ wieder als Duett von Kiske und Deris arrangiert. Nach ‚I Can‘ folgte auch das „gefürchtete“ obligatorische Drumsolo – doch das war unterhaltsamerweise als Drumduett mit einem alten Video des 1994 verstorbenen Originaldrummers Ingo Schwichtenberg aufgezogen und blieb erfreulicherweise keine Sekunde länger, als es willkommen war. Ein schönes und unkitschiges Tribut, bei dem dann auch mal der Rest der Band ausruhen konnte – wobei anzunehmen ist, das Michael Weikath wohl eher kurz nach draußen ging, um eine Kippe durchzuziehen. Ja, im UK ist eben indoors überall Rauchverbot, und das gilt auch für die Musiker auf der Bühne, weshalb man das für deutsche Helloween-Fans höchst ungewohnte Bild geboten kam, Weiki den ganzen Abend ohne Fluppe im Mundwinkel zu sehen. Bizarr, dieser Anblick.

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Das nur für eine Strophe und einen Refrain angespielte ‚Livin‘ Ain’t No Crime‘ leitete in ‚A Little Time‘ (komplett mit kurzem Pink-Floyd-Zitat) über und in den Endspurt, für den neben den Neunziger-Hits ‚Why?‘, ‚Sole Survivor‘ und natürlich ‚Power‘ auch noch ein weiteres Mal die „Walls Of Jericho“-Ära besucht wurde: in ‚How Many Tears‘ durften dann nämlich alle drei Sänger noch einmal aus dem Vollen schöpfen. Und in der Tat lieferten sowohl Hansen als auch Kiske als auch Deris an diesem Abend absolute Glanzvorstellungen ab. Von den Stimmproblemen, die Kiske laut Berichten zwei Tage zuvor in München noch gehabt hatte, war nichts mehr zu spüren, und auch Andi Deris zeigte sich von seiner besten Seite – doch in Sachen Bewegungsfreude hielt selbst er, der unermüdliche Strahlemann und Entertainer, sich gegen Ende etwas zurück. Schließlich galt es ja noch die Zugaben zu überstehen – und bei denen brannte die Luft dann erst so richtig. ‚Eagle Fly Free‘ sah gestandene Familienväter mit Tränen in den Augen ob Kiskes ehrfurchtgebietender Gesangsleistung, und auch wenn Brixton, nachdem die Band auf den strikten Curfew hingewiesen worden war, leider nicht mehr in den Genuß seines angekündigten Elvis-Covers kam, durfte mit ‚Keeper Of The Seven Keys‘ auch noch das zweite Mega-Epos genossen werden.

Mit den unumgänglichen Singalongs ‚Future World‘ (eingeleitet von einem Hansen-Solo und Griegs ‚In der Halle des Bergkönigs‘) und ‚I Want Out‘ mit riesigen Kürbis-Ballons und einem letzten Mitsingspielchen verabschiedeten sich die sieben Schlüsselmeister schließlich, nicht, ohne sich zurecht noch kräftig abfeiern zu lassen. Große Teile des Publikums sahen dabei übrigens ein gutes Stück fertiger aus als die Musiker – drei Stunden Durchfeiern ist Ü30 eben nicht mehr wirklich alltäglich! Dafür sah man nach der Show ausschließlich zufriedene Gesichter – und die Smalltalk-Phrase des Abends war eindeutig „man, I’ve been waiting 30 years for this…“

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In der Tat, die „Pumpkins United“-Tour gab das Gefühl, hier wirklich an einem ganz besonderen Ereignis teilzunehmen. Freilich, es war ein wenig schade, daß der kreative Output des Gerstner/Löble-Lineups mit gerade mal zwei Songs nur gestreift wurde, andererseits konnte man das aufgrund der enormen Hitdichte und jeder Menge lange nicht mehr gehörter Klassiker fraglos verschmerzen. Ich bin mir darüber hinaus auch sicher, daß die Tatsache, daß selbst ein dreistündiges Konzert nicht ausreicht, ALLE Helloween-Hits unterzubringen, irgendetwas Wichtiges zu bedeuten hat. Wie auch immer es hinter den Kulissen aussehen mag, auf der Bühne jedenfalls präsentierte sich die Zwei-Generationen-Band jedenfalls musikalisch wie gefühlig als perfekte Einheit, die es schaffte, sämtliche – fraglos hohen! – Erwartungen tatsächlich noch zu übertreffen und ein wirklich magisches Gesamterlebnis zu präsentieren. Gerade im Metalbereich, wo man nach wie vor 80 Minuten Show als ein vollständiges Set ausgibt, darf man diesen Abend fraglos zukünftig als Referenz für eine perfekte Party ausgeben. Doch wie wollen Helloween – in welcher Konstellation auch immer – diese Tour noch einmal toppen?

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Fotos: Michael Glück
Vielen Dank an Ute von Bottom Row und Promotör für die geduldige Organisation der ganzen Eskapade!

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