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Flowers In The Dirt – Special Edition

In der zweiten Hälfte der 1980er hatte es Paul McCartney nicht allzu leicht, seine Fans und Kritiker zufriedenzustellen. Nach dem Flop des Filmes „Give My Regards To Broad Street“ und des dazugehörigen Soundtracks, der zum Großteil Neueinspielungen älterer Songs enthielt, folgte mit „Press“ ein recht experimentelles und uneingängiges Album, das von der Kritik zu seiner Entstehungszeit einmal mehr nicht verstanden wurde. Zwar hatte er mit ‚Once Upon A Long Ago‘, der Soundtrack-Nummer ‚Spies Like Us‘, „No More Lonely Nights‘ oder dem berühmt-berüchtigten Kinderlied ‚We All Stand Together‘ (standesgemäß im Duett mit einem Zeichentrick-Frosch-Chor) noch eine Handvoll mittlerer Singlehits, aber allgemein wurde befunden, McCartney habe seinen Zenit überschritten. Nicht geholfen hat mit Sicherheit auch die Entscheidung, dem Tourleben Adieu zu sagen – zum letzten Mal war McCartney 1980 mit Wings getourt.

Nachdem ein geplantes Nachfolge-Konzeptalbum zum Beatles-Klassiker „Sgt Peppers Lonely Hearts Club Band“ noch vor Fertigstellung wieder zu den Akten gelegt wurde, beschloß McCartney, auf seinem nächsten Werk weniger spielerisch Experimentelles Material anzugehen, sondern sich als Songwriter neu zu orientieren und im veränderten musikalischen Klima zu etablieren. Schließlich feierten Bands wie Crowded House, R.E.M., The Rembrandts oder Danny Wilson mit deutlich an McCartneys Mittsechziger Stil angelehnten Songs seinerzeit große Erfolge. Also engagierte er unter anderem Crowded House-Produzent Mitchell Froom und Ex-Yes-Mitglied Trevor Horn als Produzenten und schloß sich mit New Wave-/Post-Punk-Poet Elvis Costello zum Songwriting zusammen. Das Rezept ging auf, und das Ergebnis „Flowers In The Dirt“ wurde nicht nur kommerziell, sondern auch künstlerisch ein enormer Erfolg. Mit ‚My Brave Face‘, ‚This One‘, ‚Put It There‘ und ‚Figure Of Eight‘ gab es vier erfolgreiche Singleauskoppelungen, die dank der dazugehörigen Videos und MTV auch ein jüngeres Publikum ansprechen konnten. Das ist aber beileibe nicht alles, was „Flowers In The Dirt“ zu bieten hat. Speziell die in Zusammenarbeit mit Elvis Costello entstandenen Stücke, vor allem das Duett ‚You Want Her Too‘ und ‚That Day Is Done‘ sind feinster Singer-Songwriter-Folkpop/-Rock. Dazu gibt’s mit ‚We Got Married‘ einen ungewohnt düsteren, sehr atmosphärischen Song, der nicht nur dank eines Gastauftrittes von David Gilmour leichte Pink Floyd-Vibes versprüht, Reggae-infiziertes wie ‚How Many People‘ und ‚Rough Ride‘ – und mit ‚Ou Est Le Soleil?‘ zum Abschluss doch noch einmal einen experimentellen, elektronisch geprägten Song, der auch auf „Press“ oder „McCartney II“ gepasst hätte.

Die vorliegende Deluxe-Edition bringt auf der Bonus-Disc neun der Originaldemos von McCartney und Costello – und das ist wirklich ein echter Genuß für Fans der beiden. Denn es handelt sich nicht um ausproduzierte Demos, wie man es von professionellen Musikern wie Paul und Elvis erwarten würde, sondern um rohe, kantige Duette, eingespielt mit zwei Akustigitarren, gelegentlich einem Piano und einem simplen Taktgeber. Hier spürt man die Spielfreude der beiden, die Chemie und die Begeisterung über die frisch geschriebenen Songs. Einige davon landeten in fertigen Versionen auf „Flowers In The Dirt“, andere verteilten sich in den Folgejahren über diverse McCartney- und Costello-Alben, aber diese Originalfassungen sind mehr als nur ein interessanter Einblick in den Arbeitsprozess. Hier kann man zwei der begnadedesten und kreativsten Köpfe der Pop- und Rockmusik beim Spaßhaben zuhören, und dieser Spaß färbt definitiv auf den Hörer ab.

Schade nur, daß man für die ausgearbeiteteren Studiodemos auf das sauteure Megaboxset zurückgreifen muss – es ist ernsthaft zu bezweifeln, daß neun weitere Demotracks, die Büchlein zum Album und eine DVD, die zu 80% bereits auf anderen DVDs erhältliches Material enthält, die knapp einhundert Euro Preisunterschied zur regulären Doppel-CD rechtfertigen. Die ist aber Pflichtprogramm, nicht nur für McCartney-Fans, sondern für alle, die anspruchsvolle und eigenständige Singer-/Songwritermucke mögen.

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