Kategorie: review

Playland

‚Homo Ludens‘ – so der Titel einer 1938 publizierten Lektüre des niederländischen Kulturwissenschaftlers Johan Huizinga. Darin definiert er die These, dass das Konzept des Spiels als Grundbaustein für die charakterliche Entwicklung gilt. Der Mensch entdeckt seine individuellen Eigenschaften im Spiel und formt somit über die gesammelten Erfahrungen seine angelegte Persönlichkeit. Diesem Modell entnimmt Johnny Marr seinen Albumtitel ‚Playland‘. Und im Nachhinein merkt man, dass er zu den sinnvollsten ‚Um-Die-Ecke-Denken‘-Plattennamen gehört, der in letzter Zeit auftauchte. Denn nach dem Hören der elf Songs kann man sich bildlich vorstellen, wie die Studioaufnahmen abliefen: Marr hat eine Idee, die anderen Instrumente steigen ein, es wird drauf los gejamt und Bumm – schon ist der nächste Song im Kasten. Was auch erklären würde, wieso die Zeit zwischen seinem Solodebüt ‚The Messenger‘ und dem neuen Release gerade mal anderthalb Jahre beträgt.

Und genau so ist die Persönlichkeit des Albums mit Verweis auf das ‚Homo Ludens‘ Modell entstanden und zu erklären. Es ist ideenreich, mit großer Soundvielfalt und authentisch. Grob gefasst kann man ‚Playland‘ in drei Klangarten unterteilen. Die erste wäre die indie-punkige Rock-Wucht, mit der versucht, die Umgebung zum Erschallen zu bringen – in dem Fall London und Manchester. Dabei hört man sowohl Anlehnungen an britischen Punk der späten 1970er als auch moderne Einflüsse à la Arctic Monkeys heraus. Der Opener ‚Back In The Box‘ beispielsweise lädt mit pulsierendem Tom-Beat, schlichten Gitarren-Riffs und flottem Space-Synthesizer nach zehn Sekunden zum Mitwippen ein. Auch das düsterere ’25 Hours‘ mit Sprechgesang, klirrender hoher Gitarre und Muse-Charakter oder der Song ‚Playland‘ mit dem für Punk typischen Dialog zwischen Gesang und E-Gitarre zählen dazu. Und die ganze Zeit über singt Marr wie Alex Turner, nur erwachsener. Trotzdem merkt man in der Stimme des Ex-Smiths seine 50 Jahre überhaupt nicht an. Der frische Gesang könnte eher vermuten lassen, dass er gerade mal halb so alt ist.

Der zweite Sound des Albums setzt dann einen eher luftigen, abhebenden (nicht abgehobenen) Fokus wie in ‚Dynamo‘ und ‚The Trap‘: mit ihren sphärischen Synthies, reichlich Delay und dem Kontrast zwischen relativ eintönigen Melodien und interessant wechselnden Harmonien, die als prägende Stütze dienen und locker um den Kopf des Hörers herumschwirren. Zum Schluss von ‚Playland‘ beweist Marr noch, dass er diese beiden Klangarten vereinen kann: ‚Little King‘ liefert sowohl irgendwo oben in den Wolken hallende Gitarren als auch einen prägnanten Beat und eine durchrushende Bassline.

Witzigerweise ist der beste Track des Albums ‚Easy Money‘ in keine der beiden Sparten wirklich einzuordnen: für Punk ist es zu ‚indie‘, und das Sphärische fehlt hier komplett. Dank seiner hohen Twang-Gitarre, stark verzerrtem Synthie-Bass und einem straighten Schlagzeug, welches von einem Shaker charismatisch unterstützt wird, ist der Song zwar recht simpel gehalten, aber dafür knackig und voll auf den Punkt gespielt. Man kann gleich im zweiten Refrain mühelos die melodiös catchigen Verse mitsingen (

‚I used to want it all – that’s money money! That’s money money! That’s money money!‘

) und wird diesen garantierten Ohrwurm so leicht nicht mehr los.

So kreiert Johnny Marr innerhalb kurzer Zeit eine abwechslungsreiche Scheibe, welche sich seinem Stil und Sound trotzdem treu bleibt. Innerhalb der einzelnen Songs sind dann manche Stellen zu eintönig oder mit weniger Einfällen versehen als möglich wäre. Mit etwas mehr Zeit wäre es womöglich zu einem Erste-Sahne-Rock-Album herangereift. Aber so haben wir bereits jetzt unseren Spaß und Johnny hat uns netterweise das häufig unterträgliche Warten auf Nachfolgeralben verkürzt, ohne uns dabei zu enttäuschen.

An Evening with Kris Kristofferson

Einer der größten und bekanntesten Stars der amerikanischen Country-Szene gab sich im September 2013 in London die Ehre und spielte ein intimes Konzert in der Union Chapel. Die Rede ist von Kris Kristofferson, dem inzwischen 78jährigen Sänger, Songwriter und Schauspieler. Der Enkel schwedischer Einwanderer wurde 1936 in Texas geboren 1970 nach einigen kleineren Erfolgen von Roger Miller und Johnny Cash entdeckt. Einer der bekanntesten Titel Kristoffersons ist ‚Me And Bobby McGee‘, der durch die spätere Interpretation der Blues-Legende Janis Joplin weltbekannt wurde. Internationale Erfolge verzeichnete Kristofferson von 1985 bis 1995 auch als Mitglied der Countryband The Highwaymen, zusammen mit seinen langjährigen Freunden Johnny Cash, Willie Nelson und Waylon Jennings. Außerdem wurde der Sänger durch seine Auftritte in zahlreichen Kinofilmen bekannt. 1976 spielte er in der Neuverfilmung von „A Star Is Born“ an der Seite von Barbra Streisand. Für diese Rolle wurde er mit einem Golden Globe ausgezeichnet, zudem war er für einen Oscar nominiert. In Sam Peckinpahs Film „Convoy“ verkörperte er den Fernfahrer Rubber Duck, in der „Blade“-Reihe war er als Whistler zu sehen.

Diese Legende trat nun, wie oben erwähnt, am 26.09.2013 in der Londoner Union Chapel auf, einer Kirche im Stadtteil Islington, die zudem als Konzerthalle, aber auch als Unterkunft über Obdachlose genutzt wird. Das Konzert wurde von den Abbey Road Studios mitgeschnitten und endlich – ein Jahr später – als Doppelalbum veröffentlicht. „An Evening with Kris Kristofferson“ ist genau das, was der Titel verspricht: Ein Solo-Konzert mit einem großen Künstler, einer markanten Stimme, einer Legender der amerikanischen Countrymusik. Kristofferson bestreitet das Programm dementsprechend auch komplett allein und ohne Band, begleitet sich selbst auf der Akustikgitarre und der Mundharmonika. In der intimen Atmosphäre der Kirche entstand so eine sehr persönliche und eher ruhige Live-Aufnahme, bei der Kristoffersons Stimme und seine einfühlsamen Songs bestens zur Geltung kommen. Das Publikum ist beinahe nur zwischen den Songs beim Applaudieren zu hören, und der Sänger selbst präsentiert sich in Bestform. Ideale Voraussetzungen also für ein sehr persönliches und intimes Live-Album in ungewöhnlicher Umgebung. Kristofferson spielt erwartungsgemäß viele seiner bekanntesten Songs, so z. B. ‚Help Me Make It Through The Night‘, ‚Loving Her Was Easier‘ oder natürlich das unvermeidliche ‚Me And Bobby McGee‘, das schon relativ am Anfang des Programms seinen Platz gefunden hat. Schön der Moment, als der Sänger während des Songs kurz Janis Joplin erwähnt. Solche Momente machen eine Liveaufnahme ebenfalls zu etwas Besonderem. Gänsehautstimmung kommt auch beim Song ‚Here Comes The Rainbow Again‘ auf, der durch John Steinbecks Beststeller ‚Früchte des Zorns‘ inspiriert wurde. Nach ‚Silver-Tongued Devil‘ folgt passenderweise zum Ende des Konzerts ‚For The Good Times‘, das durch die Zeile ‚Don’t look so sad / I know it’s over‘ eingeleitet wird. Ganz vorbei ist es an dieser Stelle auch noch nicht, es folgen naturgemäß noch einige Zugaben, bis mit ‚Please Don’t Tell Me‘ das Ende eingeleitet wird: ‚This may be our last good night together / we may never pass this way again / just let me enjoy it till it’s over forever / please don’t tell me how the story ends‘. Bei solch einer Legende wie Kris Kristofferson kann man nur hoffen, dass dieser Mann auch weiterhin auf den Bühnen stehen und großartige Musik machen wird.

Das Doppelalbum selbst kommt unspektakulär daher mit einem schwarzen Cover und drei schwarz-weiß Fotos des Konzertes in der Innenseite. Ein Booklet mit weiteren Informationen zum Konzert oder ausführlicherem Bildmaterial vermisst man leider. Jeder, der mit amerikanischem Akustikfolk in minimalistischer, aber dafür umso intensiverer Darbietung etwas angefangen kann, sollte einmal in dieses Album reinhören. Und für die Fans ist es ohnehin ein Pflichtkauf.

Super Critical

‚Halt die Fresse und lass mich in Ruhe! Das ist so ein Satz, den man mit dem englischen Popduo The Ting Tings verbinden kann, war es doch der Song ‚Shut Up And Let Me Go‘, der nach seiner Verwendung in einem iPod-Werbespot von 2008 die Band in die Köpfe der musikalisch interessierten Weltbevölkerung katapultiert hatte. Und jetzt, sechs Jahre später, melden sich Jules und Katie mit ihrem dritten Studioalbum ‚Super Critical‘ zurück. Nachdem die zweite Platte, ‚Sounds from Nowheresville‘, bei weitem nicht mehr so erfolgreich war wie das Debüt, das sich 55 Wochen auf Platz eins der britischen Albumcharts gehalten hat, könnte nun die Renaissance anstehen.

Irgendwie schaffen es die beiden, ihre Musik klingen zu lassen, als wäre sie ein Geheimtipp, der sich nur einem sehr exklusiven Publikum offenbart. Voluminöse Arrangements spielen bei dem Duo dabei ja traditionell keine Rolle – es ist vielmehr der reduzierte Sound, durch den die einzelnen abgemischten Spuren deutlich besser und prägnanter zur Geltung kommen, um die Briten so von den zeitgenössischen Genre-Kollegen zu unterscheiden.

In den Vocals schwingt immer eine Spur Verachtung und Arroganz mit, was dafür sorgt, dass das Gesamtwerk noch begehrenswerter wirkt. In Sachen moderner Popmusik sind The Ting Tings sicher Ausnahmetalente, die so auch nur aus dem vereinigten Königreich kommen können. Funk- und Discoriffs mit einer solchen Coolness auf der Gitarre runterzurocken, schaffen nur die wenigsten. Paradebeispiel dafür ist die erste Single des Albums, ‚Wrong Club‘. Augenblicklich baut sich beim Hören das Bedürfnis danach auf, sich eine große Sonnenbrille ins Gesicht zu schieben, in einem Undergroundclub an die Bar zu stehen, lässig mit dem Kopf zu wippen und die Gestalten um sich herum mit stiller Geringschätzigkeit zu bedenken.

Mit neun Tracks ist ‚Super Critical‘ sicher nicht das umfangreichste Album aller Zeiten, aber hier liegt die Würze tatsächlich in der sprichwörtlichen Kürze. Einziger Kritikpunkt für die ansonsten absolut runde Nummer ist Song Nummer fünf. Mit ‚Wabi Sabi‘ haben sich Katie und Jules eine etwas dröge Ballade auf die Scheibe gezimmert, die umgeben von Groove und Funk an und für sich ziemlich fehl am Platz ist. Würde man die beiden mit diesem Vorwurf konfrontieren, bekäme man sicher nicht mehr als ‚Shut Up And Let Me Go‘ zu hören. Deshalb versuchen wir’s lieber gar nicht erst.

Kingdom Of Worms

Die gemeinsame Geschichte der ostdeutschen Bundesländer und der Rockmusik ist ja durchaus exotisch, um es dezent zu sagen. In den 70ern war es eine Ausnahme, daß ideologiefreie oder gesellschaftskritische („westliche“) Musik hinter den Eisernen Vorhang fand oder dort gar gemacht wurde. Ende der 80er, in den Jahren um die deutsche Wiedervereinigung herum hatte von den USA ausgehend das Death Metal Genre seine erste richtige Blütezeit. Und 2014? Da kommt eine der derzeit spannendsten Death-Metal-Bands überhaupt aus der Kreisstadt Eisenberg in Thüringen! Und nicht nur das. Manuel, Fabian und Simon kokettieren auf durchaus sympathische Weise mit ihrer Herkunft aus den neuen Bundesländern bzw. halten damit nicht hinter dem BErg. Der blaue Trabbi mit Riesen-Band-Logo von Sänger Manuel hat es nicht nur in sehr amüsante Studio-Dokumentation geschafft, sondern auch ins erste offizielle Video vom neuen Album „Kingdom Of Worms“, dem Nachfolger des gefeierten Debüts „My Empire“. Und eins sei schon mal vorausgeschickt: Nach Provinz oder Rost klingt da rein gar nichts. Im Gegenteil, Deserted Fear haben das Talent sowie die Frische und Power, in die oberste Liga des weltweiten Death-Metal-Zirkus aufzusteigen. Es ist alles da. Alles.

„Kingdom Of Worms“ beginnt mit einem sich stimmungsvoll-bedrohlich steigernden Intro aus Bläsern, Streichern und Chor. Und dann? Dann folgt ein 38-minütiges Death-Metal-Inferno, an dem sich in diesem Jahr auch die ganz, ganz großen Namen des Genres messen lassen werden müssen! ‚Forging Delusions‘ hat fette, fette Riffs, spannende Schlagzeug-Fills und schöne, erdige Growls. Genau so geht Death Metal 2014. ‚Kingdom Of Worms‘ geht mit den bewährten Tugenden des klassischen Death genauso weiter. Man kann nicht, man muss seinen Kopf einfach die Windmühle und beide Hände die Pommesgabel machen lassen. Wer das bei einem solchen Song nicht macht und sich gleichzeitig Metalhead schimpft, dem ist schlicht nicht zu helfen. Und so geht es dann weiter. Jeder Song ist gelungen. Jeder Song hat seinen eigenen Touch. Jeder Song bietet eine weitere Facette des talentierten Trios, das es zu entdecken gilt. Die Schredder-Riffs von ‚Call Me Your God‘ sind messerscharfe Klingen, die jeden einzelnen Gehörnerv freilegen. Zu einem einzigen Zweck: Damit Simon Mengs sie mit seinen Drumbeats ins Jenseits schicken kann. ‚Wrath Of Your Wound‘ hat das geilste Becken Fill-In, das ich seit Defeated Sanitys „Passages Into Deformity“ gehört habe. Mit ‚Torn By Hatred‘ nehmen die Jungs an der genau richtigen Stelle etwas Tempo aus dem Album. Das klassisch inspirierte, instrumentale Zwischenspiel lässt den Hörer Luft holen, ohne daß die bis dahin aufgebaute, unheimliche Atmosphäre einbricht. Die zweite Hälfte des Albums variiert das Songwriting und den Sound. Es wird noch einen Gang melodischer als zuvor, der Gitarren sind nicht mehr ganz so tief gestimmt und das Solo von ‚The Agony‘ sitzt perfekt eingebettet in Growls, Riffs und Blastbeats. ‚With Might And Main‘ hat ein hammer-grooviges Riff und ein weiteres Zucker-Solo am Start. ‚Shattering The Soil‘ bremst zunächst vom Midtempo zu einem doomig-schleppenden Beat, um dann das Gaspedal voll durchzutreten. Aber nur bis der Gesang einsetzt. ‚Mortal Reign‘ ist ein gigantisches Todesmetall-Sturmtief und der Schlusspunkt ‚Last Of A Fading Kind‘ hat ein weiteres Riff der Extraklasse und diesen druckvollen Hammer-Sound einer Band, die Oldschool-Death in modernem Gewand in Perfektion zeigt.

Das bei weitem Beeindruckendste bei all den zahlreichen Dingen, die den drei Jungs und Produzent Dan Swanö mit diesem Album gelungen sind ist die simple Tatsache, daß es ein sehr natürliches Album geworden ist. Alles sitzt, der Flow ist grandios und wirkt nie künstlich, sondern wie aus einem einzigen perfekten Guss ohne Kratzer, Nähte oder Anhängsel. Fazit: Das sympathische Trio von Nebenan hat auf ihrem zweiten Album absolut alles richtig gemacht. Wir wünschen dem Trio viel Glück auf dem Weg nach oben. Hoffentlich bringt euch die Tour mit den großen Morbid Angel jede Menge neue Fans! Ihr habt es genauso verdient wie die Bestnote von Whiskey-Soda!

Ypres

Das klang nach einem spannenden Projekt, was sich die Tindersticks da ausgesucht hatten. Das Museum ‚In Flanders Fields‘, das den ersten Weltkrieg thematisiert und im belgischen Städtchen Ypres beheimatet ist, sollte vertont werden. Deshalb bat man die Briten um eine klangliche Untermalung. So entstand eine ‚in drei Räume‘ aufgeteilte, orchestrale Komposition auf dem Album, sodass jedem Raum zwei Songs zugeordnet sind. Selten hat mich ein Konzept für eine Platte im Vorfeld so interessiert wie dieses. Und selten ist es mir so schwer gefallen, einem Album eine gerechte Note zu geben.

Es beginnt mit einem Glockenläuten. Keine hohen, zauberhaften Klänge wie aus Harry Potter, sondern das salutartige Pochen einer Kirchturmglocke, wie man es von Beerdigungen kennt. Diese ziehen sich durch den kompletten, über 12 Minuten langen ‚Whispering Guns (Pt 1,2 & 3)‘. Frei davon setzen Streicher mit einem ostinaten, bedrückend tragischen Sound ein, der sich nur um Nuancen verändert. Und man hat das Gefühl, den Schrecken der Bilder zu spüren. Auch wenn man nicht selber vor Ort ist, wandert man mental durch die Gänge des Museums entlang. Auch werden gleich Erinnerungen an die berühmte dramatische Filmmusik aus ‚Platoon‘ wach. So gut die musikalische Untermalung auch umgesetzt ist, fällt bereits eine kleine Irritation auf: man sucht vergeblich nach den unterschiedlichen Parts, die der Songtitel verspricht. Hier zieht sich die Atmosphäre durch wie ein nicht endender Sog aus Kummer und Fassungslosigkeit. Bis auf wenige Einwürfe von leisen Posaunen und Hörnern sind kaum hörbare Unterschiede und Wechsel innerhalb des Openers vernehmbar.

Und das ändert sich auch nicht mit dem darauf folgenden ‚Ananas Et Poivre‘. Oder in ‚La Guerre Souterraine‘. Oder im 20-minütigen ‚The Third Battle Of Ypres‘. Die Songs unterscheiden sich so gering von einander, dass es tatsächlich den Anschein macht, als wäre ein großer Song in noch mal kleinere Bröckel unterteilt worden. Nur der Track ‚Gueles caccées‘ wechselt von der Klangfarbe der voluminösen Streicher zur vergleichsweise dröhenden Synthie-Orgel. Was der beklemmenden Stimmung aber keinen Abbruch tut.

Was macht es jetzt so schwierig, ‚Ypres‘ zu bewerten? Zum einen, dass man nicht selbst vor Ort ist, um die Bilder und ausgestellten Objekte zu sehen und so die Musik besser einschätzen zu können. Zum anderen, dass man sich solche Musik wohl kaum privat antun möchte. Selbst, wenn man über das Leben, Gott und die Welt nachdenken will, gibt es entspanntere instrumentale Stücke dafür. Dieses Album ist und/oder macht rein depressiv. Es ist sowieso eine kuriose Idee, Hintergrundmusik von einem Museum als Album zu veröffentlichen. Für einen Spaziergang durch die Räume ist das absolut angebracht, aber nicht für das wiederholte Anhören im Wohnzimmer. Da wird der bequemste Sessel zu einer kleinen Folterbank.

Natürlich kann man sagen, dass sich Tindersticks an der Minimal Music von Arvo Pärt mit Klangteppichen und Clustern ziemlich gekonnt orientiert haben. Und emotional ist ‚Ypres‘ auf alle Fälle auch. Aber wenn man das ganze drum herum mal vergisst, ist die Musik schlicht langweilig. Und gleich muss man die Aussage relativieren, denn zu große Hektik und sprunghafte Unterschiede wären als musikalische Untermalung in einem Museum unangebracht, na klar. Soll man jetzt als der Hörer ‚Museumsbesucher‘ oder als der Hörer ‚Käufer und Fan‘ diesem Album lauschen? Ich tendiere eher zum Letzteren. Auch, wenn es perfekt für ‚In Flanders Fields‘ abgestimmt ist. Privat macht die eintönige Tragik einfach nur keinen Spaß.

Something Supernatural

Something supernatural, etwas Übernatürliches lauert und wartet auf uns, seine Opfer. Übernatürliches versteckt sich ja gerne einmal im Schatten, wurde aber gerüchteweise auch schon im hellen Sonnenschein beobachtet. Dementsprechend gib es auf ‚Something Supernatural‘, dem ersten Longplayer des amerikanischen Quartetts Crobot aus Pottsville in Pennsylvania, auch viel Licht, aber auch ein wenig Schatten. Crobot wurde 2011 von Brandon Yeagley (Gesang und Harmonica) und Chris Bishop (Gitarre und Gesang) gegründet. Die Brüder Jake und Paul Figueroa an Bass und Schlagzeug stießen dazu und komplettierten die Band. Ein Jahr später folgte die EP „The Legend Of The Spaceborne Killer“, auf welche jetzt das erste richtige Album folgt. Die Band hat sich zur Aufgabe gemacht, den guten alten Gitarrenriff-orientierten Rock von Bands wie Deep Purple, Soundgarden oder Rage Against The Machine wieder aufleben zu lassen. Die Zielsetzung war klar, und damit ist auch klar, was wir auf „Something Supernatural“ erwarten dürfen: Straighten Gitarren-Rock, und genau den bekommen wir auch.

Eröffnet wird die Scheibe von der ‚Legend Of The Spaceborne Killer‘, und es bleibt passend zum Albumtitel überwiegend übernatürlich und phantastisch: Der Teufel persönlich, die lateinamerikanische Legende vom Chupacabra, Zauberer, Drachen, Menschenopfer und Schädel sind die Themen der elf Songs des Albums. Musikalisch wird grooviger Hardrock geboten, mal etwas mehr Alternative, dann wieder leicht bluesig. Hin und wieder überrascht Brandon Yeagley mit dem Einsatz der Mundharmonika und treibt die Songs dann noch mehr in Richtung Bluesrock, wie beispielsweise im Track ‚The Necromancer‘. Insgesamt sind die ersten drei Titel gut schrieben, gut dargeboten und makellos druckvoll produziert, aber eben auch nicht mehr als „gut“. Solide, bodenständig, griffig, ohne wirklich innovativ zu sein. Das ändert sich mit dem vierten Song der CD, wenn erstmals das Tempo stark gedrosselt wird: ‚La Mano De Lucifer‘ ist eine kleine Slow-Rock-Perle und der erste Moment, bei dem man wirklich aufhorcht und merkt, dass hier keine x-beliebige Band am Werke war. Der Song ist sozusagen teuflisch gut, eine langsame bluesige Nummer mit den nötigen Ecken und Kanten, die ein wenig an ZZ Top erinnert. Klarer Anspieltip für das Album. Mit ‚Skull Of Geronimo‘ wird die Geschwindigkeit wieder gesteigert, ein flotter Rocker, bei dem Frontmann Yeagley wieder einmal mit seiner markanten Stimme überzeugen kann. Die folgenden Nummern ‚Cloud Spiller‘, ‚Fly On The Wall‘ und ‚Night Of The Sacrifice‘ können vor allen Dingen durch die soliden Gitarrenriffs überzeugen, kommen aber nicht ganz an das Highlight ‚La Mano De Lucifer‘ heran. Als nächstes wird der Chupacabra losgelassen, ein ursprünglich aus Puerto Rico stammendes Fabelwesen, das Ziegen oder Schafen gleich einem Vampir die Kehle aufschlitzen und das Blut aussaugen soll. Entsprechend kommt das Monster auch mit krachenden Gitarren und treibenden Bassläufen aus den Boxen gesprungen, wird in der Songmitte von einem leider etwas kurzen Gitarrensolo gebändigt und verschwindet etwas abrupt wieder in der Dunkelheit des Übernatürlichen.

‚You’ve gotta slay a few dragons before you’ll get to the princess‘ heißt es dann im Song ‚Wizards‘. So richtig zum Drachenschlachten animiert der zwar halbwegs groovende, doch irgendwie eher schleppende Song jedoch nicht. Ein paar eingestreute quietschende Effekte und Schreie sollen wohl die Drachen anlocken oder die Prinzessinnen vertreiben…wer weiß das schon? Den Schluß macht dann eine weitere langsame Nummer. ‚Queen Of The Light‘, die sich zum Finale hin in schweren Heavyrock wandelt und noch einmal zum sanften Kopfnicken animiert. Ja, das Übernatürliche lauert auf diesem Album. Licht und Schatten sind auf „Something Supernatural“ vertreten. Es gibt kaum wirkiche Durchhänger und mit dem Opener und ganz besonders dem teuflischen ‚La Mano De Lucifer‘ zwei Hammersongs. Das ist für ein Debüt nicht schlecht, lässt aber auch Luft nach oben, denn manche Tracks sind einfach zu ähnlich oder austauschbar. Für Freunde des gepflegten Gitarrenrocks sind Crobot aber auf jeden Fall einmal einen Blick bzw. ein Ohr wert, und mit etwas mehr Innovation könnte das nächste Album dann noch übernatürlicher werden.

Z2

Im Grunde ist die tatsächliche Zielgruppe für „Z2“, dem neuen Album des kanadischen Multitalentes Devin Townsend, schon relativ kompakt und überschaubar. Zunächst einmal solltet Ihr (natürlich) Metal mögen, am besten progressiven avantgardistischen Metal mit komplexen Melodien, wuchtigen Chören, brachialen Drum- und Gitarrenattacken und eingestreuten Power- und Symphonic-Metal-Elementen. Dazu seid Ihr dann bitte Science-Fiction-Fans mit Vorliebe für schräg-bizarre Geschichten über kühne Raumfahrer, böse Prinzessinnen, Weltenvernichter, Wurmlöcher und eigenartige Aliens. Haben wir das soweit? Auch gut! Trinkt Ihr außerdem auch noch gerne Kaffee? Oder mögt Musicals? Wenn Ihr zu den wenigen Menschen gehört, die wohl in eine Schnittmenge all dieser Gruppen fallen, dann ist „Z2“ ein absoluter Pflichtkauf für Euch. Und je weniger der Kategorien Ihr erfüllt, umso eher solltet Ihr zunächst einmal Probehören. Oder einfach hier weiterlesen.

Aber der Reihe nach. Devin Townsend veröffentlichte 2007 ein Konzeptalbum namens „Ziltoid The Omniscient“ über einen gleichnamigen Außerirdischen, ließ dazu auch eine Puppe bauen und spielte dieses Album mehr oder weniger im Alleingang ein. Ziltoid kam darin auf die Erde und hatte nur einen Wunsch. Er wollte weder nach Haus telefonieren noch die Katze fressen, nein, es ging ihm nur um Kaffee! Ja, das Album war genauso schräg, wie sich diese kurze Zusammenfassung anhört. Sieben Jahre später erscheint nun die Fortsetzung, Ziltoid wird quasi mit sich selbst multipliziert (‚Ziltoid Squared‘). Und so ist die neue Ziltoid-Geschichte auch ein höchst spannendes und abwechslungsreiches Doppelalbum geworden. Die beiden Discs auf „Z2“ sind individuell „Sky Blue“ (Devin Townsend Project) und „Dark Matters“ (Ziltoid) betitelt. Die erste Scheibe enthält überwiegend „richtige“ Songs, die alle ineinander über gehen und zu einem Gesamtkunstwerk verschmelzen. Dieser Teil des Doppelalbums ist auch für den „normalen“ Metal-Fan uneingeschränkt zu empfehlen. Disc 2 erzählt dann mit Songs, Instrumentalpassagen und Sprechern die Geschichte von Ziltoid, einer Invasion der Erde durch die böse Kriegsprinzessin und ihre Schergen und schließlich der Rettung des Planeten. Diese Geschichte wirkt wie eine Reminiszenz an die alten Sci-Fi-Radiohörspiele wie „Krieg der Welten“ oder trashige 50er-Jahre B-Movies. Das Ganze ist dann wirklich auch eher ein schräges Hörspiel mit Songs, ein Metal-Musical, eine durchgeknallte Geschichte, die das Leben der Erdenbürger, des spektakulären „Captain Spectacular“ und natürlich auch das des Aliens „Ziltoid“ für immer verändern wird. So etwas muss man wirklich mögen, um Spaß an der zweiten Disc zu haben. Wer sich jedoch auf diese Geschichte einlässt, wird mit innovativem Progressive Metal vom Feinsten belohnt, der nur so strotzt vor lauter musikalischer Ideen.

Beide CDs des Albums, das auch als Vinyl-Ausgabe und Special Edition erhältlich ist, sind aufwändig und hörbar teuer produziert. War Devin Townsend beim Vorgänger „Ziltoid“ noch mehr oder weniger Alleinunterhalter, hat er diesmal keine Kosten und Mühen gescheut, zwei sinfonische Orchester aufgefahren (die aber relativ im Hintergrund der Arrangements bleiben) und einen gewaltigen Fan-Chor organisiert. „Wir haben eine Website designt, auf der die Fans ihre eigenen Gesangsaufnahmen von Teilen des Albums hochladen konnten“, erklärt Townsend die Entstehung der Songs ‚Z2‘, ‚Dimension Z‘ und ‚Before We Die‘. Die von den Fans eingesungenen Dateien wurden im Studio schließlich zu einem 2000stimmigen Chor zusammengemischt. Das Ergebnis ist in der Tat beeindruckend. Weitere prominente Unterstützung holte sich der Kanadier bei der niederländischen Sängerin und Gitarristin Anneke van Giersbergen, die durch ihre frühere Zusammenarbeit mit der Band The Gathering sowie ihre Solo-Alben ebenfalls kein unbeschriebenes Blatt in der Prog-Szene ist. Sie steuert für „Z2“ diverse Vocals bei, die gut zu den symphonisch-brachialen Ansätzen der Songs passen und teilweise ein wenig an Nightwish erinnern. Außerdem bietet sie mit ihrer weichen Stimme immer wieder einen Gegenpol zum aggressiven Townsend und seinen harten Gitarren. Selbst wenn die eigentliche Ziltoid-Geschichte der zweiten Disc vorenthalten ist, so sind auch die Songs des ersten „Sky Blue“-Albums spacig angehaucht, bieten teils sphärischen Gesang und sind generell von vielerlei Effekten verfremdet. Immer wieder werden Chöre verwendet, die den Songs etwas Großes Hymnenhaftes geben. Die häufig eingesetzten Gastvocals von Anneke van Giersbergen passen perfekt zu Devin Townsends eher aggressivem Gesangsstil. Wie aus einer anderen Dimension vermischen sich die Vocals, Chöre, harte Gitarren und treibende Drums mit orchestralen Elementen zu einem Gesamtkunstwerk, das überwiegend dem symphonischen Prog-Metal zuzuordnen ist, aber beispielsweise mit dem Song ‚Sky Blue‘ auch elektronische Gefilde streift. Bei’Silent Militia‘ fühlt man sich ob der brachialen Gitarren und eingestreuten Elektrobeats ein wenig an Rammstein erinnert. ‚Rain City‘ kommt dafür im Anschluß ungewöhnlich poppig daher. Aber Devin Townsend und seine Musiker finden immer wieder den Weg zurück zum eigenen vollkommen unnachahmlichen Stil, der wirklich so innovativ ist, dass er nur von Außerirdischen zu uns gebracht worden sein kann.

Ein interessantes abwechslungsreiches Doppelalbum, dessen erste Hälfte spannende und teils sphärische Prog-Metal-Klänge präsentiert, für dessen zweite Disc sich der Hörer aber schon einen besonderen Sinn für das Abstruse und Bizarre bewahrt haben sollte. Die Devise kann nur heißen: Kaffee kochen und dem großen Ziltoid folgen!

Yesterdays

Wenn Bands so etwas wie eine Midlife-Crisis erleben können, dann ist das neue Album ‚Yesterdays‘ das zugehörige Equivalent der Band Pennywise. Der Tonträger umfasst elf Titel, die hauptsächlich Bassist Jason Matthew Thirsk in den Anfangsjahren schrieb, lange bevor aus der Spaßband Pennywise ein ernsthafter Arbeitgeber für die vier Bandmitglieder wurde und lange bevor Pennywise irgendwelche Konzerte außerhalb von Hausparties spielten. Elf Titel, welche die Zeit hörbar darstellen, in der Jim Lindberg und seine Rotzgören-Clique nach eigenen Angaben in einer Hölzernen Garage ihren Vorbildern Black Flag, 7 Seconds, Agent Orange und natürlich Bad Religion nacheiferten. Weil sie keinen Bock auf Heavy Metal hatten.

Vergleicht man die Songs nun beispielsweise mit dem letzten Studioalbum ‚All Or Nothing‘, so ist zwar deutlich zu hören, dass die Produktion dem Jahre 2014 entstammt – mit Garage hat der Sound recht wenig zu tun, jedoch lässt das Songwriting im Vergleich keinen Zweifel zu, dass ‚Yesterdays‘ tatsächlich von gestern stammt. Besonders der Song ‚Violence Neverending‘ könnte nicht stärker nach Bad Religion klingen, ohne tatsächlich von Bad Religion zu sein und das Lied ‚She’s A Winner‘ kann nur der Feder eines Jugendlichen Punk Rockers entspringen – pubertäre Suburb-Romantik at its finest.

Sieht man also vom durchaus streitbaren Punkt ab, ob eine Kompilation uralter Kompositionen im Klanggewand des Jahres 2014 Sinn ergibt, oder ob es nicht echter erschiene die Songs im Sound des 90er Jahre- Garagen-Rocks zu veröffentlichen, so darf ‚Yesterdays‘ durchaus als eine gelungene Abwechslung im Strom der veröffentlichten Tonträger dieser Tage gesehen werden. Weder Studioalbum, noch Best Of – aber irgendetwas Cooles irgendwo dazwischen.

Post Scriptum:

…und dann fand der doofe Redakteur den Hidden Track Nummer zwölf – dreizehneinhalb Minuten, die bei iTunes auf den Titel ‚Band Practice 89‘ hören, was durchaus autentisch klingt. Stelle einen Kasettenrekorder in den Proberaum und fang an zu spielen. Heraus kommt dieser wirklich ehrliche, wenn auch streckenweise sehr rohe Neunzigerjahre Demo-Tape Sound, sodass sich der Hörer noch einmal wirklich ins Gestern versetzen lassen und einige der Songs, die auf Yesterdays in Super-2014-Sound vorhanden sind, ganz in echt wie früher erleben kann. Absolut großes Kino, da kann ich gar nicht anders als die Bestnote zu vergeben!

Kaliveoscope

Anfang diesen Jahres hat die Prog-Formation Transatlantic ihr aktuelles Album Kaleidoscope veröffentlicht. Es gab eine ausgedehnte Tour und unter anderem einen beeindruckenden Auftritt auf dem diesjährigen Night of the Prog Festival an der Loreley. Transatlantic ist eine „Super Group“, bestehend aus den Musikern Neal Morse (ex Spock’s Beard), Roine Stolt (The Flower Kings), Mike Portnoy (ex Dream Theater, Flying Colors, The Winery Dogs) und Pete Trewavas (Marillion). Im Rahmen der Kaleidoscope-Tour wurde ein umfangreiches Live-Paket aufgezeichnet: Zwei DVDs (sowie eine Blu Ray mit identischem Programm) und drei CDs umfasst das „KaLIVEoscope“-Set, wie die Box passenderweise betitelt ist. Die DVD / BluRay enthält ein vollständiges Konzert aus Köln sowie eine Reihe von Bonus-Tracks und Interviews sowie eine Tourdokumentation. Zusätzlich gibt es auf den CDs ein komplettes weiteres Konzert zu hören, das im niederländischen Tilburg aufgenommen wurde. Die Entscheidung, das Konzert in Köln zu filmen, begründet Neal Morse damit, dass der Auftritt relativ in der Mitte der Tour lag. „Wir wussten, dass wir zu diesem Zeitpunkt sehr viel entspannter waren, was unser Set anging. Außerdem musste auch die Location für die Filmaufnahmen geeignet sein.“ Und es hat sich gelohnt.

Die beiden Live-Sets aus Köln und Tilburg unterscheiden sich von den Songs her kaum, auf den CDs aus Tilburg gibt es gegen Konzertende noch ein paar Lieder mehr, aber im Großen und Ganzen wird musikalisch die gleiche Setliste abgearbeitet. Die zusätzlichen Songs aus den Niederlanden finden sich im Bonusmaterial der DVDs, so dass man wirklich nichts verpasst. Die CDs bieten das Konzert aus den Niederlanden in bester Tonqualität. Zwischen den Songs sind immer wieder einmal Ansagen und kleine Anekdoten zu hören („Wir spielen heute die längste Setlist dieser Tour, ich hoffe, Ihr wart alle noch einmal vorher auf der Toilette!“), und auch die gute Stimmmung im Publikum wurde passend eingefangen. So muss eine Live-Aufnahme klingen. Besonders interessant für Fans ist die Tatsache, dass kein Song live genau wie auf dem Studioalbum klingt. Immer wieder wird einmal das Arrangement oder Tempo leicht variiert, oder ein Solo wird verlängert und anders betont. Es gibt natürlich auch ein paar besondere Live-Momente, wie beispielsweise im epischen halbstündigen Titeltrack ‚Kaleidoscope‘, als im Segment ‚Ride The Lightning‘ plötzlich ein kleines Riff aus dem gleichnamigen Metallica-Song einbaut wird. In einer späteren Passage des gleichen Tracks darf sich Basser Pete Trewavas dann auch einmal im Singen versuchen und macht seine Sache sehr gut.

Der Schwerpunkt der Setlist liegt natürlich auf dem aktuellen Album „Kaleidoscope“, das auch komplett dargeboten wird. Unterstützt wird die Band live zudem noch von Ted Leonard (Gesang bei Spock’s Beard und Enchant). Zwischen den Kaleidoscope-Songs gibt es älteres Material, u. a. ‚My New World‘ vom allerersten Transatlantic-Album. Neal Morse singt ‚Beyond The Sun‘ als einfühlsame und äußerst intime Ballade, im ersten Teil sogar komplett á capella. Wie schon auf der Bonus-CD des Studioalbums wurden live auch einige Coverversionen gespielt, so zum Beispiel ‚Nights In White Satin‘ (Moody Blues) und als besondere Schmankerl die beiden Titel ‚Sylvia‘ und ‚Hocus Pocus‘ der holländischen Prog-Band Focus. Deren Sänger Thijs van Leer gesellt sich dann auch live dazu und überzeugt mit seiner einprägsamen Stimme und verursacht beim Hörer die Lust, sich doch einmal näher mit der Band zu beschäftigen.

Insgesamt bieten die drei CDs eine wunderbare Live-Show mit packender Atmosphäre und einer Band in hervorragender Spiellaune. Technisch wurde zudem alles richtig gemacht, die Aufnahmen klingen sauber und druckvoll und fangen die Live-Stimmung perfekt ein. Wer also schon immer einmal Transatlantic live hören und sehen wollte oder einfach eine Erinnerung an die letzte Tour benötigt, kann bei diesem Set unbedenklich zugreifen. Noch mehr Transatlantic live geht nur auf der nächsten Tour beim tatsächlichen Konzertbesuch. Bis dahin kann man es sich getrost zu Hause gemütlich machen und die Farbe des Kaleidoscopes immer wieder neu genießen.

Fall Together Again

Andy Burrows behält es bei, sein gutes Timing. Seine Platten bringt er beständig im letzten Jahresviertel raus, wenn Dunkelheit und Kälte langsam übernehmen und die Menschen ein erhöhtes Bedürfnis an Harmonie und Wärme haben. Genau die hat er vor exakt zwei Jahre mit ‚Company‘ verbreitet, und das liefert er auch jetzt wieder mit ‚Fall Together Again‘ ab.

Die Mission ist also einmal mehr erfüllt. Auch wenn Burrows diesmal neuen Inspirationen folgt. Emanzipieren will er sich wohl von seinem bisherigen Schaffen, sowohl solo als auch mit Razorlight oder We Are Scientists, und besinnt sich auf die Musik der 1970er. Ein Schritt weg geht er vom pubertären Indie-Pop hin zu zeitloseren Tunes mit Soul-Anleihen.

Der Ton von ‚Fall Together Again‘ ist also ein etwas anderer, die Art und Weise ist freilich die altbekannte. Andy Burrows fürchtet sich bekanntermaßen nicht vor großen Melodien und Pathos, vor orchestralen Arrangements und butterweichem Gesang in höchsten Tonlagen. Durchweg zeigt er sich von seiner soften Seite. Mit dieser Konsequenz – und dank der Tatsache, dass der Brite nunmal ein sugezeichneter Songwriter und Sänger ist – funktionieren seine Songs, die bei Anderen als unerträglicher Kitsch enden würden.

Natürlich, der Hörer muss sie schon wirklich mögen, die Burrows’sche Intensität. Wer es doch eher mit seinen älteren Werken hält, der freut sich über den Gastauftritt von Tom Smith in ‚Watch Me Fall Again‘, eine schöne Wiederauflage ihrer Smith & Burrows-Kooperation. Ansonsten kann man sie schonmal wagen, die Flucht in die rosarote Gegenwelt für eine gute halbe Stunde.