Kategorie: review

The Three Lightbearers

Für experimentierfreudige Black-Metal-Jünger haben wir heute einen Leckerbissen auf unserem Redaktions-Plattenteller: Veilburner aus Pennsylvania sind ein experimentelles Extreme-Metal-Duo, das mit ihrem selbstveröffentlichten Debüt „The Three Lightbearers“ seit der US-Veröffentlichung im Spätsommer letzten Jahres für Aufhorchen sorgt. Obwohl ihr eigentümlicher Stil musikalisch deutlich vielseitiger ist als ein „klassisches Black-Metal“ Album, stehen vor allem die Texte deutlich in dessen Tradition. Sänger und Texter Chrisom Infernium kommentiert: „Die Texte handeln davon, daß wir gefallene Götter sind, die zu einem gequälten Dasein in der irdischen Dimension verflucht sind. Sie versuchen den Ekel darüber auszudrücken, wie die Menschheit in Massen lieber Ideologien nachläuft, anstatt dem zu folgen, was ihre Herzen ihnen sagen.“ Die Faszination für das Okkulte kommt auch im Auftreten der beiden Musiker zum Tragen, die sich Chrisom Infernium (Texte, Artwork und Gesang) und Mephisto Deleterio (Instrumente, Background Vocals und Produktion) nennen. Wie schon erwähnt, sind auch musikalisch Einflüsse von Black Metal erkennbar, jedoch auch Death- und Doom-Metal, Ambient und sogar Spuren von orientalischer Musik. Diese Mischung ergibt eine ungeheuer atmosphärische Stimmung, verstörend und aufregend zugleich.

Der Opener ‚Gospel of Blood-Stained Void‘ schmiedet mit düsteren Orgelklängen, Stakkato-Drums und Growls und markerschütternd-dysharmonischen Screams direkt ein unheimlich dichtes, tranceartiges Geflecht aus Unbehagen. ‚Masburbating The Obelisk‘ setzt auf orientalische Blasinstrumente im Hintergrund heftige Drums und Growls und erinnert damit etwas an Nile. ‚Nil Absolute‘ erschreckt den konventionellen Hörer erneut mit hektischen Drums, düsteren Riffs und schrillen Leads, nur um dann von atmosphärischen Saiteninstrumenten abgelöst zu werden. Eine besondere Erwähnung verdient ‚Solarcide‘, der mit stimmungsvollen, unverzerrten Gitarren beginnt und von der Eingängigkeit und gleichzeitig der dichten Stimmung herausragt. Der Song schleppt sich unter melodiöser Gitarrenarbeit und düsteren Growls gequält dahin – in unglaublicher Schönheit. ‚Revelation Genesis‘ erinnert mit seinem aggressiven Drive daran, daß das hier ein verstörend-irritierendes Album ist und ‚Stigmatic Levitation‘ zerstört den wohligen Eindruck vollends mit gruseligen Spoken-Vocals und Growls, drängenden Riffs und Blastbeats, die jedoch von fantastischen, orientalisch anmutenden Leads akzentuiert werden. Das knapp dreiminütige ‚Idol Horror‘ ist schmeichelt erneut mit Ambient-Keyboards und einer betörenden Akkustik-Gitarre. Das abschließende ‚Damnation A.D.‘ hält was der Titel verspricht: Intensiv, heavy, schnell, melodisch und verdammt verstörend. Vor allem die Stakkato-Drums und schrillen Vocals von Chrisom könnten nicht nur zum Erschrecken kleiner Kinder, sonder aller zartbesaiteten Gemüter erfolgsversprechend verwendet werden.

Was für ein Album! Atmosphärisch, schrill, hart, und enorm verstörend ist „The Three Lightbearers“ selbst im Extreme-Metal-Genre kein gewöhnliches Album geworden. Die Basis bildet Black-Metal, aber von der progressiven, eklektizistischen Sorte – die alles an musikalischen Stilmitteln einsetzt, um die messerscharf-schneidende Atmosphäre zu schaffen. Bands wie Lecherous Nocturne, Nile oder Blut Aus Nord klingen als Orientierung ähnlich, beim Gesang standen Black-Metal-Granden wie Marduk oder Behemoth Pate. Veilburner kopiert diese Bandss aber in keinster Weise. Im Gegenteil: Die Eigenständigkeit ist erstaunlich, die Produktion erstklassig (zumal für eine Eigenproduktion) und hart und extrem ist es allemal. Wer extrem und experimentell in faszinierender Verbindung mag, muss hier zuschlagen.

Another Half Life

Nein, ‚Another Half Life‘ ist nicht another half Album, sondern nach ausführlichen Dehnübungen die erste Full Length-Veröffentlichung Tobias Sieberts, dessen Band seit zwei EPs unter dem Künstlernamen And The Golden Choir firmiert. Und keine weiteren Mitglieder zählt, sieht man einmal ab von einem prallen Koffer voller Schallplatten.

Auf den Schallplatten ist auch Tobias Siebert. Überall, dort und hier, immer und immer wieder. Irgendjemand musste schließlich die Instrumente spielen, die seine zerbrechlichen, hochtönigen Klagegesänge unterfüttern. Hackbrett, Harfe, Harmonium, Hach. Die vier großen Hs dieser Langspielplatte, die betört, wo sie nur kann. Mit knusprig-organischer Akustik-Instrumentierung, prisenweise fremder Klänge und erdiger Percussion. Dazu Reverb mitten aus dem Leben, alles analog und ohne doppelten (Resonanz-)Boden, dafür aber mit einem schelmischen Trick, der erst auffliegt, wenn man And The Golden Choir live erlebt: Tobias Siebert hat sich vervielfacht (‚The Transformation‘!), hat ein Rudel von kratzigen Artefakten seiner selbst auf sieben Schallplatten pressen lassen, die ihm beim Musizieren in stoischer Drehung die Treue halten.

Unbearbeitet, aber kaum wirklich roh klingt das Dutzend Kompositionen auf ‚Another Half Life‘, dazu harmoniert das Ein-Mann-Ensemble zu eindrucksvoll. Die Wehmut ist hochdosiert, das Organ Sieberts kratzt an der Grenze zum Bruch. Es sind traurige Lieder, die nie anders, nie weniger weinerlich gedacht waren, aber doch mit Kitsch und selbstbezweckter Wehleidigkeit nicht viel zu tun haben. Und es geht um Liebe. Liebe in ihren tückischsten Ausführungen.

Gut die Hälfte der Stücke ist bereits von den zwei Vorab-EPs bekannt, und so kommt es kaum von ungefähr, dass ‚Another Half Life‘ die Coverabbildung seines Vorgängers wiederholt, ergänzt um einen golden schimmernden Rahmen und entsprechende Prägung des Titels. Eine Aufwertung, die auch inhaltlich durchschlägt, sind die ergänzten Stücke doch alles andere als kleinlaute B-Seiten. Vom vergleichsweise beschwingt aufgelegten ‚Choose To Lose‘ über das gespenstisch geschichtete A-Cappella-Intro bishin zum abgezockten Songwriter-Filetstück ‚Dead End Street‘ (

‚I am the devilish shark in search of your sweet heart / You are the gun, keep shooting, shine into my darkness‘

) kehren beachtliche Qualität und hohe Unterscheidungskraft ein, die Tobias Sieberts Alleingang jegliche Berechtigung zusprechen.

Das stimmungsvoll bebende, sich zum Ende hin fulminant verdichtende ‚Angelina‘ bleibt aber auch hier unangefochtenes Juwel. Ein Song wie der Fluss, von dem er handelt. Oder geht es hier doch um eine Frau?

‚Everytime I stop at your banks / you lead me with your shining eyes‘

, gesteht der Tobi seiner Angelina ein. Und vergisst sich am Ende in einem reißenden Strom erzitternder Melodik.

‚Pull me in! Pull me in! Pull me in!‘

, fleht er und plötzlich ist man es auch: völlig mitgerissen. Eine undankbare Position für ‚In Heaven‘, so als letzter Song noch hinter Angelina. Doch tut er genau, was er soll: es schon schaukeln, und den frisch gestrandeten Hörer mit zarten Klängen gar nicht einmal so klaren Ursprungs umsorgen. Eine halbe Minute Stille reißt das Album noch an sich, bevor es ausgelaufen ist. Zeit, seine Eindrücke zu sortieren? In jedem Fall für ehrfürchtiges Durchatmen. Den Rest lassen wir so.

New World

New World – eine neue Welt erwartet den Hörer, und nicht nur auf dem Cover zu Dave Kerzners gleichnamigen Soloalbum ist diese Welt erkennbar, ein schimmernder Wassertropfen in der trockenen Wüste, der Leben spendet und mit seinen Häusern auch das Leben einer hoch entwickelten Zivilisation enthält. Auch im übertragenen Sinne hat Dave Kerzner eine neue Welt betreten, hat er doch vor ungefähr einem Jahr seinen Ausstieg bei Sound of Contact bekannt gegeben. Der amerikanische Songwriter, Produzent und Multiinstrumentalist Kerzner hat im Laufe seiner Karriere für Bands und Künstler wie Alan Parsons, Genesis, Neil Peart (Rush), Keith Emerson, Tom Waits oder auch die Smashing Pumpkins gearbeitet, und diese langjährige Erfahrung hört man dem Solo-Album natürlich auch an. Weiterhin hat sich Kerzner für das Album hochkarätige Unterstützung eingeladen: So wirkten u. a. Steve Hackett oder Nick D’Virgilio mit.

„New World“ wurde von Kerzner über Crowdfunding finanziert und in der Standard-Version im Dezember in Eigenregie veröffentlicht. Bis Ende Januar ist aber auch neben der normalen Version eine Deluxe Edition angekündigt, die Kerzner akutell gerade abmischt. Diese wird als Doppelalbum erscheinen und zusätzliche Titel enthalten, insgesamt weit über zwei Stunden Musik.

„New World“ bietet erstklassigen progressiven Rock, der sich stilistisch natürlich im Bereich der oben genannten Künstler und Gruppen bewegt – Einflüsse von Genesis oder auch Alan Parsons sind unüberhörbar. „New World“ wird eingerahmt von ‚Stranded‘, einem Epos in zehn Teilen, das es insgesamt auf knappp 30 Minuten Laufzeit bringt und Beginn- und Schlußpunkt für das Album markiert. Multitalent Dave Kerzner singt, spielt Keyboard und Gitarre und hat schließlich noch einige Drum-Samples programmiert. Richtiges Schlagzeug gibt es natürlich auch zu hören, in diesem Fall von Nick D’Virgilio eingespielt, der schon im Studio für Genesis getrommelt hat. Steve Hackett bereichert die beiden epischen Longtracks mit seinem virtuosen und typischen Gitarrenspiel, so dass sich jeder Genesis– oder Steve Hackett-Fan sofort heimisch und wohl fühlen dürfte. Auch die folgenden Songs sind breit angelegt, episch und gefallen durch verspielte Melodien und hervorragende Gitarrenarbeit. Vielfach kommen Effektgeräte zum Einsatz, um Sounds zu verfremden oder völlig neue Klangsphären zu erschaffen. Soundeffekte, Samples, Geräusche und Musik verschmelzen zu einem homogenen Ganzen. Im besten Yes – und Rush – Stil erschafft Kerzner tatsächlich eine neue Welt, eine blühende Oase in der trockenen Wüste.

Das Album ist bereits in der Standard-Version mit weit über 70 Minuten Spieldauer sehr gut gefüllt, und jede einzelne Minute lohnt sich zu entdecken. So zum Beispiel im Track ‚Crossing Of Fates‘ Keith Emerson einen Gastauftritt am Moog-Synthie hat, der über Kerzners eigenes Sample-Projekt Sonic Reality realisiert wurde. In der ruhigen wunderschönen Slowrock-Nummer ‚Solitude‘ wartet eine weitere kleine Überraschung auf den Hörer: Der Song klingt nicht nur nach Pink Floyd, sondern enthält auch von Alan Parsons aufgenommene und von Nick Mason eingespielte Schlagzeug-Elemente. Ja, „New World“ ist ein Baukasten, eine Bastelstunde, ein Best-Of des Progressive Rocks, und die zusammengesetzten Einzelteile ergeben ein faszinierendes Ganzes, ein entspannendes, aber auch mitreißendes Album.

Wir sind Angst

Nach knapp zweieinhalb Jahren melden sich die Düsseldorfer Jungs endlich mit eigenem Content zurück in der deutschsprachigen Metalcorewelt. Zwischenzeitlich gab es zwar das partytaugliche “Man spricht Deutsch“, bei dem allerlei bekannten Titeln der Callejon-Stempel aufgedrückt wurde, was zum Teil sogar richtig Spaß machte, doch war es nichts eigenes, weshalb “Wir sind Angst“ in meinen Augen das erste echte Callejon-Album nach “Blitzkreuz“ ist.

Eröffnet wird die Scheibe mit einem atmosphärischen Intro. Das “Trauma“ getaufte Stück, das mittels Störgeräuschen nicht nur das Album, sondern auch gleich den Titelsong einleitet, wird in einer längeren Version sicherlich auch die Fans auf ihren Konzerten, der Mitte Februar startenden Tour, darauf aufmerksam machen, dass es jeden Moment losgeht. Und zwar so richtig. Jedenfalls erhält man mit “Wir sind Angst“ gleich einen der am besten für Konzerte tauglichen Songs, bei dem sie kräftig in Callejon-Manier die Doublebass aufdrehen. Mit dem darauffolgenden “1000 PS“ liefern sie textlich einen sehr aufmunternden Song. Die Essenz des Stücks lässt sich mit einer Textzeile daraus ganz gut auf den Punkt bringen:

‚Fickt dich dein Leben, dann fick es zurück.‘

Also lass dich nicht runterkriegen, sondern hiermit aufbauen und schlag zurück.

Mit “Raketen“, “Veni Cidi Vici“ und vorallem “Schreien ist Gold“ legen sie die Messlatte, was rhythmischen, schnellen und abwechslungsreichen deutschsprachigen Metalcore angeht, gleich mal ein paar Stufen nach oben. Das Quintett um BastiBasti kann allerdings nicht nur schnell und laut ins Mikro brüllen beziehungsweise die Instrumente malträtieren. Bei “Unter Tage“ gelingt die Mischung aus schönen klaren Vocals im Refrain und den verzweifelten Shouts, die mit Hilfe der brachial gespielten Insturmente an Härte dazugewinnen. Die Mix macht dieses Stück mit zu den besten des Albums. Mit “Krankheit Mensch“ gehen sie es dann etwas ruhiger, aber auch wütend stampfend an. Wie der Refrain vorgetragen wird, kommen sogar leichte Vergleiche zu Rammsteins “Sonne“ auf.

Ganz still werden sie dann in “Erst wenn Disneyland brennt“. Und auch wenn sich jetzt einer darüber aufregen könnte, dass man sich doch eigentlich immer nach Abwechslung sehnt, hätte so eine Ballade auf “Wir sind Angst“ nicht sein müssen. Oder anders gesagt, nicht als Rausschmeisser der Platte. BastiBasti kann zwar auch diese ruhigen und popsongartigen Passagen singen, aber im Bezug auf die restlichen Titel wirkt diese Schmusenummer mit ihren Bon Jovi Gitarrenklängen aus den späten 80ern doch sehr wie ein musikalischer Fremdkörper und bremst somit das ganze Album aus.

Von dem schlechtplatzierten Outro einmal abgesehen ist “Wir sind Angst“ als Erfolg zu verbuchen und wird zumindest in meinem Player noch einige Zeit verweilen, wobei ich dann lediglich den letzten Song skippen werde.

+4626-COMFORTZONE

Das neue Jahr beginnt ungewöhnlich. Zumindest für Progger. „+4626-COMFORTZONE“ ist ein ungewöhnlicher Titel für ein ungewöhnliches Album. Und ja, es stammt von einer gleichfalls ungewöhnlichen Band. Die schwedische Progrock-Formation Beardfish hat es seit ihrer Gründung im Jahre 2001 und über sieben Alben hinweg immer wieder geschafft, ihre Fans zu überraschen. Jetzt liegt Album Nummer Acht auf dem Tisch, und Beardfish wollen den Hörer mit „+4626-COMFORTZONE“ nach seiner eigenen persönlichen Komfortzone fragen, wollen uns mitnehmen auf eine abwechslungsreiche Reise in Klangsphären im Sound der 70er, inspiriert durch Bands wie Yes oder Genesis.

Verzerrte gedämpfte Musik dringt im Intro ‚Noise In The Background‘ an unser Ohr, ein Streichquartett schält sich aus dem verwobenen Klangteppich hervor. Schließlich dringt – zunächst ganz leise – ein Schlagzeug aus dem Nichts zu uns durch, um dann plötzlich den diffusen Nebel zu zerreissen und klar in den Vordergrund zu stürmen. Mehrstimmiger entspannter Gesang bestimmt den Opener ‚Hold On‘, und das Adjektiv „retro“ passt hier wohl besser als je zuvor. Frontmann und Keyboarder Rikard Sjöblom überzeugt sofort mit seiner vokalen Präsenz. Im weiteren Verlauf des Songs steigert sich das anfangs gemächliche Tempo, David Zackrissons (Gitarre) und Robert Hansens (Bass) Riffs werden härter und rockiger. Der folgende Titelsong ‚Comfort Zone‘ lässt den Hörer tatsächlich in eine sehr komfortable Zone abdriften, wenn ein langes beruhigendes Gitarrenintro im David Gilmour Stil und darüber gelegte Pianospielereien Wärme und Geborgenheit versprechen. ‚And so you come to serve me now / in the concord of your arms I may rest for a while / may the past be a hazy shadow‘ Diese Comfort Zone wird im weiteren Songverlauf etwas rauher, kantiger. Schlagzeuger Magnus Östgren bekommt insbesondere in der zweiten Hälfte des Albums die Gelegenheit, experimentelle Breaks und teils schon fast punkige Beats zu spielen. So ist der Titel ‚King‘ geprägt von Hardrock-ähnlichen Riffs und Bassläufen, wie insgesamt der Longplayer, der natürlich auch als Vinylausgabe veröffentlicht wird, in seiner zweiten Hälfte deutlich an Härte gewinnt, ohne den Härtegrad des Vorgängeralbums „The Void“ zu erreichen. Das ist aber nicht schlimm, denn Beardfish stehen für viele verschiedene Stile und Stimmungen von Poprock bis Progressive Metal. „+4626-COMFORTZONE“ erinnert über weite Strecken an die Klassiker von Led Zeppelin oder Yes, vereint verschiedene Genres und überzeugt durch Kreativitität und Spannung.

‚If We Must Be Apart (A Love Story Continued‘) ist mit über 15 Minuten der längste und ausuferndste Track des Albums und ein kleines Meisterwerk des Retro-Progs. Die Keyboards dominieren mit Hammond-Sounds, die treibenden Drums erinnern The Who. Die ‚Ode To A Rock’n’Roller‘ ist besonders wegen ihres ironischen Textes interessant: ‚It feels like I’ve been doing this / for a million years / every note has been played before / in this exact order, too / and none of these buttholes out there want anything new / so I just keep on cooking this all familiar stew‘. War wirklich alles schon einmal da? Beardfish erfinden das Prog-Rad auf „+4626-COMFORTZONE“ nicht komplett neu, bieten aber doch mehr als genug Abwechslung, musikalische Experimente und Überraschungen, um ihren neuesten Output tatsächlich zu dem oben angesprochenen ungewöhnlichen Album zu machen. Die vier Schweden experimentieren auf ihrer über eine Stunde langen Platte unter anderem mit übereinander geschichteten Keyboard- und Orgelflächen. Der Spagat zwischen modernem Sound und 70er-Retro-Feeling darf als gelungen bezeichnet werden.

Und was bedeutet nun der enigmatische Titel? Nun, manchmal steckt hinter so einem Rätsel doch eine ganz einfache Lösung. Der Name „+4626-COMFORTZONE“ entstand als Anspielung auf die großen Werbetafeln in den USA und den dort genannten Telefonnummern, die sich meist aus Zahlen und Worten zusammen setzen. 46 ist die Landesvorwahl für Schweden, und 26 wiederum die Ortsvorwahl des Ortes Gävle, der Heimatstadt der Band. Ganz einfach also und sehr viel simpler als die vielschichtige komplexe Musik.

Berkeley To Bakersfield

Mit Kalifornien wird landläufig neben dem großen L.A. Film- und Musikbusiness eher Surf-Punk oder Bay-Area-Thrash-Metal verbunden als Alternative Country. Den verortet der Laie doch immer noch eher in den „klassischen Cowboy-Staaten“ Texas, Colorado und Nevada – der Kenner in Nashville, Tennessee, dem Zentrum der US-Country-Szene. Dieses Halbwissen hat der Durchschnitts-Europäer der Romantisierung des „Wilden Westens“ zu verdanken. Umso überraschender für den einen oder anderen, daß auch Kalifornien die ursprüngliche, amerikanische Musik maßgeblich mitgeprägt hat. Namentlich mit dem sogenannten „Bakersfield-Sound“, entstand durch Zugezogenen aus Oklahoma in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts. Jener war entgegen dem klassischen Nashville-Sound mehr durch den Rock’n’Roll geprägt und dementsprechend härter. Genau jenem Sound aus der Zentralkalifornischen Region um die namensgebende Stadt Bakersfield nördlich von Los Angeles haben die fantastischen Cracker um Frontmann David Lowery und Gitarren-Freund Johnny Hickman die zweite Hälfte ihres neuen Doppel-Albums „Berkeley To Bakersfield“ gewidmet. Bakersfield liegt nur eine vierstündige Autofahrt von Berkeley entfernt. Die Universitätsstadt Berkeley, unter anderem die Heimat der Creedence Clearwater Revival, hat den Cracker-Stil ebenfalls entschieden geprägt. Und so spielt die Band auf „Berkeley“ erstmals seit 20 Jahren in der Originalbesetzung und hat sich stilistisch am alternativen Lebensgefühl des Punk und Garagenrock der East Bay Area um Berkeley orientiert.

Highlights vom roots-rockigen ersten Teil sind das groovig-treibende ‚Beautiful‘, die nachdenkliche Ballade ‚El Comandante‘ mit Hickmans unnachahmlicher Gitarre, Lowerys eigentümlicher Stimme und schaurig-schönem Background-Gesang. ‚El Cerrito‘ trauert mit einem funkigen Groove stimmungsvoll dem Untergang der einst vielschichtigen Musikkultur in der gleichnamigen Kleinstadt unweit von Berkeley nach. ‚Life In the Big City‘ geht thematisch in eine ähnliche Richtung, musikalisch ist das Thema bluesiger. Unverkennbar Cracker rocken die Herren mit Piano und Tamburin:

„That’s life in the big city girl, what did you expect? That’s life in the big city girl, there’s no boyscouts here. That’s life in the big city girl, it ain’t pretty.“

Mit dem wundervollen, bereits vorab zur Promotion des Albums präsentierten, typischen Cracker-Love-Song ‚Waited My Whole Live‘ sitzt das beste Lied des ersten Teils bezeichnenderweise am Ende, denn es ist deutlich country-lastiger und damit eine gelungene Überleitung zum „Bakersfield“-Teil des Doppelalbums. Das beginnt hochklassig mit der Pedal-Steel und Country-Piano zur Liebeserklärung an den Heimatstaat ‚California Country Boy‘:

„Ain’t no palm-trees, ain’t no Movie Stars in the part of California I come from.“

‚Almond Grove‘ beweint mit Pedal-Steel und Banjo die im Krieg verstorbenen und den Trost, den die Rückkehr zu den heimischen Baumwollfeldern und Mandelhainen spendet. Das ruhige ‚King Of Bakersfield‘ hat einmal mehr die Heimat zum Thema – wie gut man in Bakersfield leben kann und welche Zufriedenheit in der Verbindung zu den eigenen Wurzeln liegen kann. Das wunderbare ‚Get On Down The Road‘ ist einmal die Plattform für Johnny Hickman, der bei diesem Titel einmal mehr zeigen kann, was er mit seiner Lieblingsgitarre „Lucky Number Seven“ so alles anzustellen weiß. Der Mann spielt keine Steel-Guitar, also lässt einfach seine schwarze Gibson Les Paul so klingen wie eine. Bei diesem unwiderstehlichen Country-Song gibt es außerdem spektakuläre Country-Piano-, Pedal-Steel- und Violinen-Solos. Da möchte man einfach direkt Stiefel und Stetson packen und unverzüglich auf das nächste Line-Dance-Festival reisen und die Sohlen glühen lassen. Neben den wundervoll-melancholischen Country-Balladen ‚I’m Sorry Baby‘ und ‚When You Come Down‘ wird „Bakersfield“ stimmig von neu eingespielten Versionen der bereits veröffentlichten Songs ‚The San Bernardino Boy‘ von Hickmans Solo-Debüt „Palmhenge“ (2005) (mit Banjo und Country-Piano) und ‚Where Have Those Days Gone‘ von „Greenland“ (2006) abgerundet.

Man kann die Produktion dieses Doppelalbums in gewisser Hinsicht als ein mutiges Unterfangen bezeichnen, denn obwohl die Band seit jeher Rock und Country verbunden hat, erscheint eine Aufteilung in zwei stilistisch so unterschiedliche Alben doch als Herausforderung für manchen Hörer. Tatsächlich klingen die beiden CD’s recht unterschiedlich, was ja auch durchaus so gewollt war. „Bakersfield“ erinnert vom Stil stark an „Countrysides“ von 2003 und „Greenland“ von 2006, vom Sound hat man die Produktion und Instrumentierung noch mehr wie „echten Country“ angelegt. In der Band- und Musikgeschichte des Herkunftsstaates Kalifornien ist „Berkeley To Bakersfield“ so abgesehen von den Songs an und für sich ein absolut stimmiges Statement geworden. Mit jeder Menge Perlen von Songs und vor allem dem grandios eingefangenen Lebensgefühl von Country-Rockern aus Kalifornien. Cracker sind und bleiben eine der besten Country-Rock-Bands da draußen – wenn nicht die Beste.

The Mysterious Ways Of Repetitive Art

Auf der Suche nach dem Sound für Ihr Zweitwerk „The Mysterious Ways Of Repetetive Art“ haben Chapel of Disease aus Köln diesen in der Suche selbst gefunden. Frei nach dem Motto „der Weg ist das Ziel“ hatten sich die für ihr 2012er Debüt „Death Evoked“ beachteten Rheinländer nur wenige Prämissen für die Komposition ihres neuen Albums auf die Fahnen geschrieben: Nicht zurückblicken, alles schreiben, was einem in den Sinn kommt und alles was möglich ist ausloten. Was die vier Kapellmeister damit auf die Beine gestellt haben, ist erstaunlich. Es ist doomlastiger Death-Metal, der den Widerspruch auflöst, gleichzeitig vertraut und frisch zu klingen. Frisch im Sinne von unverbraucht – schließlich sprechen wir hier immer noch von Todesmetall und der Sound der vier Herren erinnert auch an den sich bedrohlich anschleichenden Sensenmann aus dem morbid-ästhetischen Album-Cover. Das Artwork mit einer Radierung zu jedem Song zieht sich auch durch das Album-Booklet. Dessen künstlerischer Stil passt sehr gut zu den Songs, die u.a. von Gedichten und Geschichten der wegweisenden Autoren Edgar Allan Poe, Gustav Meyrink, Johann Peter Hebel und Charles Robert Maturin inspiriert sind.

Mit ‚The Mysterious Ways…‘ beginnt der Totenreigen – und mit einem schleppend-doomigen Riff. Ein Riff, das so simpel wie genial ist und sich festsetzt. Der Bass rumpelt eindrucksvoll im Keller herum während im Erdgeschoss die Lead-Gitarre die Möbel zersägt. Der Eröffnungstrack gipfelt in bedrohlichem Donner, bevor das Klanggewitter mit ‚The Dreaming Of The Flame‘ losbricht. Mit viel Hall-Effekt und düsterer Bedrohlichkeit – aber ohne Pathos – wird da abwechslungsreicher Death-Doom zelebriert. Abwechslungsreich, weil die simplen Riffs gekonnt variiert und mit interessanten Tempowechseln und kurzen Soli aufgelockert werden. ‚Masquerade In Red‘ beginnt mit hohem Tempo als eine Art doomige Thrash-Interpretation. Aber den Song so durchzuprügeln ist nicht das Ding der vier Jungs – die zweite Hälfte schwingt wieder ins gespenstische zurück. Und das ist gut so. Der 8-Minuten-Kracher ‚Lord Of All Death‘ führt ein neues Thema mit zwei weiteren leckeren Riffs ein. ‚Symbolic Realm‘ kommt mit einem gedoppelten, sehr melodischen Solo daher, das sich quasi auf dem Riff sitzend durch den ganzen Song zieht, ‚Life Is But A Burning Being‘ flirtet mit Thrash und Hochgeschwindigkeit, aber im Keller ist immer noch der doomige Death am Werk. Genau wie bei ‚Masquerade‘ brechen Chapel of Disease das Klischee auf – nach einer Bridge mit klaren Gitarren wird entschleunigt weitergefoltert. Das zehnminütige ‚… Of Repetetive Art‘ beendet das sehr gelungene Werk schlüssig mit Atmosphäre, Atmosphäre, Atmosphäre. Flöten, düstere Pauken, jaulende Gitarren – und einmal mehr ein Riff, daß sich einprägt, ja einbrennt und während des erneut sehr abwechslungsreichen Songs immer wieder leicht verändert auftaucht.

Keine Ahnung, ob der Titel des Albums eine selbstironische Anspielung auf den eigenen Stil sein soll. Bei Chapel of Disease ist das repetitive Elemente jedenfalls nicht mysteriös sondern eher meisterhaft eingesetzt. Einfache, aber sehr gelungene Doom-Riffs, die stilsicher variiert und wiederholt werden bilden die Basis der Musik. Durch weitere, überraschend eingesetzte Facetten aus klassischem Death- und Thrash-Metal, jedoch auch akustische Überleitungen und Tempovariationen wird das Rezept meisterhaft verfeinert. Wer Death-Metal mit einem guten Schuss Schauder-Doom ohne dessen Klischee-Beiwerk mag, kommt an diesem hervorragenden Album nicht vorbei!

Wearewhoweare

Pallas heißt ein Titan der griechischen Mythologie. Vielleicht nicht ganz so titanisch, aber auch nicht winzig klein, so kommt die schottische Progressive-Rock-Band gleichen Namens daher. 1977 gegründet, zählt sie doch zusammen mit IQ, Pendragon und Marillion zu den wichtigsten Bands der britischen Neo-Prog-Szene. Mit „Wearewhoweare“ haben die Schotten nunmehr ihr siebtes Studioalbum vorlegt.

Sieben Platten in 38 Jahren Bandgeschichte sind ja ein nicht gerader hoher Output, und so war ein neues Pallas Album schon immer etwas Besonderes. So auch diesmal. „Wir sind, wie wir sind“ ist der Name ds Albums, und entsprechend ist dieser Output etwas ganz Besonderes geworden: „Wearewhoweare“ ist weltweit auf 1000 Exemplare limitiert. Nach „XXV“ aus dem Jahre 2011 ist es das zweite Album mit Paul Mackie am Mikrofon, und er macht seine Sache immer noch gut, kann unterm Strich sogar noch mehr als beim Vorgänger überzeugen. Musikalisch bewegen sich die fünf Briten auf altbekannten Pfaden: Melodischer Rock, gitarrenlastig, aber auch mit verspielten Keyboard-Soli durchsetzt. Das erinnert streckenweise an Yes oder aber auch an Rush, was ja schon mal nicht schlecht ist. Schon der Opener ‚Shadow Of The Sun‘ kommt bombastisch und druckvoll aus den Boxen und bietet über knapp acht Minuten genug Abwechslung, um auch beim wiederholten Hören noch spannend zu sein. Schade nur, dass er am Ende langsam ausgeblendet wird, hier wäre ein bombastisches Finale sicherlich wirkungsvoller gewesen.

Es gibt auch viele ruhige Momente, so wie beispielsweise das langsame ‚New Life‘, das mit der herrlich singenden Gitarre ein wenig an Pink Floyd erinnert. ‚Dominion‘ bietet einen weiteren Höhepunkt des Albums, das unterm Strich als positive Weiterentwicklung im Schaffen der Briten angesehen werden darf. Sphärische Synthieklänge treffen auf eine leicht düstere Grundstimmung, bis Gitarre und Bass zu ungewöhnlich harten Riffs ansetzen. Als nächstes fallen die oft eingesetzten elektronischen Spielereien auf, die immer wieder zum Einsatz kommen. Ja, Pallas haben sich mit „Wearewhoweare“ weiter entwickelt, ohne sich selbst zu verraten, und diese Entwicklung dürfte jedem Fan der Band gefallen. Aber auch Progger, die bislang noch nicht viel Kontakt mit den Schotten hatten, sollten einmal einen Blick bzw. ein Ohr riskieren. Die acht Songs sind abwechslungsreich und verschachtelt, ohne zu sperrig zu werden. Hin und wieder hätte ich mir etwas mehr Eingängigkeit bei den Refrains gewünscht, oder doch noch einen oder zwei epische Kracher selber Güte wie ‚Shadow Of The Sun‘. Aber auch so ist die Scheibe ein gelungenese Neo-Prog-Album geworden, das wiederholt zu begeistern weiß.

Das limitierte Album ist hierzulande noch über den deutschen Vertrieb Just For Kicks Music erhältlich, schnelles Zugreifen lohnt sich. Parallel zu „Wearewhoweare“ ist ein zweites Album mit dem Namen „Itiswhatitis“ erschienen. Dieses enthält Instrumentalversionen und Demos zu den „Wearewhatweare“-Songs sowie eine kleine Vorschauf zum bald erscheinenden Soloalbum von Gitarrist Niall Mathewson.

Hair Down To My Grass

Hayseed Dixie haben – mal wieder – den Vogel in puncto Coverversionen abgeschossen. Eigentlich bleibt bei dieser wunderbaren, aber auch immer sehr gleichen Bluegrass-Combo nicht mehr viel übrig, als über die Auswahl der Cover zu reden, da die Band nicht einmal ein Iota von ihrem üblichen Stil abweicht.

Viel Bluegrass, etwas Rock, etwas Country, eine raue männliche Stimme mittlerer Tonlage. Das war’s. Das war immer so und wird auch so bleiben.

Kommen wir also zum diesjährigen Programm, und das besteht aus einer unfassbaren Auswahl, die noch dazu zu großen Teilen exzellent gelungen ist. Fangen wir mit dem miesesten Rohrkrepierer an: Die textlich eingedeutschte Version von „Wind Of Change“ ist zum Fremdschämen erbärmlich. Vielleicht soll das Satire sein, vielleicht ist es ernst gemeint: Egal. Es ist grausam.

Der Rest aber liest sich zum Zungeschnalzen und ist fast durchgehend stilsicher und exzellent verarbeitet. Dabei sind die Stücke allesamt so berühmt, dass man nicht einmal den Bandnamen dazu nennen muß. Eine fantastische Version von „The Final Countdown“ sowie nicht minder großartige Versionen von „Summer of ’69“, „Eye Of The Tiger“, „Don’t Fear The Reaper“ und „Living On A Prayer“ bilden die absoluten Highlights dieser Coverscheibe. Alle Stücke haben klassischen Bluegrass-Drive aber verraten ihre Wurzeln nicht. „Dude Looks Like A Lady“, „Comfortably Numb“ und „We’re Not Gonna Take It“ leiden ein wenig unter ihrer Interpretation, machen aber nichtsdestotrotz viel Spaß.

Mit „Hair Down To My Grass“ hat man superviel Freude, mit etwas Bier intus noch mehr und überhaupt: Ein Gute-Laune-Album für den Anfang des Jahres.

Nihiling

Wenn man ein neues Album in die Hände bekommt, muss man zunächst einmal seine Erwartungshaltung an diesen Tonträger klären. In manchen Fällen sorgt dabei die schlichte Unbekanntheit des Interpreten für den Hörer oder Rezensenten dafür, dass diese sich auf ein Minimum beschränkt und vielleicht lediglich auf äußerlichen Infos wie dem Cover, dem Genre oder Hinweisen, bzw. Empfehlungen beruhen. Gerade in letzterem Fall muss sorgfältig ausgelotet werden, von welcher Quelle welche Information über welche Art von Musik kommt. Im Falle der Hamburger Post-Rock Band Nihiling sind diese singulären Faktoren, die die Erwartungshaltung prägen, schlicht durch eine Referenz zu der 2011 aufgelösten Band Oceansize aus Manchester definiert worden. Und die muss man erstmal rechtfertigen.

Der Opener ‚Verylargetelescope‘ beginnt ruhig und atmosphärisch, mit Piano, Trommeln, Synths und Gitarre und steigert sich langsam in eine etwas straightere und akzentuiertere Spielweise derselben Line wie am Anfang. Keine großartige Innovation oder Finesse, das Thema wirkt nach viereinhalb Minuten dann doch etwas ausgelutscht, aber für ein intro vollkommen OK. Auffällig dabei ist außerdem, dass die Produktion der scheppernden Teile des Schlagzeugs extrem stumpf gehalten ist, Becken klingen nicht aus, wirken abgeschnitten und rotzig, das will gar nicht so recht zu der gewünschten Atmosphäre passen. ‚Plot‘ an zweiter Stelle macht sich schon besser. Gesang kommt dazu, der gesamte Song ist deutlich variabler, profitiert von vielen verschiedenen Gitarrenlicks, bei denen unterschiedlichste Effekte für gute Abwechslung sorgen. Nach knapp zweieinhalb Minuten ist dann die erste winzige Nuance einer Verzerrung zu hören, die jedoch nicht weiter expandiert und stattdessen Platz macht für eine emotionale Frauenstimme mit ruhiger Begleitung und Radiohead – mäßiger Computerpercussion. Der Song spitzt sich weiter zu und nachdem eine weitere Phase mit Beckeneinsätzen, die so plump und fad klingen wie das Luftablassen eines Fahrradreifens, überwunden ist, kommt doch tatsächlich eine Art Postrock-Extase zum Vorschein. Diese ist sauber gespielt, gut mit Gesang überzogen und findet ein angenehm harmonisches, melancholisches Ende. ‚Do Not Make Me Axe You Again‘ gestaltet sich zunächst deutlich minimalistischer. Viel Gesang, dezente Gitarrenspuren und Cyberpercussion alternieren dann aber doch mit sauberen, freien Trommelrhythmen und erden in einem für Nihiling – Verhältnisse brachialen Refrain. Kurze Zwischenbilanz in Abhängigkeit von der Erwartungshaltung: An sich kein schlechter Anfang für ein Album, nette atmosphärische Postrock Elemente sind zu finden, der Abwechslungsreichtum ist durchschnittlich, aber von hochvirtuosen instrumentalen wie vocalen Eskalationen oder überhaupt mal einer straighten Akkordfolge, die vom Zustand des verträumten Beinwippens zu unwillkürlichen Kontraktionen ganzer Abschnitte der Skelettmuskulatur und damit mindestens einem energischen Kopfnicken führen, fehlt jede Spur. Es fehlt dem Album schlicht an Intensität.

Weiter im Text. Die Tracks vier und fünf beschreiben sich selbst als Extrapolation der von mir eben aufgestellten Mangelfunktion. ‚Hips‘ ist dabei mit der sowohl klanglich als auch harmonisch anstrengenden Kombination aus Synth und Gesang sogar ernsthaft unangenehm zu hören. Der lang ersehnte Umschlag kommt bei ‚Tragic‘, der sich fast vier Minuten lang als schnöde Radioballade dahin schleppt, bis er endlich zielgerichtet intensiviert wird, wobei an dieser Stelle sogar über die Kompressorbecken hinwegzusehen ist, so herzlich willkommen ist diese extatische Entwicklung. Der vorletzte Titel ‚The Universe Is Something That Happens‘ überrascht noch einmal mit einem unorthodoxen Aufbau. Ein gutes Maß an Variabilität und Unvorhersehbarkeit überzeugt hier über knapp sieben Minuten. Endlich wird es auch mal böse. Bedrohlich schwere Rhythmen, beladen mit donnernden, verzerrten Riffs werden von vielen netten Details umspielt und rufen das erste Mal ein ernsthaftes Kopfnicken hervor. An dieser Stelle wird Nihiling dem Vergleich mit Oceansize zum ersten Mal einigermaßen gerecht. Der letzte Song ‚The Lesson Of Being Who We Are‘ braucht nach der vorausgegangenen Eruption erstmal eine ganze Weile, um sich wieder aufzubauen. Das machen die Hamburger gut, die Atmosphäre stimmt, die Grundidee wird beibehalten, erweitert, staut sich auf, verebbt wieder hin zu einer Pianolinie mit dem fragilen, weiblichen Gesang und erhält dann nochmal einen Schub, der aber eher wie ein letztes Aufbäumen wirkt und an das vorherige nicht heranreichen kann. Ein sauber gespieltes, lang gezogenes Ritardando bringt den Song und damit das Album zuende.

Was die Hamburger Postrocker von Nihiling auf ihrem dritten, selbstbetitelten Studioalbum präsentieren ist keineswegs schlecht. Das Spektrum innerhalb dieses lockeren Genres ist ungeheuer groß, die Erwartungen und Ansprüche des einzelnen daher nur in den seltensten Fällen allumfassend. Die Kategorisierung in die Ecke von Oceansize ist, im Nachhinein betrachtet, schlichtweg falsch und weckt damit beim Rezensenten unverhältnismäßige Erwartungen. Insofern bleibt es mir nur zu sagen, dass die wenigen eskalativen Passagen auf dem Album durchaus Potential haben, insgesamt aber nicht von ausreichender Abundanz sind. Das Dahingeplätschere, das weite Teile der Platte bezeichnet ist nett, aber nicht umwerfend und der Gesang im allgemeinen könnte sich durchaus auch stellenweise einer leichten Intensivierung unterziehen und etwas abseits des zarten Elfensingsang agieren. Wie sehr doch eine falsche Referenz die Objektivität beeinflussen kann.