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Beloved Antichrist

Eine Oper soll das also sein, was Therion hier anbieten. Nun gut. Savatage haben es auf „Streets“ anstelle Oper lieber „Rock Opera“ genannt, es auf etwas über eine Stunde beschränkt und tatsächlich geschafft, so etwas wie Musical-Feeling aufkommen zu lassen. Die Stücke haben eine durchgehende Geschichte erzählt, strukturell aufeinander aufgebaut, Dynamik und Spannung vermittelt.

All dies erreicht „Beloved Antichrist“ in großen Teilen leider nicht einmal annähernd. Das, was an diesem Album zunächst opernhaft ist, ist die Dauer von drei Stunden. Ja, man kann die drei Stunden durchhalten, von vorn bis hinten, alle drei CD’s am Stück. Zwischendurch braucht es abwechselnd Red Bull oder Mokka, gen Ende dann nur noch ausreichend Alkohol, um sich durch diesen Riesenhaufen Musik zu arbeiten.

Wie bei fast allen überdimensionierten Projekten gilt auch für „Beloved Antichrist“ die Aussage „Schuster, bleib bei deinen Leisten.“ Zumindest aus KOnsumentensicht wird hier aus vollen Rohren vollkommen über das Ziel hinausgeschossen. Ja, da steckt viel Arbeit drin, ja das ist durchdacht. Für den Schöpfer ist es sicherlich zurecht ein Meisterwerk voller Herzblut.

Dennoch scheitert Johnsson grandios daran, drei Stunden lang Spannung und Interesse aufrecht zu halten. Es gibt Songs in diesem wahnsinnigen Haufen von 46 Stücken, die fantastisch sind, die für sich stehen, zeigen was Therion früher mal konnten („Anthem“) und immer noch können („Bringing The Gospel“) und wie man dreckig rotzende Riffs mit Orchester verbindet („Shoot Them Down!“). Gute Opern schaffen es aber, durchgehend zu faszinieren, zu begeistern, und wenn es mal Passagen gibt die den Hörer anfangen zu langweilen werden gut positionierte Weckrufe in der Musik platziert. Diese Weckrufe zur Wachsamkeit sind bei „Beloved Antichrist“ viel zu weit auseinander, zu viele Score-ähnliche Passagen langweilen auf durchschnittlichem Niveau.

Von den 46 Stück haben etwa 14-15 Hymnencharakter und erreichen oder übertreffen sogar einiges, was Therion bisher gemacht haben.

Im Endeffekt haben wir es mit einem Konzeptalbum von Therion zu tun, das etwa zwei Stunden zu lang ist. Die Abarbeitung der Parabel „Kurze Erzählung vom Antichrist“ an sich ist spannend und jeder interessierte Leser sollte dieses philosophische Stück über die Apokalypse mal in die Hand nehmen (dass es irgendwie eine Geschichte der Offenbarung des Johannes ist und Mastermind Cristofer mit Nachnamen Johnsson heisst ist nur ein kleiner Gag am Rande…).

Wie bei jeder Oper braucht es auch hier das Textblatt, da sich Therion fast ausschließlich auf Opernsängerinnen und -Sänger konzentrieren – und zwar über 25 an der Zahl. Live aufgeführt ist das bestimmt erbaulich. Auf CD allerdings sollte man sich zwecks Genusses guter Musik die besten 10 Songs herausfischen und den Rest in Frieden ruhen lassen.

Ist dies eine Metal-Oper? Ja, vielleicht schon. Wenn man danach geht, dass sie einen einschläfert auf jeden Fall. Ist das gutes Songwriting? Absolut. Ist es trotzdem viel zu viel? Auf jeden Fall. Mit den besten 12 Songs dieser Oper hätten wir eines der besten Therion-Alben bisher. So allerdings lässt es vermutlich etwa 90% der Hörer nach spätestens einer CD abschnallen und das kann ja der Sinn einer solchen Veröffentlichung nicht sein.

Schlußendlich ist „Beloved Antichrist“ aber auch eine zwar grandios in den Sand gesetzte aber dennoch repräsentative Retrospektive aller Stile von Therion seit „Theli“. Die-Hard-Fans der Band werden über all die weniger motivierenden Stücke einfach den Vorhang fallen lassen. Es sei ihnen gegönnt.
Bewerten kann man das nicht wirklich. Wer Therion mag, liebt es, wer Therion nicht mag findet es genauso schlimm wie den Rest. Die Geduld dses neutraleren Hörers wird mächtig auf die Probe gestellt. Allein dieses Unterfangen tatsächlich umgesetzt zu haben gebührt jedoch größten Respekt.

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