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Act II

Man kann Ex-Nightwish-Chanteuse Tarja Turunen ja so Einiges vorwerfen, Faulheit und Geiz gehören definitiv nicht dazu. In den letzten Jahren hat sie eine ganze Reihe an Studioalben, Livemitschnitten und EPs unterschiedlichsten Inhalts veröffentlicht und sich dabei von modernem Poprock über den zu erwartenden Bombast-Metal und Weihnachtsalben bis zu puren Klassik-Veröffentlichungen kräftig ausgetobt. Die aktuelle Veröffentlichung „Act II“ versteht sich nun als Abschluss der zweiten Phase ihrer Solokarriere, die mit dem „Act 1“ betitelten Livealbum von 2012 eingeleitet worden war.

Dabei bringt schon die reguläre Doppel-DVD dem Tarja-Fan jede Menge Wert. Zwei komplette Shows befinden sich auf dem Doppeldecker, eine davon im höchst intimen Rahmen ohne Schnickschnack vor einer Handvoll Die-Hard-Fans im Metropolis Studio in London in Schwarz-Weiss aufgezeichnet, die andere ein relativ konventioneller Tarja-Set aus dem wunderschönen Teatro della Luna in Mailand. „Relativ konventionell“ deshalb, weil hier nicht einfach der Gig mitgeschnitten wurde, sondern viele Songs auch mit videoclipartigen Sequenzen und vielen optischen Effekten aufbereitet wurden. Ob diese „Ablenkung“ dem Mitschnitt zugute kommt oder nicht, darüber kann man sich streiten. Egal wie man dazu steht, es zeigt auf jeden Fall, dass Tarja und ihr Team bestrebt sind, den Fans etwas Besonderes zu bieten. Auch soundtechnisch sind beide Gigs dank der Mixkünste von Tim Palmer (u.a. David Bowie, U2, HIM und Tears For Fears) absolut perfekt ausgefallen – eigentlich sogar ein wenig zu perfekt. Vom Publikum hört man nämlich nicht viel, und die Band spielt mit der Präzision eines Uhrwerks, leider aber auch mit der gleichen Leidenschaft. Liveatmosphäre schafft „Act II“ somit auch musikalisch nicht – wie erwähnt, das könnte aber auch Teil des künstlerischen Konzepts sein. In Sachen Setlist gibt es einen breiten Streifzug durch Tarjas Rock- und Metal-Alben, von ‚I Walk Alone‘ und ‚Die Alive‘ bis zu jeder Menge Songs vom letzten Album „The Shadow Self“. Aus Nightwish-Zeiten ist mittlerweile nur noch ein Medley übrig – und alleine daran, wie sehr dieses Medley als Fremdkörper heraussticht, merkt man, wie sehr sich Tarja musikalisch mittlerweile von ihrer Vergangenheit gelöst hat. Statt der durchaus komplexen und harmonisch eigenwilligen Tuamos Holopianen-Kompositionen regiert bei der Solo-Tarja eine musikalisch recht simple, betont eingängige Mischung aus modernen Metal-Riffs, den bekannten, opernhaften Vocals und oftmals ins Schlagerhafte abdriftende Pop-Refrains. Dazu die – ebenfalls streitbaren – Coverversionen von Shirley Basseys ‚Goldfinger‘, dem Muse-Song ‚Supremacy‘ oder die offen gesagt schröckliche Verwurstung des im Original zwar wenig bekannten, aber umso großartigeren Paul McCartney-Spätwerkes ‚House Of Wax‘, und schon hat man so ziemlich alles, was der „gemeine“ Tarja-Fan so wünscht.

Ob man das nun mag oder nicht, muss man letztendlich mit sich selbst ausmachen – neue Fans wird Tarja auch mit diesem Livemitschnitt nicht gewinnen. Das ist aber auch gar nicht das Ziel hier. Ihren Fans schnürt Tarja hier objektiv betrachtet eine quantitative und qualitative Vollbedienung, die die Wartezeit aufs nächste Studioalbum wunderbar verkürzen dürfte. Somit erfüllt „Act II“ unabhängig vom Geschmack absolut seinen Zweck und kann der Zielgruppe genauso ausdrücklich ans Herz gelegt werden wie dem Rest vom Genuss der Scheibe abgeraten wird.

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