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SEBEL – „Irgendwann ist meine Jogginghose einfach an meinem Körper angewachsen“

Sebastian -SEBEL- Niehoff, Musiker par Excellence, Multi-Instrumentalist (Gitarre, Schlagzeug, Keyboard/Hammond, Bass, Gesang), Bandmitglied bei u.a. Stoppok, lange Zeit Bandleader in einer Sportsendung im Fernsehen und insbesondere Musiker mit eigenen Songs, hat ein neues, sein mittlerweile viertes Album auf den Markt gebracht:

„2020 im Schlafanzug besiegt“. Entstanden ist die Scheibe in der Pandemie-Zeit und nach seinem viralen Mega-Hit „Zusammenstehen“. Weitestgehend eigenständig geschrieben, eingespielt und produziert liegen nun elf neue Songs vor. Wir treffen den 40-Jährigen zum Video-Interview.

 

Guten Morgen nach Recklinghausen – schön, dass das klappt!

Hallo zurück!

 

Glückwunsch zum gelungenen neuen Album „2020 im Schlafanzug besiegt“! Wieviel Selbst-Therapie als Corona-Ausgleich steckt in dem Werk?

Danke! 1000% würde ich sagen! Es war wirklich so, dass bei vielen Künstlern und Musikern, mit denen ich gesprochen habe – und bei mir selber – das ganze Pandemie-Jahr natürlich scheiße war. Nicht mehr spielen zu dürfen und vor diesem Riesen-Loch zu stehen … Ich gehörte aber oder gehöre immer noch zu den Leuten, die das Beste aus so einer Sache machen, oder sich überlegen, was kann ich tun? Für mich war es einfach das Beste in dieser Zeit, mich in kreative Arbeit zu flüchten.

 

 

Wie sah das konkret aus?

Ich hatte während des ersten Lockdowns – genaugenommen bevor der Lockdown richtig losging – diesen Song „Zusammenstehen“ rausgebracht. Das hat sich zu einem riesengroßen Projekt ausgeweitet, wo ich Menschen eingeden habe, mitzuarbeiten und mir ihre Spuren zu schicken, oder was einzusingen. Ich habe den ganzen ersten Lockdown bis zum Sommer an diesem Projekt gearbeitet. Das hat auch sehr viel Medienaufmerksamkeit auf sich gezogen hat – ich hatte alle zwei bis drei Tage ein Fernsehteam hier bei mir im Studio! Das heißt, ich habe den ersten Lockdown überhaupt nicht richtig wahrgenommen, weil es einfach sehr viel Arbeit war.

Ich war eigentlich den ganzen Tag im Studio und dann war der Sommer letztes Jahr auch recht locker, ich habe ein paar Konzerte spielen dürfen, das war total toll. Als dann der zweite Lockdown vor der Tür stand, habe ich sofort nachgedacht und habe gesagt: Was mache ich mit der Zeit? Da wird ja wahrscheinlich einiges auf uns zukommen, dann wird es kalt und regnerisch und ich kann auch nicht mehr nach Holland fahren. Dann habe ich mir überlegt, du hast eigentlich nur eine Chance: Du hast das Studio, du hast alles hier, setz dich hin und mach ein Album.

 

Wie hat sich die Situation dann im Songwriting bemerkbar gemacht?

Das Album handelt natürlich auch viel von dieser Situation und damit klarzukommen, damit kreativ umzugehen und sich Gedanken zu machen, was brauche ich eigentlich. Und so sind die Erkenntnisse, die man während dieser Pandemie bekommen hat, eingeflossen. Als ich mir dann einen Titel überlegen musste, habe ich mich schnell für eine Zeile aus einem der Songs entschieden. Mein Schlafanzug war jetzt nicht klassisch mit Streifen, sondern irgendwann ist meine Jogginghose einfach an meinem Körper angewachsen; ich habe die auch abends gar nicht mehr ausgezogen, als ich ins Bett gegangen bin. Ich habe wirklich dieses Jahr 2020 zu Ende gebracht, indem ich kaum vor der Tür war, und eigentlich täglich an diesem Album gearbeitet habe. Deshalb steckt da genau zu 1000% Pandemie-Bewältigung hinter.

 

Mit „Zusammenstehen“ hattest Du einen Über-Hit. Vorher kannte man Dich in erster Linie bei Stoppok und Alligatoah an der Seite, und auf einmal steht jeden zweiten Tag ein Fernseh-Team im Studio. Wie war es für Dich, plötzlich so präsent in den Medien zu sein?

Für mich war das total überraschend. Ich habe überhaupt nicht damit gerechnet. Ich habe auch nichts anderes gemacht, als in den 15 Jahren davor. Ich hab´ mir immer meine Gedanken gemacht, meinen Frust von der Seele geschrieben, das, was man halt als Singer/Songwriter macht. Ich hatte eigentlich damit gerechnet: Okay, vielleicht berührt es den einen oder anderen, das passt gerade zur Situation – aber dass das solche Wellen schlägt und der Song so viral geht, das war für mich eine ganz neue Erfahrung. Das war auch krass, mal miterleben zu dürfen, wie sowas funktioniert, wenn du genau eine Nacht schläfst, und am nächsten Tag hat so ein Video eine Millionen Klicks, dein Postfach quillt über und TV-Sender rufen an.

 

Es gibt eine Version des Songs, bei der 180 Musiker*innen beteiligt sind. Wie bist Du an all die verschiedenen Künstler*innen rangekommen – es sind ja ganz unterschiedliche Genres vertreten? Hast Du die alle angesprochen oder sind die auf Dich zugekommen?

Das war ja das Konzept! Ich habe einfach einen Post bei Facebook gestartet – ich glaube einen Tag nachdem das Video veröffentlicht wurde – das war vor dem ersten Lockdown. Dann hat sich das sehr schnell über Facebook rumgesprochen, weil ich da die Leute aufgefordert habe und gesagt habe: „Hey ich habe diesen Song geschrieben, ganz alleine mit meinem Klavier, lass uns doch versuchen, aus diesem kleinen Klavier irgendwas Größeres zu machen. Ihr sitzt jetzt wahrscheinlich auch die nächsten Wochen zu Hause rum und wisst nicht, was Ihr machen sollt und wisst nicht wohin mit Eurer Kreativität.“

Und am nächsten Tag quillt mein Postfach über. Es sind wirklich alle drin, die was geschickt haben, wenn es auch teilweise nur ganz leise ist.

 

Auf dem Album ist aber die Ursprungsversion, nur mit Klavier?

Ja, genau.

 

 

Das letzte Album „Windstärke 10“ ist gerade knapp zwei Jahre draußen. Hätte es ohne Corona so schnell noch ein Album gegeben, oder war das jetzt wirklich nur der Langeweile geschuldet?

Mhm, so 50/50. Ich hatte mir sowieso überlegt, meine Album-Frequenz ein bisschen zu erhöhen, das heißt, ich hätte wahrscheinlich 2021 oder 2022 ein Album gemacht.

 

Die ersten beiden Scheiben hast Du mit diversen Gastmusikern zusammen eingespielt und produziert, „2020“ genau wie den Vorgänger nahezu im Alleingang. War das von vorneherein so geplant, oder war das dem Social Distancing geschuldet?

Das war auf jeden Fall Social Distancing-bedingt! Beim ersten Album „Wie Deutsch Kann Man Sein“ habe ich ganz viel alleine eingespielt, und dann hat sich das bei dem nächsten Album entwickelt, dass ich da auch wieder mit Kollegen und mit Gastmusikern zusammengearbeitet habe. Ich weiß, dass ich das alles alleine kann, dass das auch funktioniert, aber es macht mir Spaß, mit anderen Menschen zusammen Musik zu machen. Bei „2020“ war das halt nicht möglich, und dann habe ich es einfach alleine gemacht.

 

Deine erste CD „Wie Deutsch“ unterscheidet sich ja doch deutlich zu den folgenden Scheiben. Deutlich rockiger und teilweise auch rotziger von den Texten (z.B. „Wer soll das alles fi****“) her, danach wird es deutlich ruhiger und teilweise auch nachdenklicher. Liegt das am Alter oder wird das nächste Album wieder rockiger? Oder ist der ruhigere der wahre Sebel?

Es kann sein, dass es wieder mehr rockt. In meiner Brust schlummern halt zwei Seelen – da ist wirklich der rockige Hau-drauf-Typ, der auf jeder Party der erste ist, der kommt und der letzte, der geht. Ich habe aber auch diese sehr melancholischen, dunklen, auch teilweise depressiven Phasen oder Zeiten und das ist natürlich für mich so auch eine Art Therapie. Im Moment ist es die melancholische Seele, die ein bisschen überwiegt, wo Sachen erzählt werden und raus müssen.

 

Das Melancholische bringt mich mal direkt eine Frage weiter: Du bist in erster Linie als Musiker aktiv, deine Lebensgefährtin betreibt ein Theater und Ihr hattet (und habt) die letzten anderthalb Jahre mehr oder weniger Berufsverbot mit entsprechend wenig Einnahmen. Wart Ihr schon irgendwann so weit, Euch einen „richtigen“ Beruf zu suchen, oder seid ihr weiter noch optimistisch und voller Hoffnung?

Wir waren immer optimistisch und sind auch weiterhin optimistisch! Es ist, glaube ich, einfach das Gebot der Stunde, gerade Optimismus an den Tag zu legen, denn jetzt aufgeben und was anderes zu machen, das steht überhaupt nicht im Raum! Ich denke, wenn man so lange als Künstler arbeitet, sein eigenes Zeug macht, egal ob Theater oder seine eigenen Songs, dann gibt man das nicht auf.  Das kann uns auch kein Virus der Welt nehmen!

Ich muss auch sagen, es wurde natürlich sehr viel für uns getan, gerade im Land NRW. Es gab diese Stipendien, die gab es nur in NRW für Künstler, das war eine ganz tolle Sache. Damit habe ich mein Album finanziert. Ohne staatliche Hilfen wäre das alles schwieriger gewesen. Egal, was andere sagen, meine Erfahrung war wirklich gut, ich habe da sehr viel – und meine Freundin auch – Unterstützung bekommen.

Ich glaube, dafür war das Geld auch da, damit die Künstler nicht aufgeben und sagen, wir suchen uns jetzt einen Job an der Tankstelle, weil es einfach nicht mehr weitergeht.

 

Wie konkret sah es mit der Auszahlung aus? Gab es eine Pauschale oder musste man Nachweise über Ausgaben erbringen?

Diese Stipendien waren immer geknüpft an ein Projekt, zum Beispiel das Album oder meine Videos, die ich produziert habe. Das kostet natürlich alles Geld, und wenn nichts reinkommt, dann kann man es auch nicht machen.

 

 

Man kennt Dich als Bandmitglied bei Stoppok, dort bist Du an fast allen Instrumenten aktiv. Er hat auch mit der Band Kiosk Euer erstes Album produziert. Du bist also seit fast 20 Jahren mit ihm unterwegs – würdest Du ihn als Deinen „musikalischen Ziehvater“ bezeichnen oder eher so als den „großen Bruder“ – oder wie kann man Eure Beziehung einsortieren?

Ich würde sagen irgendwo dazwischen von dem, was du gerade gesagt hast. Außerdem bin ich immer noch Fan! Das ist nach den ganzen Jahren echt wunderbar. Wenn er Solo spielt, schaue ich mir die Konzerte an und freue mich genauso wie vor 20 Jahren, ihn zu erleben und die Songs zu hören.

Ansonsten habe ich mich eigentlich immer so ein bisschen davor gedrückt, mit Stoppok verglichen zu werden. Ich wollte gar nicht in diese Fußstapfen treten und irgendwas nachmachen, was er schon gemacht hat; aber ich glaube, dass ich mich da gar nicht wehren konnte, dass auch viel in meiner Musik von ihm drinsteckt. Und er ist natürlich auf eine Art auch immer der große Bruder gewesen, der mir Tipps gegeben hat, die ich teilweise angenommen, teilweise nicht angenommen habe. Oder wenn man immer wieder in den Austausch geht: „Was geht bei dir? Zeig mal her, lass mal was sehen, spiel mal vor!“

Teilweise mische ich seine Sachen in meinem Studio, oder er sagt was zu meinen Sachen, wir entwickeln zusammen Videos für ihn usw. 

 

Du hast gerade gesagt, Stoppok war einer von mehreren Künstlern, die Dich beeinflusst haben. Wer waren die anderen?

Das war so in meinen 20er Jahren, als Udo (Lindenberg) wieder zurückkam, mit „Stark Wie Zwei“ – das war für mich ein herausragendes Album, das hat mich sehr geprägt. Aber auch viele Indie-Bands, die es teilweise heute nicht mehr gibt. Erdmöbel zum Beispiel haben echt abgefahrene Songs gemacht, das hat mich total inspiriert. Dann hört es auch schon auf, da müsste ich erst länger überlegen, ob mir da noch ein paar Namen einfallen.

 

Es gibt jetzt bei diversen Kolleginnen und Kollegen Corona-Konzerte. Sind bei dir auch solche Konzerte geplant – oder planst du eher auf „richtige“ Konzerte, wenn es irgendwann wieder geht?

Ich mach jetzt schon das eine oder andere Konzert, wo einfach weniger Menschen sind, wo die Leute auseinanderstehen oder in irgendwelche Quadrate eingepfercht sind. Da sind wir jetzt wieder bei Diskussionen, wie beim Kommentar von Nena: Also, wenn wir als Künstler überhaupt wieder unter Menschen sein wollen – und das wollen wir! – dann müssen wir uns einfach mit den Gegebenheiten arrangieren und müssen das einfach akzeptieren, dass es im Moment nicht so ist, dass die Leute sich verschwitzt im Arm liegen. Das ist nämlich das, was jeder Künstler eigentlich möchte, aber das geht einfach nicht. Entweder man bleibt zuhause und sagt: „Ich spiel erst wieder, wenn es so richtig geht!“, oder man sagt: „Ich gehe den Kompromiss ein, weil ich Lust habe, vor Menschen zu spielen.“.

Ich habe jetzt gemerkt, wie sehr mir das fehlt und wie schön es ist, einfach wieder in Gesichter zu gucken und den Applaus überhaupt wieder mal zu hören, da ist es eigentlich egal, ob die im Strandkorb sitzen.

 

Das kann ich so bestätigen – es ist immer noch besser, als sich vor dem Computerbildschirm einen Stream anzugucken! Du warst in Münster ein Jahr als Conférencier bei der „?- Show“. Sind weitere Moderationen denkbar oder geplant?

Ja! Ich habe jetzt gerade – das war auch so ein Pandemie-Ding – mit einer befreundeten Videoproduktionsfirma zusammengesessen. Wir haben gesagt: Ja, alles total scheiße-langweilig, wir können überhaupt nichts mehr machen, und dann haben wir während des zweiten Lockdowns im Winter so eine kleine Musik-Talkshow bei mir zu Hause in der Küche produziert. Das Ganze nennt sich „Sebels Kitchen“ und ist eine Talk-/Kochshow, wo auch Musik gemacht wird. Das ist gerade auf YouTube online gegangen. Am liebsten würden wir natürlich noch viel mehr Folgen davon machen, aber wir müssen halt schauen, ob das überhaupt angenommen wird.

 

Lieber Sebel, vielen Dank für das Gespräch, Grüße ins Ruhrgebiet und bis hoffentlich demnächst auf einem Konzert!

Ich danke und bis hoffentlich bald!

 

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Fotocredits:

Bild 1 (Beitragsbild groß): Martin Huch

Bild 2 und 3 (klein im Text): Christian Thiele

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