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Ypres

Das klang nach einem spannenden Projekt, was sich die Tindersticks da ausgesucht hatten. Das Museum ‚In Flanders Fields‘, das den ersten Weltkrieg thematisiert und im belgischen Städtchen Ypres beheimatet ist, sollte vertont werden. Deshalb bat man die Briten um eine klangliche Untermalung. So entstand eine ‚in drei Räume‘ aufgeteilte, orchestrale Komposition auf dem Album, sodass jedem Raum zwei Songs zugeordnet sind. Selten hat mich ein Konzept für eine Platte im Vorfeld so interessiert wie dieses. Und selten ist es mir so schwer gefallen, einem Album eine gerechte Note zu geben.

Es beginnt mit einem Glockenläuten. Keine hohen, zauberhaften Klänge wie aus Harry Potter, sondern das salutartige Pochen einer Kirchturmglocke, wie man es von Beerdigungen kennt. Diese ziehen sich durch den kompletten, über 12 Minuten langen ‚Whispering Guns (Pt 1,2 & 3)‘. Frei davon setzen Streicher mit einem ostinaten, bedrückend tragischen Sound ein, der sich nur um Nuancen verändert. Und man hat das Gefühl, den Schrecken der Bilder zu spüren. Auch wenn man nicht selber vor Ort ist, wandert man mental durch die Gänge des Museums entlang. Auch werden gleich Erinnerungen an die berühmte dramatische Filmmusik aus ‚Platoon‘ wach. So gut die musikalische Untermalung auch umgesetzt ist, fällt bereits eine kleine Irritation auf: man sucht vergeblich nach den unterschiedlichen Parts, die der Songtitel verspricht. Hier zieht sich die Atmosphäre durch wie ein nicht endender Sog aus Kummer und Fassungslosigkeit. Bis auf wenige Einwürfe von leisen Posaunen und Hörnern sind kaum hörbare Unterschiede und Wechsel innerhalb des Openers vernehmbar.

Und das ändert sich auch nicht mit dem darauf folgenden ‚Ananas Et Poivre‘. Oder in ‚La Guerre Souterraine‘. Oder im 20-minütigen ‚The Third Battle Of Ypres‘. Die Songs unterscheiden sich so gering von einander, dass es tatsächlich den Anschein macht, als wäre ein großer Song in noch mal kleinere Bröckel unterteilt worden. Nur der Track ‚Gueles caccées‘ wechselt von der Klangfarbe der voluminösen Streicher zur vergleichsweise dröhenden Synthie-Orgel. Was der beklemmenden Stimmung aber keinen Abbruch tut.

Was macht es jetzt so schwierig, ‚Ypres‘ zu bewerten? Zum einen, dass man nicht selbst vor Ort ist, um die Bilder und ausgestellten Objekte zu sehen und so die Musik besser einschätzen zu können. Zum anderen, dass man sich solche Musik wohl kaum privat antun möchte. Selbst, wenn man über das Leben, Gott und die Welt nachdenken will, gibt es entspanntere instrumentale Stücke dafür. Dieses Album ist und/oder macht rein depressiv. Es ist sowieso eine kuriose Idee, Hintergrundmusik von einem Museum als Album zu veröffentlichen. Für einen Spaziergang durch die Räume ist das absolut angebracht, aber nicht für das wiederholte Anhören im Wohnzimmer. Da wird der bequemste Sessel zu einer kleinen Folterbank.

Natürlich kann man sagen, dass sich Tindersticks an der Minimal Music von Arvo Pärt mit Klangteppichen und Clustern ziemlich gekonnt orientiert haben. Und emotional ist ‚Ypres‘ auf alle Fälle auch. Aber wenn man das ganze drum herum mal vergisst, ist die Musik schlicht langweilig. Und gleich muss man die Aussage relativieren, denn zu große Hektik und sprunghafte Unterschiede wären als musikalische Untermalung in einem Museum unangebracht, na klar. Soll man jetzt als der Hörer ‚Museumsbesucher‘ oder als der Hörer ‚Käufer und Fan‘ diesem Album lauschen? Ich tendiere eher zum Letzteren. Auch, wenn es perfekt für ‚In Flanders Fields‘ abgestimmt ist. Privat macht die eintönige Tragik einfach nur keinen Spaß.

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