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Vehicle Of Spirit

Ob man sie nun mag oder nicht, man muß Nightwish zugestehen, daß sie den Spruch mit „Klotzen statt Kleckern“ verinnerlicht haben. Das aktuelle Livezeugnis der Band kommt nämlich nicht nur mit einem, sondern gleich zwei vollständigen Gigs – und natürlich auch noch eine ganze Menge an Bonusmaterialien.

Die Setlist der beiden Shows überschneidet sich natürlich über weite Strecken, dennoch machen tatsächlich beide Mitschnitte für sich gesehen immer noch Sinn. Der erste wurde nämlich in der Wembley Arena in London mitgeschnitten, und man sieht der Band an, wie stolz sie ist, in der legendären Halle auf der Bühne zu stehen. In Wembley kommt auch die Bühnenshow von Beginn an perfekt zur Geltung, und für ‚The Greatest Show On Earth‘ hat sogar der Evolutionsbiologe Richard Dawkins einen Gastauftritt, bei dem er seine Monologe aus der Studioversion rezitiert. Hier wurde wirklich kinotaugliche Perfektion walten gelassen, hier stimmt jeder Schnitt, jeder Kameraschwenk passt perfekt zur Musik. Und auch sound- und showtechnisch lässt man es ordentlich knallen – das hat durchaus Kiss– oder Rammstein-Niveau.

Die Open Air-Show in Tampere wurde hingegen als Jubiläumskonzert konzipiert – ein Heimspiel für die Band in einem rappelvollen Stadion vor völlig ausrastenden Die Hard-Fans. Auch wenn die Show wegen des Tageslichts erst gegen Ende so richtig beeindruckend wird, toppt der Gig die Wembley-Show sogar noch – durch die schlicht unglaublichen Publikumsreaktionen. Man sieht erwachsene Menschen vor Freude weinen (!), als Floor Jansen ‚Sleeping Sun‘ ankündigt, ganze Familien feiern in drei Generationen die Band ab. Schwer, davon nicht mitgerissen zu werden, und so agiert die Band hier noch einmal ein wenig lockerer und (für ihre Verhältnisse) fast schon rock’n’rollig.

Die Setlist dreht sich hauptsächlich um die letzten beiden Alben, die frühen Jahre werden hingegen nur gestreift. Das macht aber nur wenig, denn in der Tat haben Nightwish es mittlerweile geschafft, sich von den frühen Power-Metal-Tagen musikalisch und stilistisch freizuschwimmen. Die Neuzugänge, Frontfrau Floor Jansen und Bill Bailey-Lookalike Troy Donockley, sind noch dazu mit ihrer sympathischen Art das Beste, was der bislang live eher etwas statisch wirkenden Band passieren konnte. Schade nur, daß gerade Donockley live immer noch zu wenig eingesetzt wird, denn seine Beiträge an diversen Dudelsäcken, Flöten, Ouds, Akustik- und E-Gitarren sowie als Sänger zählen mit zu den Höhepunkten der Shows und tragen viel zur Emanzipation der „neuen“ Nightwish bei.

Das Schönste an „Vehicle Of Spirit“ ist aber, daß man mit eigenen Augen sehen kann, daß Nightwish es mittlerweile geschafft haben, sich vollkommen von der eigenen Vergangenheit sowie jeglicher denkbarer Konkurrenz freizuschwimmen. Mit der aktuellen Besetzung hat Tuomas auch endlich eine Mannschaft am Start, die das komplexe Studiomaterial auch in der Livesituation adäquat und mitreißend wie nie zuvor darbieten kann. Fettes Teil, das.

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