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The Xun Protectorate

Norwegen ist gemessen an seiner Einwohnerzahl wohl eines der wichtigsten Länder der Extreme Metal Szene. Vor allem der Black Metal der späten 80er-Jahre, als Antwort auf die Kommerzialisierung der Metalszene entstanden, sorgte trotz seiner verhältnismässig kurzen Hochzeit für anhaltend prägende Momente in der gesamten Metal-Welt. Nach dem Niedergang der „zweiten Welle“ der besonders ideologisch auftretenden Bands ab Mitte der Neunziger, finden sich heute typische Elemente des Black Metal bei den unterschiedlichsten (Metal)Bands. Gleichzeitig ging diese Diversifikation mit der Entstehung neuer Sub-Genres einher. Mit der Entflechtung des ideologisch-satanistischen Images von den entscheidenden stilistischen Elementen und der Hinzunahme neuer Zutaten wie Ambient und Shoegaze entstanden spannende neue Bands wie Alcest, Deafhaven oder Solstafir. Gleichzeitig gibt es nach wie vor Extreme-Metal-Bands, die starke Black-Metal-Einflüsse aufweisen, ohne „einfach nur“ Black Metal zu sein. Satyricon, Enslaved, Negura Bunget oder In Vain sind nur einige bekannte Beispiele, letztere genau wie Khonsu aus Norwegen.

Khonsu aus Bergen haben 2012 beim französischen Label Season of Mist ihr vielgelobtes Debüt „Anomalia“ veröffentlicht und stehen nun nach drei Jahren intensiver Arbeit mit dem vielversprechenden Nachfolger in den Startlöchern. Den Bandnamen hat sich das Duo S.Gronbech (alle Instrumente) und T’ol (auch Sänger bei den norwegischen Death-Bands Chton und Killing for Company) beim ägyptischen Mondgott geliehen, wörtlich übersetzt bezeichnet Khonsu „den, der den Nachthimmel durchquert“ – eine Beschreibung, die gut zum dunklen und mystisch-kosmischen Image der Band passt. Neben den beiden eigentlichen Mitgliedern wirken als Gastmusiker Rune Folgerø (Manes und Atrox) mit klarem Gesang sowie Gronbechs Bruder Arnt „Obsidian“ Gronbech (Keep of Kalessin) mit Gitarrensolos bei einigen Tracks mit.

„The Xun Protectorate“ ist ein Konzept-Album, das von mysteriösen Geschehnissen auf einer riesigen Raumstation mehrere hunderte Jahre in der Zukunft handelt. Nach dem im wahrsten Sinne des Wortes „spacig-unheimlichen“ elektromässigen Prolog geht’s los mit ‚A Jhator Ascension‘, dem wohl klassischsten Black-Metal-Song des Albums. Der Protagonist der Geschichte ist im Begriff, die Raumstation in die Sonne zu steuern und versucht, dies vor sich selbst zu rechtfertigen. Indem er realisiert, dass er damit Macht über Leben und Tod hat, entfaltet er eine Art religiösen Grössenwahn. „Jhator“ spielt auf das tibetische Begräbnisritual der Luftbestattung an. Der klare Gesang erinnert gemeinsam mit den Keyboards beinahe an spirituellen Gesang aus einer Kirche, während natürlich die Screams von einer anderen Welt zu stammen scheinen.

‚The Observatory‘ beschreibt das triste Leben in der Raumkolonie und kündigt weitere Geschehnisse der Handlung des Konzeptalbums an. Der Titel strahlt eine technisch-industrielle Stimmung aus, der klagende Gesang von Rune Folgerø akzentuiert die Weite und die Kälte, die die Musik ausstrahlt, für den bedrohlichen Gesang ist dann wieder T’ol zuständig. ‚The Liberator‘ ist Extreme-Metal aus dem Lehrbuch: Brutal, schrill, schnell, tödlich. Jedoch nicht ohne die für Konshu typischen Gegensätze eher ruhiger, düsterer Art. ‚Death of a Timekeeper‘ kombiniert Death- und Gothic-Metal-Touch mit einem treibenden Groove. ‚The Tragedy of the Awakened One‘ kommt wieder als cinematischer Weltraum-Track daher: Keyboards, Gitarrensoli mit viel Hall und sehr melodischer Gesang. ‚Visions of Nehaya‘ ist ein psychotisch-verstörender Teppich aus derben Riffs, bestialischem Gesang und hypnotischen Drums. ‚A Dream of Earth‘ lässt tatsächlich sehnsuchtsvoll aus dem dunklen, kalten Weltraum den warmen, blauen Planeten erahnen. Symphonischer Death Metal lässt „The Xun Protectorate“ mit ‚Toward the Devouring Light‘ und dem friedlichen Epilog ‚The Unremembered‘ zu Ende gehen. Wow, was für eine Achterbahnfahrt von einem Extreme-Metal-Album!

Das besondere an Khonsu ist, dass das Ganze deutlich mehr als die Summe seiner Teile ist. Elektro-Ambient und Death- und Blackmetal stellen zwar eine gute Basis für ein grosses atmosphärisches Spannungsfeld dar, doch Gronbech macht mehr daraus als nur eine gute Verbindung einzelner Stile. Das Album ist eine cinematisch vertontes Dystopia im Weltraum, eine tiefschwarze Space-Opera in Klängen und in beinahe jeder Hinsicht ein sehr intensives Album, wie man es nicht alle Tage zu hören bekommt. Zudem ist das Werk der Norweger natürlich besonders spannend für Sci-Fi-Metal-Freunde von Voivod, Wormed, Vektor, Eyeconoclast oder Thought Chamber.

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