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The Judas Table

Antimatter sind mittlerweile eine der absolut herausragendsten Bands in den ruhigeren Gefilden des … ja, wie nennt man das denn? Post-Rock, Prog-Rock, Art-Rock, Metal? Etwas von allem, vermutlich. Noch immer stehen fragile, zerbrechliche Melodien im Mittelpunkt, dargeboten von zurückhaltenden akustischen Gitarren und Streichern, die hin und wieder in zornige Metalpassagen ausbrechen. Der Gesang und die Texte von Mick Moss sind immer noch zutiefst persönlich und stehen in Wichtigkeit den zarten Melodien in nichts nach. Man merkt hier und da, dass die Heimat von Antimatter irgendwann einmal Anathema waren, nur dass Antimatter im Gegensatz zum mittlerweile viel zu verkopften Progressive der ehemaligen Kollegen direkt in Herz und Hirn gehen.

„The Judas Table“ ist ein Konzeptalbum über alles, was Menschen anderen Menschen antun können, über Schmerz, Verlust, Demütigung, Intoleranz, Ablehnung; jedes Wort, das ein negatives Verhaltensmuster eines Menschen einem anderen Menschen gegenüber beschreibt, findet seinen Platz in dieser zutiefst traurigen Bestandsaufnahme menschlichen Versagens. Passend dazu ist das Albumcover, das die Abhängigkeiten des Menschen von den emotionalen Verbindungen zu anderen Menschen auf ziemlich direkte Weise darzustellen vermag.

Wenn man dem Album lauscht wirkt es allerdings tatsächlich so, als hätte Mick Moss seine Dämonen ausgetrieben. Die allzu intensive Kontrastierung zwischen aggressiven Ausbrüchen und den selbstzerstörerisch-zerbrechlichen Passagen, die auch noch auf „Fear Of A Unique Identity“ vorherrschte, ist auf „The Judas Table“ sanfter, klarer, logischer. Es wirkt fast, als hätte jemand Mick Moss und seine Musik mit Schleifpapier bearbeitet, um all die Splitter, die den Hörer verletzen könnten, wegzuschmirgeln.

Geblieben ist ein sanftes, ruhiges Album voller akzeptiertem Schmerz. Manche Stücke reizen dadurch ihr Intensitätspotential eindeutig nicht genug aus („Killer“), manche schrammen an der Grenze zur Langeweile entlang („Hole“), andere wiederum sind durch das bloße Weglassen lauterer Parts an Persönlichkeit kaum zu übertreffen – siehe das überragende „Comrades“. Es kann jedem nur ans Herz gelegt werden, dieses Album konzentriert über Kopfhörer in sich aufzunehmen, so gut wie jeder wird sich in den Texten irgendwann irgendwo wiederfinden. Absolut überragen tut „Stillborn Empires“, siebeneinhalb Minuten Schmerz, Intensität und Textzeilen wie

‚Daddy didn’t want you and Mommy gave you pain‘

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Der halbwegs friedliche Waffenstillstand, den Moss hier mit sich und seiner Umgebung geschlossen hat, scheint spätestens beim unfassbar traurigen „Little Piggy“ brüchig. Das Album ist noch nicht einmal erschienen, und man wartet schon darauf, wie sich das wohl weiterentwickeln mag.

Musikalisch mag man Antimatter zurufen, sie mögen doch auch mal etwas von ihrem Weg abwärts abweichen, ausbrechen, etwas machen, das überrascht, denn Antimatter sind Antimatter und sie entwickeln sich in ziemlich eng gesteckten Bahnen. Aufgrund der überragenden songwriterischen und technischen Fähigkeiten verbietet sich ein „ist ja immer dasselbe“ fast von selbst; dennoch ist der Grat sehr schmal. Textlich dagegen geht der Seelenstrip voran, es gibt Entwicklungen, Veränderungen. Dass eine Abfolge von Texten mehrerer Alben über Jahre hinweg beim Hörer dasselbe Interesse zu erwecken vermag wie sonst nur Fernsehserien – das ist wirklich hohe Kunst.

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