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Tempest

Ob diesen Sommer noch jemandem der Sinn nach mehr „Tempest“ (sprich Gewitter oder Sturm) steht? Beim so benannten zweiten Longplayer der Instrumental-Post-Metaller aus Colchester an der englischen Nordseeküste handelt es sich um ein Konzeptalbum. Es erzählt in 50 Minuten über acht Songs hinweg von einer ganz besonderen Reise. Vom Erwachen nach einer großen Flut, von der Isolation, vom Kampf zwischen Hoffnung und Resignation bis hin zur endgültigen Akzeptanz der Situation. Quasi eine moderne Robinsonade, nur ohne Insel und ohne Freitag.

Und das Konzept geht auf. Den Vorgänger „12 Areas“ prägten noch häufige, wilde Tempowechsel. Jetzt geht es deutlich kontrollierter zur Sache, dafür aber umso wuchtiger. Ab ‚Smoke from Distant Fires‘ zieht doomiger Sludge den Hörer in den Bann beziehungsweise aufs offene Meer hinaus. Dann glätten sich die Wogen in ruhigen, atmosphärischen Phasen, ab und zu unterbrochen von kurzen, heftigen Highspeed-Noise-Attacken. Wie wenn einem die Gischt ins Gesicht klatscht, um daran zu erinnern, dass die Post-Apokalypse kein Wellness-Trip ist.

Über ‚Celebration of Decay‘ baut sich mehr und mehr Spannung auf, die sich dann zur Mitte des Albums in ‚Echo of Souls‘ entlädt. Robinsons Verzweiflung lässt sich hier sogar in einem kurzen Scream-Part hören. Das könnte künftig durchaus eine weitere Option für die Band sein, denn so schlecht hört sich das nicht an. Die anfänglichen Stakkatos von ‚Apparition‘ vermitteln ein letztes Aufbäumen, bevor jeder Widerstand gebrochen scheint. Um was für eine Erscheinung es sich hier wohl gehandelt haben mag? Wir werden es wohl nie erfahren. Aber wie sagt man noch gleich: Reisen bildet. Zwei der übrigen Songtitel sind in dieser Hinsicht besonders bemerkenswert.

‚Hiraeth‘ ist aus dem Walisischen und lässt nicht so einfach übersetzen. Es bedeutet sowohl „Heimweh“ als auch die unerfüllte Sehnsucht etwas wiederzufinden, was möglicherweise niemals da war. Vielleicht ein Gleichnis auf die ferne Heimat der beiden polnischen Brüder in der Band? Der Song selbst ist so etwas wie die zeitlich umgekehrte Zusammenfassung des gesamten Albums. Vielleicht war er aber auch der Prototyp, denn das schöne Schwarz-Weiß-Video dazu hatte die Band schon im August letzten Jahres veröffentlicht.

Mit ‚Metanoia‘ schließt das Album, was für religiöse „Buße“, aber auch für einen Nervenzusammenbruch und anschließendem Neuaufbau bzw. Heilung stehen kann. Letzteres könnte doch am besten zum Finale einer derartigen musikalischen Reise passen. Telepathy gönnen dem Hörer kein Happy End oder auch nur einen Hoffnungsschimmer. Immer langsamer wird der Takt und dann ist Schluss. Endgültig. Aus.

Schön, dass die Möglichkeit besteht, gleich nochmal von vorn zu beginnen. Denn Telepathy haben mit „Tempest“ ein atmosphärisch dichtes Album abgeliefert, welches auch nach mehrmaligem Hören nicht an Wucht und Sogwirkung verliert. Wenn die Band im Spätsommer wieder aufs europäische Festland übersetzt, sollte ein Konzertbesuch auf der To-Do-Liste des Post-Metal-Aficionado stehen. Die Briten gelten als hervorragende Live-Musiker.

(geschrieben von Thomas Schmidt-Fandrey)

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